„Alle tappen im Dunkeln“, erklärt Björn Jettka, Pressesprecher von Greenpeace Deutschland, die aktuelle Situation. Zwischen Weihnachten und Februar kam es im Kleinen Jasmunder Bodden zu einem massenhaften Fischsterben. Etwa 30 Tonnen tote Fische sammelte das Technische Hilfswerk (THW) gemeinsam mit freiwilligen Helfer:innen aus dem Uferbereich. Ein Vielfaches wird auf dem Grund des Boddens vermutet. Mehrfach entnahmen Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace und staatliche Behörden Proben am Gewässer. Dabei wurden sowohl Wasser und Sedimente vom Grund des Boddens als auch Zuläufe und nahe gelegene Wasserflächen wie die Wostevitzer Teiche untersucht. „Wir haben die Proben auf klassische Agrargifte, also Pestizide, und auf Industriegifte wie Dioxine untersuchen lassen“, erläutert Jettka das Vorgehen. Jedoch ohne nennenswerte Auffälligkeiten. Zwar gebe es ein „Grundrauschen“ an Belastung, doch das sei überall zu finden, wo Agrargifte eingesetzt werden. Chemikalien und Abwässer im Kleinen Jasmunder Bodden Die Spurensuche begann zunächst über die klassischen Messwerte zur Bestimmung der Wasserqualität. Doch pH-Wert und Salzgehalt lagen im Normalbereich. Der Sauerstoffgehalt war sogar optimal. Fünf Messstellen auf dem Kleinen Jasmunder Bodden wiesen die üblichen Belastungen für von Menschen beeinflusste Gewässer auf. Es wurden Kohlenwasserstoffe, Siloxane und Phthalate gefunden, die in Reinigungsmitteln, Kosmetika oder als Weichmacher in Kunststoffen eingesetzt werden. Auch Schwefelverbindungen und Phosphatewurden im Wasser nachgewiesen. Doch nichts davon sei in auffälliger oder gar für Fische giftiger Konzentration vorhanden. Die Ergebnisse, so erklärt das Umweltministerium, zeigten keine Ursache des Fischsterbens auf. Mitte Januar wurde ein Phenol in den Wasserproben festgestellt. Mit einer Konzentration von etwa 0,2 bis 0,3 Mikrogramm pro Liter könne es ebenfalls als Ursache für das Fischsterben ausgeschlossen werden. Erst bei einer rund 5.000-fach höheren Konzentration wäre der Stoff für Fische giftig. „Es ist ein Mysterium, warum so viele Fische in recht kurzer Zeit (von Weihnachten bis Februar, Anm. d. Red.) gestorben sind“, sagt Jettka. Auch gebe es keine Hinweise auf ein eingeleitetes Gift, obwohl ein breites Spektrum an Pestiziden, Organo- und Chlorverbindungen untersucht wurde. „Gleichzeitig ist es seltsam, dass so viele Fische auf einmal starben“, betont Jettka. WWF hält Ammoniakvergiftung für möglich Ob eine toxische Ansammlung von Ammoniak für das Fischsterben verantwortlich sein könnte, ist dagegen umstritten. Die Umweltschutzorganisation WWF sieht eingeleitete Düngemittel oder Abwassereinträge wie fäkalienhaltiges Schmutzwasser als mögliche Ursache und berichtete frühzeitig von einer erhöhten Konzentration von Ammonium und Nitrit im Kleinen Jasmunder Bodden. Toxische Ammoniakwerte hätten jedoch einen entsprechend kritischen Sauerstoffgehalt mit sich führen müssen, hält das Umweltministerium dagegen. Dieser wurde nicht festgestellt. Der WWF geht dennoch von einer Vergiftung als Ursache für das Fischsterben aus. Die Rahmenbedingungen ließen darauf schließen, heißt es. Die Naturschutzorganisation verweist auf die im Wasser vorhandenen Nährstoffe. Diese hätten Ende des letzten Jahres womöglich eine Konzentrationsschwelle erreicht und gepaart mit einem Sauerstoffmangel im Gewässer zu einer Vergiftung der Fische geführt. Die Frühjahrsstürme Yelina und Zeynep hätten dann Mitte Februar für eine Durchmischung der Wasserschichten gesorgt, in der die giftigen Konzentrationen