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Rechtsextremismus

Nazikader im Gemeinderat

Groß Krams, ein kleines Dorf im Landkreis Ludwigslust-Parchim, wird von völkischen Siedlern bewohnt. Das Bündnis „Wage Mut! Bündnis für Demokratie“ wehrt sich gegen die Ansiedlung und setzt sich für ein demokratisches Miteinander ein. KATAPULT MV hat mit einer Aktivistin gesprochen und gefragt, wie es sich anfühlt, mit Nazis als Nachbarn zu leben, vor welche Herausforderungen sie das stellt und ob die Politik Interesse an dem Problem zeigt.

In Mecklenburg-Vorpommern leben etwa 250 völkische Siedler. Das sind Menschen mit geschlossenem Weltbild, die einer rassistischen Blut-und-Boden-Ideologie folgen und sich überwiegend in Siedlungsgemeinschaften niederlassen. Ihr Leben: ein ewiger Kampf, um die eigene „Sippe“ zu erweitern und ihre „Blutlinie“ weiterzugeben. Sie betreiben Handwerk oder ökologischen Landbau und haben nicht selten eine Neonazi-Vergangenheit. Besonders beliebt sind Ansiedlungen in Dörfern, in denen kaum noch zivilgesellschaftliche Strukturen existieren. Dort, wo eine Lücke entstanden ist, weil es nur noch wenige organisierte Begegnungsmöglichkeiten zwischen Staat und Bevölkerung, aber auch zwischen Menschen gibt, lassen sich völkische Siedler besonders gerne nieder. Einerseits können sie so aus dem Verborgenen agieren, andererseits versuchen sie, eine Art Demokratievakuum vor Ort zu füllen. Ihre Strategie: Sympathie gewinnen durch Nachbarschaftspflege und neue Visionen für vergessene Dörfer, Hilfsbereitschaft zeigen und nationale, traditionelle Werte vermitteln. Hartmut Gutsche, Leiter des Regionalzentrums für demokratische Kultur Vorpommern-Rügen, erklärt das so: „Ihre Überzeugungen tragen völkische Akteure selten als Transparent vor sich her, sondern sie leben sie vor allem in ihren alltäglichen Kontexten.“

Auch in Groß Krams leben völkische Siedler und versuchen, die dort bestehenden demokratischen Strukturen zu unterwandern. Das kleine Dorf gehört zum Amt Hagenow-Land. Die Region im Landkreis Ludwigslust-Parchim ist dünn besiedelt. Einige der 180 Einwohner:innen engagieren sich im Bündnis „Wage Mut! Bündnis für Demokratie“. Andere sind bekannte Nazikader und völkische Siedler oder wählen die AfD. Seit 2019 engagieren sich die Bündnismitglieder schon gegen Rechte im Dorf. Um genau zu sein gegen völkische Siedler. Die Initiative hat sich in enger Zusammenarbeit mit dem Regionalzentrum für Demokratische Kultur (RAA) Westmecklenburg unter der Leitung von Daniel Trepsdorf gegründet. Das Team des Regionalzentrums hatte vor der Gründung zunächst aufgeklärt, was völkische Siedler sind und mit wem es die Dorfbewohner genau zu tun haben.

Mutig gegen Nazis

Elisabeth Gnann ist Rentnerin und wohnt seit 17 Jahren mit ihrem Mann in Groß Krams. Das Bündnis „Wage Mut!“ hat sie damals mitgegründet, um für die Demokratie im Dorf zu kämpfen, neue Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen und ein Zeichen gegen zwei Nazikader, Ragnar Böhm und Sebastian Richter, zu setzen. Beide haben bis heute einen Platz in der Gemeindevertretung. „Wir wollen nicht zulassen, dass sie die Meinungshoheit im Dorf übernehmen, menschenverachtende, rechte Ansichten verbreiten und noch mehr Kameraden ins Dorf bringen“, sagt Gnann. Die aktiven Mitglieder des Bündnisses sind vor allem Frauen. Auch der Groß Kramser Tischtennisverein unterstützt die Initiative.

