Während die meisten Menschen in Mecklenburg-Vorpommern vermutlich die letzten Tage der Vorweihnachtszeit genossen, mussten Migrant:innen in Stralsund Angst und Erschütterung am Arbeitsplatz erleiden. In der Nacht vom 21. auf den 22. Dezember wurde das Büro des Migrant:innenvereins Tutmonde angegriffen. In einem Beitrag auf Instagram heißt es dazu: „Heute mussten wir mit Erschrecken feststellen, dass uns ein entsetzliches Weihnachtsgeschenk bereitet wurde. Die Scheibe von unserem Büro wurde von mutmaßlichen Rechten zerschlagen.“ Tutmonde ist ein entwicklungspolitischer Verein von Migrant:innen für Migrant:innen. Seit 2006 versuchen die Vereinsmitglieder, Perspektiven von Frauen mit Flucht-, Migrations- und Rassismuserfahrungen in die Gesellschaft hineinzutragen. Sie setzen sich insbesondere für die Gleichstellung der Geschlechter sowie Bildung und gesundes Leben für alle ein. Drei Angriffe in drei Jahren Eine Anwohnerin habe die Polizei kurz nach Mitternacht über die beschädigte Scheibe in der Barther Straße 1 informiert, so Jennifer Fischer, Pressesprecherin der Polizeiinspektion Stralsund. Unmittelbar danach wurden Ermittlungen wegen des Verdachts auf Sachbeschädigung aufgenommen und Spuren vor Ort gesichert. Der Eigentümer des Gebäudes wurde kontaktiert und habe die Möglichkeit erhalten, einen Strafantrag zu stellen. Die Polizei schätzt den entstandenen Schaden auf 200 Euro. Tahera Ameer, Vorstandsvorsitzende von Tutmonde, geht von mehreren Tausend Euro aus. „Was uns aktuell wirklich helfen würde, sind Spenden für ein neues Fenster oder die Möglichkeit, eine neue Bürofläche zu beziehen“, erzählt sie im Gespräch mit KATAPULT MV. Gerade eine neue Bleibe wäre ein großer Fortschritt.  Zerstörte Fensterscheibe des Tutmonde-Büros (Foto: Jana Michael) Bereits das dritte Mal innerhalb von drei Jahren wurde das Büro jetzt angegriffen. Im Januar 2020 belagerten drei rechtsextreme Männer für mehrere Stunden die Büroräume von Tutmonde. Sie verfolgten eine Frau des Vereins bis zum Auto und bedrängten sie. Schon vor dem Angriff wurde zudem ein anderes Vereinsmitglied von einem auf dem Fahrrad vorbeifahrenden Mann getreten und verletzt. Neben den gezielten Anfeindungen gegen den Verein erfahren die engagierten Frauen aber auch alltägliche Demütigungen im öffentlichen Raum. So gebe es häufig Angriffe auf Migrantinnen in Stralsund. „Man wird bespuckt oder vom Fahrrad gestoßen. Wir kennen auch Geschichten, wo Frauen ihr Kopftuch heruntergerissen wurde“, erzählt Ameer. Solche Anfeindungen hätten meist nichts mit der Vereinsarbeit zu tun, sondern seien rassistisch motivierte Taten gegen das Individuum. Mehr als ein kaputtes Fenster Die zerschlagene Fensterscheibe wurde vom Verein zunächst provisorisch zugeklebt. Alle wichtigen Dokumente konnten am nächsten Tag gesichert werden. Zu Schaden kam keine der Frauen. „Was für eine Bedeutung der Vorfall für uns konkret hat, werden wir erst im Laufe des Januars merken“, sagt Ameer. Denn aufgrund der Betriebsferien musste keine der Angestellten unmittelbar nach dem Vorfall das Büro aufschließen und darin arbeiten. Gerade solche Momente würden Angst und auch Erschütterung bei den Vereinsmitgliedern auslösen. Sie kenne das bereits vom Angriff 2021, wo die Fensterscheibe beschmiert wurde, so Ameer. „Wir mussten schließen, weil die Leute in Panik waren. Niemand kann sich vorstellen, was es bedeutet, morgens in dein Büro zu kommen und die gesamte Scheibe ist mit Käse zugeklebt.“ Genau wie bei dem aktuellen Angriff sei das Ziel auch damals nicht gewesen, Menschen zu verletzen, sondern deutlich zu machen: Wir wollen euch hier nicht haben. Deshalb ist für Ameer auch klar, dass der Angriff rassistische Motive hatte. „Es ist der einzige Marker, der hier angebracht werden kann. Wenn man Tutmonde in den letzten Wochen mit etwas in Verbindung bringen möchte, dann ist es eine qualitative Studie über Rassismus“, argumentiert sie. Sie findet es traurig, zu sehen, dass dies als Aufhänger reiche, um Scheiben einzuschlagen und Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen. „Aber es ist das, was wir aus unserer Arbeit schon immer kennen. Es geht darum, uns zu stören und zu zermürben.