MV wird gepriesen als Land der Ruhe und Entspannung, ideal, um die Angel auszuwerfen. Mit einem eigenen Qualitätssiegel zertifiziert der Landestourismusverband sogar Ferienunterkünfte und Campingplätze, die speziell auf die Bedürfnisse von Angler:innen ausgerichtet sind. Wie wichtig Tourismus als Impulsgeber für die wirtschaftliche Entwicklung ist, hat Mecklenburg-Vorpommern längst erkannt. Der Angeltourismus spielt dabei eine besondere Rolle, denn die natürlichen Gegebenheiten sind wie geschaffen dafür. Nicht nur an 2.000 Seen und 26.000 Kilometern Fließgewässer, sondern vor allem auch an der 1.943 Kilometer langen Ostseeküste soll „grenzenloses Fangvergnügen“ möglich sein. Der Landestourismusverband schwärmt gar von gewaltigen Lachsen und prächtigen Dorschen in den Fanggründen der Ostsee. Hochseekutter und geführte Angeltouren machten persönliche Fangrekorde greifbar, heißt es. Überhaupt gilt das Hochsee- und Meeresangeln als Abenteuer. Zum einen ist die Naturgewalt an und auf der See deutlich spürbar und zugleich ermöglicht sie viele Fänge. Die Aussicht auf kapitale Fische am Haken nährt einen ganzen Wirtschaftszweig. Jährlich besuchen in Europa rund 8,7 Millionen Angler die Küstengewässer und geben für ihr Hobby etwa 5,9 Milliarden Euro aus. Die ökonomische und soziale Bedeutung der marinen Freizeitfischerei ist enorm. Ihr wirtschaftlicher Gesamtnutzen liegt bei 10,5 Milliarden Euro und sichert etwa 100.000 Arbeitsplätze in Europa. Allein in Deutschland entfallen dabei ein Geschäftsvolumen von 176 Millionen Euro und 1.957 Arbeitsplätze auf den Bereich der maritimen Freizeitfischerei. Zehnmal höhere Wertschöpfung als in der Berufsfischerei Eine zwölfmonatige Studie des für Fischereiforschung zuständigen Thünen-Instituts ergab in den Jahren 2014 und 2015 geschätzte 161.000 Ostseeangler in Deutschland, die insgesamt rund 1,2 Millionen Angeltage pro Jahr aufbrachten. Knapp zwei Drittel dieser Angeltage fanden an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns statt. Hier wurden wiederum die meisten Ostseeangeltage im Landkreis Vorpommern-Rügen verbracht. Die Meeresangler an der Küste Meck-Vorps geben durchschnittlich etwa 900 Euro pro Person und Jahr für ihr Hobby aus. Dazu zählen vor allem Kosten für eigene Angelboote, Angelgerät und Zubehör, Reisen und Transporte sowie Übernachtungen. Insbesondere in der Nebensaison, im Frühjahr und Herbst, sind die Meeresangler für Land und Gemeinden ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, erst recht in strukturschwachen Regionen. „Wenn man hochrechnet, was ein Dorsch oder eine Meerforelle wert ist, die ein Angler fängt, dann ist das ungefähr das Zehnfache des Wertes, den ein Fisch erzielt, der in der Berufsfischerei gefangen wird“, erklärt Alexander Seggelke, Geschäftsführer des Deutschen Angelfischerverbandes (DAFV). Zusammen mit den Kosten für Anfahrt, Unterkunft, Verpflegung, Kutterfahrten und Köder ergibt sich ein wirtschaftlicher Wert von etwa 40 bis 45 Euro für ein Kilo geangelten Dorsch. In der Berufsfischerei wird dasselbe Kilo für etwa drei Euro verkauft. Über die hohe Wertschöpfung hinaus gilt Angeln auch als schonend für die Umwelt. Gerade die organisierten Angler machen es sich zur Aufgabe, die Lebensräume der Fische zu erhalten. Fangquoten bremsen maritimen Angeltourismus Doch der Ostseedorsch leidet. „Der Bestand gilt wissenschaftlich als zusammengebrochen“, sagt Seggelke. Das Ökosystem Ostsee hat ein Problem. Das ist dramatisch, nicht nur für den Fisch selbst. Dorsch ist die wichtigste Zielfischart vor der Küste, sowohl für Angler als auch für Berufsfischer. In absoluten Stückzahlen wird nur der Schwarmfisch Hering häufiger gefangen als der Dorsch. Mehr als jeder dritte aus der Ostsee vor Mecklenburg-Vorpommern entnommene Fisch ist ein Dorsch. Mit Blick auf die Gesamtentnahme ziehen Angler sogar mehr Dorsch aus dem Binnenmeer als die kommerzielle Fischerei. Es ist ein relativer Anteil, der sich auch bedingt durch die Fangquote der Berufsfischerei immer wieder ändert. Dennoch ist die Tendenz deutlich. Meeresangeln hat einen deutlichen Einfluss auf den Fischbestand. Seit ein paar Jahren versucht die Politik auf EU-Ebene den Bestand zu regulieren. 