Im flachen Wasser östlich der Swinemündung fahren zwei Stehpaddlerinnen unter dunklen Wolken. Wo ihre Bretter über das flache Wasser gleiten, gerade mal fünf Kilometer Luftlinie von der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern, soll ein gigantisches Containerterminal entstehen. Nach dem Danziger Hafen wäre es das zweitgrößte der ganzen Ostsee. Aber noch ist der Strand östlich der Swinemündung leer. Die Küste macht einen sanften Bogen, über zehn Kilometer bis zum Badeort Misdroy ist nichts zu sehen als Wasser, Dünen und Küstenwald. Das Containerterminal, ein Mammutprojekt inmitten eines europäischen Natura-2000-Schutzgebiets, ist Sache der polnischen Regierung. Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite erfordern grenznahe Projekte nach EU-Recht eine binationale Umweltverträglichkeitsprüfung. Und die wird von der polnischen Regierung bisher verweigert. Die polnische Regierung verbittet sich jegliche Einmischung. Die Bundesregierung und die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern halten sich mit Kritik zurück. Polnische Umweltaktivist:innen und Gegner:innen des Projekts sagen ein Interview eine Stunde vorher wieder ab. Die Sprachbarriere macht es nicht leichter, die Hintergründe zu verstehen. Über das Terminal zu berichten, ist schwierig. So wie die deutsch-polnischen Beziehungen. Wie die polnische EU-Politik. Und auch wie die Lage der polnischen Zivilgesellschaft. Mitten im Schutzgebiet Um den ökologischen Schaden des Projekts ohne die binationale Umweltverträglichkeitsprüfung wenigstens grob zu umreißen, haben die Europaabgeordneten Hannah Neumann (Grüne) und Helmut Scholz (Die Linke) ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben und Ende März veröffentlicht. Es ist 67 Seiten lang und darum bemüht, in Zahlen und Prognosen der Zerstörung nahe zu kommen, die bei einem Großprojekt wie diesem erwartbar ist. Um zu wissen, was auf dem Spiel steht, muss man erst mal eine Bestandsaufnahme machen: Wenn man auf Wollin am Strand steht, hört man eine seltene Heidelerche. Die Dünen, die sich hinter dem breiten Sandstrand auftürmen, sind ungewöhnlich für die Ostseeküste und sehr artenreich. Im Küstenwald stehen Schilder, die die Natura-2000-Schutzgebiete beschreiben. Sie sind von der Sonne ausgeblichen, eines ist im lockeren Sandboden bereits leicht nach vorne gekippt. Die Schilder weisen auf Orchideen und Zauneidechsen hin, auf ein besonderes Ökosystem, das zwischen Dünengräsern und lichtem Kiefernwald entstanden ist. Der Bau des Terminals wäre ein massiver Eingriff. Weil in der Natur alles mit allem zusammenhängt, sind unzählige Pflanzen und Kleinstlebewesen auf dem Boden der Ostsee betroffen, Nahrung für Fische und Säugetiere, es würden Zugrouten der Vögel gestört, die im flachen Wasser und am Strand leben, und wegen des zunehmenden Schiffsverkehrs auch Lebensräume, die weit von dem eigentlichen Hafen entfernt liegen. Das Fazit der Studie: Sowohl in Polen als auch in Deutschland käme es „zu erheblichen Beeinträchtigungen eines oder mehrerer mariner Natura-2000-Gebiete in deren für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen“. Das Projekt, das etwa eine halbe Milliarde Euro kosten soll, umfasst eine 1,4 Kilometer lange Pier, die weit in die Pommersche Bucht hineinragen würde, daran schlösse sich eine Terminalfläche im Wasser an, 77 Hektar groß. Um den beliebten Vergleich zu bemühen: Das sind hundert Fussballfelder. Oder: Die Fläche ist so groß, dass 100.000 Autos darauf Platz fänden. Das Terminal würde von den größten Containerschiffen angelaufen werden können, die die Ostsee befahren. Der Schiffsverkehr von und nach Swinemünde würde etwa um die Hälfte zunehmen. Und weil große Schiffe viel Tiefgang