“ Ob der Angriff tatsächlich einen politisch motivierten Hintergrund hatte, wird aktuell noch von der Polizei geprüft. Zusammenhänge zwischen den Straftaten seien nicht ausgeschlossen, so Jennifer Fischer von der Stralsunder Polizei. „So wie als Frau mit Kopftuch keine Wohnung zu finden“ Schon vor drei Jahren, nach dem Angriff der drei Rechtsextremen, machte sich der Verein auf die Suche nach neuen Büroräumen. „Auch wir als Arbeitgeber:innen fragen uns: Wie sollen wir die Sicherheit unserer Angestellten gewährleisten?“, erzählt Vorstandsvorsitzende Tahera Ameer. Unter den 13 ehrenamtlichen Vereinsmitgliedern sind vor allem Jugendliche und Frauen. Die Bürosuche blieb bis heute erfolglos.  Der Verein habe nur ein kleines Budget, die Wohnungs- und Büroraumsituation in Stralsund sei angespannt. Zudem gebe es noch ein weiteres Problem, so Ameer: „Ich würde sagen, die Bürosuche ist für uns so ein bisschen, wie wenn du als Frau mit Kopftuch keine Wohnung findest.“ In Greifswald etwa hätte der Verein sofort eine Bürofläche angeboten bekommen. Dennoch müsse Tutmonde an Orten bleiben, wo es unkomfortabel ist und zivilgesellschaftliches Engagement deutlich wachsen muss. Deshalb soll die Scheibe im aktuellen Büro nun zunächst repariert werden. Die Polizei gab gegenüber KATAPULT MV an, dass das Büro innerhalb der Streifentätigkeit auch weiterhin intensiv beachtet werde. Alle Stralsunder Polizist:innen seien nach dem Angriff erneut sensibilisiert worden, heißt es. MVs Integrationsbeauftragte ermutigt zum Weitermachen In den letzten Jahren musste sich Tutmonde bereits durch schwierige Zeiten kämpfen. Die 2006 von der heutigen Landesintegrationsbeauftragten Jana Michael als Vorgängerorganisation von Tutmonde gegründete Jurte der Kulturen stand vor einigen Jahren kurz vor der Auflösung. Denn seit der Gründung wurden Antisemitismus und Rassismus immer mehr in die Gesellschaft hineingetragen. Die Engagierten spürten das im Alltag und in der Politik immer deutlicher. Die Gründung der AfD 2013, die Migrationskrise 2015, der Krieg in Syrien – all das habe die Gesellschaft nicht stärker gemacht, sondern gespalten, so Tahera Ameer. Das habe sich eben auch in der Vereinsarbeit bemerkbar gemacht. Viele der Frauen seien kraftlos gewesen und erkrankten an den diskriminierenden Erfahrungen, die sie machen mussten. „Eine sehr häufige Begleiterscheinung von Rassismus“, sagt Ameer. Erst Ende 2017 konnten die Frauen neue Kraft schöpfen und entschlossen sich, den gesellschaftlichen Veränderungen auch innerhalb des Vereins und unter neuem Namen Rechnung zu tragen. Gründerin und Integrationsbeauftragte Jana Michael ermutigt die zivilgesellschaftlichen Akteure auch dieses Mal, nicht aufzugeben: „Was der Angriff für Tutmonde und Lola bedeutet? Weiterzumachen!“, sagt sie gegenüber KATAPULT MV und richtet weitere unterstützende Worte an die Vereinsmitglieder. „Es tut mir leid, dass uns so etwas passiert. Ich danke euch dafür, dass ihr das aushaltet. Das ist nicht selbstverständlich und verdient höchsten Respekt.“ Für den 20. Januar plane der Verein gerade eine Veranstaltung unter dem Motto „Solidarisch mit Tutmonde und Lola gegen Rechtsextremismus“. Es gelte jetzt, sich noch intensiver gegen Rassismus, Antisemitismus und für Klimagerechtigkeit einzusetzen, so Michael.  Zeugenhinweise zum Angriff auf das Tutmonde-Büro in Stralsund nimmt die Polizei unter der Telefonnummer 03831/28 900, per Mail phr.stralsund@polmv.de oder über die Internetwache entgegen. Weitere Informationen über den Verein und die Unterstützungsmöglichkeiten finden sich auf der Website von Tutmonde. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!