Als eines „der drängendsten Probleme der Wirtschaft“ bezeichnete Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) unlängst die Gewinnung von Fachkräften in MV. Gerade in der Pflege sei der Mangel am meisten zu spüren. Im gesamten Bundesland fehlen nach Angaben der Krankenhausgesellschaft MV (KGMV) Fachkräfte an den Kliniken. Nicht nur in Pflege und Therapie, sondern auch im ärztlichen Bereich. Die Universitätsmedizin Rostock sieht den größten Bedarf bei sich im Bereich der Pflege, jedoch auch bei Fach-, Ober- und Assistenzärzt:innen verschiedener Fachrichtungen. Ähnliches gilt für die Universitätsmedizin Greifswald. Mit der hohen Zahl an Ukraine-Geflüchteten, die wegen des russischen Angriffskrieges seit Ende Februar auch nach MV gekommen sind, kamen viele Menschen mit hohem Qualifikationsniveau. Das Forschungsinstitut IAB geht nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit davon aus, dass 50 Prozent der aktuell Schutzsuchenden einen Hochschulabschluss haben, die Menschen damit also überdurchschnittlich hoch qualifiziert sind. Eine Erklärung für die Hoffnung vieler Branchen, zur Deckung ihres Fachkräftebedarfs auf Geflüchtete aus der Ukraine zurückgreifen zu können. Potenzial vorhanden, Nachfrage bisher nicht Auch das deutsche Gesundheitswesen könne „von der Zuwanderung ukrainischer Fachkräfte profitieren“, ist sich die KGMV sicher. Immerhin hätten die meisten momentan Schutzsuchenden einen sozialen, medizinischen und technischen beruflichen Hintergrund, so die Chefin der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit, Margit Haupt-Koopmann. Das Potenzial ist also vorhanden. Was das Interesse vonseiten der Geflüchteten betrifft, so zieht die Regionaldirektion Nord jedoch aktuell eine ernüchternde Bilanz. Bisher hätten sich in ganz MV über alle Bereiche hinweg erst 90 Ukraine-Geflüchtete als arbeitssuchend gemeldet. Laut Pressesprecher Horst Schmitt eine „verschwindend geringe Anzahl“. Trotzdem gehe die Bundesagentur davon aus, dass die Zahl noch deutlich zunehme. Allerdings sei „aufgrund der vielen Unwägbarkeiten – etwa die weitere Entwicklung des Krieges in der Ukraine – keine konkrete Prognose möglich“, so Haupt-Koopmann. Die meisten möchten zurück in die Ukraine Darüber, wie Ukraine-Geflüchtete einer Arbeitsaufnahme gegenüberstehen, geben Gespräche in den Arbeitsagenturen beziehungsweise über die bundesweite Servicehotline Aufschluss. So denke ein Drittel der Menschen „aufgrund ihrer aktuellen Lebensumstände noch nicht an eine Arbeitsaufnahme“, erzählt Haupt-Koopmann. Da stünden erst mal Wohnmöglichkeiten oder die medizinische Versorgung im Vordergrund. Ein weiteres Drittel wolle „so schnell wie möglich einen Job – unabhängig von der eigenen Qualifikation“. Dabei gehe es vor allem darum, „möglichst rasch Geld zu verdienen“. Sich in Deutschland dauerhaft eine neue Perspektive aufzubauen, könne sich nur das verbleibende Drittel der Schutzsuchenden vorstellen. Diese Gruppe habe demnach auch ein besonderes Interesse „an Sprachkursen und der Anerkennung der eigenen beruflichen Abschlüsse“. Haupt-Koopmann mahnt jedoch auch, realistisch zu bleiben. Zentral bleibe immer „die Frage nach dem weiteren Verlauf des Krieges und den Rückkehrwünschen und -möglichkeiten der Geflüchteten“. Jeden Tag gehe der Blick in die Ukraine, es werde die Lage gecheckt, ergänzt Pressesprecher Schmitt. „Der größte Teil der Geflüchteten möchte – sobald die Lage