Jamel ist nicht nur eine Anlaufstelle für völkische Rechtsextremist:innen. Das Dorf dient gleichzeitig als ein Rückzugsraum für die „Hammerskin-Nation“. Dabei handelt es sich um eine elitäre, international vernetzte, militant auftretende Skinhead-Organisation, die Ende der 1980er Jahre in den Vereinigten Staaten gegründet worden ist. Seit 1992 ist die Organisation in Deutschland aktiv. Die Hammerskins organisieren Konzerte, vertreiben Musik, waren in der Vergangenheit aber auch an schweren Gewaltdelikten beteiligt. In Deutschland wiesen Hammerskins Verbindungen ins rechtsterroristische Milieu um die NSU-Terrorist:innen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auf.  Die inneren Strukturen ähneln denen von Rockerclubs. Die Regionalgruppen nennen sich „Chapter“, ihre Mitglieder tragen Lederkutten mit Aufnähern („Patches“). Es gibt Vollmitglieder, Anwärter („Prospects“) und Unterstützer („Supporter). Die Insignien der Hammerskins sind zwei gekreuzte Zimmermannshämmer vor einem Zahnrad. Nur Vollmitglieder dürfen das Emblem öffentlich tragen.  Die Strukturen der Hammerskins sind klandestin und deshalb für Außenstehende nur schwer zu durchdringen. Fakt ist: In Jamel leben mehrere Hammerskins. Beobachter rechnen die Jameler Gruppe dem „Chapter Mecklenburg“ zu, das von 2013 bis 2015 unter dem Namen „Nordmark“ fungierte. Dabei soll es sich um eine von derzeit 13 Abteilungen der Hammerskins in Deutschland handeln. Ihr sollen mindestens acht Männer als Vollmitglieder angehören. Unter ihnen Dorfchef Krüger, der sich die gekreuzten Hämmer in den Nacken hat tätowieren lassen.  Hinzu tritt ein zahlenmäßig überschaubarer Kreis an „Supportern“, der sich vornehmlich aus den Lebensgefährtinnen und Ehefrauen der Männer zusammensetzt. Denn Frauen dürfen maximal dem „Club 38“ beitreten. Diese Unterstützerstruktur leistet vornehmlich Hilfsdienste und dient als Einstieg in die Welt der Hammerskins. Die Zahl 38 steht für den dritten und achten Buchstaben im Alphabet, was für „Crossed Hammers“ stehen soll. Die dritte Generation Zwei der Jameler Hammerskins haben ihr Hobby mittlerweile an ihre erwachsenen Söhne weitergegeben. In dem Dorf wird der Neonazi-Nachwuchs offensichtlich gezielt an rechtsextreme Ideologie und Strukturen herangeführt. Der damals 17-jährige Hagen M. begleitete seine Eltern 2019 zum internationalen „Hammerfest“ nach Plaine in Frankreich. Für Hammerskins zählen diese Zusammenkünfte zu den wichtigsten Ereignissen des Jahres. Der Teenager trug dort ein graues Shirt mit dem Aufdruck „Crew 38“. Zuvor besuchten die rund 35 Neonazis in Mutzig die „Feste Kaiser Wilhelm II“ (Fort de Mutzig). Fotos zeigen dort auch die Eheleute Krüger mit Sohn Wilhelm, damals 16 Jahre alt. Bei der Party wähnten sich die Neonazis unter ihresgleichen. Heimlich aufgenommene Aufnahmen belegen, dass dort nicht nur Rechtsrock-Platten und Schlüpfer mit SS-Insignien den Besitzer wechselten.  Ideologisch macht die dritte Generation bislang einen gefestigten Eindruck. Hagens älterer Bruder Tom, heute 24, kommentierte im Juli 2019 eines seiner Selfies auf Instagram folgendermaßen: „Bullen kein Wort: kein Futter denen, die Recht verdrehen. Ein Mann, ein Wort: soll'n sie uns anzeigen, Brüder schweigen!“ „Brüder schweigen“ ist nicht nur der Ehrenkodex der Hammerskins. Die Losung war zugleich Namenszusatz der Gruppe „The Order“.   