Bündnis 90/Die Grünengeboren 1979 in Stralsundlebt mit Ehemann und Tochter in der Nähe von Schwerinarbeitet im Recruiting und als Social-Media-Managerin einer Marketingagentur
Persönlicher Werdegang
Anne Shepley sagt von sich, sie sei eine Vorpommerin – aufgewachsen in Neuhof, einem kleinen Dorf zwischen Stralsund und Greifswald. Dass sie eine große Klappe habe, hätten ihr ihre Eltern in die Wiege gelegt, sagt sie mit einem Lächeln: „Die kommen aus Sachsen, die reden viel!“ Nach dem Abitur studierte sie in Greifswald Kommunikationswissenschaft und Polonistik, also polnische Sprach- und Literaturwissenschaft. Die polnische Sprache beherrscht sie aber nicht. Ihr war es wegen der Nähe zum Nachbarland und persönlicher Kontakte wichtig, die Kultur Polens zu studieren.
Nach dem Studium wanderte sie nach Neuseeland aus. Aus einem Jahr wurden acht, danach bereiste sie noch auf einer Jacht die Meere. Geld verdiente sie sich zwischenzeitlich in Bars und Coffeeshops („die mit normalem Kaffee“) und bei Daimler-Chrysler. Dort hat sie Ölfilter in Sechszylinder eingebaut. In Neuseeland lernte sie auch ihren Mann kennen, einen Briten. Ihn konnte sie überzeugen, nach Meck-Vorp zu ziehen, um die Familie in der Nähe zu haben.
In drei Jahren vom Parteineuling zur Spitzenkandidatin
Seit 2014 ist Anne Shepley wieder zurück in Meck-Vorp. Hier entwickelte sich auch ihre politische Ader: Seit 2018 ist sie Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. Einem Flügel ordnet sie sich ausdrücklich nicht zu, findet die Diskussion darüber auch „doof“ und bezeichnet sich selbst als „pragmatische Realo-Grüne“.
Sie will vor allem die Klimakatastrophe stoppen, „in der wir schon mittendrin sind, damit wir hier in ein paar Jahren noch gut leben können“. Wie sie es geschafft hat, in nur drei Jahren vom Neuling zur Spitzenkandidatin gewählt zu werden, schreibt sie weniger sich selbst zu, sondern mehr der Parteiausrichtung: man wolle sich erneuern.
Shepley will etwas voranbringen, sieht sich als eine Person, die „mutig nach vorne gehen kann“. Landesvorsitzende wolle sie aber nicht sein. Vielmehr soll die Parteispitze aus einer Gruppe bestehen, die gemeinsam Lösungen findet. Dabei will sie auch andere Parteien mit ins Boot holen und überzeugen, Klimaschutzziele umzusetzen. Ihrer Meinung nach fehlen die Grünen im Landtag von MV. Jetzt sei eine gute Zeit: „Seit dreißig Jahren sagen wir, wir müssen das Klima schützen, wir haben schon Expert:innen.“ Auch müsse man wieder mehr miteinander reden. Den Klimawandel könne man nur mit sozialer Gerechtigkeit schaffen. Alle sollten mitgenommen werden. Das stecke ja schon im Namen der Partei: „Bündnis“.
Viele Probleme seien lösbar mit einer „Umverteilung von Geld“. Es sei eine Frage der Prioritäten: „Es könnte alles so einfach sein“, zitiert sie dabei den Sänger Herbert Grönemeyer, „ja, wieso machen wir das nicht einfach?“.
Grüne Themen in einem landwirtschaftlich geprägten Bundesland
Meck-Vorp biete die besten Voraussetzungen für die Durchsetzung „grüner Themen“, findet unser Praktikant Tilo. Viel Fläche für erneuerbare Energien und Ökolandbau zum Beispiel. Das sieht auch Anne Shepley so. Es gehe aber nur schleppend voran. Vor allem kritisiert sie die zahlreichen landwirtschaftlichen Großbetriebe. Wegen der alten LPG-Struktur hätten Landwirt:innen zum Beispiel überhaupt erst sogenannte Megaställe bauen können. Industrielle Landwirtschaft müsse langfristig abgeschafft werden, fordert sie. Das habe zuletzt der Brand in der Schweinezuchtanlage in Alt Tellin im Frühjahr 2021 gezeigt: „Wir können nicht Tiere in so großen Anlagen zusammenpferchen und dann nicht mal sicherstellen, dass sie nicht verbrennen“, sagt sie. Tierhaltung müsse wieder dem Tierwohl dienen. Dazu wünscht sie sich eine Obergrenze für Schweinehaltung und schlägt aus dem Bauch heraus maximal 1.000 Tiere pro Betrieb vor.
Auch eine Agrarwende müsse es geben. Bis 2030 wollen die Grünen 30 Prozent der Landesfläche auf Ökolandbau umstellen. Weniger Pestizide und vor allem kleinere Felder mit mehr Fruchtfolgen seien das Ziel. So könnten Landwirt:innen großflächigen Ernteausfällen aufgrund von Dürre oder zu viel Regen entgegenwirken.