2017 wurde das erste Tagesfanglimit, das sogenannte Bag-Limit, für Dorsch eingeführt. Damals lag es bei sieben Exemplaren pro Angler und Tag. 2021 waren es noch fünf Dorsche. Seit diesem Jahr darf nur noch ein Dorsch pro Tag gefangen werden. Zwischen Mitte Januar und Ende März, in der Schon- und Laichzeit des Dorsches, herrscht ein komplettes Fangverbot. „Der Dorsch hatte bislang eine sehr hohe Anziehungskraft auf die Anglerinnen und Angler, die als Urlauber ins Land kamen und kommen“, erklärt Claudia Thürmer, Pressesprecherin des Landesanglerverbandes. Sie ist überzeugt, dass sich die aktuelle Fangbegrenzung auf den Angeltourismus auswirken werde. Nur etwa 30 Prozent aller Meeresangler im Land leben auch in Mecklenburg-Vorpommern. Die meisten Angeltouristen kommen aus Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Niedersachsen und Bayern, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium. „Die Angler bringen frisches Geld aus anderen Bundesländern, gehen in den Angelladen, chartern Boote“, weiß Alexander Seggelke vom DAFV. Gerade für den Landkreis Vorpommern-Rügen hat der Meeresangeltourismus eine zentrale Bedeutung. Bleibt er aus, leidet zuerst ein Berufszweig, der auf diese Nische zugeschnitten ist: die Angelguides. Mit ihren Booten und Kuttern fahren sie raus aufs Meer, suchen Fischgründe, um ihrer zahlenden Kundschaft ein bestmögliches Erlebnis zu bieten. Der Dorsch ist auch für sie wichtig. Mit dem Bag-Limit von einem Dorsch pro Angler und Tag können Angelguides auf der Ostsee kaum noch wirtschaftlich arbeiten. Die Situation ist für viele von ihnen existenziell. „Mit der Fangbegrenzung ist das Ende in Sicht“ oder „Das ist der Todesstoß für uns“ sind kurze wie deutliche Reaktionen. Wer kann, verlegt das Guidinggeschäft auf die Boddengewässer, doch auch dort ist der Fischbestand begrenzt. Ralf Siebler ist im Nebenberuf Angelguide auf der Insel Hiddensee. Auch ihn trifft die Fangquotenregelung. Anfragen und Vorausbuchungen für das Ostseeangeln sind für Siebler in diesem Jahr um mehr als 75 Prozent zurückgegangen. „Die Leute kennen nur Dorschangeln“, sagt er. Es sei ein riesen Problem, den Fokus davon wegzubekommen. Dabei gibt es viele andere Möglichkeiten: „Wir können Plattfisch angeln. Im Sommer kann man seit zwei, drei Jahren toll Makrele angeln, oder Hornhecht im Frühjahr“, weiß Siebler. Mehr als zwei Dutzend verschiedene Fischarten werden im küstennahen Meer gefangen. Aber „du bekommst das nicht so schnell in die Köpfe der Menschen“, erzählt der Angelguide. Für ihn sei es deshalb wichtig, Angeltouristen auch an andere Fischarten heranzuführen. In Patzig auf Rügen ist Guido Jubelt selbständig. Er betreibt eine Angelschule und ist als Angelguide in den Küstengewässern westlich von Rügen unterwegs. „Mit der aktuellen Dorschquote fallen etwa 20 Prozent meiner Einnahmen weg“, rechnet er vor. „Die Leute kommen nicht mehr, wegen der Dorschgeschichte. Das ist auch touristisch gesehen ein Verlust.“ Insgesamt sehe es schlecht aus, sagt Jubelt. Das liegt nicht nur an der Quotenregelung für Dorsch, sondern auch am Fangverbot für Wildlachs. Lachs vom Fangverbot betroffen Auch Ostseelachs hat vor allem rund um Rügen eine große touristische und wirtschaftliche Bedeutung. Mehr als 5.000 Schleppangelfahrten, sogenannte Trollingfahrten, finden jährlich in den Gewässern vor der Insel statt, die von Lachsanglern aus ganz Deutschland und dem Ausland gebucht werden. Dabei geben Angler im Durchschnitt 2.750 Euro pro Jahr für das Lachsangeln aus, was pro gefangenem Lachs einer Wertschöpfung von etwa 1.000 Euro entspricht. Doch auch