Die Hintergründe des Fischsterbens im Kleinen Jasmunder Bodden sind noch immer rätselhaft. Verschiedene Parteien sind derzeit mit der Ursachenforschung beschäftigt. Sie nehmen Proben und lassen sie analysieren. Zu ihnen gehören die Landesämter für Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Fischerei sowie für Umwelt, Naturschutz und Geologie, der Landesanglerverband, das Deutsche Meeresmuseum, das Ministerium für Klimaschutz, Landwirtschaft, ländliche Räume und Umwelt sowie die Umweltschutzorganisation WWF und das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt. Sie alle eint, dass sie nicht umfänglich erklären können, warum es im Kleinen Jasmunder Bodden zu einem gewaltigen Fischsterben kam, von dem alle dort vorkommenden Fischarten betroffen waren. Der WWF versuchte sich zuletzt an Erklärungen, nannte eine Eisdecke und die dadurch unterbrochene Sauerstoffzufuhr als mögliche Ursache, die jedoch schon bald angezweifelt wurde. Andreas Zietemann ist Berufsfischer auf dem Kleinen Jasmunder Bodden. Er widerspricht der Auffassung des WWF. „Das [Fischsterben, Anm. Red.] ging ja schon vor dem Eisgang los. Eine Woche vor Weihnachten haben wir die ersten auffälligen Fische gesehen“, erklärt Zietemann und ergänzt: „Wir haben zwischen den Feiertagen, wo Eis war, Salzgehalt, Sauerstoffgehalt und pH-Wert gemessen. Das war alles in Ordnung.“ Es zeigt, wie schwierig die Ursachenforschung im Kleinen Jasmunder Bodden ist. Zurück bleiben die toten Fische. In der zweiten Januarwoche begann eine groß angelegte Sammelaktion. Das Technische Hilfswerk (THW) und das Veterinäramt waren vor Ort. Dazu Dutzende freiwillige Helfer, die gemeinsam 31 Tonnen tote Fische am Ufer und aus dem Schilfgürtel einsammelten. „Das ist nicht viel“, sagt Zietemann mit Blick auf Tausende Tierkadaver. Nach 40 Jahren Berufserfahrung auf dem Bodden schätzt er, dass wohl noch 300 Tonnen Fisch auf dem Grund des Gewässers liegen. „Barsche und Plötze haben eine kleinere Schwimmblase“, erklärt er. „Die werden nicht angespült.“ Immerhin scheint bald nach der Aufräumaktion klar, dass das Fischsterben beendet und auf den Kleinen Jasmunder Bodden begrenzt ist. Nährstoffüberschuss in den Gewässern Ein weiterer Erklärungsansatz für die Katastrophe könnten im Übermaß eingespülte Nährstoffe sein. Die nahen Wostevitzer Teiche und der Saiser Bach als Verbindung zum Kleinen Jasmunder Bodden gelten schon lange als schwer belastet und so berufen sich Expert:innen auch jetzt auf die Möglichkeit einer enormen Nährstoffzufuhr aus diesen Gewässern. Auch Niederschlag, so die Argumentation, habe in den zurückliegenden Monaten viele Nährstoffe in den Bodden gespült. Die Wostevitzer Teiche gelten als hypertroph. Das bedeutet, dass der Nährstoffgehalt und die damit verbundene Produktion der Biomasse so hoch sind, dass im Sommer der Sauerstoff am Grund des Gewässers weitgehend aufgebraucht wird. So kommt es im Bereich der Wostevitzer Teiche zu regelmäßig wiederkehrenden Fischsterben. Dieses Phänomen ist aber auf die warme Jahreszeit begrenzt und im Winter unüblich. Deshalb kann sich Sabine Barth, Geschäftsführerin des Landschaftspflegeverbands Rügen, aus derzeitiger Sicht nicht vorstellen, dass die Wostevitzer Teiche die Quelle des Übels sind. Zwar stimmt sie zu, dass die Teiche hoch nährstoffbelastet sind, hält aber dagegen, dass „es keine toten Fische im Wostevitzer Teich zum Zeitpunkt des Fischsterbens im Kleinen Jasmunder Bodden gab und auch nicht im Saiser Bach“. Barth zweifelt daran, dass die Ursache in den Wostevitzer Teichen liege, denn dann hätte dort das Fischsterben beginnen müssen, was offenbar nicht geschehen ist. Auch Zietemann glaubt nicht an die Wostevitzer Teiche als Ausgangspunkt des Fischsterbens. Er beobachtete Fische, die während des Sterbens aus dem Bodden