Es ist ein nasskalter Wintertag, als der 24-jährige Mehmet Turgut spontan für einen Freund einspringt und dessen Schicht in dem Imbissstand Mister Kebab Grill in Rostock-Toitenwinkel übernimmt. Er bereitet gerade alles für den Tag vor – setzt Kaffee auf und erwärmt das Dönerfleisch am Drehspieß –, da treten zwei Männer durch den Nebeneingang ein, der nicht für Gäste bestimmt ist. „Runter! Runter! Runter!“ Sie zwingen den Kurden mit vorgehaltener Waffe dazu, sich hinzulegen. Um 10:20 Uhr, keine fünf Minuten nach ihrem Eindringen in den Imbissstand, schießen die Mitglieder der rechtsterroristischen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Mehmet Turgut aus nächster Nähe in Kopf, Hals und Nacken. Er stirbt noch vor Ort im Rettungswagen. Mehmet Turgut ist das fünfte Opfer des NSU. Mehmet, von allen Memo genannt, war der Sohn einer kurdischen Familie, der Bruder von zwei Schwestern und drei Brüdern. Der Anwalt seiner Schwestern beschreibt ihn in seinem Plädoyer im NSU-Prozess so: „Mehmet Turgut war ein guter Sohn und ein beliebter und geschätzter Bruder. Er war liebenswert und lebensfroh, ein ruhiger, nachdenklicher junger Mensch, der ein herzliches Lachen und warme Augen hatte.“ „Es war kein leichter Weg. Er hat ihn mit dem Leben bezahlt“ 1994 kam Mehmet Turgut das erste Mal nach Deutschland, wo sein Vater lebte. Sein Asylantrag wurde abgelehnt und Mehmet abgeschoben. 1998 kehrte er nach Deutschland zurück, 2000 wurde er erneut abgeschoben. Anfang 2004 kam er zum dritten Mal nach Deutschland und erst zehn Tage vor seinem Tod von Hamburg nach Rostock. Er arbeitete als Aushilfe in dem Imbiss im Neudierkower Weg, der einem Bekannten seines Vaters gehörte. „Er wollte Geld sparen, um eine Familie zu gründen und meinen Eltern zu helfen“, erinnert sich einer seiner Brüder. „Es war kein leichter Weg. Er hat ihn mit dem Leben bezahlt.“ Mehmet Turgut lebte und arbeitete mit der Identität seines Bruders Yunus in Deutschland, und umgekehrt. Erst sieben Jahre später sollten die Behörden herausfinden, dass nicht Yunus getötet wurde, sondern sein Bruder Mehmet. Noch in der schriftlichen Begründung des Urteils im NSU-Prozess von 2020 wird der Getötete oft Yunus Turgut genannt. Für seine Familie in der Türkei sei die Nachricht, dass ihr Sohn und Bruder im fernen Deutschland gestorben sei, ein furchtbarer Schlag gewesen, so der Anwalt von Mehmets Schwestern im NSU-Prozess. „Schlimmer noch: Er wurde nach Art eines Auftragskillers durch zielgerichtete Schüsse in den Kopf hingerichtet. Als Teil einer blutigen Serie. Es war (...) nicht nur der plötzliche, schreckliche, unfassbare Verlust. Hinzu kam die Frage, die wir hier schon häufig gehört haben: Nach dem Warum.“ Familie Turgut erklärte nach dem NSU-Prozess, dass sie nach der Tat keine Unterstützung durch die Behörden bekommen hatte. Im Gegenteil: Die polizeilichen Maßnahmen gegen sie seien unzumutbar gewesen. Mehmets Familie selbst wurde beschuldigt und stundenlang verhört. Die Polizei dachte an alles, außer an Nazis Rassistische Motive für die Tat wurden von den Ermittlungsbehörden etwa eine Woche nach dem Mord ausgeschlossen. Bezeichnungen wie „Soko Halbmond“ und „Dönermorde“ – wie die Mordserie des NSU in den Medien zunächst genannt wurde – illustrieren die rassistischen Vorurteile der Ermittelnden und der Öffentlichkeit. Die Opfer des NSU waren türkische, türkischstämmige und ein griechischer Kleingewerbetreibender sowie eine deutsche Polizistin. Die „Soko Bosporus“ fahndete jahrelang nach türkischstämmigen Tätern, da sie von einem Milieumord ausging. Die Polizei ermittelte in alle Richtungen: von Schutzgelderpressung und Geldwäschemafia über Drogenschmuggel, Menschenhandel und „Ehrenmord“ bis zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Vor allem