Ein weiteres Problem sieht Shepley in der Wahrnehmung des Klimawandels. Laut einer Umfrage vom Mai 2021 glauben nur acht Prozent der Bevölkerung Meck-Vorps, dass Klimaschutz wichtig sei, erzählt sie. Das könne daran liegen, dass andere Themen für die Menschen im Land derzeit wichtiger sind – etwa faire Löhne und Arbeitslosigkeit. Sie verstehe auch den Frust: „Das Lohnniveau ist hier immer noch unter aller Würde für einige Leute.“ Dreißig Jahre nach der Wende sei es immer noch nicht angeglichen und deutschlandweit am niedrigsten. Das wolle sie ändern, aber auch den Blick für den Klimaschutz schärfen. Wald- und Feldbrände, Überschwemmungen und sterbende Wälder seien Anzeichen dafür, dass der Klimawandel bereits in MV angekommen ist. Das Thema Klima sei „ein Hammer“, bei dem man sehr viele Probleme parallel lösen müsse. Dafür brauche es eine gute Politik, die jetzt mit Respekt und Vertrauen arbeitet, damit Klimaschutzziele umgesetzt werden können. Bis jetzt habe die Landesregierung da noch nicht viel erreicht. Die Grünen haben konkrete Ideen in ihrem Wahlprogramm, „Abstriche mit uns zu machen, wird da schwierig“.
Sie fordern Klimaneutralität bis 2035: „Natürlich hätten wir auch ‚übermorgen‘ hinschreiben können, aber es ist nicht realistisch, dass du es dann auch erreichst!“ Jetzt schon müssten sehr große Schritte getan werden. Um alle mitzunehmen, brauche man Zeit, sagt Shepley.
Windkraftausbau
Um die eigenen Klimaziele zu erreichen, wollen die Grünen so schnell wie möglich das Kohlekraftwerk in Rostock abschalten. Einen konkreten Termin nannte Shepley nicht. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien im Land soll aber ein umfangreiches Alternativangebot geschaffen werden.
Besonders Solarenergie und Windkraft sollen ausgebaut werden. Derzeit stehen auf 0,8 Prozent der Landesfläche Windräder. Das sei viel zu wenig und fast rückschrittlich, der Ausbau liege eher „bei minus zehn“. Die Grünen wollen auf zwei Prozent ausbauen. Auf Nachfrage, warum nur zwei und nicht gleich zwanzig Prozent, findet Shepley keine konkrete Antwort und verweist noch einmal darauf, dass die Ziele zunächst „realistisch sein müssen, nach oben hin gern offen“. Bei der Umsetzung erneuerbarer Energien sollen die Gemeinden am Profit beteiligt werden. Auch die Leute, „denen Windräder vor die Tür gesetzt werden“, müssten mehr mitentscheiden dürfen. Prozesse sollen vereinfacht werden, auch bei der Solarenergie. Es müsse Standard werden, auf jedem Dach eine Photovoltaikanlage zu haben. Die Flächen auf den Dächern seien Potenziale, die es zu nutzen gelte.
Moore wiedervernässen
„Moor muss nass!“ – so fasst es Shepley knapp zusammen. Trockengelegte Moore gehörten zu den größten Treibhausgasquellen des Landes, betont sie. Das müsse auch ein Philipp Amthor begreifen, antwortet sie auf Nachfrage von Tilo zur Plakataktion des CDU-Politikers, bei der er in Vorpommern die Einwohner:innen vor Renaturierungsmaßnahmen warnt. „Die CDU hat anscheinend noch nicht verstanden […], dass wir eine Klimakatastrophe haben und dass wir handeln müssen und dass es dann nichts bringt, wenn ich Leute, die eh schon verunsichert sind […], dann noch so polemisch in eine Richtung drücke“, findet Shepley.
Die Wiedervernässung sei zudem keine Sache von Tagen, sondern dauere Jahre. Man müsse sich also beeilen. „Die gute Nachricht ist, sobald du mit der Wiedervernässung angefangen hast, stößt dieser Moorbereich dann auch weniger CO2 aus.“ Auf die Nachfrage, warum das bisher noch nicht umfangreich gemacht worden sei, gibt Shepley die Frage an Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) weiter: „Es gibt ein Moorschutzprogramm hier in MV, das auch immer hoch gelobt wird, aber da passiert halt relativ wenig.“ Man habe es verpasst, Flächen anzukaufen und Landwirt:innen mit ins Boot zu holen. Einen Eins-zu-eins-Ausgleich könne man ihnen für die Umstrukturierung ihrer Flächen bisher noch nicht anbieten, das werde künftig ein sehr großes Problem. Da habe man leider zu viel Zeit verschwendet.
Verkehrswende
Laut Shepley beschäftige sich die Verkehrspolitik momentan nur mit dem Ausbau von Straßen. Der Fokus müsse sich verlagern zum Ausbau des Schienen- und Radwegenetzes. Ab 2030 keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen, unterstütze sie. Aber niemand müsse jetzt Angst haben, auf einmal „seinen Schlüssel abgeben zu müssen“. Ginge es nach ihr, könnten alle Autobesitzer ihre Fahrzeuge erst einmal zu Ende fahren.