den Saiser Bach hinaufschwammen. „Da muss das Wasser gut gewesen sein, denn die Fische flüchten nicht dahin, wo kein Sauerstoff ist“, sagt er. Managementplan für den Kleinen Jasmunder Bodden liegt seit 2014 vor Was also ist das Problem? Der Kleine Jasmunder Bodden ist ein sensibles Gewässer. Um es klarer auszudrücken: Er ist nicht gesund. Es findet kaum Wasseraustausch statt, und wenn, dann nur in Richtung des Großen Jasmunder Boddens. Die Wasserzufuhr des Kleinen Boddens erfolgt über Bäche wie den Saiser Bach, Gräben und die Bergener Kläranlage. Diese unbefriedigende Situation ist seit Jahrzehnten bekannt und wurde im Jahr 2014 vom Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt Vorpommern in einem Managementplan festgehalten. Darin wird dem Kleinen Jasmunder Bodden ein „ungünstiger Erhaltungszustand“ attestiert, der auf frühere Eingriffe und Nutzungen zurückzuführen sei. Deklariert als „vorrangiges Entwicklungsziel“, soll der Zustand des Boddens über das Jahr 2024 hinaus verbessert werden. Es ist ein langfristiges Vorhaben. Der Managementplan sieht drei Lösungswege zur Verbesserung des Gewässers vor: Zum einen soll ein Naturschutzgebiet errichtet werden. Der Prozess ist im Gang. Das Fischsterben „unterstreicht noch mal die Notwendigkeit, dort ein Naturschutzgebiet auszuweisen“, bemerkt Geschäftsführerin Barth. Ein weiterer Ansatz beschäftigt sich mit dem Wasseraustausch zwischen dem Großen und Kleinen Jasmunder Bodden und betrifft den Verkehrsdamm bei Lietzow. Straße und Schienen führen über den Damm und bilden die Hauptverbindung zwischen Inselkern und dem Norden Rügens. Errichtet im 19. Jahrhundert, schränkt der Lietzower Damm den Wasseraustausch zwischen den beiden Boddengewässern radikal ein. Zwar gibt es eine Schleuse, doch genügt sie bei Weitem nicht, um einen ausreichenden Wasseraustausch zu gewährleisten. Der Managementplan empfahl bereits 2014 eine Machbarkeitsstudie, um die Möglichkeiten zur Verbesserung des Wasseraustauschs, etwa durch Öffnung des Lietzower Damms, zu prüfen. Verändert hat sich die Situation seither kaum. Der dritte Ansatz ist die Verminderung des Nährstoffeintrags als vorrangiges Entwicklungsziel, allerdings ohne konkrete Maßnahmen oder Zeiträume festzulegen. Auch hier ist die Vorgeschichte lang. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts flossen über private, gewerbliche und landwirtschaftliche Abwässer aus der Umgebung enorme Nährstoffmengen ein. Schon damals galt der Bodden als hypertroph. In den zurückliegenden 30 Jahren wurde der Nährstoffeintrag zwar deutlich reduziert, aber noch immer erfolgen Einträge aus der landwirtschaftlichen Flächennutzung und tragen zur kritischen Nährstoffbelastung des Boddens bei. Die Situation im Kleinen Jasmunder Bodden hat sich verbessert“, erklärt Sabine Barth. „Obwohl er immer noch nicht in einem guten ökologischen Zustand ist, ist die Lage zumindest besser als Anfang der 1990er-Jahre.“ Es bleibt die Frage, was passiert, wenn der Kleine Jasmunder Bodden zum Naturschutzgebiet erklärt wird. Kommt dann der Deckel drauf, wie einige Einheimische hinter vorgehaltener Hand befürchten? Sind potenzielle Bauvorhaben dann noch möglich? „Bei jeder Naturschutzgebietsverordnung gibt es auch Ausnahmen, die definiert sind“, erklärt Sabine Barth. „In diesem Fall, wo es um eine Verbesserung des ökologischen Zustands geht, wären Maßnahmen mit Zustimmung der zuständigen Naturschutzbehörde möglich.“ Die ökologische Katastrophe im Kleinen Jasmunder Bodden ist bereits geschehen. Andreas Zietemann ist weiter auf ihm unterwegs. Auch einen Monat nach Beginn des Fischsterbens findet er vereinzelt Fische, die gerade erst verendet sind. „Da ist wohl nicht mehr viel übrig geblieben“, stellt er ernüchtert fest. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!