Der Kurzfilm Fru-Fru!, eingereicht von der 24-jährigen Anastasija Kretzschmar, begleitet den Protagonisten auf einer Reise zu sich selbst. Geboren als Erdbeere mit Ananasgeschmack, passt er so gar nicht zu den anderen Fruchtkindern. Die sehen nämlich genauso aus wie ihre Eltern, also entweder wie eine herkömmliche Erdbeere oder wie eine Ananas. Als einzige helle Erdbeere in der Stadt ist Fru-Fru also anders: Er sieht ungewöhnlich aus, spricht mehrere Sprachen und trägt einen originellen Namen. Und was passiert mit Kindern, die anders sind als der Rest? Sie werden oft ausgegrenzt und auf ihr Anderssein reduziert. So auch die Erdbeere im Werk der Animationsfilmerin aus Berlin. Die Kommentare von missgünstigen Ananassen in den ersten Szenen des knapp sechsminütigen Kurzfilms fachen die Unsicherheit des jungen Protagonisten an. Eine wichtige Frage drängt sich in den Vordergrund: Wer bin ich und wo gehöre ich hin? In der Mitte sitzend schaut die kleine Erdbeere in zwei Spiegel und sieht sich sowohl als Ananas als auch in rot, ihrer Mutter gleichend. Fru-Fru ist zuhause, möchte aber heim. Er fühlt sich zerrissen und weiß nicht wohin. Er erinnert sich an eine Zeit, in der es nur ihn und seine Eltern gab – und noch alles gut war. Doch dann gehen seine Eltern auf einmal getrennte Wege und eine Schlüsselszene des Films offenbart sich dem Publikum. Fru-Fru muss sich entscheiden. Oder etwa nicht? Liebevoll eingepackt wird der Weg von Fru-Fru durch farbenfrohe Animationen und sanften Sound. Die Formen der Früchte wirken grob und ulkig, die Figuren tragen riesige Augen in ihren uniformen Gesichtern. Ihr Aussehen wird personifiziert durch Arme und Beine und auch das Setting bekommt einen Realitätsbezug. Wir folgen Fru-Fru auf einen Spielplatz, an Häusersiedlungen vorbei auf eine Sportanlage, wo er mit anderen Erdbeerkindern um die Wette läuft. Dabei wird der Plot begleitet durch eine Frauenstimme aus dem Off. Sie erzählt aus Sicht des Protagonisten auf Deutsch, während die Figuren im Kurzfilm in fiktiven Sprachen kommunizieren.

Kretzschmar nutzt darüber hinaus vielfältige Symbole bei der Animation ihres Films. So erhält die Darstellung trotz des kindlichen Zeichenstils eine visuelle Tiefe, geschmückt durch kleine Details hier und da. Und das kommt nicht von ungefähr: Laut Regisseurin dauerte die Animation des Films rund vier Monate, die Vorarbeit sogar rund eineinhalb Jahre. „Insgesamt habe ich mit etwas über 20.000 Zeichnungen für die einzelnen Frames gearbeitet“, sagt sie über die Produktion. Die Liebe zu Bild und Ton sieht man dem animierten Kurzfilm an und kennt kaum ein Ende. Doch ist der Inhalt ähnlich überzeugend? Die Geschichte um Fru-Fru zeichnet sich durch ein markantes Alleinstellungsmerkmal aus: Früchte statt Menschen. Die Analogie kann man kaum übersehen, Mobbing ist im Leben vieler Kinder leider keine Fiktion. Und nicht nur das. „Die Hauptthemen des Films sind Multikulturalität und Identitätssuche“, erklärt Kretzschmar. Mit ihrem Werk wolle sie dem Publikum einen neuen Blickwinkel vorschlagen. Denn: „Ich möchte nicht, dass die Zuschauer:innen dem Protagonisten anhand seiner Merkmale eine bestimmte Nationalität zuschreiben können.“ Die Aufarbeitung dieser Idee hat in meinen Augen Potenzial. Doch die Einsamkeit, der innere Kampf und die Frage, was mit sich selbst nicht richtig ist, wird für mich im Film weniger authentisch transportiert als erhofft. Die kleine Erdbeere Fru-Fru erscheint mir als Zuschauerin zwar allein und hilflos. Doch kaum fange ich an, Empathie und Mitleid zu empfinden, erhält der Kurzfilm genau die Vorhersehbarkeit, die ich mir eigentlich nicht gewünscht habe. Kretzschmar präsentiert mit Fru-Fru eine originelle und kreative Idee, die sich ab der Zäsur jedoch etwas verliert und mich nicht bis zum Ende mitreißen konnte. Vielleicht ist es die Not, die mir fehlt, dieser etwas radikalere Realitätsbezug. Auch darauf hat Kretzschmar eine Antwort. „Der Film soll bei den Zuschauenden kein schweres Gefühl hinterlassen.“ Und weiter: „Durch bunte Farben, gebrochene Perspektiven und schiefe Linien ist eine Naivität entstanden, die die Wahrnehmung der Geschichte erleichtern soll.“ Das Werk der graduierten Filmstudentin, welches sie übrigens ihrem Vater widmet, bietet wenig Raum für Interpretation und ist in sich schlüssig. Wer sich gern auf eine ausgewogene Story ohne Ecken und Kanten einlassen und von einem einzigartigen Animationsstil überzeugt werden möchte, dem wird Fru-Fru mit hoher Wahrscheinlichkeit gefallen. Und eins ist sicher: Nach  dem Film hat man auf jeden Fall Lust auf Erdbeeren mit Ananasgeschmack.

Diese Rezension entstand im Rahmen der unabhängigen filmab!-Redaktion zum FiSH-Filmfest im Stadthafen Rostock vom 28. April bis 1. Mai 2022 in Kooperation mit KATAPULT MV. Hier stellen sich die jungen Redakteur:innen vor: Das ist die filmab!-Redaktion 2022 MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!