Die Kinder von Mark Thomas essen mittags nicht in ihrer Kita. Noch vor dem Mittagessen – in der Regel gegen 10:30 Uhr – holt er sie wieder vom Kindergarten ab. Ein Grund: Das Speisenangebot der von der Volkssolidarität Uecker-Randow getragenen Einrichtung entspricht aus seiner Sicht nicht ihren Bedürfnissen. „Ich möchte, dass meine Kinder ein Essen bekommen, das qualitativen und auch wissenschaftlich geprüften Anforderungen entspricht“, fordert er. Zusammensetzung und der Nährstoffgehalt sollen stimmen und die Entwicklung bestmöglich unterstützen. Stattdessen beobachtet Thomas „eine Fleisch- und Kartoffellast“ auf dem Speiseplan. Und wenn es mal kein Fleisch gebe, würden in der Regel Süßspeisen angeboten. Gesunde Ernährung als „wesentlicher Baustein“ der Entwicklung Darauf, wie wichtig es ist, auf eine gesunde Ernährungsweise bereits im Kindergartenalter zu achten, weist die Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung MV der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) hin. In den ersten fünf Lebensjahren, also auch in der Kita, gewöhnen sich die Kinder an ihre Lebensumstände und werden geprägt, erklärt Katharina Kutzner, bei der Vernetzungsstelle zuständig für die Kitaverpflegung. Die Kinder lernen also in der Kita, wie gegessen wird und was schmeckt. Der Güstrower Kindermediziner Steffen Büchner pflichtet ihr bei: Die Prägung erfolge an den Orten, „an denen Kinder weitestgehend ernährt werden“. Die Verpflegung in der Kita bildet damit einen „wesentlichen Baustein“, wenn es um die Gesundheit von Kindern geht, so der Facharzt. Aus diesem Grund sei es besonders wichtig, den Kindern abwechslungsreiche Angebote zu machen, damit sie unterschiedliche Dinge kennenlernen und „größtmögliche Berührungspunkte“ mit gesundem Essen haben, betont Kutzner. Von diesem Bildungseffekt ist Mark Thomas ebenfalls überzeugt, sieht ihn allerdings teilweise ins Gegenteil verkehrt. In der Kita werde zwar das regelmäßige Essen trainiert, was erst mal positiv sei, jedoch gewöhnten sich die Kinder beim dort vorhandenen Speisenangebot leider auch langfristig eine ungesunde Ernährungsweise an. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Kita auch als Bildungseinrichtung verstanden werde, sei das eigentlich nicht hinnehmbar, findet er. Ernährungsbildung als Bestandteil des Kitaalltags Eine Kita hat zweifelsfrei einen Bildungsauftrag, auch in Bezug auf die Ernährung der Kinder. Ernährungsbildung ist da laut Katharina Kutzner das Stichwort. Es sei die Aufgabe der Erzieher:innen, sich auch um das Essverhalten der Kinder zu kümmern. Es soll die Chance bestehen, dass Kinder grundlegende Dinge erlernen und sich daran gewöhnen. Was ist eine Banane? Wie sieht Brokkoli aus? Kann man grüne Salatblätter tatsächlich essen? Deshalb fordert die Vernetzungsstelle auch, dass Ernährungsthemen schon in der Erzieher:innenausbildung eine Rolle spielen. Die kindliche Entwicklung ist bereits Teil der Landesgesetzgebung. So ist im Kindertagesförderungsgesetz MV in Paragraf 3 festgelegt, dass zum einen „Körper, Bewegung, Gesundheit und Prävention“ Aufgabe frühkindlicher Bildung sind. Zum anderen aber auch „die Anleitung zur gesunden Lebensführung“, eben gesunde Ernährung und Bewegung dazugehören. Weiterhin heißt es, dass „eine vollwertige und gesunde Verpflegung von Kindern