Der Name des Bündnisses, „Wage Mut! Für Demokratie“, habe sich aus dem Angst-Narrativ der rechten Bewegung ergeben, berichtet Gnann – aber mehr noch, um sich davon zu befreien. Sie denke dabei an Gewalt, Einschüchterungsversuche, Propaganda und Lügen, die durch Rechte verbreitet werden: „Die völkischen Siedler hier im Dorf benutzen die gleichen Strategien und Taktiken wie die Nationalsozialisten. Deswegen haben wir gedacht, Mut ist gut. Und wir wagen Mut.“ Einige fanden den Namen anfangs nicht passend. Die Rentnerin habe von manchen Leute gehört: „Es zeigt, dass man Angst vor den Rechten hat, wenn man Mut braucht.“ Ganz im Gegenteil, sagt sie. Die Aussage sei, dass Mut Stärke bedeutet und nicht Schwäche.

Flohmarkt und Autokino mit Staatsschutz

Der vom Bündnis ins Leben gerufene Demokratieflohmarkt fand dieses Jahr zum vierten Mal statt. Eigentlich sollte er unpolitisch sein: „Aber dann hat Herr Richter im Dorf verbreitet, dass wir einen politischen Flohmarkt planen. Wir dachten: Super Idee! Das machen wir“, erinnert sich Gnann. Immer mehr Menschen, vor allem aus Nachbardörfern, beteiligen sich an der regelmäßigen Aktion. Ende April und zuletzt im September konnte in Groß Krams getrödelt werden. An etwa 20 Ständen konnten die rund 200 Besucher:innen unter anderem Honig, Klamotten und Selbstgenähtes kaufen. Ein Teil der Einnahmen wurde an das Netzwerk für Flüchtlinge in Parchim gespendet. Beim Markt im September wurde anlässlich des dreißigsten Jahrestages der Lichtenhagener Progrome auch die Wanderaustellung „Von Menschen, Ansichten und Gesetzen. Rostock-Lichtenhagen – mitten unter uns“ vom Rostocker Verein „Bunt statt braun e.V.“ gezeigt.

Das Groß Kramser Bündnis findet es jedoch schade, dass der Flohmarkt bisher jedes Mal auf Widerstand stieß. An den Dorfstraßen wurden Schilder aufgestellt mit der Aufschrift „Flohmarkt fällt aus“. Plakate und Hinweisschilder, die das Bündnis aufgehängt hatte, wurden mit Farbe beschmiert oder abgehängt: „Ich frage mich wirklich, wie viel Angst man vor einem Flohmarkt haben kann“, schmunzelt Gnann kopfschüttelnd. Auch ein Autokino im vergangenen Jahr nahmen die Völkischen zum Anlass, Stimmung im Dorf zu machen. Die Mitglieder der Kreistagsfraktion „Heimat und Identität“ wurden von ihnen nach Groß Krams eingeladen. „Aber wir hatten Polizeischutz und den führenden Nazipersonen im Dorf wurde vorher schon klargemacht, dass hier nichts läuft“, erzählt Gnann.

Neue Ansiedlungen in Alt Krenzlin

Vier völkische Familien wohnen mutmaßlich in Groß Krams. Ragnar Böhm hat zuletzt ein weiteres Grundstück erworben. Auch bekannte Charaktere aus MVs Neonaziszene, wie Sven Krüger oder Andreas Thyssen, seien öfter bei Böhm und Richter anzutreffen, erzählt Elisabeth Gnann. Erst vor Kurzem siedelte sich im Nachbardorf Alt Krenzlin eine neue völkische Familie an. „Man sieht also, ihre Arbeit konzentriert sich nicht nur auf Groß Krams, sondern sie strecken ihre Tentakel auch auf andere Dörfer in der Nähe aus“, warnt Gnann. Sie ist sich sicher: Zwischen den Siedlern in Groß Krams und Alt Krenzlin gibt es eine Verbindung. Nicht nur die Autos von besagten Familien aus Alt Krenzlin stehen immer wieder bei Böhm. Auffällig sei darüber hinaus das Pentagramm mit Odin- Phrase am Haus der neuen Siedler. Am Hauseingang sei ein Schild über Nordmänner angebracht, dass diese ihren Gott nicht mit Gebeten ehrten, sondern mit Taten, erklärt Gnann. Im Garten steht ein Wikingerschiff, daneben die Weltenesche Irminsul als Skulptur. Was aussieht wie ein mittelmäßiger Kinderspielplatz, vermittelt einen Eindruck vom esoterischen Fundament der völkischen Siedler.

Völkische Siedler erkennen – aber wie?

