Ukrainer:innen haben im Jahr 2016 623.920-mal Blut gespendet. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 2020 gut 3,6 Millionen Vollblutspenden. Die Zahl der Spender:innen in der Ukraine hat in den vergangenen Monaten aufgrund des Krieges erheblich zugenommen, erzählt KATAPULT-Korrespondent Andrij Trachuk. Er selbst musste vier Stunden warten, bis ihm Blut abgenommen werden konnte. In Deutschland hingegen dauert es gerade mal eine Stunde. Ich selber war vor Kurzem in Greifswald Blut spenden. Die Organisation und Gründlichkeit der Blutspendezentrale haben mich beeindruckt. Im Voraus habe ich einen Termin vereinbart, am Eingang ziehe ich ein Ticket und warte darauf, dass eine Krankenschwester Blutdruck und Hämoglobinwert misst und alle Dokumente prüft. Erst nach einer ärztlichen Untersuchung geht es dann zur Blutspende. Auch das gespendete Blut wird noch einmal im Labor untersucht, erzählt die diensthabende Ärztin Kathleen Selleng. „Ich bin dafür verantwortlich, dass diese Untersuchungen richtig durchgeführt werden, um die Blutkonserven sicher zu machen. Nur Blutkonserven, in denen keine Infektion nachgewiesen werden kann, werden an Patienten gegeben.“ Ihr bereitet es Freude, mit und für Menschen zu arbeiten. Dafür seien sie und ihre Kolleginnen und Kollegen da – damit Patienten Krankheiten überstehen können. Mit einer einzigen Spende könne man drei Menschen mit Blut versorgen und so im besten Fall ihr Leben retten. Und schließlich weiß niemand, ob er oder sie eine solche Spende nicht selbst einmal braucht, erzählt Schwester Heike. „Viele denken, dass die Spende nur etwas mit Operationen zu tun hat. Aber es brauchen tatsächlich sehr viele onkologische Patienten Blutkonserven, Plasma und Thrombozytenkonzentrate.“ Zusammen in Kyjiw Blut spenden In der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw ist die Situation eine gänzlich andere. Sirenen, Kontrollpunkte in jedem Viertel und Ausgangssperre nach 22 Uhr. Trotzdem stehen die Menschen Schlange, um Blut zu spenden. Andrij hat etwa vier Stunden gewartet. Der Chefarzt des Blutspendezentrums erzählt ihm, dass in den ersten Tagen des Krieges, wenn die Sirenen heulten, alle in den Bunker rannten und die Blutspende vorerst stillstand. Ärztin Natalja Alexandrowna sagt, dass ihr die vier Monate seit Kriegsbeginn wie ein einziger Tag vorkamen. „Aber Menschenleben hängen von unserem Handeln ab. Deshalb war an eine Evakuierung nicht zu denken.“ Trotz allem bleibt sie hoffnungsvoll und glaubt an ein baldiges Ende des Krieges. „Unsere Stärke liegt in unserer Einigkeit. Mögen Güte, Liebe und Hoffnung immer in unseren Herzen sein“, sagt sie noch und macht sich wieder an die Arbeit. Inmitten des Krieges organisieren sich noch regelmäßig Studierendengruppen, um gemeinsam Blut zu spenden. Bogdan Somchynskyi ist Mitgründer von „Na pulsi“. Die Initiative gibt es seit Dezember. Doch mit dem Ausbruch des Krieges habe das Thema Blutspenden noch einmal an Dringlichkeit gewonnen, sagt Somchynskyi. Viele Studierende haben Kyjiw verlassen. Es sei schwieriger geworden, Leute zu finden, die Blut spenden möchten. Aber eben auch wichtiger. Während des Onlineinterviews sind immer wieder Sirenen zu hören. Das sei in Ordnung, sagt er. Er habe sich daran gewöhnt. Somchynskyi selbst ist Student am Polytechnischen Institut „Ihor Sikorskyj“ in Kyjiw. Ursprünglich kommt er aus der Westukraine. Obwohl es in seiner Heimatstadt sicherer ist, hat er sich dazu entschlossen, in Kyjiw zu bleiben, um den Menschen zu helfen – auch mit seinem Projekt „Na pulsi“. Außerdem studiert Somchynskyi weiterhin. Seine erste Spende ist schon lange her. Damals ging er zum Blutspenden ins Krebszentrum. „Ich werde nie die Gesichter der Eltern der krebskranken Kinder vergessen“, erzählt Somchynskyi. Für ihn war es ein Schlüsselmoment. Dort sei ihm bewusst geworden, wie wichtig Blutspenden ist. Und er beschloss, zusammen mit anderen Freiwilligen das Projekt zu organisieren, um noch mehr Menschen zu animieren. Mit Erfolg: Insgesamt hat „Na pulsi“ die Blutbank seit Projektbeginn 144-mal aufgefüllt und 110 Menschen dazu motiviert, zum ersten Mal Blut zu spenden. Auch er hofft auf ein baldiges Ende des Krieges in seinem Heimatland. Und dass sich sein Leben wieder normalisiert. Ohne Sirenen, ohne die Suche nach Medikamenten, ohne den Bedarf an immer mehr Menschen für die so dringend benötigten Blutspenden. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!