Schwerin. Montagabend. Viertel vor sechs am Südufer des Pfaffenteichs. Gegner der Corona-Maßnahmen haben zu einer Demonstration aufgerufen. Wie jeden Montag. Aus den Boxen tönt seichte Musik. Der Platz füllt sich langsam, während auf der benachbarten Eislaufbahn Kinder ihre Runden drehen. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot präsent. Auflagenverstöße sollen nicht toleriert werden.  Der Sammelplatz ist zu klein für die Teilnehmer. Zu eng, um die vorgeschriebenen Mindestabstände einzuhalten. Die Polizei wird im Nachgang von 2.500 Personen sprechen. Die Organisatoren zählen über 3.000 Menschen. Die Behörden erwarten in den kommenden Wochen weiteren Zulauf.  „Wer sich impfen lässt, hat den besten Schutz vor der Intensivstation“, verkündet eine Werbetafel am Rande der Demostrecke. Die Empfehlung der Behörden, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, wird von den Demonstrant:innen ganz überwiegend ignoriert. Die Warnungen vor der hochansteckenden Omikron-Variante scheinen hier nicht zu verfangen. Immerhin: Während des Marschs halten die Reihen den Mindestabstand ein. Wohlgemerkt unter den Argusaugen der Bereitschaftspolizist:innen, die den Aufzug absichern.  Viel zu tun haben die Beamten an diesem Abend nicht. Gegendemonstranten sind diesmal nicht in Sicht. In der Landeshauptstadt kann man noch weitgehend ungestört gegen Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen. Die Demo verläuft ohne nennenswerte Zwischenfälle. Es wird nicht die letzte Versammlung dieser Art in der Landeshauptstadt gewesen sein. Die Veranstalter haben bei der Stadtverwaltung bereits Versammlungen bis in den März hinein angezeigt. Jeden Montag und jeden Samstag, wie eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung gegenüber KATAPULT MV bestätigte. 17.000 Demonstrant:innen in 20 Städten In den vergangenen Wochen hat die Zahl corona-kritischer Versammlungen in Meck-Vorp spürbar zugenommen. Die Teilnehmer:innen organisieren sich über den Messenger-Dienst „Telegram“. Statt von Demonstrationen spricht die Querdenker-Szene von „Spaziergängen“. In Anlehnung an die Friedliche Revolution protestieren die Demonstrant:innen vorzugsweise an Montagabenden, bei sogenannten „Montagsdemos“. Verstöße gegen die Corona-Regeln sind dort an der Tagesordnung. Unter den Demonstrant:innen befinden sich häufig auch Rechtsextremisten und Verschwörungsgläubige, die den Staat und seine Institutionen nicht anerkennen.  Seit Anfang November zählt das Innenministerium im Zusammenhang mit Corona über 80 Versammlungen. Die meisten davon wurden von Gegnern der Hygiene-Maßnahmen durchgeführt, teilweise ohne vorherige Anmeldung bei den Ordnungsbehörden. Als die Diskussion um eine Impflicht Ende November an Fahrt gewann, stiegen die Teilnehmerzahlen rasant an. Demonstrierten beispielsweise in Rostock am 22. November 125 Menschen gegen die Corona-Politik, waren es eine Woche später schon 860. Wie bei den PEGIDA-Protesten 2014 in Dresden scheinen die Teilnehmerzahlen im Dezember regelrecht zu explodieren. Vergangene Woche registrierten die Sicherheitsbehörden 7.000 Teilnehmende. Gestern sollen nach Polizeiangaben landesweit 17.000 Menschen in 20 Städten auf die Straße gegangen sein. Landtag debattierte zu Corona-Demos Die Corona-Proteste haben längst den Landtag erreicht. In einem Dringlichkeitsantrag bekannten sich die fünf demokratischen Fraktionen am Freitag einerseits zur Versammlungsfreiheit als ein Grundrecht. Andererseits sei die Verbindung von Demos mit persönlichen Bedrohungsszenarien und Angriffen inakzeptabel und illegitim.  In den vergangenen Wochen kam es im Zusammenhang mit Corona-Protesten bundesweit zu Einschüchterungsversuchen gegen Politiker:innen. Am 3. Dezember bauten sich 30 Personen mit Fackeln vor dem Wohnhaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) in Grimma auf. Am selben Abend demonstrierten vier Impfgegner vor der Kölner Wohnung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Am 6. Dezember versuchten mehrere hundert Personen in Schwerin nach einer nicht angemeldeten Demonstration zum Wohnsitz von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) zu gelangen. In Sachsen ermitteln die Behörden gegen Mitglieder einer Chatgruppe aus dem Umfeld der Bewegung, die Mordpläne gegen Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) geschmiedet haben soll.  