Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober nehmen antisemitische Vorfälle in Deutschland zu. Auch in Mecklenburg-Vorpommern kam es in den vergangenen Wochen vermehrt zu antisemitischen Taten mit Bezug zum Krieg im Nahen Osten. „Das ist ein neues Phänomen im Rahmen unserer Monitoringpraxis“, sagt Ronny Rohde von der Dokumentations- und Informationsstelle Antisemitismus (DIA) MV. Erst seit 2021 dokumentiert die DIA antisemitische Vorfälle im Land, ihr erster Jahresbericht erschien im April. Im vergangenen Jahr registrierte die DIA nur einen antisemitischen Vorfall mit Israelbezug in MV. Zwischen dem 7. Oktober und dem 9. November 2023 waren es schon acht – vorläufig. Die Organisation überprüft derzeit weitere Meldungen. Der Krieg im Nahen Osten schaffe „so etwas wie einen Gelegenheitsrahmen, in dem sich Täter motiviert fühlten können“, so Rohde. Ob diese Entwicklung anhalte, werde sich erst langfristig zeigen. Doch die Zahlen für MV seien im Bundesvergleich niedrig, die dokumentierten Fälle von einer anderen Qualität. So gab es bisher noch keinen Fall von Körperverletzung. Dennoch sei die Zahl der antisemitischen Vorfälle für MV vergleichsweise hoch, die Dynamik erwähnenswert. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Antisemitismus mit Nahostbezug in MV keine lange Tradition habe: Hier hätten die antisemitischen Vorfälle bislang „mehrheitlich klar rechtsextremen Charakter“, wie Rohde erklärt. Von 36 antisemitischen Vorfällen im vergangenen Jahr waren 20 rechtsextrem, sechs verschwörungsideologisch und einer islamistisch motiviert. Problemfelder des Antisemitismus in MV waren 2022 vor allem Corona-Proteste, Fußball und Erinnerungsorte. Darüber hinaus warnt Rohde vor der Signalwirkung antisemitischer Taten: „Es kann immer Nachahmungstäter geben.“ Und eine hasserfüllte Person genüge. Arbeitsweise der DIA Die Dokumentationsstelle erfasst einerseits durch proaktives Monitoring und andererseits durch ihr digitales Meldeportal antisemitische Vorfälle. Diese werden verschiedenen Erscheinungsformen zugeordnet, die sich überschneiden können: Antijudaismus (ein Vorfall 2022) moderner Antisemitismus (4) Post-Schoah-Antisemitismus (22) israelbezogener Antisemitismus (1) antisemitisches Othering (18) Sieben der acht DIA-dokumentierten Vorfälle wurden als israelbezogener Antisemitismus eingestuft. Das holocaustrelativierende Flugblatt hingegen, das am 22. Oktober in Greifswald entdeckt wurde, habe zwar einen Nahostbezug, sei aber „vorrangig als verschwörungsideologisch zu bewerten“, so Rohde. Daher wird dieser Vorfall in der Statistik als moderner Antisemitismus geführt. Antisemitische Straftaten in MV So dokumentiert die DIA andere Vorfälle als beispielsweise das Landeskriminalamt. Dieses gibt auf Nachfrage zu antisemitischen Straftaten seit dem 7. Oktober auch Hakenkreuzschmierereien an. Die Dokumentationsstelle hingegen sieht in diesen nicht zwangsläufig einen antisemitischen Vorfall, da auch andere Personengruppen vom NS-Regime verfolgt und geächtet wurden. Doch auch die Zahl der vom LKA erfassten Straftaten ist nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober gestiegen. Antisemitische Vorfälle und Straftaten in MV seit dem 7. Oktober9.10. Schwerin Hakenkreuz am Ausstellungscontainer über Überlebende des Holocaust (§ 86a StGB: Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen)10.10. Schwerin ein nicht zur Veröffentlichung freigegebener Fall11.10. Schwerin Israelflagge vor dem Innenministerium abgerissen, Täter trampeln anschließend darauf herum und rufen „Allahu akbar“11.10. Stralsund Israelflagge vor einer evangelischen Kirche abgerissen11.10. Stralsund Gruppe Jugendlicher ruft „Sieg Heil“, „Allahu akbar“ und „Tod den Israelis“12.10. Rostock von der jüdischen Gemeinde organisierte Solidaritätskundgebung mit Israel wird durch Zwischenrufe gestört, darunter „Kindermörder Israel“ (§ 130 StGB: Volksverhetzung) Solidaritätskundgebung für Israel in Rostock pic.twitter.com/uKIIH4EyxL — KATAPULT MV (@katapult_mv) October 12, 2023 14.10. Stralsund Israelflagge vor einer evangelischen Kirche erneut gestohlen15.10. Rostock Graffiti am Gebäude der jüdischen Gemeinde (§ 303 StGB: Sachbeschädigung)16.10. Rostock Graffiti (§ 192a StGB: Verhetzende Beleidigung)19.10. Grevesmühlen Androhung von Schlägen und antisemitische Beleidigung (§ 241 StGB: Bedrohung)21.10. Rostock mehrfache Rufe der genozidalen Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“ auf einer propalästinensischen Kundgebung22.10. Greifswald antisemitisches, holocaustrelativierendes Flugblatt an einer Straßenlaterne23.10. Rostock bewusst falsche Unterstellung aufgrund der Religionszugehörigkeit (§ 187 StGB: Verleumdung)23.10. Schwerin: antisemitische Beleidigung und Pro-Hamas-Aussagen (§ 130 StGB: Volksverhetzung) Doch das Dunkelfeld dürfte sehr groß sein. Wer antisemitische Vorfälle bemerkt, sollte diese über das Onlineformular an die DIA melden. Bei antisemitischen Straftaten ist die Polizei zu informieren. Weitere Artikel zum Thema:Interview mit Landesrabbiner Yuriy KadnykovIsraelfeindliche Zwischenrufe auf Kundgebung in RostockSolidarität mit Israel in Schwerin MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!