Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich die Sicherheit von Frauen in Beziehungen weltweit massiv verschlechtert. Die Vereinten Nationen sprechen daher auch von einer Schattenpandemie. Dieser Trend zeigt sich zum Teil auch in Mecklenburg-Vorpommern. So seien die Fallzahlen der Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking in Stralsund 2020 im Vergleich zum Vorjahr von 523 auf 577 gestiegen, erklärt die Leiterin der Einrichtung, Anne Leddin. Der Landkreis Vorpommern-Rügen ist damit der einzige in Mecklenburg-Vorpommern, bei dem die Zahl der Fälle zunahm. Alle anderen verzeichneten einen leichten Rückgang der ansonsten seit vielen Jahren stetig steigenden Zahlen. Auch baten im vergangenen Jahr mehr Frauen auf eigene Initiative die Interventionsstelle Stralsund um Hilfe. Waren es 2019 noch 72, stieg die Zahl 2020 auf 114 Selbstmelder:innen von häuslicher oder sexualisierter Gewalt und Stalking. Und das, obwohl die Kontaktaufnahme aufgrund der Corona-Einschränkungen für viele Menschen noch viel schwerer gewesen sei als ohnehin schon. Häusliche Gewalt in MV alltäglich Die Zunahme der Beratungszahlen in Vorpommern-Rügen deckt sich mit der polizeilichen Kriminalstatistik 2020, die für den Landkreis ebenfalls einen Anstieg von Körperverletzungsdelikten in Partnerschaften und Familien ausweist. Wird die Polizei zu einem Fall von häuslicher Gewalt gerufen, wird in der Regel die zuständige Interventionsstelle informiert, um den Betroffenen und den häufig mitbetroffenen Kindern Hilfe und Beratung anzubieten. Ulrike Bartel, Geschäftsstellenleiterin der Interventionsstellen für häusliche Gewalt und Stalking in Rostock und Stralsund, erklärt dazu: „Die Zahlen sind natürlich auch davon abhängig, wie sehr die Polizeibeamt:innen engagiert und für das Thema sensibilisiert sind.“ Dennoch war auch die Zahl der eigenständig, ohne Polizei Hilfesuchenden in Vorpommern-Rügen höher als in anderen Landkreisen. Durch die Novellierung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes in MV änderte sich auch die Vorgehensweise der Hilfsnetzwerke. Der landesweite leichte Rückgang der Zahlen lasse sich durch die Gesetzesänderung erklären. Wo vorher die Polizei nach einem Einsatz die Interventionsstellen über den Fall informiert habe, sei es jetzt aus Datenschutzgründen schwieriger, sagt Ulrike Bartel. Nur noch unter bestimmten Bedingungen, etwa wenn es sich um besonders schwerwiegende Fälle handele, stehe der Gewaltschutz über dem Datenschutz. „Da können Fälle durchaus durchs Raster fallen.“ Es hänge an der subjektiven Einschätzung der Beamt:innen, die objektiven Kriterien zu bemessen und Meldung zu machen. Vor der Gesetzesänderung im Juni 2020 wurden den Interventionsstellen 2.000 bis 3.500 Fälle im Jahr durch die Polizei gemeldet. Dunkelziffer viermal so hoch Jedoch zeigen diese Zahlen immer nur die bekannten Fälle. Die Dunkelziffer sei um einiges höher, so Leddin. Deutschlandweit wurden 2019 141.792 Opfer von Partnerschaftsgewalt polizeilich erfasst. Expert:innen vermuten jedoch, dass nur 20 Prozent aller Fälle überhaupt bekannt werden. MVs Sozialministerin Stefanie Drese ruft deshalb gerade in der Corona-Pandemie zu erhöhter Achtsamkeit auf. „Es ist wichtig, Signale von Betroffenen wahrzunehmen oder Opfer von Gewalt auf Hilfsangebote hinzuweisen. Wir müssen hingucken statt weggucken.“ Anti-Gewalt-Wochen im November Um auf Gewalt gegen Frauen und Mädchen und den zugehörigen Aktionstag aufmerksam zu machen, fanden im November landesweit Aktionen und Veranstaltungen statt. So leuchtete beispielsweise das Familienzentrum in Grimmen in Orange. Zudem wurden an mehreren Orten in MV Kerzen bei der Aktion „Für jede von ihnen ein Licht“ entzündet – ein Licht für jede Frau, die im vergangenen Jahr Schutz bei einer Beratungsstelle gesucht hat. Es könne jede treffen, die Tochter, die Kollegin oder Nachbarin, sagt Ulrike Bartel. Es gebe noch viele Baustellen und blinde Flecken im Land. Auch müsse die neue Regierung dringend barrierefreie Plätze in den Frauenhäusern schaffen. Diese sind bislang noch rar und nur in Schwerin verfügbar. „Andere Orte, wie Neubrandenburg und Güstrow, arbeiten daran“, so Bartel. Und sie mahnt: „Schaut nicht weg. Mitunter rettet das frühzeitige Erkennen von Notlagen Leben.“ Dieser Artikel erschien in Ausgabe 2 von KATAPULT MV. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!