Die Katastrophe begann am frühen Vormittag vor einem Jahr. Obwohl die Feuerwehr schnell vor Ort war, konnte sie die brennende Schweinezuchtanlage wegen Einsturzgefahr nur von außen löschen. Im Laufe des Tages griffen die Flammen auf alle 18 dicht aneinandergereihten Ställe über. Der Großbrand vernichtete insgesamt etwa 57.000 Schweine. Gerade einmal 1.500 Tiere konnten gerettet werden. Die Löscharbeiten dauerten zwei Tage. Anwohner:innen berichteten von einer riesigen Rauchwolke und einem Ascheregen. Warum das Feuer genau ausbrach, ist bis heute unklar. Nur ein technischer Defekt konnte mittlerweile ausgeschlossen werden. Die Ermittlungen sollen sich laut einem Sprecher der Staatsanwaltschaft Stralsund mindestens noch bis Mitte dieses Jahres hinziehen. Die Ferkelzuchtanlage wurde bis auf eine Biogasanlage vollständig zerstört. Der Gesamtschaden beträgt rund 40 Millionen Euro. Aufzuchtanlage von Anfang an umstritten Der niederländische Investor Adrianus Straathof begann 2008 mit der Planung der Sauen- und Ferkelaufzuchtanlage auf dem Gemeindegebiet von Alt Tellin. Geplant war die Unterbringung von 10.000 Muttersauen mit jährlich bis zu 250.000 Ferkeln. In der Spitze sollten bis zu 65.000 Schweine in der sechs Hektar großen Anlage leben. Anwohner:innen gründeten daraufhin die Bürgerinitiative „Leben am Tollensetal“. Stoppen konnten sie den Bau der Anlage allerdings nicht. Das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt in Neubrandenburg genehmigte den Bau im Herbst 2010. Die Baukosten veranschlagte Straathof damals mit 16 Millionen Euro. Die Gemeinde erhoffte sich 40 Arbeitsplätze. Ob diese geschaffen werden konnten, ist nicht bekannt. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) klagte im September 2012 gegen die Genehmigung. Das Verwaltungsgericht Greifswald führte Mitte März 2017 eine mündliche Verhandlung durch. Bisher steht ein Urteil noch aus. Das Verfahren ruht momentan. Bis wann, ist unklar. Das Gericht warte derzeit „den Ausgang der Brandermittlung ab“, heißt es auf Nachfrage. Zu diesem Zeitpunkt gehörte der Betrieb schon nicht mehr Straathof. Ende 2014 hatte das Land Sachsen-Anhalt dem Schweinezüchter wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz ein Tierhaltungsverbot erteilt. So wechselten Straathofs Mastanlagen 2015 in die Hände eines Bankenkonsortiums, das als Gesellschafter firmierte. Im Jahr 2020 übernahm schließlich die Terra Grundwerte AG das Unternehmen. Wiederaufbau unwahrscheinlich Der Großbrand war nicht die erste Katastrophe in der Aufzuchtanlage in Alt Tellin. So starben etwa im Sommer 2019 1.000 Ferkel, weil die Lüftungsanlage im Stall ausgefallen war. Der Vorfall wurde erst Monate später öffentlich. Ernsthafte Konsequenzen gab es damals keine. Die über 50.000 Schweine, die vor einem Jahr qualvoll im Feuer ums Leben kamen, fanden jedoch sehr wohl Widerhall, auch politisch. Die Genehmigung vergleichbarer Anlagen hat MVs Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) bis auf Weiteres ausgesetzt. Einen Wiederaufbau des Schweinestalls in Alt Tellin halte er für ausgeschlossen, so Backhaus. Ein Großteil der Technik, die seinerzeit verbaut wurde, sei mittlerweile nicht mehr erhältlich. Das Unternehmen bräuchte deshalb eine neue Baugenehmigung. Die könne voraussichtlich nicht erteilt werden, weil die Gemeinde nach einer Gesetzesänderung ein Vetorecht habe. Der Gemeinderat von Alt Tellin hatte sich nach dem Brand bereits gegen einen Wiederaufbau positioniert. Die Unternehmensgruppe plant indes die Erweiterung ihrer Schweinezucht in Medow, ebenfalls im Landkreis Vorpommern-Greifswald. Die Kapazität soll dort von 15.000 auf 28.000 Tiere erhöht werden. Ein entsprechender Antrag liegt dem Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt Vorpommern in Stralsund seit 2020 vor. Eine Entscheidung sei noch nicht gefallen, so Backhaus. Umweltschützer:innen fordern flächendeckende Brandschutzkontrollen Umwelt- und Tierschutzorganisationen verurteilten die Brandkatastrophe in Alt Tellin scharf. Sie gehen jedoch noch weiter. So kritisierten der BUND und Greenpeace vergangenen Mittwoch erneut den aus ihrer Sicht mangelhaften Brandschutz in Schweinemastanlagen. Dazu veröffentlichten sie ein Rechtsgutachten der Berliner Kanzlei Kremer/Werner. „Alt Tellin ist leider kein Einzelfall“, resümiert die BUND-Landesvorsitzende Corinna Cwielag auf der Grundlage dieses Gutachtens. Brandschutzvorschriften würden regelmäßig systematisch fehlerhaft ausgelegt. Dies gelte vor allem für die Errichtung von Brandschutzwänden und die