Das Grab des ältesten Norddeutschen war voller Blumen. Um genauer zu sein, lag es unter einer Blühwiese am Duvenseer Moor in Schleswig-Holstein. Mitte Oktober entdeckten Archäolog:innen hier Knochen des bisher ältesten Norddeutschen. Den Forschenden zufolge lebte er vor 10.500 Jahren. Laut dem Archäologischen Landesamt Schleswig-Holstein gab es damals entlang der Ostsee viele Seen. Ihre flachen Ufer wurden zunehmend von Pflanzen überwuchert. So konnten Moore entstehen, in deren Wasser das tote Pflanzenmaterial erhalten blieb. Doch auch Werkzeuge, Waffen und Knochen wurden dort über Jahrtausende konserviert. Wie Zeitkapseln liegen sie heute im Torf. Auch in Meck-Vorp! Tatsächlich werden in unserem Bundesland ebenfalls zahlreiche Funde in Mooren gemacht, manche wurden aufwendig ausgegraben. Die wohl spektakulärsten sind ein Spechtloch, ein Waffenarsenal, Transportwege und ein Schlachtfeld. Das älteste Loch Klar, Spechtlöcher gibt es viele. Aber auch unter den Spechten ist es wohl etwas Besonderes, das älteste gebaut zu haben. Das älteste erhaltene Spechtloch in Mecklenburg-Vorpommern entdeckten Forschende 2014 in Beckentin (Landkreis Ludwigslust-Parchim) im Vorfeld des Baus der Autobahn 14. Während der Ausgrabung fanden sie eine Reihe von Baumstämmen, die perfekt vom Moor konserviert worden waren. Klar sichtbar in einem der Stämme: ein sechs mal vier Zentimeter großes Spechtloch.
Sie datierten es auf stolze 125.000 Jahre, womit es bei Weitem älter ist als die in Schleswig-Holstein gefundenen Knochen. Spuren von menschlicher Aktivität ließen sich in diesen Torfschichten jedoch nicht nachweisen. Waffen, die Geschichte erzählen Der Fundplatz Hohen Viecheln (Nordwestmecklenburg) am Schweriner See ist seit den Fünfzigerjahren weithin bekannt. Archäolog:innen fanden dort eine der umfangreichsten Sammlungen von Knochenspitzen und aus Knochen geschnitzten Masken. Sowohl in die Knochen als auch in die Masken waren Linien und geometrische Muster zur Verzierung eingeschnitzt. Jedoch hatten die Forschenden ein Problem. Durch Wasserschwankungen im Schweriner See war der Fundplatz durchmischt worden: Ältere Funde lagen über jüngeren. Erst 2015 konnte ein Forschungsteam das Waffenarsenal zeitlich einordnen und es mit denen aus anderen Ländern vergleichen. Denn den Forschenden ging es, wie sie selbst erklärten, nicht um die einzelnen Schätze, sondern um die Menschheitsgeschichte, die sie erzählen. Verkehrsknotenpunkt Laage Ein anderer Fund in einem Moor bei Laage im Landkreis Rostock erzählt genau solch eine Geschichte. 2015 wurden hier mehrere Wege entdeckt. Anscheinend war Laage zu slawischer Zeit in das überregionale Transportnetz eingebunden. Ja, es galt sogar als ein regelrechter Verkehrsknotenpunkt. Um die 100 Meter breite Recknitzniederung überqueren zu können, errichteten die Menschen zwischen dem 6. und 12. Jahrhundertdort feste Wege. Diese bestanden aus mehreren Schichten Holz und Kies und führten direkt über den Torf des Moores. Der größte und älteste Gewaltkonflikt weltweit Im Flusstal der Tollense wiederum hatten Ausgrabungen zunächst menschliche Knochen zutage gefördert. Welcher Fund sich daraus noch ergeben würde, konnten die Forscher:innen zum dem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Im Gelenkende eines der Knochen entdeckten sie eine Pfeilspitze aus Feuerstein. Zweifellos habe diese die Person mit Wucht getroffen. Nach anfänglich wilden Hypothesen über den Tathergang wollten die Forschenden mehr über die Fundstelle herausfinden und öffneten 60 Quadratmeter Fläche. Was sie fanden, war ein Schlachtfeld.
Etwa 1,20 Meter unter der Oberfläche bargen sie zahlreiche Knochen von Männern und Pferden. In den Knochen steckten noch Pfeilspitzen, manche wiesen auch Spuren von Hieben auf. An einigen Schädeln entdeckten die Forschenden Abdrücke stumpfer Gegenstände, wie etwa von Holzkeulen. Mindestens 140 bis 150 Menschen waren bei einem bronzezeitlichen Kampf an diesem Ort ums Leben gekommen. Heute schreibt die Landesarchäologie MV über den Fund, es stehe außer Frage, dass er das Zeugnis eines großen Gewaltereignisses sei. Soweit nachweisbar, sogar der größte und älteste Gewaltkonflikt weltweit. Archäologie ist nicht nur Ausgrabung Auch wenn regelmäßig neue Funde in Mooren gemacht werden, finden in MV aktuell keine Ausgrabungen statt. „Die Archäologie wird in der Öffentlichkeit immer gerne als Ausgrabung verstanden. In Wirklichkeit aber geht es darum, dieses Kulturerbe im Boden zu erhalten. Nur wenn das nicht möglich ist, dann gräbt man aus“, erklärt Detlef Jantzen, MVs Landesarchäologe.
In Meck-Vorp gibt es ein dichtes Netz von 250 ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger:innen. Diese begehen regelmäßig Acker- und Moorflächen. Stoßen sie auf einen Gegenstand, melden sie dem Archäologischen Landesamt die Art und Größe des Fundes. Zu einer Ausgrabung, so Landesarchäologe Jantzen, komme es nur in zwei Fällen: Zum einen, wenn es sich um eine Rettungsgrabung handelt. Das ist dann der Fall, wenn der Fund beispielsweise durch Baumaßnahmen gefährdet ist und nur durch eine Grabung gerettet werden kann – so wie beim Spechtloch vor dem Bau der A 14. Oder zum anderen, wenn ein besonderes Forschungsinteresse vorliegt: Um wirklich zu verstehen, was sich im Boden befindet und es wissenschaftlich einordnen zu können, muss es ausgegraben werden – wie beim Schlachtfeld im Tollensetal. Archäolog:innen brauchen nasse Moore Eine Ausgrabung muss gründlich geplant und sorgfältig vorbereitet werden. Die Grabung kann von der Landesarchäologie selbst, Fachfirmen oder Universitäten durchgeführt werden. Aber von Beginn an muss feststehen, was im Anschluss mit den Erkenntnissen und den Funden geschieht. Denn die wissenschaftliche Auswertung zieht sich oft über Jahre hin. „Solange dies nicht geklärt ist, ist es besser, nicht zu graben“, weiß Jantzen.
Das Ziel der Landesarchäologie MV ist es also grundsätzlich, die Funde an Ort und Stelle zu erhalten. Deshalb, so Jantzen, „ist es sehr gut, wenn Moore intakt bleiben, weil Moore organische Materialien über Jahrtausende bewahren“. Nasse Moore seien ein Archiv der regionalen Landesgeschichte, erklärt er. Der Erhalt von Mooren beziehungsweise ihre Wiedervernässung sind aus Naturschutzsicht, aber „auch aus Sicht des Denkmalschutzes eine positive Entwicklung“. Dieser Artikel erschien in Ausgabe 14 von KATAPULT MV. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!