Nord Stream 2 als Koalitionsbedingung
Auf die Nachfrage unseres Praktikanten, welche Ministerien die Grünen in Meck-Vorp nach der Landtagswahl gern hätten, sträubt sich Shepley zunächst, eine Aussage zu machen. Erst einmal müsse die Wahl abgewartet werden. Schön wären aber dann doch für sie das Energie- und das Umweltministerium. „Für uns ist wichtig, dass wir möglichst stark in den Landtag einziehen.“ Ob in einer Regierungskoalition oder der Opposition – für die Grünen sei wichtig, ihre Inhalte umsetzen zu können. Nicht verhandelbar sei dabei das Projekt Nord Stream 2. Als einzige Partei wollen sie die Pipeline auch kurz vor Inbetriebnahme noch stoppen. Shepley verstehe, dass das bei vielen auf Unverständnis stoße. Erdgas sei aber „ein fossiler Brennstoff, der uns in Zukunft nicht weiterbringt“. Außerdem laufe die erste Gaspipeline Nord Stream 1 gar nicht in ausgelasteter Kapazität. „Wir können auch mit dem Mythos aufräumen, dass Gas eine Brückentechnologie ist, die wir halt so für diesen Übergang brauchen, damit es im Winter noch warm wird. Das haben Energieexperten alles oft widerlegt.“ Das Projekt jetzt noch zu stoppen, sieht sie nur als umsetzbar, wenn die Grünen an der neuen Landesregierung beteiligt werden.
Eine Koalition mit der CDU hält Shepley weder für realistisch, noch würde sie „vor Freude jubeln“.
Werften erhalten
In Sichtweite der Stralsunder Werft aufgewachsen, hält Shepley die maritime Wirtschaft für wichtig. Es fehle aber ein Konzept. Ein Positionspapier der Grünen sieht vor, dass die Standorte künftig Schiffsantriebe mit grüner Energie entwickeln und Schiffe recyceln. Das stoße auch gerade auf dem asiatischen Markt auf großes Interesse, der bisher ein guter Abnehmer für Schiffe aus MV war. Dem derzeitigen Werftbetreiber Genting steht sie skeptisch gegenüber, findet einen „Glücksspielkonzern“ als Eigentümer schwierig. Plan B wäre für sie, dass das Land die Werften kaufen muss, um ein Mitspracherecht zu behalten. Ebenfalls kritisch sieht sie den Bau von Kriegsschiffen in der Wolgaster Werft und dass sich Ministerpräsidentin Schwesig dazu bekennt. Die Werften sollten „nicht nur nachhaltig und ökologisch produzieren, sondern auch moralisch“, so Shepley.
Gesundheitsversorgung
Ein ebenfalls wichtiges, wenn auch nicht so schnell überwindbares Thema ist für sie der Ärztemangel auf dem Land. Während ein Drittel der Landärzte in den nächsten Jahren in Rente gehen wird, herrsche in den Städten ein Überangebot. Da müsse ein Ausgleich geschaffen werden. Die Krankenhauslandschaft sei für sie ebenfalls unzureichend und derzeit nur auf Profit ausgelegt. Die Gesundheitsversorgung gehöre aber zur Daseinsversorgung, deshalb müsse das „absurde Finanzierungssystem verändert werden hin zu einem System, das die Leute an dem Ort, wo sie leben, grundversorgen kann“.
Mehr Bürgerbeteiligung, bedingungsloses Grundeinkommen und eine neue Asylpolitik
Die Hürde für Volksbegehren will Shepley heruntersetzen, weniger Unterschriften sollen nötig sein. Mit einem Transparenzgesetz sollen die Vorgänge innerhalb von Behörden öffentlicher werden. Das schaffe mehr Interesse für Politik und motiviere auch zur eigenen Beteiligung, so ihre Auffassung. Aus sehr persönlicher Sicht, wie sie sagt, wünscht sie sich ein Grundeinkommen für jede Bürgerin und jeden Bürger, auch gern bedingungslos. Da gebe es aber Gegenwind aus der Partei. Das Hartz-IV-Gesetz müsse jedoch geändert werden, damit die Menschen mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt bekommen.
Für afghanische Geflüchtete fordert sie ein Sofortprogramm. Mehr als 400 Afghaninnen und Afghanen leben derzeit nur mit einer Duldung im Land. Hier müsse man die Sicherheit schaffen, dass keiner von ihnen in der jetzigen Situation zurück nach Afghanistan muss.
Generell müsse die gesamte Asylpolitik überarbeitet werden. So fordert Shepley auch, das Erstaufnahmelager in Nostorf-Horst zu schließen. Abschiebegefängnisse unterstützt sie nicht, auch wenn das gemeinsame Gefängnis in Glückstadt unter anderem von den Grünen mitentschieden wurde. Geflüchtete dürften überhaupt nicht in [Abschiebehaft] genommen werden, sagt sie.