Ich hänge da und weiß nicht weiter. Meine Hände fangen an zu schwitzen. Die Griffe werden langsam nass. Ich schaue nach oben und durch meine Beine nach unten – zu schwierig, weiterzuklettern, zu hoch, um abzuspringen, denke ich. So oder so ähnlich geht es wahrscheinlich vielen, die das erste Mal bouldern gehen. Schließlich geht es ohne Seilsicherung eine Wand hinauf. Und obwohl nur in sogenannter Absprunghöhe geklettert wird – also bis maximal 4,5 Meter –, erscheint das erst mal nicht unbedingt beruhigend. Klettern in Absprunghöhe, das ist Bouldern, erklärt Bettina Rehmann, eine der drei Gründer:innen der in diesem Jahr eröffneten Grips-Boulderhalle in Greifswald. Klettern tut man dabei ohne Seil am Boulder, dem Indoor-Äquivalent zum Felsblock draußen. Als Sicherung dient eine dicke Bodenmatte, die Verletzungen bei einem Sturz verhindern soll. Das Schöne am Bouldern sei, dass es meist ein „Bewegungsproblem“ zu lösen gebe, findet Rehmann. Dieses Problem könne dabei vielfältiger Natur sein, Bewegung, balancieren oder besonderen Krafteinsatz bedeuten. Das Ziel: der sogenannte Topgriff am Ende einer Route. Wie schwierig ist Bouldern? In der Boulderhalle erkennt man eine Route, also eine Kletterstrecke, an der Farbe der zugehörigen Griffe. Sie gehören jeweils zusammen – „logisch”, findet Bettina Rehmann. Während beim Bouldern draußen das Ziel ist, auf den Felsblock heraufzukommen, gilt es in der Halle meist, die Griffe nacheinander abzuklettern, bis man den letzten, den sogenannten Topgriff erreicht hat. Dabei geht es nicht immer nur straff die Wände hinauf. Es führen auch Routen parallel zur Bodenmatte entlang oder schlängeln sich zum Ziel. Je nachdem wie die Griffe aussehen, welche Beschaffenheit sie haben, wie groß sie sind und wie angeschraubt, unterscheidet sich der Schwierigkeitsgrad der Routen. In der Grips-Boulderhalle geht es von Schwierigkeit eins bis sechs – von leicht bis schwer. Damit die Kletter:innen die jeweilige Schwierigkeit erkennen, finden sich die Werte als Würfelaugen an den Startgriffen einer jeden Route. Vorteil dieses Vorgehens ist einerseits die Wiederverwendbarkeit aller Griffe – denn normalerweise haben Griffsets einheitliche Farben. Andererseits kann so auch Geld eingespart werden. Denn beim Kauf einer neuen kompletten einfarbigen Route sind schnell mehrere Hundert Euro fällig. Wer schrauben will, soll klettern können In den Boulderhallen in Greifswald und Rostock gibt es viele, die regelmäßig zum Klettern vorbeikommen. Damit es nicht langweilig wird, müssen die verschiedenen Strecken also stets erneuert werden. Zum Beispiel mit neuen Griffen, Volumen und Volumengriffen. Mit Volumen sind zusätzliche Wandelemente gemeint, Volumengriff bezeichnet ein großes Griffelement. Doch wie kommen diese eigentlich an die hohen Wände und werden zu kletterbaren Routen? Dieser Aufgabe widmen sich die Schrauber:innen. Diese sollten, sagt Bettina Rehmann, möglichst auch selbst klettern können. Denn „fürs Schrauben braucht es eine klare Vorstellung über den Bewegungsablauf an der Wand“. Die Grips-Boulderhalle hat ein eigenes Schrauberteam, erzählt Rehmann. Dazu kämen manchmal noch Auswärtige. Aktuell schrauben sie alle zwei Wochen. Bei den Felshelden wird meist sogar wöchentlich geschraubt. Das übernähmen jeweils zwei Schrauber aus Rostock und ein Profi-Gastschrauber, sagt Hallenchef Jano Tenev. Jedoch versuche man auch, eigene Schrauber auszubilden. „Wir geben Schraubanfängern die Möglichkeit, sich auszuprobieren, und betreuen sie dabei eng. Wir geben Tipps und unterstützen sie bei ihren ersten Versuchen“, so Tenev. Sowohl in Greifswald als auch in Rostock wird sektionsweise geschraubt. Das bedeutet, dass in den Hallen nicht nur hier und da einzelne Routen ausgetauscht, sondern ganze Abschnitte insgesamt verändert werden. Bettina Rehmann beschreibt den Ablauf in ihrer Halle so: Zuerst wird im zu verändernden Abschnitt alles abgeschraubt, werden die Griffe gewaschen und neue aus dem Lager geholt. Dabei ist es wichtig, einen Überblick über die noch vorhandenen Schwierigkeiten zu behalten. Optisch soll zudem ein Vorher-nachher-Effekt erzielt werden. Die Farben der neuen Routen müssen sich von denen der alten unterscheiden. Sind die Griffsets ausgesucht, kommen zuerst die Volumen an die Wand, denn diese verändern die Wandstruktur. Weiter geht es mit den Highlights – den hohen Schwierigkeiten. Leichtere Routen folgen später, denn diese können auch immer an das Übrige angepasst werden. Sind alle mit schrauben fertig, testen die Schrauber:innen ihre Routen gegenseitig und korrigieren sie gegebenenfalls. Zur