schnell oxidiert und nicht mehr nachweisbar seien. Mit dieser Position steht der WWF weitestgehend allein. Zuletzt betrachteten die Expert:innen von Greenpeace das Gewässer aufmerksam, als im Zuge starken Regens die Schleusentore zum Großen Jasmunder Bodden geöffnet wurden. „Wenn noch eine toxische Substanz im Kleinen Jasmunder Bodden gewesen wäre, hätte diese anschließend auch ansatzweise im Großen Jasmunder Bodden bemerkbar sein müssen“, beschreibt Jettka die damalige Hypothese. Dann hätten auch tote Fische im benachbarten Gewässer auftauchen müssen. Dem war aber nicht so. Auch Viren und Algen als Ursache ausgeschlossen Auch die untersuchten Kadaver liefern keine Ergebnisse, die das Fischsterben erklären könnten. Zwar sehe man laut Jettka den Fischen an, dass es ihnen nicht gut gehe, doch das sei aufgrund der bekannten Belastung des Gewässers zu erwarten. Auf eine bestimmte Todesursache lässt der Zustand der verendeten Tiere nicht schließen. Erschwerend kommt hinzu, dass mehrere Fischarten vom plötzlichen Sterben betroffen waren. Einen Virenbefall, der üblicherweise auf eine Art begrenzt ist, schließen Pathologen deshalb aus. Wir haben viel untersucht, aber die Nadel im Heuhaufen nicht gefunden. Björn Jettka, Greenpeace Deutschland Normalerweise ist Fischsterben in den Boddengewässern eher ein Phänomen in den Sommermonaten, wenn es aufgrund der steigenden Wassertemperatur zu einer massenhaften Vermehrung einzelner Algenarten, der sogenannten Algenblüte, kommt. Sie produzieren Toxine, die für Fische tödlich sind. Doch für eine akute Algenblüte gab es Jettka zufolge im Kleinen Jasmunder Bodden keine Anzeichen. Dass die Ursache des Fischsterbens nicht aufgeklärt werden konnte, sei für alle Beteiligten nicht zufriedenstellend, erklärt das Umweltministerium. Gleichzeitig weist es darauf hin, dass es mit zunehmendem Zeitabstand immer unwahrscheinlicher werde, diese zu ermitteln. Die Ergebnisse des Landkreises, von Greenpeace, dem WWF sowie des Landesanglerverbands wurden gemeinsam diskutiert. Dabei standen verschiedene Hypothesen im Raum, die alle durch Untersuchungen widerlegt wurden. Der Kleine Jasmunder Bodden ist belastet Unbestritten ist jedoch, dass der Kleine Jasmunder Bodden schon seit Jahrzehnten belastet ist. Aus nahen Ackerflächen werden immer wieder Nährstoffe ins Gewässer gespült und auch ein Wasseraustausch findet im 2.500 Hektar großen Bodden durch den angrenzenden Straßen- und Schienendamm bei Lietzow nur unzureichend statt. Bis Anfang der Neunzigerjahre wurden regelmäßig kommunale und landwirtschaftliche Abwässer in den Bodden eingeleitet und noch immer tragen die Zuflüsse Teteler Bach, Saiser Bach und Karower Mühlbach Nährstoffe ein. So kam und kommt es vermehrt zu organischen Ablagerungen am Grund des Boddens, aus denen Nährstoffe ins Wasser gelangen, die organische Prozesse in Gang setzen. Bei einer ausbleibenden Durchmischung der Wasserschichten kann dann ein Sauerstoffmangel auftreten, wie vom WWF beschrieben. Um dem entgegenzuwirken, könnte eine Anlage installiert werden, die das Gewässer mit Sauerstoff anreichert. Abgelagerte Sedimente könnten so besser zersetzt werden. Doch eine technische Belüftung der Sedimente durch Sauerstoffpumpen sei aufwendig, heißt es aus dem Umweltministerium. Dort wird außerdem befürchtet, dass es zwangsläufig zu einer weiteren Freisetzung von Nährstoffen kommt, deren Effekte schwer abschätzbar seien. Die Gefahr besteht, dass durch die Belüftung vermehrt Nährstoffe ins Wasser abgegeben werden, die teils erhebliche negative Auswirkungen auf den