Das städtische Unternehmen „Rostock Port“ plant momentan eine Hafenerweiterung um 660 Hektar. Die Geschäftsführer argumentieren, der Hafen müsse wachsen. Die vorhandenen Flächen reichten nicht mehr, sie hätten bereits Unternehmen abweisen müssen und in dem Wachstum liege schließlich auch eine neue Chance: Neben wirtschaftlichem Potenzial und neuen Arbeitsplätzen könnte der Überseehafen durch den Umbau ein Umschlagsort für Wasserstoff werden. Für diesen Gewinn würde Rostock Port jedoch den Verlust von wichtigen Naturschutzgebieten, wie dem Moorgebiet Peezer Bach im Osten und dem Wald Oldendorfer Tannen im Westen, in Kauf nehmen. Auch die angrenzenden Gemeinden müssten weichen. Gutachten hält die Flächen für geeignet Es ist der 7. Dezember 2021, 17.05 Uhr, im Bürgerschaftssaal der Hansestadt Rostock. Dem Planungsverband Region Rostock wird das Gutachten zum Seehafen vorgestellt. Dem Sitzungsprotokoll zufolge beginnt Geschäftsführer Gernot Tesch über die Bedeutung des Hafens für die Region zu sprechen. Ganz nach dem Sprichwort: „Geht es dem Hafen gut – geht es auch der Stadt gut.“ Er erzählt von den steigenden Steuereinnahmen, der Schaffung von Arbeitsplätzen, dem gleichzeitig sinkenden Platzangebot. Rostock Port brauche in Zukunft mehr Fläche. Jens Scharner, ebenfalls Geschäftsführer von Rostock Port, ergänzt: Die Zukunft sei ein Energiehafen Rostock, für Wasserstoff aus Windenergie. Aber die Flächen dafür würden fehlen. Doch gebe es bereits ein „final erarbeitetes Flächenlayout“, weiß Volker Barth von der Firma Umweltplan Stralsund. Er erhebt sich und stellt das Seehafengutachten vor (das bis heute nicht öffentlich einsehbar ist). Das Gutachten komme zu dem Schluss, dass die angedachten Flächen im Osten wie im Westen sich gut für den Hafenausbau eigneten, trotz „vielfältiger Betroffenheit schutzwürdiger Belange (insbesondere Biotop-, Boden-, Arten-, Gewässer- und Schallschutz, sowie Wohnstandorte)“. Es bräuchte eben Ausnahmegenehmigungen, Kompensationsmaßnahmen, Flächenankäufe, aber es sei möglich. Doch, schränkt er ein, sei es sehr wahrscheinlich, dass Genehmigungsanforderungen und Widerstände dagegen steigen würden. Nach Abschluss seiner Präsentation folgt prompt der erste Widerstand: Andrea Krönert, Fraktionsvorsitzende der Rostocker Grünen, kritisiert die Bewertung des Bodenmanagements, besonders des Moores. Durch die Hafenerweiterung Ost sei mit einer vollständigen Überbauung der 82 Hektar großen Moorfläche mit 2 Millionen Kubikmeter Moorboden zu rechnen. Das bedeutet: Verlust des Torfkörpers und des feuchten Biotops für Pflanzen und Tiere. Grüne, SPD, FDP – die Rostocker Ampel zum Hafenausbau In einem Gespräch mit KATAPULT MV erklärt Andrea Krönert ihre Kritik: „Man kann das betroffene Moor nicht ausgleichen. Es ist eine völlig falsche Herangehensweise. Wir können jetzt keine weiteren Moore verlieren, wir müssen sie wiedervernässen, sie erhalten.“ Ende letzten Jahres startete die Bürgerschaftsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen deshalb eine Onlinepetition, in der sie den Erhalt der betroffenen Biotope Oldendorfer Tannen und des Peezer Bachs fordert. Bis heute haben 1.939 Personen unterschrieben. Krönert merkt an: „Beim Hafen ist die Petition sehr zäh.“ Die betroffenen Gebiete seien einfach nicht genug verankert bei den Rostockern, keiner habe ein Bild vor Augen. Dazu fehle immer noch viel Aufklärungsarbeit, warum Moore natürlich und nass bleiben müssen. Moore sind einer der kostbarsten Kohlenstoffspeicher unseres Planeten, weil der Torfboden, bestehend aus abgestorbenen Pflanzenresten, sich infolge fehlender Wasserzufuhr nicht zersetzt. Auf eine Anfrage der Grünen im Oktober 2021 zur Überbauung des Peezer Bachs antwortete die Stadt Rostock: „Die Zerstörung und der vollständige Verlust des Moorbodens mit einhergehenden Folgewirkungen wie CO₂-Freisetzung stellen eine irreversible erhebliche und nachhaltige Beeinträchtigung und den gravierendsten, nicht kompensierbaren Konflikt zum Schutzgut Boden dar.