Meck-Vorp, das perfekte Land für einen Badeurlaub: 2.000 Kilometer Küste entlang der Ostsee und Boddengewässer, Flüsse und Kanäle mit einer Gesamtlänge von mehr als 26.000 Kilometern und über 2.000 Seen, die zusammen so groß sind, dass Köln, Düsseldorf und Mainz locker darin versinken würden. Wenn wir etwas haben, dann ist es Zugang zum Wasser. Viele laue Sommertage. Badeseen, Wellenrauschen. Wir haben es gut bei uns. Es gibt nur ein Problem: Wir können nicht schwimmen. Nicht grundsätzlich nicht, aber in einem Ausmaß, das besorgniserregend ist. Was im wasserreichsten Bundesland eine Kernkompetenz sein sollte, ist es nicht. Gerd Marthiens, Präsident des Landesverbandes der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG), zeichnet ein düsteres Bild. „Unser Bundesland entwickelt sich zum Land der Nichtschwimmer“, immer weniger Kinder besäßen ein Jugendschwimmabzeichen. Für die DLRG wie auch für andere Schwimmsportorganisationen und -vereine wie die Wasserwacht des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und den Deutschen Schwimmverband ist das Jugendschwimmabzeichen in Bronze maßgeblicher Nachweis, sicher schwimmen zu können. Seit Jahrzehnten schon stellen Vereine und Verbände einen Rückgang der Schwimmfähigkeit fest, nicht nur in Meck-Vorp, sondern bundesweit. Wie kann das sein, wenn gerade bei uns das Wasser doch wortwörtlich bis kurz vor die Haustür schwappt? Schulschwimmunterricht nicht ausreichend für sicheres Schwimmen Seit Jahren beschäftigt sich die Landesregierung mit dem Thema, vor allem im Bereich des Schulsports. Zum Ende der vierten Klasse, so heißt es, sollen alle Kinder schwimmen können und die Baderegeln kennen. Es ist eine ambitionierte Aussage, denn eine Definition der Anforderungen existierte lange nicht. Erst 2017 gab es einen Vorstoß der Kultusministerkonferenz, um sicheres Schwimmen zu definieren. Im aktuellen Rahmenplan Sport für die dritten und vierten Klassen in Meck-Vorp ist noch immer lediglich festgelegt, dass Kinder Schwimmtechniken ausführen und eine „längere Zeit oder Strecken“ schwimmen sollen. Sicheres Schwimmen wird nicht erwähnt. Zum Ende des Schuljahres 2014/15 besaßen 46 Prozent der Grundschüler und Grundschülerinnen ein Jugendschwimmabzeichen. Drei Jahre später verfügten zwar rund 84 Prozent der Schüler und Schülerinnen der vierten Klassen im Land über Grundfertigkeiten im Schwimmen, aber fast 60 Prozent fehlte der Nachweis des sicheren Schwimmens. Die Ursachen sind vielfältig und ähneln sich doch immer wieder: unzureichender Schwimmunterricht, zu wenige Schwimmhallen und mangelnde Bahnkapazitäten, hohe Kosten und logistische Herausforderungen für Schulträger und schwimmsporttreibende Vereine. Gerd Marthiens nennt die Entwicklung gravierend. „Wir brauchen einen anderen Anspruch“, sagt er. „Eigentlich gehört heute zum Menschen dazu, dass er schwimmen kann. Das ist eine Sicherheit, denn baden gehen alle.“ Im Jahr 2017 wurden in Meck-Vorp 88 Hallen- und Freibäder für den Schwimmunterricht genutzt. Das klingt zunächst ordentlich, doch für den DLRG-Landespräsident reicht das nicht aus. Nicht die Quantität, sondern die Qualität im Hinblick auf die Prüfungsnachweise ist für ihn ausschlaggebend. „Im gesamten Landkreis Vorpommern-Rügen“, so Marthiens, „gibt es zwei Schwimmhallen, die den Anforderungen entsprechen, das Jugendschwimmabzeichen in Bronze abzunehmen.“ Er meint den Hansedom in Stralsund und die Boddentherme in Ribnitz-Damgarten. 2019 gab die Landesregierung an, dass in den Schuljahren 2017/18 und 2018/19 an 256 Grundschulen in Meck-Vorp Schwimmunterricht durchgeführt wurde. Das Statistische Landesamt zählt für den gleichen Zeitraum 321 Grundschulen in unterschiedlichen Formen im Land. Ein Blick auf diese Zahlen genügt, um festzustellen, dass an jeder fünften Grundschule in Meck-Vorp kein Schwimmunterricht stattfindet. Landesregierung stellt Förderprogramm „M-V kann schwimmen“ auf Zurück zur Ausgangssituation. Kinder lernen in den Grundschulen keine ausreichenden Schwimmfertigkeiten. Das erkannte im vergangenen Jahr auch die Landesregierung und legte das Programm „M-V kann schwimmen“ auf. Für die Jahre 2020 und 2021 stellt sie zunächst eine Fördersumme von jeweils 25.000 Euro bereit. Schwimmkurse speziell für Grundschulkinder werden unterstützt, die ausdrücklich auch in Frei- und Naturbädern sowie der Ostsee stattfinden sollen. Das Seepferdchenabzeichen, das Grundfertigkeiten im Wasser nachweist, ist dabei kein Gradmesser, sind sich Landesregierung und Schwimmverbände einig. In brusttiefem Wasser schwimmen zu können, reicht nicht aus, weil es selbst dann schon brenzlig werden kann. „Sobald die Kinder weiter als bis zum Bauch ins Wasser gehen, begeben sie sich in Gefahr. In freien Gewässern ist es noch viel gefährlicher als in Schwimmbädern, weil sich dort die Wassertiefen