im Umfeld des Opfers, bei dem Imbissinhaber und Mehmets Familie in der Türkei. Die Polizei habe an alles gedacht, außer an Nazis, zitiert die als PKK-nah geltenden Firat News Agency den Politikwissenschaftler Gideon Botsch. Hinweisen von Mehmets Bruder Yunus Turgut auf einen möglichen rassistischen Hintergrund gingen die Ermittelnden in Rostock nicht nach. Genauso wenig wie der Tatsache, dass der Besitzer zuvor bereits massiv körperlich angegriffen worden war und sein Imbiss unter ungeklärten Umständen ausbrannte. Ein Feuerwehrmann vermutete damals Brandstiftung. „Wenn die Polizei diesen Vorfall ernst genommen hätte, wären die (...) Migranten, die später getötet wurden, jetzt noch am Leben“, bilanziert Botsch. Bekannte und Nachbar:innen der Familie Turgut wandten sich von ihr ab. Denn in der Nachbarschaft kursierten Gerüchte, Mehmet sei ein Schwerkrimineller gewesen. „Sie haben deshalb viel gelitten“, sagte der Imbissbesitzer im NSU-Prozess über die Familie Turgut. So sehr, dass sie schließlich ihr Dorf verließen, das bis dahin ihr Lebensmittelpunkt war. Viele Fragen bleiben ungeklärt Erst nach der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 erkannte die Polizei den rassistischen Hintergrund des Mordes an Mehmet Turgut und acht weiterer Morde. Noch heute sind viele Fragen ungeklärt: Warum kamen die Attentäter am 25. Februar 2004 nach Rostock? Warum nach Toitenwinkel? Warum in diesen Imbiss? Und warum Mehmet? Welche Kontakte, Verbindungen und Netzwerke hatte der NSU in MV? Wer waren Mitwissende und Unterstützer:innen? Welche Informationen hatten Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden? Warum übersah die Polizei frühe Hinweise auf den NSU? Was stand und steht in den vernichteten und zurückgehaltenen Akten? Welche Rolle spielten der Verfassungsschutz und seine V-Leute im direkten Umfeld des jahrelang unbehelligt mordenden Terrortrios? Hinterbliebene und Initiativen streiten seit Jahren für eine umfassende Aufklärung der Morde des NSU. Mecklenburg-Vorpommern hat als letztes Bundesland 2018 einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) des Landtages eingesetzt. Im Januar 2022 nahm der zweite PUA in MV seine Arbeit auf und setzt damit die Arbeit des Untersuchungsausschusses der vergangenen Legislaturperiode fort. Doch immer wieder geraten die Ermittlungen ins Stocken. Die Terrorgruppe um Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ist für zehn Morde, weitere Mordversuche, Bombenanschläge und Banküberfälle verantwortlich. Mundlos und Böhnhardt brachten sich im Zuge ihrer Selbstenttarnung im November 2011 um, Zschäpe wurde als gleichberechtigte Mittäterin der Mordserie 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt. Verwüstung der Gedenkstätte Am Neudierkower Weg steht seit 2014 eine Gedenkstätte – errichtet zehn Jahre nach Turguts Ermordung und drei Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU. Zwei Betonbänke mit türkischen und deutschen Inschriften. Seit 2012 findet jährlich an Mehmet Turguts Todestag eine Gedenkveranstaltung an dem Ort statt, an dem er ermordet wurde. Die erste Gedenkveranstaltung vor zwölf Jahren wollten zwei Dutzend Neonazis mit Schlagstöcken stören. Nach der Gedenkveranstaltung zum 18. Jahrestag von Mehmet Turguts Ermordung wurde sein Denkmal verwüstet. Die Polizei ging nicht von einer rassistisch motivierten Tat aus – wieder einmal. Der Wind habe die Blumen, Kränze und Kerzen umgeweht. Der Vorsitzende des Migrantenrats Rostock, Seyhmus Atay-Lichtermann, sah etwas anderes, als er am Abend des Todestages vor zwei Jahren an der Gedenkstätte eintraf: ein Bild der Zerstörung – aus Hass. „Sie haben versucht, Mehmet Turgut noch mal zu zerstören“, sagte Atay-Lichtermann damals KATAPULT MV. Auch das Vorgehen der Polizei kritisierte er: „Genau dieses Wegschauen tötet uns. Nichts hat sich geändert.