dies erlauben sollte – zurück in die Ukraine“, ist sich Haupt-Koopmann sicher. Darauf weist auch die KGMV hin. Beratungs- und Informationsangebote der Unikliniken Dass es in MV durchaus Geflüchtete aus der Ukraine gibt, die hier gerne im Gesundheitswesen, in ihren eigenen Berufen tätig werden möchten, zeigte sich beispielsweise an der Unimedizin Greifswald. In Kooperation mit der Arbeitsagentur und der Gesellschaft für nachhaltige Regionalentwicklung und Strukturforschung (Genres) fand Anfang Mai eine Informationsveranstaltung zu Jobaussichten und Unterstützungsmöglichkeiten statt. Sie seien „im Vorfeld etwas unsicher wegen der relativ geringen Teilnehmendenzahl“ gewesen, berichtet Pressesprecher Christian Arns. Doch habe sich „im Verlauf gezeigt, dass die Veranstaltung in der Gruppengröße durchaus sinnvoll“ gewesen sei. Vor allem habe es so Zeit für individuelle Auskünfte und Nachfragen zu Details gegeben. Auch die Rückmeldungen der Teilnehmenden seien positiv ausgefallen. Es soll weitere solcher Angebote geben. Auch an der Unimedizin Rostock besteht ein Informationsangebot für Ukraine-Geflüchtete. Allerdings online über die Website der Klinik. Zusätzlich gebe es jetzt auch eine feste Ansprechpartnerin dafür, so Pressesprecherin Susanne Schimke. Zwei Krankenschwestern hätten sich bereits beworben. Auch die Unimedizin Greifswald spricht von vereinzelten, sehr spezifischen Nachfragen von Geflüchteten, etwa in der Pflege oder im ärztlichen Dienst. Anerkennung der Berufsqualifikation notwendig Möchten Ukraine-Geflüchtete ihrem Gesundheitsberuf auch in MV weiter nachgehen, so erscheint eine Beratung sinnvoll. Diese bieten beispielsweise die drei IQ-Servicestellen Migra für die Rostocker Region und Vorpommern-Rügen, der gemeinnützige Verbund für soziale Projekte (VSP) für Westmecklenburg und Genres für die Mecklenburgische Seenplatte und Vorpommern-Greifswald. Geflüchtete aus der Ukraine können in ganz Deutschland nämlich nicht einfach als Pflegefachkräfte oder Ärzt:innen arbeiten. Bei beiden Heilberufen handelt es sich um sogenannte reglementierte Berufe, erklärt Genres. Um darin tätig werden zu dürfen, muss ein im Ausland erworbener Berufsabschluss in Deutschland als gleichwertig anerkannt werden. Die Inhalte der jeweiligen deutschen und ausländischen Ausbildung werden verglichen, aber auch „Berufserfahrungen sowie Fort- und Weiterbildungen berücksichtigt“. Für diese berufliche Anerkennung muss ein Antrag gestellt werden – für Pflegefachkräfte und Ärzt:innen beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lagus) in Rostock. Dieses entscheidet dann über die Anerkennung als Pflegefachkraft beziehungsweise Ärzt:in, Letzteres in Zusammenarbeit mit der Ärztekammer. Eingereicht werden muss unter anderem ein Sprachzertifikat. Ohne das ist keine Anerkennung möglich. Bis zu anderthalb Jahre Sprachkurs nötig Den Angaben der Regionaldirektion Nord der Arbeitsagentur zufolge spricht die große Mehrheit der Ukraine-Geflüchteten kein Deutsch. Von den 90 in MV als arbeitssuchend Gemeldeten verfügen lediglich 17 über Deutschkenntnisse. In welchem Umfang, ist nicht bekannt – gut 80 Prozent haben jedoch gar keine. Hier benötige es „ein ausreichendes Angebot“ an Integrationskursen, so Haupt-Koopmann. Die Teilnahme daran muss beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) beantragt werden. In MV gibt es nach Angaben des Bamfs derzeit 53 zugelassene Integrationskursträger. Mit