haben, müsste für diesen künstlichen Hafen, der quasi direkt auf den Strand gebaut werden würde, Unmengen Sand gebaggert werden. Nicht nur beim Bau des Hafens, sondern immer wieder. Denn die Küste der südlichen Ostsee ist eine Ausgleichsküste, an der permanent Sand angespült wird, sodass der ausgebaggerten Rinne Versandung droht. Die lautesten Kritiker:innen des Projekts sitzen derzeit hinter der Grenze Der Blick Richtung Misdroy zeigt zwar einen wunderschönen Naturstrand. Aber schon jetzt ist die Insel Wollin nicht nur ein Naturidyll zwischen den Flüssen Swine und Dziwna. Sondern mit dem Swinemünder Hafen, seinen vielen Kränen und Verladestationen und einem großen Industriebahnhof am östlichen Swineufer ist sie auch ein Industriestandort. Einen Vorgeschmack auf den Containerhafen bietet ein LNG-Terminal am Strand, das 2015 gebaut wurde und in direkter Nachbarschaft zu dem geplanten Containerterminal liegt. Die lauteste Kritik an dem Projekt kommt derzeit von einer Bürgerinitiative aus Deutschland. Rainer Sauerwein ist 76 Jahre alt, wohnt seit 2015 in Ahlbeck und widmet sein Post-Erwerbsleben dem Klima- und Umweltschutz. Er sitzt im Vorstand der Bürgerinitiative „Lebensraum Vorpommern“ und hat sich schon gegen Gasbohrungen auf der Insel eingesetzt. Sauerwein befürchtet, dass es auf Wollin nicht bei dem Containerterminal bleiben wird, sondern dass die ganze Küste Stück für Stück in ein Zentrum der maritimen Wirtschaft umgewandelt werden wird. Weil seine Bürgerinitiative ein Projekt kritisiert, das in Polen liegt, steht sie immer auch unter dem Verdacht der Überheblichkeit und Bevormundung. Bis vor Kurzem hatten Sauerwein und seine Mitstreiter:innen gute Kontakte nach Polen, zu einer Partnerinitiative aus Swinemünde. Auch die Swinemünder wollten das Terminal verhindern. 2018 reichte die Bürgerinitiative „Rechtes Ufer“ eine Petition beim Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments ein und knüpfte Kontakte nach Deutschland. „2020 haben wir dann ebenfalls eine Petition eingereicht“, sagt Rainer Sauerwein. „Mittlerweile hat sich die Situation für unsere Partner so verschlechtert, dass sich kaum noch jemand auf der polnischen Seite traut, sich zu äußern.“ Er höre von privaten und berufliche Nachteilen. Alle, die dagegen seien, stünden unter massivem Druck. „Das Gutachten zeigt, dass die Auswirkungen auf die Umwelt weit über die polnische Grenze hinausgehen. Wir hier in Deutschland werden stark betroffen sein. Darum sind wir so aktiv geworden. Wir in Deutschland können Kritik äußern, unsere Partner in Polen aber nicht mehr. So unterstützen wir sie auch mit unserem Protest.“ Der Strand östlich von Świnoujście, an dem der Bau des neuen Containerterminals geplant ist (Foto: Anke Lübbert) Kritik an der polnischen Regierung nur noch unter persönlichen Risiken In einem ruhigen Wohngebiet von Heringsdorf sitzt Anna Murawska auf der Terrasse hinter ihrem Haus. Nach den Solidarność-Protesten in den 1980er-Jahren floh sie mit ihren Eltern nach Westdeutschland. Sie bezeichnet sich „im Herzen als Europäerin“. Murawska kennt die Akteure auf beiden Seiten der Grenze und hatte ein Interview zu den polnischen Gegner:innen des Projektes vermittelt. Aber nur eine Stunde vorher sagten die Interviewpartner:innen ab. „Die Leute haben einfach Angst“, sagt sie. „Man muss das verstehen. Kritik an der Regierung kann man in Polen nur noch unter größten persönlichen Risiken äußern.