Während der Debatte betonten die Abgeordneten einmütig die Bedeutung des Grundrechts. „Das Protestgeschehen ist völlig legitim, aber es fordert uns heraus“, erklärte Innenminister Christian Pegel. Der SPD-Politiker wies auf die gestiegene Belastung für die Einsatzkräfte der Polizei hin. Mehrere Abgeordnete, darunter Ann Christin von Allwörden (CDU) und Constanze Oehlrich (Grüne), riefen die Teilnehmer:innen der Corona-Demos auf, sich von Rechtsextremisten und Staatsleugnern zu distanzieren.  Die AfD enthielt sich dem Antrag. Zuvor hatten die demokratischen Fraktionen einen Änderungsantrag der Fraktion abgelehnt. Die Rechten störten sich an der Formulierung, das Demonstrationsgeschehen gebe „Anlass zu großer Sorge“. Der AfD-Abgeordnete Enrico Schult hatte zuvor behauptet, die Demonstrationen würden friedlich verlaufen. Das Thema des Antrags passe daher nicht.  Als zum Ende der Debatte die Ministerpräsidentin Schwesig ans Redepult trat, erhielt die Diskussion unerwartet eine emotionale Note. Am 6. Dezember hatte die Polizei in Schwerin mehrere hundert Personen erst kurz vor dem privaten Wohnhaus Manuela Schwesigs stoppen können. Die SPD-Politikerin zeigte sich in Anbetracht der Geschlossenheit der demokratischen Fraktionen sichtlich berührt. „Nicht, weil ich Angst habe um mich und meine Familie“, betonte die 47-Jährige. „Ich habe tiefstes Vertrauen in die Sicherheitsbehörden dieses Landes.“  Schwesig erinnerte an jene Menschen, die im Herbst 1989 friedlich demokratische Freiheiten erstritten hatten. Ihretwegen dürften wir in Frieden, Freiheit und Demokratie leben.  Der Antrag zeige ganz genau, welche Parteien bereit seien, für demokratische Regeln einzustehen und wer sich wieder eine rechte Ausgangstür suchen wolle. „Nicht jede Partei, die demokratisch gewählt wurde, ist eine demokratische Partei“, stellte Schwesig klar. Die AfD verhalte sich undemokratisch. Sie nutze die Corona-Pandemie, um die Gesellschaft zu spalten. Für den Frust mancher äußerte die Regierungschefin Verständnis. “Ich verstehe auch Argumente gegen eine Impfpflicht”, sagte Schwesig. “Man muss aber auch sehen, dass es viele gibt, die sagen, ich habe Sorge, wenn es die Maßnahmen oder die Impfpflicht nicht gibt, dass wir hier niemals rauskommen.” Kommt Lockdown nach Weihnachten? Heute tagen Vertreter von Bund und Ländern, um das weitere Vorgehen gegen die Pandemie abzustimmen. Nach eindringlichen Warnungen des Expertenrates der neuen Bundesregierung werden Verschärfungen der bestehenden Corona-Regeln erwartet. Zur Diskussion stehen weitere Kontaktbeschränkungen für Geimpfte und Genesene. „Da gibt es dann auch noch weitere Beschränkungen, was persönliche Kontakte betrifft, damit wir gut vorbereitet sind, wenn die neue Variante des Virus sich überall in Europa ausbreitet.“ Wie das ARD-Hauptstadtstudio am Dienstag berichtet hat, sollen ab dem 28. Dezember auch private Zusammenkünfte von Geimpften und Genesenen auf maximal zehn Personen begrenzt werden. Dies soll für private Treffen im Innen- wie im Außenbereich gelten, Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres würden dabei nicht mitgezählt. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig hat sich gegenüber dem NDR bereits für weitergehende Kontaktbeschränkungen ausgesprochen. „Wir müssen uns alle überlegen, wie viele Kontakte wirklich nötig sind“, sagte die Ministerpräsidentin. Die Regierungschefin favorisierte, das Limit von geimpften und genesenen Personen, die sich im privaten Bereich treffen dürfen, von 30 auf 10 zu reduzieren. Einen harten Lockdown ab Januar schloss die SPD-Politikerin ebenfalls nicht aus. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!