schlagartig ändern können“, weiß Marthiens. Außerdem warnt er vor Strömungen, die ein sicheres Schwimmen voraussetzen, um sich aus ihnen befreien zu können. Auch die Schulleitungsvereinigung Mecklenburg-Vorpommern ist besorgt. Sie verweist auf das Statistische Bundesamt, das das Ertrinken als zweithäufigste Ursache tödlich verlaufender Unfälle im Kindesalter nennt. Sowohl Personalmangel im Schulschwimmunterricht als auch begrenzt zur Verfügung stehende Schwimmstätten sowie die logistischen Herausforderungen der An- und Abreise der Schüler seien problematisch, heißt es im September 2020 in einer Stellungnahme an die Landesregierung. Daraufhin, und zusätzlich bedingt durch ausgefallenen Schulunterricht während der Corona-Pandemie stellte das Landesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur 2020 weitere 105.000 Euro für „M-V kann schwimmen“ bereit. In den Sommerferien 2020 konnten so 136 Schwimmkurse mit 955 Teilnehmenden stattfinden. In diesem Jahr ist das Programm noch umfangreicher. Es wurden Zuschüsse für Schwimmkurse für etwa 3.600 Kinder beantragt, heißt es aus dem Sozialministerium. Abschließende Teilnehmerzahlen liegen noch nicht vor. Außerschulische Schwimmlehrkräfte in MV fast ausschließlich ehrenamtlich Begleitet wird „M-V kann schwimmen“ von ehrenamtlichen Helfern. Sie unterstützen die DLRG, die Wasserwacht des DRK und andere Organisationen bei der Schwimmausbildung. Für 2021 hat der Landesverband der DLRG etwa 700 Kinder im Grundschulalter in Schwimmkursen gemeldet. Doch die Nachfrage nach derartigen Angeboten ist viel größer. „Es fängt schon im Kindergartenalter an, weil die Eltern das Thema so wichtig finden“, erzählt Claudia Groß, stellvertretende Vorsitzende der DLRG-Ortsgruppe Binz auf Rügen. Diesen Bedarf zu stillen, ist eine Herausforderung, denn auch für außerschulische Schwimmkurse gibt es weder ausreichend Hallenzeiten noch genügend Personal. In den gerade erst zurückliegenden Herbstferien betreute Groß zehn Kinder während eines Schwimmkurses im Samtenser Hallenbad. „Gerade bei Schwimmanfängern“, sagt Groß, „musst du mit zwei Leuten am Beckenrand stehen. Du kannst nicht zehn Kinder auf der Bahn haben und allein sein. Das funktioniert nicht.“ Auch in der Ostsee lehrt Groß Schwimmfertigkeiten. Im Juni und August 2021 führte sie mit weiteren ehrenamtlichen Übungsleitern der DLRG Ferienschwimmkurse am Strand von Prora durch. Gefördert vom Programm „M-V kann schwimmen“ begleitete sie einhundert Kinder in zwei fünftägigen Kompaktkursen, nahm Prüfungen für das Seepferdchen, aber auch für die Jugendschwimmabzeichen Bronze, Silber und Gold ab. Groß ist dankbar für die Fördermittel der Landesregierung. „Mit diesem Geld finanzieren wir alles, was mit der Schwimmausbildung zu tun hat.“ Dazu gehören Schwimmmaterialien, Strandmuscheln, Eintritte in Freibäder und Bahnkosten, aber auch größere Investitionen wie ein neuer Bootsmotor und Aufwandsentschädigungen für die ehrenamtlich tätigen Schwimmausbilder. Für Claudia Groß ist das Engagement fürs Schwimmen eine Herzensangelegenheit. Ihre Leidenschaft für Wasserbewegung vermittelt sie auch den Kindern in den Schwimmkursen. „Die Nachfrage war bombastisch. Wenn wir mehr freie Zeit gehabt hätten, hätten wir noch drei Wochen länger machen können. Auch diese Kurse wären ausgebucht gewesen“, betont Groß. Auch DLRG-Funktionär Marthiens freut sich über die zusätzlichen Möglichkeiten, die „M-V kann schwimmen“ eröffnet. Er gibt aber zu bedenken, dass sich Schwimmkurse nicht einfach entsprechend des Bedarfes erhöhen lassen. Überall sind Grenzen gesetzt: Hallenzeiten fehlten, Schwimmlehrkräfte seien fast ausschließlich ehrenamtlich tätig und auch die Kinder, so Marthiens, hätten durch die Schule nur begrenzt Zeit. Während Groß am Strand von Prora mit den Grundschulkindern in der Ostsee schwimmen lernt, kritisiert Marthiens die Schwimmausbildung in Freigewässern. Gerade dort sieht er Schwierigkeiten, Grundschulkinder bis zum Jugendschwimmabzeichen Bronze zu führen. „Da sind Wellen, Strömungen und auch das Wetter spielt nicht immer mit“, sagt Marthiens. Außerdem sei „der rettende Beckenrand nicht in der Nähe und wenn man gerade mit dem Schwimmen anfängt, ist diese Situation schon schwierig“. Obwohl der Bedarf an Schwimmkursen auch durch das Programm „M-V kann schwimmen“ nicht gedeckt werden kann, sind Groß und Marthiens zufrieden mit der aktuellen Unterstützung. Für beide ist es aber nur ein erster Schritt. Auf die Frage, was sie sich in Zukunft für die Schwimmförderung im Land wünscht, antwortet Groß: „Ich würde es gut finden, wenn auch weiterführende Projekte in den Klassen 5 und 6 durch Förderung unterstützt würden.“ Denn auch das gehört zur aktuellen Situation im Land: Schwimmförderung gibt es nur für Kinder im Grundschulalter. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!