“ (siehe auch unser Interview mit Magda Nowak) Sie sagt, dass viele Menschen in Swinemünde gegen das Projekt seien. Niemand wolle den Schwerlastverkehr in der Stadt haben. Viele Bürger:innen schätzten den wilden Strand von Wollin. Und auch wenn der Bürgermeister von Swinemünde, Stadtpräsident Janusz Żmurkiewicz, beteuere, dass Tourismus und Hafenwirtschaft Hand in Hand gehen könnten, gebe es doch viele Menschen in Swinemünde, die ihm das nicht abnähmen. Schließlich drohen zusätzliche Luftverschmutzung durch die Containerriesen und die Zerstörung von Strand, Wald und Dünen. Sie sagt, dass viele Swinemünder:innen Protestplakate gegen das Terminal an ihren Grundstücken aufgehängt hatten. Aber dann habe die Stadtregierung eine „Werbe- und Landschaftsverordnung“ beschlossen, nach der das Aufhängen von Plakaten und Bannern strafbar sei. Seit die PiS-Regierung an der Macht ist, hat sie nicht nur das polnische Justizsystem umgebaut, neutrale Richter:innen und Staatsanwält:innen entlassen, sondern so gut wie alle Führungskräfte auf staatlichen Stellen ausgetauscht. Davon seien auch die Naturparks und andere Stellen im Naturschutz betroffen. Umweltschutz zähle in Polen aktuell kaum noch, sagt Anna Murawska. Und sich für die Umwelt einzusetzen, werde von Jahr zu Jahr schwieriger. „Unglücklicherweise driftet mein Land in die gleiche Richtung wie Ungarn und ich kann nicht verschweigen, dass es riskant ist, die Aktionen der derzeitigen Regierung zu kritisieren“ polnischer Naturschützer gegenüber KATAPULT MV Ein polnischer Naturschützer, der sich für die Oder und das Oderdelta einsetzt, das Containerterminal aber nicht unbedingt kritisch sieht, schreibt auf die Anfrage zu einem Interview: „Ich muss sagen, dass die aktuelle Situation in Polen es nicht einfach macht, offen über viele Themen zu sprechen. Unglücklicherweise driftet mein Land in die gleiche Richtung wie Ungarn und ich kann nicht verschweigen, dass es riskant ist, die Handlungen der derzeitigen Regierung zu kritisieren.“ Peter Torkler vom Verein „Rewilding Oder“ arbeitet seit über 20 Jahren im deutsch-polnischen Naturschutz. Er hat den Eindruck, dass grenzüberschreitender Naturschutz seit dem Antritt der PiS-Regierung 2015 schwierig geworden sei, auch weil Vereine und Initiativen in Polen selbst so stark unter Druck stünden und nur noch schwer an Gelder herankämen: „Für viele Projekte, auch etablierte, gibt es mittlerweile kaum noch staatliche Förderung. Dazu kommen extrem hohe administrative Hürden, bei der Abrechnung, bei der Prüfung von Projekten.“ Außerdem gingen die polnischen Medien alles andere als wohlwollend mit Naturschutzinitiativen und Ehrenamt um. Wer sich engagiere, werde schnell öffentlich als Verhinderer und Wirtschaftsfeind dargestellt. Vielleicht auch deshalb betonen mehrere Gesprächspartner:innen, dass sie nicht gegen das Projekt an sich sind, sondern vor allem gegen die Art der Umsetzung. Zu ihnen gehört auch Przemysław Słowik, der Vizevorsitzende der polnischen Grünen. „Was die Auswirkungen auf die Umwelt betrifft, bewegen wir uns bisher in einem Schwarzen Loch“, sagt er. „Wir müssen wissen, wie groß die Beeinträchtigungen sein werden, um den Nutzen und den Schaden durch das Terminal gut gegeneinander abwägen zu können. Ich wünsche mir einfach nur eine gründliche Untersuchung, dass wir alle Daten haben, die wir brauchen.“ Dass die Gegner:innen auf der Swinemünder Seite das Interview kurzfristig absagen, hat aber neben der staatlichen Einschüchterung noch einen zweiten Grund: In einem deutschen Medium, das sich kritisch mit einem polnischen Infrastrukturprojekt auseinandersetzt, zitiert zu werden, ist für die Gegner:innen des Terminals zurzeit nicht unbedingt strategisch sinnvoll. „Es gibt eine weitverbreitete Skepsis bis hin zu Feindseligkeit gegenüber Deutschland in der Öffentlichkeit“, sagt Anna Murawska. Nord Stream und die, aus polnischer Sicht, Zurückhaltung bei der Unterstützung der Ukraine hätten das noch verstärkt. Wie groß das persönliche Risiko für Umweltschützer:innen