In weniger als drei Jahren wird die Menge an Kohlendioxid erreicht sein, die MV ausstoßen darf, um das im Pariser Klimaabkommen vereinbarte 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. In dem Abkommen hatte sich 2015 die Staatengemeinschaft, also auch Deutschland, darauf geeinigt, den weltweiten Temperaturanstieg bis 2100 auf höchstens 1,5 Grad im Vergleich zu den Jahren 1850 bis 1900 zu begrenzen. Kennzahlen wie das CO2-Budget seien wichtig, um Probleme greifbarer zu machen, aber sie führten mitunter auch zu falschen Schlüssen, sagt Johann-Georg Jaeger, Vorstandsvorsitzender des Landesverbands Erneuerbare Energien. Klimaschutzmaßnahmen dürften nicht nur für einzelne Bundesländer gedacht werden: „Ob der CO2-Ausstoß in der Lausitz erfolgt oder hier in MV aus dem Moorboden kommt, spielt für das Klima keine Rolle.“ Auch deshalb ruft die Klimaschutzbewegung Fridays for Future (FFF) zum ersten weltweiten Klimastreik im neuen Jahr auf. In MV wird in sieben Städten demonstriert. Unter dem Motto „Tomorrow Is Too Late“ – Morgen ist zu spät – fordern FFF eine konsequentere Klimapolitik. „Wir sehen gerade schon wieder, dass sich die Landesregierung dafür einsetzt, LNG-Terminals vor Rügen zu errichten, und damit weiter auf Gas setzt, anstatt endlich den Windenergieausbau anzupacken“, sagt Fiedje Moritz von FFF. Dabei bietet Windkraft für den Greifswalder das mit Abstand größte Zukunftspotenzial in MV. Dieses Jahr wurde im Land jedoch noch kein einziges Windrad genehmigt. 2022 gingen unterm Strich neun Windkraftanlagen in Betrieb, 990 weitere warten derzeit auf die Genehmigung. Das Problem: Dabei herrscht Stau. Damit reihe sich MV neben Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg ein, die bekannt dafür seien, den Windenergieausbau zu verschleppen, kritisiert Moritz. Mehr dazu: Kampf gegen Windmühlen Zugleich hatte erst vor wenigen Tagen ein geplantes LNG-Terminal vor Rügen für Proteste gesorgt. Auch die Klimabewegung in MV werde bei ihren Demonstrationen vor allem das LNG-Terminal thematisieren, so Moritz. Die Aktivist:innen wollten die Bundes- und Landesregierung erneut zu einer beschleunigten Energiewende und einem schnelleren Ausbau der Windenergie auffordern. Wer LNG-Terminals im Eilverfahren durchwinken kann, kann auch Windkraftanlagen genehmigen. Fiedje Moritz, FFF Greifswald Genauso dauere die Wiedervernässung trockengelegter Moore zu lange. Es brauche große Pilotprojekte und umfangreichere Förderprogramme. Landwirt:innen müsse die Gelegenheit gegeben werden, durch wiedervernässte Flächen Einkommen zu erwirtschaften. Aktuell sind trockengelegte Moore für rund 30 Prozent der Gesamtemissionen in MV verantwortlich. Rostock for Future kämpft dagegen, dass 82 Hektar Moor für die Erweiterung des Überseehafens trockengelegt werden: „Während an vielen Orten Deutschlands derzeit über die Revitalisierung der Moore gesprochen wird, sind die Moore in Rostock aktuell immer noch durch den Ausbau des Hafens bedroht“, erklärt die Ortsgruppe. Neben dem Verzicht auf die Trockenlegung am Hafen fordert sie die Wiedervernässung der städtischen Moore Hechtgrabenniederung, Dierkower Moorwiesen und Primelbergniederung. Auch wenn der Klimawandel ein globales Problem sei, hätten Kommunen gleichermaßen das Klima zu schützen, so Klimaschützer Fiedje Moritz. „Greifswald ist da schon relativ weit und das Verkehrskonzept Innenstadt geht in die richtige Richtung“, sagt er mit Blick auf seine Heimatstadt. In Rostock ist die Lage anders. Die Demo am heutigen Freitag unter dem Motto „Mobilitätswende jetzt!