“ Mehr dazu: Nach Verwüstung der Gedenkstätte: Umbenennung in Mehmet-Turgut-Weg gefordert Atay-Lichtermann kannte Mehmet Turgut persönlich. Er wohnte für einige Monate gegenüber von dem Imbiss, in dem er aushalf. „Damals gab es für Migrant:innen nicht so viele Möglichkeiten. Daher haben wir uns immer in dem Dönerladen getroffen, in dem Mehmet gearbeitet hat.“ Befreundet war Atay-Lichtermann vor allem mit Mehmets Bruder Yunus. Mehmet-Turgut-Weg: „Wann, wenn nicht jetzt?“ Während Städte wie Hamburg und Kassel bereits 2014 Straßen und Plätze nach Opfern des NSU benannten, wurde der Vorschlag in Rostock vom Ortsbeirat Dierkow Ost/West 2012 einstimmig abgelehnt. In dem Jahr, in dem sich das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen zum 20. Mal jährte. In dem Jahr, in dem Bundespräsident Joachim Gauck in Rostock dazu aufrief, rassistische Geschehnisse nicht zu vergessen. In dem Jahr, in dem er mahnte, auch die Gegenwart sei infiziert von Rassismus, Hass und Gewalt. Der ebenfalls zuständige Ortsbeirat Toitenwinkel vertagte die Entscheidung – bis heute. Bürgerschaftspräsidentin Regine Lück (Die Linke) bat 2021 den Ortsbeirat Dierkow Ost/West, den Vorschlag erneut zu besprechen. Die Bitte wurde vom Vorsitzenden Uwe Friesecke (CDU/UFR) mit Verweis auf die Ablehnung 2012 zurückgewiesen. Seyhmus Atay-Lichtermann setzt seine letzten Hoffnungen zur Umbenennung des Weges in den 20. Todestag von Mehmet Turgut: „Wann, wenn nicht jetzt?“ Runde Jahrestage würden Aufmerksamkeit auf ein Thema lenken. Außerdem sei – anders als beim letzten Versuch 2012 – Rot-Rot-Grün in der Mehrheit, sowohl in der Rostocker Bürgerschaft als auch in den zuständigen Ortsbeiräten. Noch – dieses Jahr finden Kommunalwahlen statt und damit wird auch das Parlament der Hansestadt neu gewählt. „Das ist eine Katastrophe. Mit diesen Leuten wird das nichts“ Der Vorsitzende des Migrantenrats steht seit 2021 in Kontakt mit Anne Mucha, der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD in der Bürgerschaft. Sie organisierte Gespräche zwischen Migrantenrat, Fraktionsvorständen und Ortsbeiräten. Diese sollten die tatsächlichen Hinderungsgründe für eine Zustimmung zur Straßenumbenennung herauskristallisieren. Mucha befürchtete damals, dass Mitglieder unter Druck gesetzt worden sein könnten. Doch Atay-Lichtermann habe bei den Gesprächen gemerkt, dass schlicht der politische Wille fehle. So sei als Grund gegen die Umbenennung vorgebracht worden, dass weibliche Persönlichkeiten für Straßennamen bevorzugt werden würden, so Atay-Lichtermann. Oder Personen, die im Zweiten Weltkrieg vom Staat ermordet wurden. Andere hätten sogar Zweifel daran geäußert, dass Mehmet Turgut vom NSU ermordet wurde. „Das ist eine Katastrophe. Mit diesen Leuten wird das nichts“, sagt der Migrantenratsvorsitzende enttäuscht, beinahe wütend. Dabei seien einzelne Mitglieder von Bürgerschaft und Ortsbeiräten für eine Umbenennung des Weges, wie Mucha und Bürgerschaftspräsidentin Lück. Auch Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger (Linke) hat sich mehrfach für eine Umbenennung des Neudierkower Weges ausgesprochen. Ich unterstütze die Idee der Umbenennung, weil die Angehörigen in ihrer Trauer ernst genommen werden müssen, Mehmet Turgut Teil der Stadtgeschichte ist und die Grausamkeit des rechtsterroristischen NSU niemals vergessen werden darf. Eva-Maria Kröger (Linke), Oberbürgermeisterin von Rostock Sie habe die Fraktionen ermutigt, sich bei ihren Ortsbeiratsmitgliedern für die Umbenennung einzusetzen. Außerdem habe sie mehrfach angeboten, persönlich mit den Einwohner:innen zu sprechen. Doch eine rechtliche Möglichkeit, den Weg umzubenennen, habe sie nicht. Für Straßenumbenennungen braucht es laut Straßenbenennungssatzung der Stadt den Rückhalt der Ortsbeiräte: „Die Entscheidung über die Benennung trifft die Oberbürgermeisterin (...) im Einvernehmen mit dem zuständigen Ortsbeirat. Im Falle der Benennung (...) nach historischen Ereignissen (...) entscheidet der Hauptausschuss unter Mitwirkung des zuständigen beratenden Ausschusses im Einvernehmen mit dem zuständigen Ortsbeirat.