Die nordische Mythologie wird in der rechtsextremen Szene immer wieder missbraucht. Auch völkische Siedler bedienen sich bei ihr, mit starkem Bezug auf Sagen und Runen. Schon die völkische Bewegung im 19. Jahrhundert und der Nationalsozialismus, die vor allem durch eine enge Gemeinschaft, Gewaltverherrlichung und die Idee der Rassenüberlegenheit gekennzeichnet sind, griffen auf nordische Götterwelten zurück. Bestimmte Bräuche und Aspekte, die besonders martialisch sind, werden an die völkische Ideologie angepasst und umgedeutet.

Zu den Symbolen der nordischen Mythologie, die noch heute von völkischen Siedlern benutzt werden, zählen der Thorshammer, die Wolfsangel, die Weltenesche, die schwarze Sonne, das Keltenkreuz, ein Adler, der einen Fisch fängt, Runen und der Wotansknoten.

Durch die engen Verbindungen zu anderen rechtsextremen Szenen finden sich inzwischen auch „modernere“ Symbole wie Motto-T-Shirts mit Sprüchen wie „Odin statt Jesus“. Für die ursprüngliche völkische Kernszene und ihre Eliten seien solche „Spielereien“ aber eher untypisch, erklärt Elisabeth Siebert, Leiterin des Regionalzentrums für demokratische Kultur im Landkreis und der Hansestadt Rostock. Häuser und Kleidung seien häufig betont antimodernistisch und zeigten oft auch direkte Bezüge zu germanischen oder nationalsozialistischen Traditionen.

Die meisten Begegnungen mit völkischen Siedlern finden neben Dorfgemeinschaften vermutlich in Kitas und Schulen statt. Altnordische Namen fallen dort häufig auf und enttarnen völkische Familien, die meist subtil agieren. Völkische Siedler identifizieren sich ebenfalls mit Zeichen, die im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus stehen. Dazu gehören Zahlencodes wie „88“, für „Heil Hitler“, aber auch das Hakenkreuz, die schwarz-weiß-rote Flagge, die Reichskriegsflagge, das Eiserne Kreuz, das Zahnrad oder der Reichsadler.

Von der Politik alleingelassen?

Sebastian Richter trat bei den Gemeindevertretungswahlen in Groß Krams im Jahr 2019 als Einzelkandidat an. Er machte im Dorf Hausbesuche, um für sich zu werben, gab sich als bürgerlicher Kandidat, erzählte, nicht mehr in der NPD zu sein. „Er bezeichnet sich als noch rechter als die NPD“, erklärt Gnann. Das sei ein Problem. Nach Artikel drei, Absatz zwei der Landesverfassung von Mecklenburg-Vorpommern dient die Selbstverwaltung in den Gemeinden und Landkreisen dem Aufbau der Demokratie von unten nach oben. Gnann fragt sich: „Wieso ist es dann erlaubt, dass zwei bekannte Nazikader, die antidemokratisch sind, als Gemeindevertreter, als Teil eines demokratischen Organs, aufgestellt werden können?“

Das Bündnismitglied wollte die Landesregierung auf das Problem aufmerksam machen und schrieb dem damaligen Innenminister Torsten Renz (CDU) einen Brief. Sie bekam aber nie eine Antwort: „Ich bin dann zum Innenministerium gefahren und habe gefragt, ob sie mir wenigstens bestätigen können, dass der Brief eingegangen ist.“ Die Antwort lautete ja, trotzdem habe sich niemand des Themas angenommen. Auch auf kommunaler Ebene habe das Bündnis wenig Unterstützung, das Problem „völkische Siedler“ wenig Beachtung erfahren.

So passiert es auch, dass Sebastian Richter für seine Firma „Norddeutscher Baumdienst“ im Amtsblatt Ludwigslust-Land werben darf. Für Gnann ebenfalls problematisch. Vor allem, weil dort niemand wusste wer Richter ist: „Ich habe beim Amt Ludwigslust Land angerufen und darauf aufmerksam gemacht.“ Der Amtsvorsteher, Herr Meyer, sah keinen Handlungsbedarf. Die Rentnerin habe dann mit der Rechtsaufsicht telefoniert, mit verschiedenen Verantwortlichen im Landkreises gesprochen: „Sie sagten, juristisch sind ihnen die Hände gebunden“ und das findet sie skandalös. Von den Bürgern wird Zivilcourage verlangt, aber was machen die Ämter?” Sebastian Richter darf noch immer Werbung im Amtsblatt und auf der Homepage vom Amt Ludwigslust-Land schalten.