bis zum Eintritt in die Schule während der gesamten Betreuungszeit“ integraler Bestandteil des Leistungsangebots von Kindertageseinrichtungen sei. Dabei „soll sich an den geltenden Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung“ orientiert werden. Darauf weist auch explizit die Bildungskonzeption des Landes für 0- bis 10-jährige Kinder hin, die gesunde Ernährung ebenfalls als festen Bestandteil definiert. Die Empfehlung: viel Gemüse, wenig Fleisch Doch was heißt das nun konkret? Die DGE hat speziell für die Verpflegung in Kitas einen Qualitätsstandard entwickelt, an dem sich alle Beteiligten orientieren können. Darin enthalten sind, „basierend auf der aktuellen wissenschaftlichen Datenlage, die Kriterien für eine optimale, gesundheitsfördernde und nachhaltige Verpflegung“. Diese soll den Kindern einerseits gut schmecken und andererseits der Prägung ihrer Sinne dienen. Während vielfältige Geschmäcker und Gerüche „das sensorische Gedächtnis“ prägen, spielen auch Konsistenz, Aussehen und das Hörerlebnis eine Rolle. Verzichtet werden soll dabei auf Geschmacksverstärker und Süßungsmittel, da durch diese der „Sinn für die Geschmacksvielfalt natürlicher Lebensmittel verloren“ ginge. Und auf Formfleischprodukte wie Formschinken, da es sich dabei nicht um natürliche beziehungsweise naturbelassene Lebensmittel handelt. Auf den Speiseplan in der Kita gehört dementsprechend vor allem jeden Mittag Gemüse. Das sei wichtig, erklärt Kutzner. Es könne entweder gekocht oder roh angeboten werden. „Rohkost hat den zusätzlichen Effekt, dass die Kinder das Kauen lernen.“ Dazu kommt zweimal wöchentlich Obst. Auch Milchprodukte sollen der DGE zufolge angeboten werden. Laut Kutzner stehe da unter anderem der Calciumbedarf beim Knochen- und Zahnaufbau im Fokus. Wichtig sei es aber, auch hier auf natürliche und abwechslungsreiche Angebote ohne Zucker oder Süßungsmittel zu setzen, etwa auf Buttermilch, Quark oder Naturjoghurt. Und Fisch dürfe auch nicht fehlen, meint die Expertin. Einmal die Woche gehöre der auf den Mittagstisch. Und zwar nicht paniert als Fischstäbchen. Der Speiseplan kann zusätzlich einmal pro Woche durch mageres Fleisch ergänzt werden. Die Realität: an 15 von 21 Tagen Fleisch Ein Blick auf die Speisepläne der Volkssolidarität Uecker-Randow gibt Aufschluss darüber, wie weit der Träger und damit auch die Kita von Mark Thomas’ Kindern noch von den Empfehlungen der DGE entfernt ist. Zu sehen zum Beispiel am Plan der Kita für Juni, der KATAPULT MV vorliegt. An 15 von 21 Tagen gab es für die Kinder Fleisch, an zwei Tagen Süßspeisen, an vier Tagen zum eigentlichen Gericht noch einen süßen Nachtisch. Fisch stand gar nicht auf dem Speiseplan. Mit diesem Umstand wollte sich Thomas schon vorher nicht zufriedengeben. Er habe sich bereits im vergangenen Jahr an die Küche, die Leitungsebene und schließlich an die Volkssolidarität und deren Vorstandsvorsitzenden Patrick Dahlemann (SPD) gewandt, erzählt er. Es sei auch ein Gespräch zustande gekommen. Dahlemann habe ein Treffen organisiert, zwischen Träger, Kitaleitung, Küche – die ebenfalls von der Volkssolidarität Uecker-Randow betrieben wird – und ihm, erinnert sich Thomas. Dahlemann selbst sei nicht dabei gewesen. Thomas wandte sich, fachliche Unterstützung für das Zusammentreffen suchend, an die Vernetzungsstelle