dieser Wirtschaftsfaktor droht zusammenzubrechen. Seit diesem Jahr unterliegt der Lachs, der überwiegend aus den Flüssen Skandinaviens kommend durch die Ostsee wandert, einem Fangverbot. Lediglich Besatzfische aus künstlicher Aufzucht dürfen aufgrund der Quote von einem Fisch pro Angler und Tag gefangen werden. Um sie von Wildlachsen zu unterscheiden, wird ihnen die typische Fettflosse abgeschnitten, die sich üblicherweise zwischen Rücken- und Schwanzflosse befindet. Etwa jeder dritte vor Rügen gefangene Lachs stammt aus künstlicher Aufzucht. Damit sei das Lachstrolling vorbei, meint Angelguide Siebler. Die Quote von einem Lachs pro Tag unterstütze er, sagt allerdings auch: „Ich kann mich seit 2015 nur an einen gefangenen Fisch erinnern, der keine Fettflosse hatte. Der Rest war alles Wildlachs.“ Nunmüsse er die meisten Tiere nach anstrengendem Kampf an der Angel zurück ins Wasser setzen, was bei erschöpften Lachsen nicht einfach sei. Bisher gibt es keine Studie zur Überlebensrate von Ostseelachsen, die in der Schleppangelfischerei gefangen und zurückgesetzt wurden, stellt das Thünen-Institut fest. Basierend auf Untersuchungen bei Pazifischen Lachsen wird eine Rückwurfsterblichkeit von 25 Prozent angenommen. Rechnerisch bedeutet das, dass von 100 gefangenen Lachsen lediglich 33 Tiere keine Fettflosse aufweisen und entnommen werden dürfen. Von den 67 Wildlachsen sterben 16 beim Versuch, sie ins Wasser zurückzusetzen. Und nicht nur das: „Wie soll ich meinen Gästen erklären, dass sie den gerade gefangenen Lachs wieder ins Wasser schmeißen müssen?“, fragt Siebler. „Wer zum Lachsangeln kommt, will natürlich auch den Fisch mitnehmen.“ Guido Jubelt pflichtet ihm bei. „Wenn du mit drei Gästen drei Lachse fängst, kann es sein, dass du alle wieder zurücksetzen musst, weil kein geclipter (fin clip: abgeschnittene Fettflosse, Anm. d. Red.) dabei ist“, sagt er. „Das ist keine gute Regelung.“ Beim Lachs geht Jubelt von einem weiteren Einnahmeverlust von zehn Prozent aus. „Insgesamt werde ich in diesem Jahr wohl 30 bis 40 Prozent weniger Touren haben. Da halte ich mich gerade so über Wasser.“ Angelerlebnisse sind Glücksmomente In Glowe auf Rügen hat Stephan Hackbarth seine Basis. Er ist seit 26 Jahren Angelguide. „Der Ostsee geht es nicht gut“, sagt er. „Jetzt liegt es an uns, den Anglern und Fischern, vielleicht eine Wende zu erreichen.“ Dazu gehören für Hackbarth auch Einschränkungen, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen alternativlos sind. „Ich mache diesen Job total gern“, erklärt Hackbarth auf die Frage, wie er in die Zukunft schaue. Es sei mehr, als Anglern Fischgründe zu zeigen. „Ich verkaufe Glücksmomente, gute Gefühle, eine gute Zeit“, sagt der Angelguide. Dann beschreibt er das Lächeln auf den Gesichtern seiner Gäste, die entspannten Momente an Bord und auch die spannenden, wenn es an der Angel zuckt. „Der Fisch ist dabei wichtig, aber zweitrangig.“ Es gehe vor allem um die Kommunikation, darum, einen guten Tag zu bereiten, „und wenn es dann für zwei, drei Jahre ein paar Fische weniger gibt, dann interessiert das doch niemanden“, meint Hackbarth. „Wir werden deswegen nicht verhungern.“ Außerdem sieht Hackbarth gerade bei der aktuellen Regelung für Lachs auch etwas Positives. „Wir dürfen jetzt nur noch einen Lachs pro Person fischen, der nachgezüchtet wurde“, sagt er. Bis Ende 2021 war es Anglern gestattet, drei Salmoniden pro Tag zu fangen. In dieser Quote waren Meerforellen und Lachse, die beide zur Gruppe der Salmoniden gehören, zusammengefasst. Die Politik habe den Anglern nun drei Meerforellen gelassen und Lachs als eine eigenständige Art mit Fangquote bestimmt, erklärt Hackbarth. Mit der neuen Regelung dürfen nun sogar vier statt drei Salmoniden geangelt werden. „Das ist okay. Das ist positiv“, findet der Angelguide. Dieser Text erschien in Ausgabe 5. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!