Seit der ersten Veröffentlichung in der KATAPULT MV Ausgabe 9 im Juli 2022 hat sich in Sachen Unterstützung einiges getan. Elisabeth Gnann berichtet, dass sich SPD und Linke den Anliegen des Bündnisses „Wage Mut!“ angenommen haben. Auch mehrere Politiker*innen der Grünen Mecklenburg-Vorpommern waren im Sommer zu Besuch in Groß Krams. Gnann fügt hinzu: „Wir können behaupten, dass wir ein sehr konstruktives und positives Gespräch hatten und nun unsere Interessen durch die Grünen Fraktion vertreten sehen“. Auch vorher sei der Kontakt bereits hergestellt worden. Dr. Bernd Schulz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, und Gerd Vorhauer, sachkundiger Einwohner für Kreisentwicklung, waren bei der Gründungsversammlung des Bündnis vor Ort.

„Es ist nicht wünschenswert, mit völkischen Siedlern im Dorf zu leben“

Im Dezember 2020 hatte das Bündnis Weihnachtsbriefe mit der Präsentation der Initiative im Dorf verteilt. Zwei Dorfbewohner klingelten danach an Gnanns Tür und brachten einige davon wieder zurück. Sie beschwerten sich darüber, dass Groß Krams jetzt als Nazidorf bekannt sei. Ihre Kinder würden in der Schule darunter leiden. „Ich habe dann gefragt: Was macht ihr dafür, dass es kein Nazi-Dorf ist?“, erzählt Gnann.

Sie ärgere sich vor allem über das mehrheitliche Wegschauen im Dorf. Diese Leute würden Richters und Böhms Arbeit „als Steigbügelhalter“ erst ermöglichen. Gnann glaubt, dass viele Menschen aus Angst und Unwissenheit keine klare Kante gegen Nazis zeigen. Das spiegele sich auch an der Beteiligung im Bündnis wider: „Trotzdem macht das Bündnis den Leuten keine Vorwürfe. Wir freuen uns über jeden Unterstützer“, betont die Groß Kramserin.

Da Elisabeth Gnann mit ihrem Mann direkt an der Hauptstraße lebt, begegnet sie den völkischen Familien hin und wieder. Am Anfang habe sie noch gegrüßt. Zwischen ihrem Mann und Richter fand anfänglich sogar ein Meinungsaustausch statt: „Aber es war vergeblich. Nazis haben kein Gewissen. Sie arbeiten mit Lügen, mit Täuschung und Verleumdung.“

Eine völkische Familie, die direkt neben den Gnanns lebt, habe einmal mit ihrem Anwalt gedroht. In einem Brief stand, dass sich Gnann von den Kindern fernhalten soll. Sie solle dem sechsjährigen Sohn gesagt haben, seine Eltern seien böse und sie würde das Jugendamt schicken. „Das ist ein gutes Beispiel für ihre Einschüchterungstaktik. Ich habe nie so etwas zu ihm gesagt oder getan. Die wollten, dass ich meinen Mund halte“, so die Aktivistin. Böhms Kinder wiederum hätten Elisabeth Gnann als „Hexe“ bezeichnet. Als sie mit ihrem Mann spazieren ging und an dem Haus der Böhms vorbeikam, hätten die Kinder gerufen: „Die Gnanns, die Gnanns!“ Das habe wie eine Gefahr geklungen. Es sei einfach nicht wünschenswert oder konstruktiv, mit völkischen Siedlern in einem Dorf zu wohnen, resümiert Gnann.

Dieser Artikel erschien in der gedruckten Ausgabe 9 von KATAPULT MV, die kann im KATAPULT-Shop bestellt werden.

Transparenzhinweis: Der Artikel wurde aufgrund von neuen Kooperationen zwischen Ortsparteien und dem Bündnis „Wage Mut!“ im Absatz „Von der Politik allein gelassen“ am 10.10.2022 aktualisiert.

Quellen

  1. Büro für Chancengleichheit Landkreis Ludwigslust-Parchim (Hg.): Styles des Rechtsextremismus, S. 31 (2020).
  2. Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Hartmut Gutsche über völkische Siedler, auf: bpb.de (20.3.2017).
  3. Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie.
  4. Büro für Chancengleichheit Landkreis Ludwigslust-Parchim (Hg.): Styles des Rechtsextremismus, S. 30 (2020).
  5. Ebd., S. 28.

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