“ konzentriert sich auf den Verkehrssektor der Stadt. Dieser könne „einen immensen Beitrag zur Erreichung der globalen Ziele“ leisten, so die Organisator:innen. Es wird eine Fahrraddemo von der Stadthalle durch die Innenstadt zum Neuen Markt geben, auf dem die Abschlusskundgebung stattfinden wird. FFF Rostock fordert den schnellen Ausbau des Radwegenetzes und die Verdreifachung der Radstellplätze, 30 Prozent weniger Parkplätze und höhere Parkgebühren sowie Tempo 30 und autofreie Zonen im Stadtgebiet, außerdem die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs. Auch FFF Schwerin verlangt einen kostenfreien Nah- und Fernverkehr sowie dessen Ausbau. Zusätzlich müsse man die Arbeitsbedingungen des Personals verbessern. Soziale und globale Klimagerechtigkeit Vor allem das Thema Klimagerechtigkeit liegt Fiedje Moritz am Herzen. Energiesparen etwa sei nicht die Hauptaufgabe eines Zweipersonenhaushalts mit einer kleinen Wohnung im Greifswalder Stadtteil Schönwalde, der als sozialer Brennpunkt gilt. „Es müssen vor allem diejenigen kürzertreten, die deutlich über die Kapazitäten des Planeten leben. Wir können nicht alle für das bürgen, was einige wenige verprassen.“ Neben den zehn Prozent der Haushalte, auf die fast die Hälfte des Gasverbrauchs zurückgeht, sei auch die Industrie in der Verantwortung. Trotzdem werde Energiesparen solange wichtig bleiben, wie es die Klimakrise gibt. Rostock for Future betont die globale Ungerechtigkeit der Klimakrise, „da insbesondere die Menschen des globalen Südens unter den Folgen der Klimakatastrophe leiden werden und bereits leiden“. Die Gruppe appelliert an die neue Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger (Die Linke), sich ihrer Verantwortung in einer globalen Welt bewusst zu sein: „Auch die Rostocker Emissionen tragen zu Hitzewellen in Pakistan oder zu überschwemmten Ackerflächen in Bangladesch bei.“ Interesse an Klimaschutz weiterhin hoch Fiedje Moritz ist seit 2019 bei FFF aktiv. Viele Mitglieder der Ortsgruppe Greifswald waren damals Schüler:innen. Doch nach dem Abitur seien alle weggezogen. Danach bestand die Greifswalder Ortsgruppe nur noch aus zwei Studierenden. „Und einer davon war ich“, erzählt der 24-Jährige. „Aus dieser Notlage heraus entschied ich mich, dabeizubleiben.“ Unabhängig davon interessiere er sich für faktenbasierte Politik. Es habe ihn „schon immer aufgeregt, wenn Politiker:innen Entscheidungen treffen, die objektiv nicht sinnvoll erscheinen“. Daher habe er das Positionspapier von FFF MV mitverfasst, das vor der Landtagswahl 2021 an SPD, Grüne und Linke übergeben wurde. Umsetzen würden die Parteien es bisher nicht. „Durch den russischen Krieg in der Ukraine sind unsere Forderungen in der Priorität nach hinten gerutscht“, stellt der Student fest. Es sei herausfordernd, Menschen weiterhin für den Klimaschutz zu mobilisieren. Resignation mache sich bemerkbar, vor allem aus Enttäuschung über die Politik. Auch FFF Rostock ist frustriert von der kommunalen Politik. 