Feuerfestigkeit von tragenden Wänden und Decken. Die zuständigen Behörden in Mecklenburg-Vorpommern würden „elementare Anforderungen an den Brandschutz“ ignorieren oder „mit großzügigen Erleichterungen“ konterkarieren, so Cwielag. Dahingehend fordert Greenpeace sofortige flächendeckende Kontrollen. „Wir fordern die Landesregierung auf, diesen Wildwuchs zu beenden und bei sämtlichen Nutztierställen den Brandschutz zu überprüfen, damit sich Katastrophen wie in Alt Tellin nicht wiederholen“, ergänzt Martin Hofstetter, der Landwirtschaftsexperte von Greenpeace. Wo ausreichende und realistische Rettungsmöglichkeiten nicht existierten, müssten die Betriebe entweder umgehend nachrüsten oder aber stillgelegt werden. Der Deutsche Tierschutzbund fordert ein komplettes Verbot großer Stallanlagen. „Das Horrorszenario von Alt Tellin mit Zehntausenden verbrannten und erstickten Sauen, Ferkeln und Ebern wurde durch unzureichende Brandschutzmaßnahmen billigend in Kauf genommen. Dass diese Katastrophe offensichtlich nicht der Weckruf war, der es hätte sein müssen, ist unglaublich bitter. So etwas darf nie wieder geschehen!“, sagte die Landesvorsitzende Kerstin Lenz. Die Tiere in Alt Tellin hätten eine deutlich höhere Überlebenschance gehabt, wenn die Haltung beispielsweise über Ausläufe verfügt hätte. Stattdessen seien viele Sauen in Kastenständen fixiert und so Flammen und Rauch hilflos ausgeliefert gewesen, so Lenz. Backhaus: Industrielle Tierhaltung passt nicht zu MV Die Brandkatastrophe von Alt Tellin lenkt die Agrarpolitik Mecklenburg-Vorpommerns in neue Spuren. So spricht sich Landwirtschaftsminister Backhaus mittlerweile gegen die industrielle Massentierhaltung aus: „Der Brand hat uns auf dramatische Weise vor Augen geführt, dass industrielle Tierhaltungsanlagen wie in Alt Tellin nicht in unser Land und nicht in diese Zeit passen. Dieser Auffassung bin ich nach wie vor“, so Backhaus. Auf Landesebene befasst sich seit dem Brand eine Arbeitsgruppe mit dem Thema Brandschutz in Tierhaltungsanlagen. Ein neuer Erlass werde derzeit zwischen dem für Bauen zuständigen Innenressort und dem Landwirtschaftsministerium abgestimmt. Aber auch auf Bundesebene setzt Backhaus sich nun für die Einführung von Obergrenzen in Großanlagen ein. „Die jüngsten Ereignisse machen deutlich, dass bei einem Versagen von Schutzkonzepten mitunter katastrophale Tier- und Wertverluste zu beklagen sind“, erklärt er. Deshalb müsse geprüft werden, ob eine Größenbeschränkung als wesentliche Maßnahme des Tier- und Seuchenschutzes wettbewerbsneutral eingeführt werden könne. Es müsse darum gehen, Brandvorbeugung, Brandbekämpfung und Tierrettung zusammen zu denken. Daher müsse die Baugesetzgebung angepasst werden. Daneben formuliert der Minister weitere Forderungen an die Bundesregierung. Es brauche unter anderem bundesweit einheitliche Bestandsobergrenzen, findet Backhaus. Den Halter:innen, die keine wirtschaftliche Perspektive mehr sehen, müssten finanzielle Anreize gesetzt werden, um den Zuchtbetrieb einzustellen. Zudem sollte der Bund ein staatliches Investitionsprogramm zur artgerechten Tierhaltung auf den Weg bringen, ein staatlich verbindliches Tierwohllabel und eine staatliche verbindliche Herkunftsbezeichnung etablieren. Landesregierung will Größenbegrenzung und praxistaugliche Brandschutzkonzepte Der Minister betonte in der vergangenen Woche außerdem, dass er die Zukunft der Landwirtschaft in der regionalen Versorgung der Menschen sehe. Dafür gab es Zustimmung aus den Reihen der Regierungskoalition. „Nicht erst mit der Brandkatastrophe haben sich viele Argumente der Gegner und Kritiker solcher riesigen Stallanlagen auf grausame Weise bestätigt“, erklärte etwa Jeannine Rösler, Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Landtag, am Dienstag. Nun gebe es endlich eine Mehrheit im Landtag, „die eine Abkehr von industrieller Tierhaltung befürwortet und Tierhaltung ohne landwirtschaftliche Fläche als Relikt der Vergangenheit sieht“, so Rösler. Ziel der rot-roten Koalition sei nun die Durchsetzung einer Größenbegrenzung und praxistauglicher Brandschutzkonzepte für Stallneubauten. „Mit uns wird es Stallanlagen wie Alt Tellin nicht mehr geben“, verspricht Elisabeth Aßmann, agrarpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Stallanlagen sollen in Zukunft wesentlich kleiner als in Alt Tellin ausfallen und den untergebrachten Tieren mehr Platz bieten. In der kommenden Woche wird der Landtag das Thema anlässlich des Jahrestags der Brandkatastrophe beraten. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!