Auch sonst bedient sich der Estrichleger und Fotograf in sozialen Netzwerken eindeutiger Chiffren und Codes. Fotos zeigen ihn in Shirts mit szenetypischen Aufdrucken. Einer seiner Usernamen enthält die Zahlenfolge „1438“. Die Zahl „38“ taucht auch auf seinem Kfz-Kennzeichen auf. Im August 2019 postete Tom M. ein gemeinsames Selfie mit Philipp Neumann, dem Sänger der Rechtsrockband „Flak“. Der Musiker gehörte zu den Beschuldigten in dem mittlerweile eingestellten Verfahren gegen Mitglieder des „Aktionsbüros Mittelrhein“ wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Neumann soll auch sonst über gute Kontakte in Richtung Hammerskin-Nation verfügen. Wehrsport in Ragnarök Zum Freundeskreis des Trios zählt mit Eric H. ein weiterer Neonazi aus Wismar. Dieser begeistert sich wie Wilhelm Krüger für den Airsoft-Sport. Ein gemeinsames Foto zeigt die jungen Männer in Flecktarn-Klamotten, mit Gewehren im Arm und Pistolen im Holster. Trainiert wird unter anderem bei dem Verein Modern Vikings e.V. Das Airsoftteam veranstaltet auf seinem Gelände „Ragnarök“ in Tessin, einem stillgelegten Hauptgefechtsstand der Volksmarine, regelmäßig Kriegsspiele.  Das Vereinslogo ziert der Thorshammer, ein bei Neonazis und Neuheiden gleichermaßen beliebtes Symbol. Ragnarök heißt in der nordischen Mythologie der Kampf zwischen Riesen und Göttern, in dessen Folge die Welt untergeht. Ganz so martialisch schauen die Gefechte auf dem ehemaligen Militärgelände nicht aus. Fotos in sozialen Netzwerken belegen den paramilitärischen Charakter der Veranstaltungen. Sie zeigen überwiegend junge Männer, die sich sehr professionell Taktiken für den Gelände- und Häuserkampf aneignen.  Der Airsoft-Sport ist für den Neonazi-Nachwuchs auch deshalb von Interesse, weil er nicht so streng reglementiert ist wie der Schießsport in Schützenvereinen. Eine scharfe Waffe erhält in Deutschland nicht, wer sich in einer rechtsextremistischen Organisation betätigt. Softair-Waffen, für Laien teils äußerlich nicht von echten Waffen zu unterscheiden, sind dagegen für Erwachsene frei im Handel verfügbar. Verfassungsschutz hält sich bedeckt Der Verfassungsschutz erwähnt die Verbindungen der Jameler Rechtsextremist:innen zu der „Hammerskin-Nation“ in seinem Jahresbericht 2020 mit keinem Wort. Ohnehin werden die Hammerskins in dem Bericht auffällig klein gehalten, obwohl mit dem „Chapter Pommern“ sogar eine zweite Zelle in Mecklenburg-Vorpommern aktiv ist.  Das Innenministerium teilte auf Nachfrage mit, der Verfassungsschutz würde die Strukturen beobachten. Die „Dorfgemeinschaft Jamel“ sei seit 2014 Beobachtungsobjekt. Die Hammerskins sind der Verfassungsschutzbehörde des Landes ebenfalls bekannt. In Mecklenburg-Vorpommern könnten sie ein als Netzwerk zur Verknüpfung der parteilich gebundenen und der parteiungebundenen rechtsextremistischen Szene verstanden werden. Eine öffentliche Wahrnehmung ihrer Tätigkeiten würden sie nicht anstreben. Hammerskins würden versuchen, diese stets zu vermeiden. Daraus begründe sich auch ihr hoch konspirative Verhalten. --- Das Nazidorf ist eine dreiteilige Artikelserie über rechtsextreme Strukturen, Netzwerke und Personen im mecklenburgischen Jamel. Teil 1: Der Dorfchef von Jamel
Teil 2: Der Szenetreff
Teil 3: Untergrundorganisationen MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!