Gestern stellte die Landesvertretung der Barmer Ersatzkasse den aktuellen Krankenhausreport vor. Dieser fokussiert sich thematisch auf Krankenhausinfektionen – sogenannte nosokomiale Infektionen – während der Corona-Pandemie 2020. Aus dem Bericht geht hervor, dass während der ersten und zweiten Corona-Welle die Zahl der Krankenhausinfektionen zunahm. Hochgerechnet auf Mecklenburg-Vorpommern steckten sich etwa 620 Patient:innen mehr an als in den Vorjahren. Insgesamt waren mehr als 12.600 Patient:innen betroffen. Auch die Zahl der Todesfälle erhöhte sich. So verstarben 2020 in MV, nach Hochrechnungen der Barmer, knapp 25 Menschen mehr an einer solchen Infektion. Patient:innenspektrum und Hygienedefizit verantwortlich Von den Ergebnissen sei man sehr überrascht gewesen, sagte der Landesgeschäftsführer der Barmer, Henning Kutzbach. Eigentlich habe man einen Rückgang der Infektionen aufgrund der strengeren Hygienemaßnahmen erwartet. Den Anstieg der Zahlen führt die Versicherung nun auf zweierlei zurück: Erstens habe sich in der Pandemie, gerade zu Beginn, das Patient:innenspektrum verändert. Es lagen vermehrt ältere und kränkere Patient:innen in den Krankenhäusern, die anfälliger für Infektionen sind. Und zweitens sei die Arbeitsbelastung des Klinikpersonals während der Pandemie immens gestiegen. Gerade in der ersten Welle habe es zudem noch an Schutzausrüstung gefehlt. Daraus hätten sich Hygienedefizite ergeben, welche aber nicht als Kritik am Krankenhauspersonal ausgelegt werden dürften, so Kutzbach. Mehr Hygienemaßnahmen, weniger multiresistente Keime Die regionalverantwortliche Krankenhaushygienikerin der Helios-Kliniken, Kristina Biedermann, zeigte sich von den Ergebnissen des Reports ebenfalls überrascht. Sie könne die Zahlen so nicht bestätigen. Es falle ihr außerdem schwer, den Anstieg der Krankenhausinfektionen mit der Pandemie zu erklären. Mit Blick etwa auf multiresistente Keime hätten die verstärkten Hygienemaßnahmen eine positive Wirkung gezeigt. Dennoch sieht auch sie die Veränderung der Patient:innenstruktur. Gerade bei Schwerkranken auf der Intensivstation könnten die zahlreich benötigten Zugänge (Katheter usw.) Einfallstore für eine Ansteckung sein, vermutet sie. Materialien waren zu jeder Zeit vorhanden Im Hinblick auf mangelnde Schutzausrüstung des Krankenhauspersonals widerspricht Biedermann dem Barmer-Landesgeschäftsführer jedoch. Es habe zwar Lieferengpässe gegeben, doch seien zu jeder Zeit die notwendigen Materialien vorhanden gewesen. Niemand habe ohne entsprechende Ausrüstung an den Patient:innen gearbeitet, so Biedermann. Die Situation für die Krankenhausmitarbeiter:innen in der Pandemie habe sich aber natürlich verändert. Das sieht auch Bärbel Schmiedecke so. Sie ist leitende Hygienefachschwester an der Helios-Klinik Leezen. Jeden Tag „purzeln gesetzliche Regelungen auf uns ein“, meint sie. Die müssten alle gelesen, verstanden und aktuell umgesetzt werden. Das sei schon eine extreme Herausforderung für alle. Zusätzlich sei an den Kliniken ein hoher Krankenstand vermeldet worden, ergänzt Biedermann. Viele Mitarbeiter:innen seien in Quarantäne gewesen, weshalb beispielsweise Honorarkräfte hinzugezogen werden mussten. Diesen fehle einstweilen die Routine, weshalb nicht in jeder Minute alles so vonstatten gegangen sei wie sonst. Womöglich könne man in der fehlenden Qualität eine Ursache für vermehrte Infektionen identifizieren, formuliert Biedermann vorsichtig. Keine weitere Ursachenforschung geplant Wie geht es jetzt weiter? Auf die Frage, welche Infektionen konkret für den Anstieg der Erkranktenzahl verantwortlich sind, hat die Barmer mit ihrem Report keine Antwort gefunden. Zwar sind im Report die am häufigsten auftretenden Infektionen mit ihrer jeweiligen Auftrittshäufigkeit vermerkt – zum Beispiel sind 24 % der auftretenden Infektionen Wundinfektionen nach einer Operation. Doch welche davon genau für den Anstieg der Infiziertenzahl verantwortlich ist, bleibt offen. Man habe auch nicht vor, das weiter zu eruieren, sagt Kutzbach auf Nachfrage. Vielleicht werde man ein oder zwei Jahre nach Corona noch einmal eine Auswertung vornehmen, welchen Stellenwert Hygiene in der Pandemie bekommen habe. Empfehlungen zu Hygieneverbesserungen Die Barmer leitet aus ihren Erkenntnissen vier Forderungen ab. So empfiehlt sie erstens, zukünftig Hygienestandards in Krankenhäusern nicht nur intern regelmäßig zu überprüfen, sondern auch externe, unangekündigte Kontrollen durchzuführen. Zweitens müssten die Hygienestrukturen und -standards in den Kliniken ausgebaut werden. Zum Beispiel durch die Ausbildung und den Einsatz speziell geschulten Hygienefachpersonals. Drittens brauche es eine transparente und digitale Darstellung des Infektionsgeschehens bei Krankenhausinfektionen. Und viertens sollten Hygienestandards bereits in der Ausbildung wesentlich präsenter sein. Das unterstützt auch Kristina Biedermann – mit einem Zusatz. Denn in der pflegerischen Ausbildung habe Hygiene zum aktuellen Zeitpunkt bereits einen großen Stellenwert. In der ärztlichen Ausbildung hingegen stimme der Stellenwert bisher noch nicht. Dort müsse das Bewusstsein weiter gestärkt werden. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!