dessen eigener Suchfunktion lassen sich in MV in 15 Städten insgesamt 1.452 Plätze in allgemeinen Integrationskursen finden, die dieses Jahr beginnen. Davon sind derzeit noch 596 Plätze frei. Mit bestandener Abschlussprüfung erhalten Teilnehmende das „Zertifikat Integrationskurs“. Für die Anerkennung als Pflegefachkraft oder Ärzt:in ist der Spracherwerb an dieser Stelle, nach circa sieben Monaten Kurs, jedoch noch nicht vorbei, wissen die Berater:innen bei Genres. Denn für beide Berufe ist mindestens ein B2-Zertifikat notwendig. So muss also im Anschluss an den Integrationskurs noch ein B2-Kurs belegt werden. Dauer: etwa sechs Monate. Für Ärzt:innen geht es dann noch weiter, mit einem Fachsprachenkurs von mindestens fünf Monaten. Mit allen zu belegenden Kursen und unter der Voraussetzung des Bestehens aller Prüfungen ergibt sich so eine Spracherwerbsdauer von 18 Monaten für Ärzt:innen und 13 Monaten für Pflegekräfte. Gerade „im Gesundheitsbereich sind fundierte Sprachkenntnisse – angesichts des Arbeitsfeldes – elementar“, findet die Bundesagentur für Arbeit. Das sieht auch die KGMV so und erklärt: „Richtiges Verstehen ist wichtig für erfolgreiche Diagnostik und Therapie. Richtiges Sprechen ist wichtig für das Vertrauen der Patienten.“ Keine, wesentliche oder zu viele Unterschiede Der Weg zur beruflichen Anerkennung ist also ein längerer Prozess. So auch die Einschätzung der Berater:innen bei Genres. Der Spracherwerb ist dabei nur ein (zeitraubendes) Problem: Parallel läuft zudem die eigentliche Antragstellung beim Lagus. Von der Antragstellung bis zum Bescheid müsse mit einer Dauer von circa vier Monaten gerechnet werden. Die Verfahren seien „zu kompliziert und bürokratisch und dauern zu lange“, urteilt KDMV-Geschäftsführer Uwe Borchmann. Für das Ergebnis des Anerkennungsverfahrens gibt es am Ende drei Möglichkeiten: Ein Beruf wird anerkannt, wenn bei der Gleichwertigkeitsprüfung keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Berufsqualifikationen festgestellt werden können. Gibt es diese doch, müssen noch entsprechende Anpassungsmaßnahmen, Kenntnis- oder Eignungsprüfungen durchgeführt werden. Bestehen zu viele Unterschiede und ist eine Gleichwertigkeit der Abschlüsse nicht gegeben, so wird die berufliche Anerkennung abgelehnt. Da für die Ausübung der Berufe eine Genehmigung beziehungsweise Zulassung nötig ist, darf im Falle der Ablehnung auch nicht in diesen Berufen gearbeitet werden, so die Beratungsexpert:innen von Genres. Dass Integration „immer Zeit und entsprechend langen Atem“ erfordert, weiß man auch an der Unimedizin Greifswald. Trotzdem sei man davon überzeugt, dass alle profitieren, wenn Geflüchteten eine Perspektive geboten wird  und sie zugleich unterstützt werden. Deshalb hat die Klinik sich Gedanken darüber gemacht, wie die Menschen aus der Ukraine auch schon vor Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse eingebunden werden könnten. So sind laut Pressesprecher Christian Arns beispielsweise Hospitationen im ärztlichen Bereich denkbar oder Hilfstätigkeiten in der Pflege. „Das muss immer im Einzelfall entschieden werden.“ Und auch einen Sprachkurs bietet die Unimedizin Ukraine-Geflüchteten an. Das sei natürlich nicht gleichzusetzen mit einem Integrationskurs, doch zum Einstieg in die deutsche Sprache auf jeden Fall geeignet. Dieser Artikel erschien in Ausgabe 8. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!