endgültigen Festlegung der einzelnen Schwierigkeitsstufen gehört dann ein bisschen Diskussion – ist das eher eine Drei oder doch eine Zwei? Bouldern verbindet Oli (31) und Laura (27) sind regelmäßig in der Grips-Halle in Greifswald. Sie klettern hier zusammen – auch schwierigere Strecken. „Wir schauen uns die Strecke vorher eigentlich nicht noch mal an“, sagen sie. „Ich bin gerne spontan an der Wand“, ergänzt Medizinstudentin Laura. „Schöner ist es, wenn man mit jemandem gemeinsam bouldern geht“, weiß auch Rehmann. Nicht nur, weil man sich dann zu den Routen und Bewegungen austauschen könne und voneinander lerne – wo trete ich hin, wie greife ich am besten –, sondern auch, weil dann jemand zum Spotten da sei. So wird die Absicherung durch eine weitere Person beim Bouldern genannt. Das sei gerade draußen wichtig, betont Rehmann. Die Person achtet nämlich darauf, dass man bei einem Absturz beispielsweise nicht auf den Kopf fällt. Obwohl, sagt Rehmann, eigentlich sei man beim Bouldern sowieso nie allein. „Auch wenn ich alleine gegangen bin, bin ich nie allein geblieben.“ Das liegt wohl daran, dass Boulder:innen, wie Jano Tenev es ausdrückt, „ein angenehmer, kommunikativer und sehr umgänglicher Menschenschlag“ sind. Niemand konkurriere hier um Erfolge, man sporne sich gegenseitig an. Daran erkennt man einen Profi Natürlich gibt es trotzdem bestimmte Regeln für das Verhalten in der Halle. Diese Regeln seien in den meisten Hallen ähnlich, erklärt Jano Tenev. „Es geht um Unfallprävention.“ Wenn jemand bouldert, nicht zu dicht an der Wand entlanglaufen, Absprungzonen freihalten, Vorsicht an Durchgängen und unübersichtlichen Stellen und kein Toben beziehungsweise eine enge Betreuung von Kindern. Bei Oli und Laura rückt beim Bouldern mittlerweile auch die Technik in den Fokus. Sie klettern jetzt ab und zu wieder einfachere Strecken, um gezielt ihre Technik zu verbessern. Dazu zählt beispielsweise das Eindrehen des Körpers an der Wand. „Anfänger klettern frontal“, erklärt Bettina Rehmann. „Sie wollen etwas in beiden Händen haben, das Leiterprinzip sozusagen.“ Das Eindrehen des Körpers erleichtert jedoch das Erreichen von höheren Griffen. Genauso das gute Stehen. Auch das müssen Anfänger meist lernen. Nur mit der Fußspitze auf den Tritt, nicht mit dem ganzen Fuß. So gewinnt man die noch nötigen Zentimeter. Oli und Laura sprechen aus Erfahrung: „Manchmal hängt es bloß von einer Drehung oder einem richtigen Fuß ab, ob man eine Route schafft.“ Mit dem Bouldern anzufangen, geht schnell und einfach. Die Einstiegshürden seien gering, so Jano Tenev. Dem gibt Bettina Rehmann Recht: „Man braucht wirklich gar nichts“, um mit dem Bouldern zu beginnen. Und man werde zudem schnell besser. Alle diejenigen, die sich regelmäßig der Kletterwand und neuen Bewegungsproblemen stellen, bemerken zügig Fortschritte. „Man wird auch ohne zusätzliches Training schnell besser“, meint Oli, der seit 2017 bouldert. „Die Stärke in den Fingern kommt allerdings als Letztes“, so Rehmann. Bouldern in Meck-Vorp Die Boulderszene in Meck-Vorp wächst stetig. Deshalb ist es kein Wunder, dass es mittlerweile einige Möglichkeiten gibt, dem Trendsport nachzugehen – drinnen wie draußen, kommerziell oder im Verein. Schon seit 2015 betreibt der Boulderverein Greifsbloc eine eigene Halle in Greifswald. Wer nur ab und zu bouldern möchte, ist hier auch als Nichtmitglied willkommen. Mitglied sein muss man beim SV Turbine Neubrandenburg, der erst in diesem Jahr mit einem neuen Vereinshaus auch eine neue Kletteranlage inklusive Boulderfläche in Betrieb genommen hat. In Rostock gibt es neben den Felshelden noch die kommerzielle 45-Grad-Boulderhalle und in Stralsund, im Gemeinschaftshaus der Landeskirchlichen Gemeinschaft, die Boulderbude. An der frischen Luft bouldert man beispielsweise in Rostock an einer kleinen Fläche der Kletterwand „Bunker“. Diese wurde im vergangenen Jahr von der Sektion Rostock des Deutschen Alpenvereins übernommen. Eine Kletterwand ist ebenfalls Bestandteil des Trimm-dich-Pfades im IGA-Park Rostock. In Schwerin steht, in Kooperation mit dem Mecklenburger Bergsteigerclub (MBC), der Bauspielplatz Schwerin für Kletterfans zur Verfügung, jedoch nicht öffentlich. Über diese extra angelegten Anlagen hinaus richtet sich der Blick der Boulder:innen natürlich auch in die Natur. Im Fall von Grips-Gründerin Bettina Rehmann etwa zum Großen Stein, einem Findling in Altentreptow: „Soweit ich weiß, hat es da noch keine Erstbesteigung gegeben.“ Dieser Artikel erschien in Ausgabe 2 von KATAPULT MV. 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