Schätzungsweise 300.000 Tonnen Munition liegen heute noch auf dem Grund der Ostsee. Beispielsweise vor der Insel Usedom, wo 1943 im Zuge der „Operation Hydra“ die sogenannte Heeresversuchsanstalt von britischen Fliegern bombardiert wurde. Durch eine Fehlmarkierung landete ein Großteil der Bomben allerdings vor der Insel im Meer, wo er noch heute liegt. Neben herkömmlicher Munition wurden außerdem schätzungsweise 42.000 bis 65.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe in der Ostsee entsorgt.
Zum einen stören die Fremdkörper am Meeresboden beispielsweise den Bau von Offshore-Windparks oder das Verlegen von Kabeln. Zum anderen werden sie in absehbarer Zukunft zu einer gesundheitlichen Gefahr für Tier und Mensch. Das Metall der Munitionskörper rostet vor sich hin – und gibt dabei Stück für Stück deren giftige Inhaltsstoffe frei. Neben Sprengstoffresten wie TNT gelangen so auch giftige Schwermetalle wie Blei ins Wasser. In Muscheln wurden bereits erhöhte Ablagerungen von TNT gemessen. Über diese gelangen die Toxine auch in die Nahrungskette: Muscheln werden von Fischen gefressen, diese Fische wiederum landen auf unseren Tellern – und mit ihnen die krebserregenden Stoffe. Bei einer Untersuchung von Klieschen aus munitionsbelasteten Gebieten wurde eine erhöhte Konzentration von Abbauprodukten aus TNT festgestellt, zudem hatten auffällig viele der Tiere Lebertumore. Gefährliche Funde Auch für Spaziergänger:innen an den Stränden werden die Munitionsreste zum Problem. Viele der britischen Brandbomben enthielten als Brennstoff weißen Phosphor. Im Wasser wird dieser konserviert, wegen seiner geringen Dichte aber durch die Strömung immer wieder an die Küste gespült. Optisch ähnelt weißer Phosphor Bernstein. Sammler:innen können die beiden Substanzen leicht verwechseln – mit fatalen Folgen. Trocknet der Phosphor vollständig, entzündet er sich bereits bei Temperaturen von 20 bis 30 Grad Celsius. Dann brennt er mit einer Temperatur von bis zu 1.300 Grad. Löschen lässt er sich nur mit speziellen Feuerlöschern oder Sand. Immer wieder entzünden sich Phosphorstücke unbemerkt in Hosentaschen von Sammler:innen und verursacht schwerste Verletzungen. Funde sollten darum immer in feuerfesten Behältern aufbewahrt und zum Trocknen unbedingt auf feuerfestem Untergrund gelagert werden. Entsorgung gestaltet sich schwierig Bis vor wenigen Jahren schien es das Einfachste zu sein, die Munition einfach an Ort und Stelle zu belassen. Zu groß schien das Risiko, dass sie bei der Bergung zerbrechen oder gar explodieren könnte. Neben der Entschärfung oder Sprengung war das also die bequemste Methode, mit dem Problem umzugehen. Nun aber, da die Munition durch Rost beschädigt ist und immer mehr der giftigen Inhaltsstoffe ins Wasser gelangen, schließt sich das Zeitfenster für eine sichere Entsorgung. Forscher:innen arbeiten darum an Techniken, um die Munitionsreste sicher bergen und entsorgen zu können. Am Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde werden beispielsweise Computermodelle erstellt, mit deren Hilfe man aus der Konzentration von Giftstoffen unter Einbeziehung von Faktoren wie der Meeresströmung errechnen kann, wo mögliche Austrittsstellen liegen. In Rostock entsteht derzeit der sogenannte Ocean Technology Campus. Verschiedene Forschungseinrichtungen und Unternehmen arbeiten dort zusammen. Das Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung betreibt dort beispielsweise Testgebiete, auf denen Technologien zur Munitionsbergung erprobt werden. Gesucht werden könnten mit Munition belastete Flächen in Zukunft mit Tauchrobotern. Ein weiteres Projekt widmet sich der Entwicklung von Schadstoffsensoren, die die Konzentration von TNT und anderen giftigen Stoffen in Echtzeit messen. So sollen Taucher:innen besser geschützt werden, wenn Bergungen oder Entschärfungen per Hand durchgeführt werden müssen. Obwohl die Zeit drängt, wird sich die Entsorgung der Munition wohl noch verzögern: Für die Entsorgung soll eine schwimmende Plattform errichtet werden. Wie aus einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorgeht, soll deren Bau erst Ende 2024 abgeschlossen sein. Erste Pilotbergungen sind damit nicht vor Anfang 2025 zu erwarten. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!