“ Familie Turgut wollte sich von Rostock abwenden Der Ortsbeirat Toitenwinkel ist zuständig, da sich der Neudierkower Weg im Ortsteil Toitenwinkel befindet. Die Ortsbeiratsvorsitzende Anke Knitter (SPD) windet sich um die Beantwortung der Frage, ob sich das Gremium für oder gegen eine Umbenennung des Neudierkower Weges ausspricht. „Da es innerhalb des Ortsbeirates in der laufenden Kommunalwahlperiode keine Abstimmung über die Frage einer Umbenennung gab, ist es mir nicht möglich, zu sagen, ob der Ortsbeirat als solches für oder gegen eine Umbenennung ist.“ Darüber hinaus gebe es derzeit keine Initiative zur Umbenennung des Weges, weshalb auch künftig keine entsprechende Entscheidung des Ortsbeirates anstehe. Da die Häuser mit den Adressen Neudierkower Weg 1 und 2 im Ortsteil Dierkow West liegen, ist außerdem der Ortsbeirat Dierkow Ost/West zuständig. Dieser reagierte auf unsere Anfrage nicht. Ein Mitglied könnte einen Antrag auf Straßenumbenennung in die Bürgerschaft einbringen. Doch ohne eine Mehrheit würde dieser scheitern. Und das dürfe nicht passieren, so Atay-Lichtermann. Nicht schon wieder. „Das Desaster von 2012 darf sich nicht wiederholen. Wir wollen der Familie Turgut nicht noch mal erklären müssen, dass nicht gewollt ist, dass die Straße nach ihrem Sohn benannt wird, der kaltblütig ermordet wurde.“ Vor wenigen Monaten sei die Familie bereit gewesen, endgültig mit der Stadt zu brechen. „Sie wollten mit Rostock nichts mehr zu tun haben“, sagt der langjährige Freund der Familie. Sie wollten Rostock nie wieder besuchen, auch nicht zur jährlichen Gedenkveranstaltung am Todestag ihres Sohnes, Bruders und Freundes. Sie fühlten sich beleidigt und erniedrigt, da die Stadt Mehmet nicht würdigen wolle. „Das macht sie als Familie krank“, sagt Atay-Lichtermann. Ortsbeiräte und Anwohner:innen mauern 2022 startete der Migrantenrat eine Petition zur Umbenennung. Innerhalb der letzten zwei Jahre haben 1.042 Menschen unterschrieben. Anlässlich des 20. Todestages von Mehmet Turgut möchte Atay-Lichtermann weiter Unterschriften sammeln, diesmal bundesweit. „Wir wollten die Ortsbeiräte nicht verärgern, mit Einwohner:innen reden und deren Zustimmung holen. Doch das ist jetzt vorbei.“ Der Migrantenrat könne nicht jeden einzelnen Bewohner und jede einzelne Bewohnerin überzeugen. Das sei auch nicht die Aufgabe des Migrantenrates, das könne niemand von ihm verlangen. In einer Gegenpetition von Anwohner:innen des Neudierkower Wegs wird ausschließlich der bürokratische Aufwand als Grund für die Ablehnung einer Umbenennung angeführt. Den Straßennamen auf dem Personalausweis ändern zu lassen, sei zeitaufwendig und teuer. Für Atay-Lichtermann ist das der einzige nicht rassistische Grund gegen eine Umbenennung des Weges, er versteht die Bedenken. Der Migrantenrat hat daher den Anwohner:innen angeboten, die Kosten zu übernehmen, wie in der Petition der Bewohner:innen gefordert. Diese blieben dennoch bei ihrer Meinung: „Der Straßenname soll so bleiben wie er ist!