“ Doch statt die Baupläne zu stoppen, verteile die Verwaltung nur eine „Beruhigungspille, es sei noch ganz lang hin“, so Krönert. „Aber ist das Projekt einmal auf dem Weg, ist es sehr schwer wieder rückgängig zu machen“, ergänzt sie. Thoralf Sens von der SPD kontert: „Dann sollen die Grünen aber sagen, wohin der Hafen erweitert und wo neue Arbeitsplätze sonst geschaffen werden sollen.“ Für ihn steht die Möglichkeit, durch einen Ausbau des Hafens Arbeitsstellen zu schaffen, im Vordergrund. Und Daten des Unternehmens Rostock Port unterstreichen sein Argument. Seit 2013 ist die Anzahl der Beschäftigten von 15.879 auf 19.650 im Jahr 2019 gestiegen, einhergehend mit 100 Millionen Euro aus Gewerbe-, Grund- und Lohnsteuer für die Stadtkasse. Bis 2030 zeichnet Rostock Port den linearen Wachstumspfad weiter, dann könnten es bei vollständiger Flächenentwicklung 29.600 Beschäftigte sein. Auch das Umschlagsvolumen, also wie viel Fracht über die Kaikante ging, erreichte laut Geschäftsführung im Vergleich zu den Vorjahren Rekordzahlen. „Allerdings“, so schreibt das Unternehmen, „sind [...] [die] angrenzenden Erweiterungspotentiale nahezu ausgeschöpft. Zur Umsetzung der Wachstumsstrategie [...] bildet die Flächenvorsorge daher [...] eine wesentliche Voraussetzung“. Auch dieses Argument kennt und betont Thoralf Sens von der SPD: „Der Hafen musste schon Unternehmen wegschicken.“ Somit, sagt er, stehe seine Partei „der Hafenerweiterung sehr positiv gegenüber“. Christoph Eisfeld, stellvertretender Kreisvorsitzender der FDP, spricht sich ebenfalls für eine Hafenerweiterung aus und hält sie für „sinnvoll und notwendig – als einzige Krone hier, jetzt wo die Werften es nicht mehr angehen können“. Jedoch wendet er ein, dass die FDP die Hafenerweiterung „bei einigen Teilflächen kritisch“ sehe. Er spricht von Kompromissen für den Peezer Bach und die Wohngebiete, die gefunden werden müssten, um den Hafen zu erweitern. Aber dass er erweitert werden müsse, sei unumgänglich. Schließlich ist „das Potenzial des Rostocker Hafens als Zentrum für Wasserstoff gewaltig. Die Infrastruktur ist so optimal wie an keinem anderen Punkt in unserem Bundesland. Auch wenn Wasserstoff ein Wagnis bleibt, ist es ein Wagnis, das wir eingehen sollten. [...] Mecklenburg-Vorpommern hat da eine Riesenchance“, so Eisfeld. Wasserstoff oder Moor Auf der Website wirbt Rostock Port damit, bis 2030 ein industrielles Zentrum für grünen Wasserstoff mit mehr als 1.000 Megawatt Elektrolyse­leistung werden zu wollen. Das städtische Unternehmen verfüge bereits heute über die nötigen Voraussetzungen für Erzeugung und Nutzung und möchte beginnen: „Der für den notwendigen Transformationsprozess initiierte Industriearbeitskreis [...] hat sich vorgenommen, gemeinsam in einem ersten Schritt eine 100-Megawatt-Wasserstoffproduktion im Seehafen anzusiedeln.“ Davon ausgehend könnte Rostock über die Jahre Umschlagsort für Export und Import des grünen Energieträgers werden. Damit Wasserstoff jedoch „grün“ ist, muss er auch aus grüner Energie hergestellt werden. Die Wasserstoffproduktion mittels fossiler Quellen verursacht Treibhausgasemissionen. Das geplante zweite deutsche Offshore-Testfeld lehnte Rostock Port jedoch bisher ab, lieber würde das Unternehmen auf der Hälfte der Fläche eine Tiefwasserreede einrichten, also einen Ankerplatz für Schiffe mit Kurs auf den Rostocker Hafen. Diese Haltung hinterfragt besonders das junge Bündnis Rostock for Future, bestehend aus Fridays for Future, Students for Future und Parents for Future. KATAPULT MV sprach dazu mit fünf der Aktivisten:innen. Sie erklären, auch wenn sie den Wasserstoffausbau gutheißen, müssten zuvor erst wichtige Fragen beantwortet werden: Wann und wo wird der Windpark gebaut? Kommen