in Polen wirklich ist, sich öffentlich zu äußern, ist schwer zu sagen. Kai-Olaf Lang arbeitet für die Stiftung Wissenschaft und Politik, die den Bundestag, die Bundesregierung und deutsche Vertreter:innen in internationalen Organisationen wie der EU oder den Vereinten Nationen berät. Dass Polen ähnlich wie Ungarn in Richtung Autokratie drifte, hält er für „übertrieben“, das sei in Polen schwer machbar. Die PiS-Regierung habe neben ihrer nationalistischen und konservativen Ausrichtung zwei Hauptziele: wirtschaftliche Modernisierung und Sicherung von Souveränität. Bei der Souveränität geht es natürlich immer um Russland, aber ganz klar auch um Deutschland. Dazu gehöre auch, dass sie für ein lockerer verbundenes Europa sei. Das möge vielen nicht gefallen, „aber nicht alle in Europa müssen eine ‚ever closer union‘ in Form einer stetigen Vertiefung der europäischen Integration wollen“, sagt der Politikwissenschaftler. „Das ist durchaus legitim.“ Containerhafen als geopolitische Maßnahme Geopolitik werde gerade in Mitteleuropa zunehmend auch durch Infrastrukturpolitik gemacht, sagt Lang. Wenn sich die polnische Regierung gegen die Einmischung wehre und beklage, dass Deutschland und die EU wirtschaftliche Entwicklungschancen verhindere, gehe das in diese Richtung. Für die PiS-Regierung hätten infrastrukturelle oder wirtschaftliche Großprojekte strategische Relevanz. Man wolle sich diese nicht durch Vorgaben der EU einschränken lassen. Möglicherweise sei die Regierung daher bereit, hierüber auch in einen Konflikt mit Brüssel einzutreten und durch eine Politik vollendeter Tatsachen ein rechtliches Ausbremsen oder Blockieren zu verhindern. „Die EU wird im Regierungslager und Teilen der Öffentlichkeit häufig als der verlängerte Arm deutscher Interessen wahrgenommen“, sagt Lang. „Zurzeit sind die deutsch-polnischen Beziehungen in einer schwierigen Phase. Viele Handlungen Berlins werden überinterpretiert, Deutschlands Eintreten für Rechtsstaatlichkeit wird als Einmischung in innere Angelegenheiten dargestellt und von der PiS-Partei auch innenpolitisch instrumentalisiert.“ Gut möglich, dass sich die Bundesregierung auch deshalb bei weiteren möglichen Konfliktthemen stark zurückhält. Für das Containerterminal hat sich bisher noch kaum jemand in Berlin interessiert. Und auch die Landesregierung von Mecklenburg- Vorpommern hat lange geschwiegen, bis sie Ende letzten Jahres schließlich selbst eine Umweltverträglichkeitsprüfung einforderte. Janusz Żmurkiewicz ist parteiloser Stadtpräsident von Swinemünde. Er findet es zwar wichtig, so viel Wissen wie möglich über die Auswirkungen des Containerterminals zu haben, auch die ökologischen, betont aber, dass er ein großer Fürsprecher des Projekts sei. „Wenn sich der Hafen gut macht, werden wir auf der Landkarte als einer der sich am besten entwickelnden Häfen der Ostsee sichtbar werden“, sagt er. Żmurkiewicz verweist auf den Erfolg mit dem LNG-Terminal. Die Reaktionen auf den geplanten Hafenausbau erinnerten ihn an die Zeit vor dem Bau des LNG-Terminals. „Auch damals gab es Proteste, auf deutscher und polnischer Seite, die Argumentation war sehr ähnlich.“ Nun aber sei das LNG-Terminal ein Erfolg. Es garantiere Polens Energiesicherheit in einer schwierigen Situation. Żmurkiewicz verweist auf die geplanten schwimmenden LNG-Terminals vor Mecklenburg-Vorpommern. Und betont: „Ich als einer der dichtesten Nachbarn dieser Terminals werde nicht dagegen protestieren.