“ 58 Personen haben die Petition unterschrieben. Solange die Ortsbeiräte mauern, besteht keine realistische Hoffnung auf eine Umbenennung des Neudierkower Weges in Mehmet-Turgut-Weg. Wir haben alle Fraktionen und zwei von sieben fraktionslosen Bürgerschaftsmitgliedern gefragt, ob sie für oder gegen eine Umbenennung sind. Der Fraktionsvorsitzende der Linken ist „natürlich für die Umbenennung des Weges“, wie Christian Albrecht auf Nachfrage mitteilt. Bereits 2012 seien sie am Antrag auf Straßenumbenennung beteiligt gewesen, der am Widerstand der Ortsbeirats scheiterte. „Aktuell sind wir mit unseren Ortsbeiratsmitgliedern vor Ort im Kontakt, um darüber zu sprechen, wie man einen neuen Anlauf zur Umbenennung starten kann“, so Albrecht. In vielen anderen deutschen Städten, in denen der NSU gemordet hat, ist den Opfern durch die Umbenennung von Straßen und Plätzen gedacht worden. Für unsere Fraktion ist es eine Selbstverständlichkeit, eine Erinnerungskultur zu schaffen, die den Namen von Mehmet Turgut im Gedächtnis behält. Christian Albrecht, Vorsitzender Fraktion DIE LINKE.PARTEI Rostock Christoph Eisfeld (FDP) warf eine andere Idee in den Ring: „Es ist wichtig, an die Ermordung Mehmet Turguts dauerhaft und angemessen zu erinnern. Gerade deshalb ist die Umbenennung des Neudierkower Weges nicht geeignet. Sinnvoller ist die Benennung einer neuen (größeren) Straße nach Mehmet Turgut, die idealerweise durch Benennung umliegender Straßen zudem den rassistischen, ideologischen Hintergrund der Ermordung verdeutlicht und historisch einordnet.“ Meinung: Die Stadtpolitik schweigt die Forderung tot Alle anderen Fraktionen und angefragten Bürgerschaftsmitglieder äußerten sich nicht zu dieser Frage. Die Stadtpolitik scheint das aussitzen zu wollen, bis sich niemand mehr für ein würdevolles Gedenken einsetzt. In den letzten Jahrzehnten hat das auch funktioniert. Derweil trauert die Familie von Mehmet Turgut Jahr für Jahr um ihren Bruder und Sohn. Der als Zufallsopfer von einer rassistischen Terrorgruppe durch gezielte Schüsse kaltblütig ermordet wurde, als er einem Freund aushalf. Jahrelang musste die Familie die rassistischen Vorverurteilungen der deutschen Behörden ertragen. Dann einen fünf Jahre dauernden Gerichtsprozess erdulden, an dessen Ende ein Urteil steht, in dem die Opfer der menschenverachtenden und zerstörerischen Ideologie kaum Erwähnung finden. Und dessen Urteilsspruch für einen Mitangeklagten bei anwesenden Neonazis Jubelstürme auslöste. Bis heute müssen die Angehörigen von Mehmet Turgut und anderen NSU-Opfern mitansehen, wie in Untersuchungsausschüssen immer wieder Akten zurückgehalten werden oder verschwinden, weil der Schutz von V-Leuten wichtiger zu sein scheint als die Aufklärung der Mordserie und die Aufdeckung der weitreichenden rechtsextremen Netzwerke in Deutschland. Und dann mauert sogar die Stadt bei der legitimen Forderung, den Weg nach Mehmet Turgut zu benennen. Was ist schon die Umbenennung einer Straße angesichts des Schicksals der Familie Turgut? Sie wäre ein wichtiges Zeichen des Respekts gegenüber der Familie und allen anderen Opfern des NSU. Und ein Zeichen gegen Rassismus, das gerade jetzt wieder besonders wichtig ist. Wo die AfD in den vielleicht gleichen Neonazinetzwerken vernetzt ist wie der NSU und mit Menschen- und Demokratiefeind:innen über die millionenfache Deportation fantasiert, um Deutschland von Menschen mit Migrationshintergrund, falscher Hautfarbe und/oder unliebsamer politischer Einstellung zu säubern. Wenn nicht einmal mit einer so einfachen Geste wie einer Straßenumbenennung dem Wunsch der Opfer von rechtsextremer Gewalt und institutionalisiertem Rassismus entsprochen wird, wozu sind wir dann überhaupt gewillt? Mehr dazu: Gedenkwochenende für Mehmet Turgut Der Artikel erschien zuerst in unserer Februarausgabe. Transparenzhinweise: Das Statement vom Fraktionsvorsitzenden der Linken in Rostock, Christian Albrecht, wurde am 23.2. ergänzt. Die Deutschlandkarte über die Städte, die Orte nach Mordopfern des NSU benannt haben, wurde am 25.2. um den Abdurrahim-Özüdoğru-Park in Nürnberg ergänzt. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!