2020 beschloss die Bürgerschaft, dass die Stadt bis 2035 klimaneutral sein soll. „Heute, drei Jahre später, müssen wir leider feststellen, dass die Fraktionen von Linken, SPD und Grünen unseren Vorschlägen nur zugestimmt haben, um uns zu besänftigen“, heißt es von Rostock for Future. Der Beschluss werde seitdem von Verwaltung, städtischen Unternehmen und Parteien weitestgehend ignoriert. Doch statt Resignation sind die Aktivist:innen in Rostock wütend. Wie sie damit umgehen, dass Politik und Verwaltung ihre Forderungen und die eigenen Beschlüsse nicht umsetzen? „Wir rufen auf Demos ins Megafon.“ Auch Fiedje Moritz ist überzeugt von einem breiten gesellschaftlichen Mobilisierungspotenzial: „Ich glaube nicht, dass ein geringeres Interesse am Klimaschutz besteht.“ Das sei auch sichtbar an neuen aktivistischen Gruppen wie der Letzten Generation. Lediglich der Glaube an die Art der Demonstration von FFF sei bei der Letzten Generation verlorengegangen, deren Aktionsform der zivile Ungehorsam ist. Klimapessimismus mit Aktivismus lösen Aktuell berichten Medien immer häufiger vom Klimapessimismus, der dazu führe, sich als Einzelperson gegenüber dem Klimawandel ohnmächtig zu fühlen. Wenn dann der Eindruck entsteht, dass selbst Forderungen von großen Protestbewegungen wie FFF nicht bei Politiker:innen ankommen, könne das natürlich verstärkend wirken, so Fiedje Moritz. „Wir stellen immer Maximalforderungen mit dem Wissen, dass diese gleichzeitig das Mindeste sind.“ Mit diesem hohen Anspruch könne der Eindruck entstehen, es würde sich nichts verändern. Klimapessimismus sei für den Studenten dennoch kein Grund, zu resignieren. „Aktivistische Bewegungen bieten die Möglichkeit, über das Individuum hinaus eine Masse zu bilden, die etwas bewegen kann.“ Man müsse sich immer vor Augen führen, dass jeder Schritt in Richtung Klimaschutz getan werde und wurde, weil Aktivist:innen aus Klimabewegungen seit Jahren dafür einstehen. „Auch wenn es sich nicht nach Gewinnen anfühlt, sind es Schritte in die richtige Richtung.“ Seine Lösung für Klimapessimismus heißt Aktivismus. Kritik an der Ostsee-Zeitung Doch nicht nur die Politik macht die Aktivist:innen wütend, sondern auch die Berichterstattung der Medien. So sei FFF Rostock von der Ostsee-Zeitung (OZ) falsch zitiert worden. Auf die Frage, ob aufgrund der Energiekrise Weihnachtsmärkte dunkel bleiben sollten, hatte die Klimaschutzgruppe geantwortet, dass diese Diskussion an den wirklich wichtigen Themen wie Erdgas, Wärme und Umbau der Straßenbeleuchtung auf LED vorbeigehe. Die OZ unterstellte: „Natürlich müsse auch über die Volksfeste diskutiert werden, heißt es von Hannes Scharen, dem Sprecher der Gruppe.“ Und weigerte sich, den Onlineartikel zu korrigieren. Bis heute. Stimmungsmache mit gefälschten Zitaten?

Die @OZlive erfindet Aussagen von uns, wir kassieren den Hass. pic.twitter.com/PPwJeI3s1a — Fridays for Future Rostock (@FFF_Rostock) August 31, 2022 Im Januar veröffentlichte die OZ einen Artikel, in dem sich ein angebliches Mitglied von Greenpeace für Kohle und Atomkraft aussprach. Greenpeace dementierte, dass es sich dabei um ein Mitglied der Umweltschutzorganisation handelte, und versuchte, eine Richtigstellung zu bewirken. Ohne Erfolg. Auch Fiedje Moritz kritisiert die OZ: Bei einem der Klimacamps in Greifswald habe sie ein falsches Datum veröffentlicht: „Die OZ hat also berichtet, dass FFF zu Protesten aufruft, die schon eine Woche vorher stattgefunden hatten.“ Sowas sei bei niedrigschwelligen Gesprächsangeboten wie den Klimacamps besonders ärgerlich. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!