“ In seiner Argumentation schwingt alles mit: Der Ärger über die Einmischung, das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, recht gehabt zu haben. Während auf der anderen Seite Nord Stream gebaut wurde, was die Abhängigkeit von Russland zementierte, entstand in Swinemünde das LNG-Terminal. Das Containerterminal erscheint in dieser Argumentation als logische Fortführung einer Wirtschaftspolitik, die sich als richtig erwiesen hat. Swinemünde hat 40.000 Einwohner, ist die einzige größere Stadt auf Usedom und anders als die deutschen Seebäder mit ihren Hotels und Pensionen und Promenaden auch der einzige Ort der Insel, der nicht ausschließlich vom Tourismus lebt. Schon jetzt ist der Hafen einer der wichtigsten in Polen. „Swinemünde ist wirtschaftlich deutlich breiter aufgestellt“, sagt Laura Isabelle Marisken. „Auf der deutschen Seite haben wir ja eine touristische Monokultur.“ Sie ist parteilose Bürgermeisterin von Heringsdorf, der größten Gemeinde auf Usedom, zu der auch Bansin und Ahlbeck gehören. Heringsdorf reicht bis an die polnische Grenze. Trotz der unterschiedlichen Ausrichtung arbeite sie sehr eng und inhaltlich gut mit dem Stadtpräsidenten Żmurkiewicz zusammen. Gerade erst habe man gemeinsam für eine ukrainische Partnerstadt gespendet. Das Containerterminal sei das einzige Thema, bei dem sie nicht zusammenkämen. „Da sind wir sehr kritisch“, sagt Marisken. In erster Linie sorge man sich um die Umwelt, aber natürlich passten auch Schwerindustrie und Tourismus einfach sehr schlecht zusammen. Vom Heringsdorfer Strand hätte man einen Premiumblick auf das Terminal und die vorbeiziehenden Containerschiffe. „Wer braucht so einen Hafen?“ Neben geopolitischem Strategiedenken, Tourismus- und Umweltaspekten ist noch ein ganz anderer Faktor entscheidend dafür, ob das Terminal kommt: die Frage nach der Wirtschaftlichkeit. „Wer braucht so einen Hafen? Wenn man sich anschaut, wo der nächste größere Markt ist, für den der internationale Containerverkehr gedacht sein könnte, dann ist das der Großraum Berlin“, sagt Jürgen Sorgenfrei. Er ist Professor für Projektmanagement an der privaten Northern Business School in Hamburg und hat mehrere Hafenprojekte unter anderem in Shanghai und Singapur mitentwickelt. Berlin sei aber bereits gut an die weltweiten Warenströme angeschlossen. „Ein Hafen ist ja kein Selbstzweck“, sagt er. „Würde man eine seriöse Marktanalyse für Swinemünde erstellen, kein Gefälligkeitsgutachten, dann würde niemand hier ein ernsthaftes Potenzial erkennen. Eine Rechtfertigung, hier öffentliche Gelder zu investieren, gibt es meiner Einschätzung nach nicht.“ Diese Einschätzung scheinen zwei potenzielle private Hafenbetreiber nicht zu teilen. Die Seehafen AG von Stettin und Swinemünde, übrigens zu 95 Prozent staatlich, hatte den Betrieb des Terminals ausgeschrieben. Nun konkurrieren das britische Unternehmen British Baltic Gateway und Belgian Deme Concessions um den Zuschlag. Swinemündes Stadtpräsident Żmurkiewicz sagte Anfang Juni dazu in einer Radiosendung von Radio Szczecin, das Terminal liege im Interesse der Stadt: „Ich bin froh. Bauen wir ein Containerterminal, denn es wird Świnoujście und Polen dienen.“ Mit deutschen Abgeordneten werde er nicht darüber diskutieren – erstens habe er ohnehin keinen Einfluss auf die Entscheidung und zweitens befürworte er das Projekt. Er sagte auch, er sehe keinen Sinn darin, mit deutschen Politikern über dieses Thema zu sprechen. Heringsdorfs Bürgermeisterin Marisken entgegnete, man sei eine Insel und damit untrennbar miteinander verbunden. Und das sei auch gut so. Weitreichende Projekte müssten damit auch immer über die Landesgrenze hinaus betrachtet werden. „Die Umweltauswirkungen enden ja nicht einfach an der territorialen Grenze.“ In der Hafenfrage könnte noch einiges an Konfliktpotenzial stecken. Dieser Artikel erschien in der gedruckten Ausgabe 9 von KATAPULT MV, die kann im KATAPULT-Shop bestellt werden. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!