nachhaltige Industrien in den erweiterten Hafen? Und die wichtigste von allen: Welche Industrie muss wirklich an die Kaikante und welche kann vielleicht auch weiter ins Inland? Denn mit dieser Abwägung und einer Änderung der Flächenausbaupläne könnte der Verlust des Moorgebietes vielleicht umgangen werden. Jennifer Wittke von Rostock for Future erklärt: „Auch wenn wir mehr auf erneuerbare Energien setzen wollen, können wir nicht auf dieses Moor verzichten. Es wäre ein völlig falsches Zeichen, zu sagen, wir machen das jetzt noch mal, weil die Wirtschaft das braucht. Wenn wir nicht dagegenhalten, geben wir noch ein paar Hektar und noch ein paar Hektar und werden es nie hinkriegen, klimaneutral zu werden.“ Auch Gerald Jurasinski, Forscher an der Universität Rostock und Mitglied bei Scientists for Future, spricht sich dafür aus, nach Möglichkeiten zu suchen, die noch nicht genutzt werden. Er sagt: „Ich bin nicht gegen den Hafenausbau, aber mit der galoppierenden Klimakrise können wir uns kein weiteres Ausgreifen in Klimaräume erlauben.“ Mit dem Seehafengutachten von Rostock Port soll auch ein Kompensationskonzept erarbeitet worden sein. Mit das Klima und die Umwelt schützenden Maßnahmen möchte der Hafen so woanders ausgleichen, was er hier zerstört. Doch schon 2018, während der letzten Ausgleichsmaßnahme des Hafens im Diedrichshäger Moor, waren Umsetzung und Sachlage nicht ganz eindeutig. Damals hatte der Hafen drei Millionen Euro in ein Naturareal zwischen Rostock-Lichtenhagen und Warnemünde investiert. „Es gab viel Kritik vom Nabu und vom BUND an den Ökomaßnahmen“, erzählt Jurasinski rückblickend. Der Hafen hatte ein Moorgebiet aufwerten wollen. Doch die Wasserstandsanhebung hätte Einschränkungen für die umliegenden Anwohner bedeutet. So war das Diedrichshäger Moor stattdessen erst ausgebaggert und dann neu überschwemmt worden. Zwar war somit ein naturschützendes, feuchtes Biotop für Vögel und spezialisierte Arten geschaffen worden, „aber“, so Jurasinski, „das Klima betrachtet, war die Maßnahme nicht gut, weil der im Torf gespeicherte Kohlenstoff die Fläche verlassen hat.“ Die Maßnahme war von der Stadt Rostock begleitet worden. Was tun die Stadt und ihre Hafengesellschaft? Das Ringen um Nachhaltigkeit ist nicht immer einfach: Naturschutz oder Klimaschutz. Wasserstoff erzeugen oder Moor erhalten. Nachhaltige Arbeitsplätze oder nachhaltige Naturräume schaffen. Entscheidungen, die getroffen werden müssen – aber gemeinsam mit der Bevölkerung. Es sollte Diskussionen geben, in denen Vorhaben und Auswirkungen erklärt werden. Diskussionen, die nicht erst stattfinden, wenn alle Bauvorhaben abgesegnet wurden. Laut Sitzungsprotokoll spricht sich Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen während der Sitzung des Planungsverbandes am 7. Dezember für eine Entscheidung noch am gleichen Tag aus. Die anwesenden Mitglieder stimmen ab. 15 stimmen mit Ja, sechs mit Nein, es gibt eine Enthaltung. Damit fasst die Verbandsversammlung mehrheitlich den Beschluss, die bisherigen Seehafen-Vorbehaltsgebiete zu Vorranggebieten zu machen. Auch wenn der Prozess noch am Anfang steht, geht der Plan zu Rostocks neuem, „nachhaltigem“ Hafen damit einen weiterer Schritt in Richtung Verwirklichung, ohne Einbeziehung der Bürger. Das im Verband diskutierte Seehafengutachten, bis heute unveröffentlicht, soll nun aufgearbeitet werden, um es anschließend der Öffentlichkeit zu präsentieren. Statt dem Originalgutachten. Arne Estelmann von Rostock for Future meint: „Es entsteht der Eindruck, dass es unter der Hand der Öffentlichkeit passieren soll, damit es gar nicht so krass debattiert wird. Klar haben wir einen Standpunkt und klar haben Hafenarbeiter einen anderen Standpunkt, aber es gibt ja kein öffentliches Gespräch und das ist das große Problem, das ich aktuell sehe.“ MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!