und die dort zuständige Katharina Kutzner. Leider sei nach dem Gespräch aus seiner Sicht wenig bis gar nichts passiert. Seinen Versuch, in der Kita etwas zu verändern und damit ein Mittagessen dort auch für seine Kinder wieder attraktiv zu machen, sieht er bisher als mehr oder weniger gescheitert an. Umstellung braucht Zeit Dass es für die Träger, die für die Verpflegung in den Einrichtungen zuständig sind, schwer ist, das Angebot umzustellen, darauf weist die Vernetzungsstelle bewusst hin. Sie unterstützt, wenn die Beteiligten das möchten, eine solche Umstellung aktiv. Zum Beispiel durch individuelle Beratungen oder Seminare. Die Entwicklung hin zu einer bedarfsgerechteren Verpflegung müsse jedoch als Prozess begriffen werden. „Es muss nicht alles schnell und sofort verändert werden“, weiß Katharina Kutzner. Und alles könnten die Kitas natürlich auch nicht leisten. Allerdings scheiterten viele Veränderungen daran, „dass es schnell gehen soll und alle schnell zufrieden sein wollen“, beschreibt sie ihre Erfahrungen. Dabei brauchen nicht nur die Einrichtungen und Träger Zeit, sondern auch die Kinder. In der Prägungsphase lassen sich Gewohnheiten von Kindern wieder ändern, erzählt Kinderarzt Steffen Büchner, auch der Geschmack. Allerdings müsse dafür Geduld aufgebracht werden. Speisen müssten wiederholt angeboten und die Gruppendynamik dürfe nicht unterschätzt werden. Und Vorbilder seien ebenfalls „von essenzieller Bedeutung“, ergänzt Ernährungsexpertin Kutzner. Wenn also beispielsweise die Erzieher:innen selbst eine ablehnende Einstellung gegenüber der Verpflegung zeigen, so bleibt das den Kindern meist nicht verborgen. Andersherum funktioniert das natürlich auch, weiß sie. Es gebe Einrichtungen, bei denen die Umstellung klappe. Zumeist werde mit der Integration von Vollkornprodukten in den Speiseplan begonnen, was einen schnellen ersten Erfolg bringe. Die gleichen Speisen für Alte und Junge? Bei der Volkssolidarität Uecker-Randow gibt es neuerdings ab und zu Vollkornnudeln. Eine der wenigen Veränderungen, die Mark Thomas nach dem Gespräch feststellen konnte. Auf Nachfrage zum Essensangebot und zu den Qualitätsstandard der DGE verweist die Volkssolidarität auf die werktags von ihr versorgten 1.500 Menschen, die aus einem „breit gefächerten“ Kund:innenkreis stammten. Dieser umfasse nicht nur Kitas, sondern beispielsweise auch Pflegeeinrichtungen. Außerdem zeige der stetige Zuwachs der Kund:innen die Beliebtheit des Angebots. Auf die Nachfrage, inwieweit Beliebtheit eine Aussage über die Bedarfsgerechtigkeit des Angebots zulasse, antwortete die Volkssolidarität nicht. Jedoch optimiere man stets das Speisenangebot hinsichtlich des Qualitätsstandards der DGE. Allerdings sei dieser Standard zum einen nicht verpflichtend, zum anderen müsse die Volkssolidarität aufgrund ihres Kund:innenkreises auf drei DGE-Empfehlungen gleichzeitig achten. Die Frage, ob das bedeute, dass für Kitakinder und Senior:innen, trotz unterschiedlicher Anforderungen, jeden Monat die gleichen Gerichte angeboten würden, lässt die Volkssolidarität ebenfalls unbeantwortet. Die betroffene Kita reagierte auf eine Gesprächsanfrage von KATAPULT MV nicht. Am Ende entscheidet der Wille Neben den Einrichtungen, den Trägern, den Kindern und Eltern spielen beim Thema Kitaverpflegung auch die