Wenn am 23. April die Biennale in Venedig beginnt, sind dort lebende Torfmoose der Uni Greifswald ausgestellt. Christy Gast hat sie aus Greifswald mit nach Venedig gebracht und zusammen mit anderen Künstler:innen daraus den chilenischen Pavillon auf der Biennale von Venedig, einer der wichtigsten Kunstausstellungen der Welt, gestaltet. Christy Gast ist eine US-amerikanische Aktions- und Installationskünstlerin, ihre Arbeit ist zu gleichen Teilen Kunst und politischer Aktivismus. Während des Telefoninterviews steht sie auf einer stillgelegten Schiffswerft in Venedig. Im Hintergrund hört man lautes Plätschern: Um die lebenden Paludimaterialien frisch zu halten, werden sie bewässert – dafür müssen dem venezianischen Trinkwasser Mineralien entzogen werden. Zugesetzt werden andere Minerale, damit so etwas entsteht wie echtes vorpommersches Regenwasser. Paludikultur ist die land- und forstwirtschaftliche Nutzung nasser Hoch- und Niedermoore. KATAPULT MV: Frau Gast, wie kommt man dazu, eine Kunstausstellung aus Moorpflanzen zu bauen?
Christy Gast: Ich bin Teil des chilenischen Künstlerkollektivs Ensayos, das von Camila Marambio, der chilenischen Kuratorin des Pavillons, gegründet wurde. Wir interessieren uns für die Rolle der Kunst in ökologischen und kulturellen Transformationsprozessen. Die Bewahrung der Moore ist seit ein paar Jahren unser Schwerpunkt. In Chile gibt es das große Moor im Nationalpark Feuerland, das ausgebeutet zu werden droht und dessen Schutz wir fordern. Übrigens ist dieses Moor im Vergleich zu den verschwundenen Mooren in Vorpommern sehr gut erhalten. Aber so entstand jedenfalls ein Kontakt zum Greifswald Moor Centrum und wir haben mit der Stadt Greifswald und dem Moorzentrum dieses Projekt entwickelt. Was ist aus künstlerischer Sicht am Moor interessant?
Wenn man vor dem Moor steht, denkt man, alles ist flach, eine flache Ebene. Aber Moore reichen so weit in die Tiefe, sie sind ein unglaublich komplexes, sich in der Tiefe ausbreitendes System. Wir wollen mit unserem Werk die Schönheit, Größe und Besonderheit der Moore zeigen. Neben meiner Arbeit – ich „webe“ sozusagen aus den Moormaterialien Teppiche – gibt es auch Audio- und Videoinstallationen, Grafiken, Poesie und sogar eine Duftausstellung. Eine Duftausstellung?
Ja, Kollegen von mir haben den Geruch der verschwundenen, weil entwässerten Moore Nordamerikas nachgebildet. Das soll auf den Verlust so vieler Moore auf der Welt aufmerksam machen. Der Verlust der Moore, ist das Ihre wichtigste Botschaft? Ich würde sagen, die wichtigste Botschaft ist, dass Moore riesige Mengen CO2 CO speichern. Nur drei Prozent der weltweiten Landfläche sind von Mooren bedeckt, sie speichern jedoch 30 Prozent des erdgebundenen Kohlenstoffs. Die trockengelegten Moore wiederzuvernässen, wäre ein extrem wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. Leiterin des Greifswald Moor Centrums im Interview Was ist die Rolle der Kunst in der Bewahrung der Moore? Was kann Kunst, was Wissenschaft nicht kann?
Künstler:innen sind Visionäre von Beruf. Und wenn Künstler, Wissenschaftlerinnen und Aktivisten sich gemeinsam für das Allgemeinwohl einsetzen, entsteht etwas Innovatives. In Venedig werden 500.000 Menschen die Biennale besuchen, das ist eine große Chance, dieses Thema zu setzen. Und selbst für eine internationale Kunstausstellung ist unser Projekt für den chilenischen Pavillon etwas Besonderes, herausragend in Größe, Komplexität und Interdisziplinarität. Die Frage ist nicht, was kann Kunst, was Wissenschaft nicht kann, sondern: Was können wir gemeinsam erreichen? Im Vorfeld haben Sie sich drei Wochen lang in Greifswald zu Paludikultur und Mooren informiert. Wie hat es Ihnen hier gefallen?
Von der Stadt wusste ich vorher nicht viel, aber von der Hanse hatte ich schon gehört. Die Stadt ist schön und ich war beeindruckt von der Arbeit der Forscher:innen und von ihren unterschiedlichen Arten und Weisen, sich dem Moor anzunähern. Ich werde auch wiederkommen, denn ich werde zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich eine Ausstellung gestalten, in der ich die Spannung zwischen traditionellem Entwässern und Nutzen von Mooren sowie dem für den Klimaschutz heute notwendigen Wiedervernässen und Schutz der Moore deutlich machen will. Caspar David Friedrich hat schließlich immer wieder die Moore rund um Greifswald gemalt. Zum Beispiel in dem Werk Wiesen bei Greifswald.
Ja, genau. Diesen Blick habe ich, als ich in Greifswald war, auch nachempfunden. Hat Sie diese vorpommersche Landschaft an etwas erinnert, kennen Sie solche Landschaften?
Ich bin in Ohio aufgewachsen und da ist es flach, die Gegend sieht Vorpommern sehr ähnlich. Siedler aus dem heutigen Niedersachsen haben Ohio nach ihrer Ankunft umgehend entwässert, sodass von dem damaligen Moor „Great Black Swamp“ nichts mehr übrig geblieben ist. Was erhoffen Sie sich von dem Projekt?
Dass Menschen über die Bedeutung der Moore aufgeklärt werden. Dass es uns gelingt, die Einzigartigkeit und Schönheit der Moore, aber vor allem ihre Bedeutung für den Klimaschutz zu zeigen. Am 2. Juni, dem weltweiten Tag der Moore, wollen wir eine Vereinbarung herausgeben. Dazu laden wir gerade lokale Gruppen von Moorschützer:innen weltweit ein. Dazu gehören Aktivist:innen aus Europa, Asien, Nord- und Südamerika. Die Vereinbarung soll die lokalen Gruppen beim globalen Schutz der Moore stärken, und das passt sehr gut zu meinem Vorhaben in Greifswald. Mehr zum Thema Moore: Das Grambower Moor trocknet ausMoor oder Hafenerweiterung in Rostock? MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!