61.131 Unterschriften hatten die Rüganer Initiator:innen gesammelt. Somit schaffte es ihre Petition gegen die geplanten LNG-Terminals vor den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags. Der Petent Marvin Müller, Landesvorsitzender der Jusos und Gemeindevertreter in Binz, reiste dazu gemeinsam mit Kai Gardeja, dem Tourismusdirektor des Ostseebades, nach Berlin. Insgesamt 75 Minuten waren für das Thema veranschlagt. In seinem Eingangsplädoyer sprach Müller von einer grundlegenden Entscheidung. Die geplanten LNG-Terminals vor Rügen und die dafür notwendigen Pipeline-Arbeiten würden den dortigen Naturraum irreparabel schädigen. Rügens Naturschätze seien einmalig, allein vier Natura-2000-Flächen gibt es, die durch den Bau stark beeinträchtigt würden. Dass dies auch negative Auswirkungen auf den einzig relevanten Wirtschaftszweig der Insel hätte, den Tourismus, stehe außer Frage. Müller forderte außerdem, grundsätzlich zu hinterfragen, ob die Terminals tatsächlich gebraucht oder ob damit letztendlich nur Überkapazitäten erzeugt werden. Warum ein solches Projekt mit einer verkürzten Planungsdauer durchgeführt werden solle, obwohl diese Frage nicht abschließend geklärt sei, sei für ihn nicht nachvollziehbar. Mitbestimmung als Grundlage für Akzeptanz Darüber hinaus sieht Müller die Entscheidung zum künftigen Prozess auf Rügen auch als ein Zeichen für die Demokratie. Das Handeln des Bundeswirtschaftsministeriums habe die Zusammenarbeit mit den Menschen auf der Insel untergraben. Eine solche habe bisher kaum stattgefunden und wenn doch – wie etwa beim Besuch von Bundeskanzler Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) – erst zu spät. Demokratie sei kein „nice to have“, so Müller. Mitbestimmung und nachvollziehbare Aufklärung aller Beteiligten seien grundlegend für eine Akzeptanz. Dem Plädoyer schlossen sich mehrere Fragen der Parteien an. Im ersten Teil standen vor allem die Befürchtungen zur Versorgungssicherheit im Vordergrund. Auf die Frage des SPD-Abgeordneten Bengt Bergt gab der Staatssekretär des Bundeswirtschaftsministeriums, Stefan Wenzel, an, dass allein mit den Terminals in der Nordsee – Brunsbüttel und Wilhelmshaven – die Versorgung Ostdeutschlands wahrscheinlich nicht gewährleistet werden könne. Es gehe darüber hinaus darum, über die neuen Terminals auch andere Länder zu versorgen, die keine Häfen haben, wie etwa den Osten der Ukraine. Auch ein möglicher Kompromiss zur Standortfrage kam zur Sprache. So nannten Andreas Mattfeldt und Simone Borchardt (beide CDU) einen potenziellen Standort 18 Kilometer vor Rügens Küste. In Australien gebe es Terminals in weit größerer Entfernung – etwa 200 Kilometer vor der Küste. Realisierbar wäre es daher, so Mattfeldt. Zumindest sei es „eine Idee, die möglicherweise auf mehr als gar keine Akzeptanz trifft“. Laut Wenzel stehe die genannte Lösung allerdings als letzte auf der Liste der möglichen Standorte. Es fehle in Europa an Erfahrungen zu solch weiter vom Festland entfernten Standorten. Diese müssten verlässlich bei jedem Wetter funktionieren. Technisch, so räumte er ein, wäre die Variante aber durchaus möglich. Es bräuchte eine Abwägung, um dann so schnell wie möglich mit dem Bau beginnen zu können. Mukran für Zukunftstechnologie geeignet Geprüft werde jedoch vor allem der Standort Mukran, schließlich werde der Hafen bereits für industrielle Zwecke genutzt. Für die Etablierung einer Zukunftstechnologie wie etwa Wasserstoff sei das eine Chance, auch was Arbeitsplätze betrifft, so Wenzel. Dabei betonte er, dass es sich bei LNG ohnehin nur um eine zeitlich befristete Lösung handele, im Anschluss etwa die chemische Industrie mit der Förderung von Wasserstoffderivaten folgen könnte. Häfen seien schon jetzt daran interessiert. Die Menschen auf Rügen seien der Transformation und neuen Technologien gegenüber nicht abgeneigt, stellte Müller klar. Die Frage sei aber, wie mit ihnen darüber gesprochen werde. „Wie kann man eine Beschleunigung realisieren, ohne die Menschen abzuhängen?