Caterer beziehungsweise Küchen eine große Rolle. Während die Volkssolidarität ihr Essen aus eigenen Großküchen erhält, gibt es in MV Kitas mit eigener Frischküche, wie die Kita Spatzennest in Lützow (Nordwestmecklenburg). Andere beziehen ihr Essen von externen Caterern. Ein solcher externer Lieferant ist Gran Gusto aus Greifswald. Seit 2013 kocht Chefin Magdalena Krakowiak mit ihrem Team für Kitas. Entstanden ist ihr Geschäft aus einer ähnliches Situation heraus, wie sie Mark Thomas aktuell erlebt. Sie habe das Essen in Kitas damals als sehr einseitig empfunden, erzählt sie. Wenn das eigene Kind in die Kita komme, dann frage man sich ganz automatisch, was es dort eigentlich zu essen gebe. Gran Gusto verfolgt mittlerweile ein sehr striktes Konzept: Es wird nur verwendet, was bio, regional und saisonal ist. Alles wird selbstgemacht, von der Gemüsebrühe bis zu eingelegten Gurken. „Wir kaufen nichts Fertiges, keine industriell verarbeiteten Lebensmittel“, also keine Convenience-Produkte, sagt Krakowiak. Es werde im Winter höchstens mal auf Tiefkühlgemüse zurückgegriffen, aber das sei eine Ausnahme. Damit die Portionen nicht zu teuer werden, denn die Kosten für die Verpflegung tragen die Eltern, müssten dann Prioritäten gesetzt werden. Aktuell kochen sie in ihrem Gebäude in der Steinbeckerstraße 340 Portionen am Tag und beliefern damit zehn Kindertageseinrichtungen im nahen Umfeld. Dass es das Unternehmen mit seinem Konzept ernst meint, zeigt sich unter anderem an den Zertifizierungen, die bereits erhalten hat. Gran Gusto ist mittlerweile sowohl Bio- als auch DGE-zertifiziert. Das sei zwar ein großer Aufwand gewesen, habe sich aber gelohnt, findet Krakowiak. Und es mache, zum Beispiel im Umgang mit Einrichtungen oder Eltern, vieles leichter. „Bei uns gibt es nur einmal im Monat Fleisch, Fisch dagegen einmal die Woche.“ Eine Entscheidung, die beispielsweise mit dem Preis guten Fleisches zu tun habe. Ansonsten setze Gran Gusto auf eine vollkommen pflanzenbasierte Verpflegung. Da sei sehr viel möglich. Man müsse sich bloß echte Gedanken dazu machen. Gerade die Tatsache, dass es verhältnismäßig selten Fleisch gebe, habe aber auch schon zwei Einrichtungen wieder abspringen lassen, erinnert sich Krakowiak. Eltern hatten deshalb interveniert. Dabei seien die Kinder auch mit einer pflanzlichen Ernährung vollkommen bedarfsgerecht versorgt, bekämen alle wichtigen Nährstoffe. Das zeigten nun auch die Zertifikate deutlich. Kinderarzt Steffen Büchner bestätigt dies ebenfalls. „Kinder sind bei einem gänzlich vegetarischen Speisenangebot gut versorgt“, weiß er. Aus medizinischer Sicht spreche also überhaupt nichts dagegen. Warum gibt es dann trotzdem viele Eltern, die – im Gegensatz zu Mark Thomas – ein Mittagessen ohne Fleisch für nicht ausreichend halten? Alte Gewohnheiten schlagen da durch, vermutet Büchner. Oder, wie Katharina Kutzner es formuliert: „Fleisch ist drin in den Köpfen.“ Wenn dann der nötige Wille zu einer Umstellung fehle, sei es sehr schwierig, tatsächlich etwas zu ändern. Wenn Kita, Träger, Eltern und Caterer jedoch an einem Strang ziehen, dann war es noch nie so einfach wie heute. Dieser Artikel erschien in der zehnten Ausgabe von KATAPULT MV. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. 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