Als Lehre aus der Machtergreifung der Nationalsozialist:innen in der Weimarer Republik wurde die Möglichkeit eines Parteiverbots im Grundgesetz verankert: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“ Artikel 21 Absatz 2 ist die Rechtsgrundlage für ein Parteiverbot. Doch seine Hürden sind hoch. Ein Parteiverbot beantragen können nur Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung. Über das Verbot selbst entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Dabei spielen drei Kernwerte eine zentrale Rolle: Schutz der Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Arbeitet eine Partei aktiv und planvoll daran, diese Prinzipien abzuschaffen, kann sie verboten werden. Dann werden die Partei, ihre Nachfolgeorganisationen, Kennzeichen und Propagandamittel für illegal erklärt, die Partei verliert alle Mandate und ihr Vermögen wird eingezogen. In der Geschichte der Bundesrepublik wurden zwei Parteien verboten: 1952 die Sozialistische Reichspartei (SRP), die sich als Nachfolgepartei der NSDAP verstand, und 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Ein Parteiverbot für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), die sich heute Die Heimat nennt, ist zweimal gescheitert. 2003 an zu vielen V-Leuten des Verfassungsschutzes in der Führung der Partei, die deren Entscheidungen möglicherweise beeinflusst hatten; 2017 an der mangelnden Bedeutung der Partei. Die NPD sei zwar verfassungswidrig, könne aber ihre Pläne nicht umsetzen, so das Gericht. Mit dem Erstarken der AfD und ihrer zunehmenden Radikalisierung gibt es immer wieder Debatten um ein Verbotsverfahren. Im Folgenden werden die politischen Argumente dargelegt. Die juristische Entscheidung, ob die AfD tatsächlich verboten werden sollte, obliegt dem Verfassungsgericht und soll hier nicht erörtert werden. Fazit Die Debatte um ein AfD-Verbot ist eine über fundamentale Prinzipien von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Im Herbst möchte der CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz einen Antrag auf ein Verbotsverfahren stellen. Ob die hohen rechtlichen Voraussetzungen für ein Verbot der AfD erfüllt sind, wird sich vermutlich erst in einigen Jahren zeigen. Unabhängig von einem möglichen Verbotsverfahren ist und bleibt die politische Auseinandersetzung mit der AfD und ihren Positionen eine zentrale Aufgabe aller demokratischen Kräfte. Es muss ein Umgang mit der AfD gefunden werden, und zwar ein anderer als bisher. Das Deutsche Institut für Menschenrechte betont, dass sich die anderen Parteien klar von der AfD abgrenzen müssten, sowohl auf Bundes-, Länder- als auch auf Kommunalebene. „Eine solche Abgrenzung ist gegenwärtig nicht durchgängig gegeben, was sich insbesondere auf kommunaler Ebene beobachten lässt.“ Stattdessen bedienen sich die demokratischen Parteien AfD-Narrativen, wie beispielsweise die Ampelkoalition mit dem Asylkompromiss auf EU-Ebene. Der Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, dessen Kanzlei auf die juristische Aufarbeitung rassistischer, antisemitischer und neonazistischer Übergriffe spezialisiert ist und beispielsweise die Nebenklage im NSU-Prozess vertreten hat, kritisiert: „Es wird oftmals vorgeschlagen, ‚politisch‘ gegen die Partei und die von ihr verbreiteten Inhalte vorzugehen, ohne jedoch jemals (...) eine solche Strategie auch nur probeweise umgesetzt zu haben.“ Transparenzhinweis: Die Autorin hat im Juni an einer Podiumsdiskussion zum AfD-Verbotsverfahren des Regionalzentrums Westmecklenburg und von Kirche stärkt Demokratie in Schwerin teilgenommen. Dabei vertrat sie die Position, ein Verbotsverfahren einzuleiten. Quellen der GrafikenBanse, Philip; Buermeyer, Ulf: AfD-Verbot – Die Lage der Nation, auf: lagedernation.org (25.1.2024).Buchholz, Joschka; Suliak, Hasso: „Die AfD ist eine ver­fas­sungs­feind­liche Orga­ni­sa­tion“, auf: lto.de (7.6.2023).Cremer, Hendrik: Warum die AfD verboten werden könnte. Empfehlungen an Staat und Politik, auf: institut-fuer-menschenrechte.de.Deutscher Bundesjugendring (Hg.): AfD-Parteiverbotsverfahren jetzt!, auf: dbjr.de.@deutschlandfunk: Beitrag vom 4.1.2024, auf: instagram.com.@deutschlandfunk: Beitrag vom 14.1.2024, auf: instagram.com.E-Mail von Daniel Trepsdorf vom 10.7.2024.E-Mail von Gudrun Heinrich vom 17.7.2024.E-Mail von Tilman Jeremias vom 15.7.2024.Fischer-Lescano, Andreas: AfD-Verbotsverfahren als demokratische Pflicht, auf: verfassungsblog.de (18.1.2024).Hoffmann, Alexander: Macht, auf: der-rechte-rand.de.Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine: Debatte um AfD-Verbot: „Die AfD muss inhaltlich gestellt werden“, auf: freiheit.org (13.3.2024).Deutschlandfunk (Hg.): Was spricht für und was gegen ein AfD-Verbotsverfahren?, auf: deutschlandfunk.de (15.5.2024).Lyko, Finn: Zehn Fragen und Antworten zu einem möglichen AfD-Verbot, auf: vorwaerts.de (19.1.2024).M21 – Verein für solidarische Perspektiven im 21. Jahrhundert (Hg.): AfD-Verbot: Forderung mit Fallstricken, auf: marx21.de (22.1.2024).Pietrzyk, Kristin; Hoffmann, Alexander: AfD-Verbot: Verzichtet die „wehrhafte Demokratie“ auf ihre Waffen?, in: Ezra; Mobit; Komrex; IDZ (Hg.): Thüringer Zustände, S. 49-53, auf: ezra.de (2023).RAA – Demokratie und Bildung MV (Hg.): Podiumsdiskussion und Bürgerdialog. Wehrhafte Demokratie? – Was spricht für ein AfD-Verbot und was dagegen?!, auf: raa-mv.de.RAA – Demokratie und Bildung MV (Hg.): Podiumsdiskussion über den Umgang mit der AfD, auf: raa-mv.de (10.6.2024).Vorreyer, Thomas: „Das sind Kipppunkte für die Demokratie“, auf: tagesschau.de (6.7.2024). Der Artikel erschien zuerst leicht gekürzt in der gedruckten Augustausgabe. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!