“, fragte er im Ausschuss. Wenzel argumentierte, dass auch hier erst noch Erfahrungen gesammelt würden. In Lubmin beispielsweise habe sich der Pendelverkehr zum Spezialschiff seit der Inbetriebnahme als nicht so leistungsfähig erwiesen wie erhofft. Deshalb brauche es eben noch einen weiteren Ausbau. Und da hoffe man auf das Verständnis der Bevölkerung. Für Müller und Gardeja dennoch kein ausschlaggebendes Argument: Ihnen sei es wichtig, die Menschen, auf deren Rücken Entscheidungen der Bundesregierung ausgetragen werden, mitzunehmen. Müller sprach dabei noch einmal den Besuch von Habeck und Scholz an. Vier Monate früher hätte dieser Besuch aus seiner Sicht gewinnbringend sein können, vor allem für das Verständnis der Kommunen. Schließlich sei weiterhin unklar, welche Argumente den weiteren Ausbau tatsächlich rechtfertigen sollen. „Geht es um Überkapazitäten oder die Versorgung anderer Länder? Das wäre gut zu wissen“, fasste Müller zusammen. Mit all den Informationen, die die Gemeinden auf Rügen aktuell hätten, sehe dort niemand die Insel als geeigneten Standort an. Zudem seien „LNG-Schiffe keine Fischerboote“, ergänzte der Gemeindevertreter. Die Vorstellung, sie würden Bedeutung für den maritimen Tourismus haben, sei daher unverständlich. So hinke auch der Vergleich zu den in der Nordsee betriebenen LNG-Terminals. Bei Brunsbüttel oder Wilhelmshaven handele es sich bereits um Industriestandorte. Mukran als Fährstandort müsse erst noch zu einem solchen ausgebaut werden, führte Gardeja an. Dazu müssten auch erhebliche Umbauarbeiten an der Mole erfolgen. Kein Terminalbetrieb auf Rügen bis kommenden Winter Die Grünenabgeordnete Beate Walter-Rosenheimer warf noch eine weitere offene Frage in den Raum: Können die Terminals überhaupt schon im kommenden Winter in Betrieb gehen? Dies sei laut Wenzel durch die schon jetzt verspätete Debatte nicht sicher. Aber auch eine Inbetriebnahme während des kommenden Winters sei noch ein Erfolg. Wenn die Terminals sowieso nicht rechtzeitig zum Winter fertig würden, warum könne sich die Politik dann nicht jetzt die Zeit nehmen und Verpasstes nachholen, hakte Müller ein. Einen demokratischen Prozess anschieben, grundsätzlich planen und in die Debatte mit der Bevölkerung gehen. So oder so, das führten Müller und Gardeja mehrfach aus, sei die Stimmung auf Rügen beim Thema LNG „vergiftet“. Für künftige Ideen müssten die Einheimischen mitgenommen werden, ohne dass parallel schon erste Vorarbeiten beginnen. Sonst verliere man seine Glaubwürdigkeit – sowohl auf lokalpolitischer als auch auf Bundesebene. Die Frage, mit wem nach dem Ausstieg des Energiekonzerns RWE nun verhandelt werde, wie von der Linkenabgeordneten Ina Latendorf aufgeworfen, blieb unbeantwortet. Protestaktionen in Berlin und Mukran Parallel zur Sitzung des Petitionsausschuss gab es zwei Protestaktionen. Vor dem Reichstagsgebäude demonstrierten die Deutsche Umwelthilfe und weitere Umweltverbände. Sie wollten damit ihrer Unterstützung der Petition Ausdruck verleihen. Es war die erste Demonstration zum Thema, die nicht auf Rügen organisiert wurde, merkte Müller an. Daneben gab es eine weitere Aktion in Mukran. Rund ein Dutzend Aktivist:innen waren auf die dort gelagerten Röhren geklettert. Diese waren ursprünglich für den Bau der Erdgaspipeline Nord Stream 2 vorgesehen und wurden nun vom Bund für den möglichen Bau eines LNG-Terminals gekauft. Sie wollten damit die LNG-Baustelle blockieren. Sauberes Gas sei „eine dreckige Lüge“, heißt es auf ihrem Twitter-Profil. Eine abschließende Entscheidung fiel heute nicht. In seinem Schlusswort betonte Marvin Müller, dass die Situation auf Rügen bundesweite Bedeutung habe und man nun gespannt beobachte, wie sich Bundes- und Landesregierung künftig positionieren werden. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!