Gewässerzustand haben könnten. Droht ein erneuter Kollaps? „Es ist wahrscheinlich, dass ein großer Teil der verendeten Fische auf dem Grund des Boddens liegt“, äußert Christopher Zimmermann vom Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock und bekräftigt die Vermutung vieler Anwohner:innen und Behörden. Dass tote Fische absinken, sei nichts Ungewöhnliches, erklärt Greenpeace-Pressesprecher Jettka. Auf dem Grund werden die Kadaver von Krebsen und anderen Organismen gefressen, oder sie vergammeln. Die Zersetzung und Aufnahme dieser Fische durch Bakterien und Aasfresser beginne unmittelbar nach dem Absinken, weiß Meeresbiologe Zimmermann. Die kalten Wassertemperaturen im Winter verlangsamen diesen Prozess, stoppen ihn aber nicht. Daher sei davon auszugehen, dass das biologische Material bis zum späten Frühjahr vollständig abgebaut sei. Lediglich Gräten und Köpfe bleiben übrig. In diesem Zeitraum ist ein Sauerstoffmangel im vergleichsweise flachen Bodden nicht zu erwarten, weil die stärkeren Frühjahrswinde für eine Durchmischung der Wasserschichten sorgen. Die Bildung sauerstofffreier Gebiete am Grund des Kleinen Jasmunder Boddens und ein damit einhergehender möglicher Kollaps des Gewässers seien unwahrscheinlich, heißt es aus dem Thünen-Institut. Das Umweltministerium äußert sich vorsichtiger, sieht mögliche Effekte auf das Gewässer durch Verwesungsprozesse abhängig von Witterung und Wasseraustausch. Gleichzeitig hebt es hervor, dass der Kleine Jasmunder Bodden durch das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt Vorpommern als zuständiger Wasserbehörde beobachtet wird. Fische kehren in den Bodden zurück Gegenwärtig scheint sich der Kleine Jasmunder Bodden vom Schock des Fischsterbens zu erholen. Durch die geöffnete Schleuse wandern Fische aus dem Großen Jasmunder Bodden zu ihren Laichplätzen. „Das machen sie nur, wenn ihre Sensorik keine Bedrohung wahrnimmt“, sagt Jettka und mahnt zugleich, dass es auch toxische Stoffe geben könne, die für die Fische nicht wahrnehmbar seien. Der ortsansässige Fischer Andreas Zietemann beobachtet die Fischwanderung in den Kleinen Jasmunder Bodden genau. „Es ist kein neues Sterben zu bemerken“, stellt er erleichtert fest. Zwar werden noch immer Kadaver gesichtet, aber es gebe Anzeichen dafür, dass sich „ein bisschen Leben“ im Gewässer befindet. Der Fischer im Haupterwerb beziffert seinen Verdienstausfall durch das Fischsterben im Kleinen Jasmunder Bodden auf 80 Prozent. Gerade im Winter sei Saison auf dem Gewässer. Der aktuelle Verdienst reiche deshalb gerade, um seine Kosten zu decken. Vom Land erhält Zietemann keine Unterstützung, obwohl er sich wie viele Berufskollegen in der Kleinen Küstenfischerei um die Hege der Fischbestände bemüht. Erholung des Fischbestands unklar Wie schnell sich der Fischbestand erholen wird, könne das Umweltministerium schwer abschätzen. Innerhalb einiger Jahre könne er wieder das vorherige Niveau erreichen, wenn die Bedingungen stimmen. In den kommenden Monaten soll eine Bestandsaufnahme mit mindestens drei weiteren Probebefischungen im Frühjahr, Sommer und Frühherbst durchgeführt werden. Dazu gehören auch regelmäßige Gewässeruntersuchungen. Wir haben im Moment keine Anhaltspunkte mehr, denen wir nachgehen können. Björn Jettka, Greenpeace Deutschland Nun bleibt nur die weitere Beobachtung. Immerhin hätten die Diskussionen und Prüfungen der verschiedenen Hypothesen für die Probleme des Kleinen Jasmunder Boddens sensibilisiert, heißt es aus dem Umweltministerium. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!