Wir fühlen uns schlicht verschaukelt“, sagt Kapitän Johann Magner. Der Kapitän des Flusskreuzfahrtschiffs „MS Liberté“ fährt seit der Wende im Stralsunder Lotsrevier und lief schon lange vorher mit Binnenfrachtern die Sund- und Boddenhäfen an. Der Kapitän ärgert sich über eine Regelung im einzigen Flusskreuzfahrtrevier Deutschlands, die schon lange existiert, aber erst seit dieser Saison angewandt wird: Flussschiffe ab 60 Metern Länge, zehn Metern Breite oder mit einem Tiefgang von mehr als 3,30 Metern, die das Revier nördlich von Stralsund ansteuern, müssen einen Lotsen nehmen. Lots:innen sind „orts- und schifffahrtskundige Berater“, die Kapitän:innen auf Seeschifffahrtsstraßen außerhalb der Häfen oder über See beraten und durch Untiefen und Gefahren sicher ans Ziel bringen. Ihre Dienste werden vor allem in engen und schwierigen Fahrwassern benötigt. Grundvoraussetzungen dafür sind Erfahrung und detaillierte Ortskenntnisse. Lots:innen sind in Brüderschaften organisiert, die der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) unterstehen. Die Lotsenbrüderschaft Wismar – Rostock – Stralsund ist die neunte und damit letzte Brüderschaft, die sich 1990 nach der Wende in Deutschland gegründet hat. Seelotse geht von Bord auf ein Lotsenboot (Foto: Peer Schmidt-Walther) Lotsen ohne praktische Erfahrung Schiffsführer, Reedereien und Flusskreuzfahrtveranstalter sind verärgert über die – wie sie finden – grundlose Anwendung der zwar gültigen, aber über Jahrzehnte nicht angewandten Maßnahmen. Alle Schiffsführer, die das Revier befahren, seien erfahren. Es habe in den Jahren, in denen die Regelung nicht angewandt wurde, keinerlei Gefährdungen oder Havarien gegeben. Und durch die jahrelange Nichtanwendung geht Jens Mauksch, Lotse im Stralsunder Revier, davon aus, dass ein Gewohnheitsrecht entstanden sei. Die Lotsen hingegen würden das Revier lediglich theoretisch kennen, die praktische Erfahrung fehle ihnen in den weitgehend nur für Flusskreuzfahrtschiffe zugänglichen Revieren, wie von Stralsund nach Ralswiek, Barth oder Hiddensee. Auch eine praktische Revierprüfung oder -auffrischung wird von den Seelotsen per Gesetz nicht verlangt. Laut Kapitän Magner ist das leichtfertig. Einfahrt in den Hafen von Barth mit Scharen von Kormoranen (Foto: Peer Schmidt-Walther) Widerspricht Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs Bei den ersten Fahrten sei es bereits zu sicherheitsgefährdenden Fehlberatungen durch die Seelotsen gekommen, wie Peter Grunewald, Kapitän der „Sans Souci“, erzählt. Der Lotse habe eine Empfehlung abgegeben, die zu einer Havarie des Flussdampfers geführt hätte. Glücklicherweise kannte sich der Kapitän in den Fahrwassern aus, der trotz Beratung durch einen Lotsen verantwortlich für die Führung des Schiffes bleibt. Kapitän Peter Grunewald auf seiner „Sans Souci“ (Foto: Peer Schmidt-Walther) So stehe die Neueinsetzung der alten Regelung in krassem Widerspruch zu den Leitmotiven der WSV: Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs. Dieses Motto hat sich die Bundesbehörde sogar buchstäblich auf die Fahne beziehungsweise Flagge geschrieben. Maritimer Tourismus zerstört Darüber hinaus würden so Gebühren für Lotsungen erhoben, die keine sind: Den Lotsen fehlen die praktische Erfahrung und die notwendige Ortskenntnis. Im Grunde fahren sie nur mit und kassieren pro Strecke bis zu 500 Euro. Selbst die Fährkapitäne der Weißen Flotte/Reederei Hiddensee, die tagtäglich ihre Route mehrfach befahren, müssen zwölf Fahrten auf den einzelnen Streckenabschnitten nachweisen und eine Lotsbefreiungsprüfung ablegen. Und das jedes Jahr aufs Neue. Für Flusskreuzfahrtschiffe, die das Revier weniger häufig befahren, sei das nicht zu leisten, so Kapitän Grunewald. Folglich müssten die Kapitäne jedes Jahr wieder Lotsen nehmen. Das führe dazu, dass weniger Schiffe die Häfen im Lotsrevier anlaufen. Dadurch würden bewusst maritim-touristische Strukturen zerstört, kritisiert Grunewald. Unverständlich für ihn, sei doch der maritime Tourismus ein Grundsatz des Tourismusverbands MV, der ausgebaut und gefördert werden sollte. Darüber hinaus gebe es mit sieben zu wenige Lotsen im Stralsunder Revier, um ständig für die Begleitung von Flusskreuzfahrtschiffen bereitzustehen, gibt Magner zu bedenken. Das wiederum könnte zu Stoßzeiten während der Hochsaison zu Staus führen, weil die Schiffe nicht besetzt werden können. Ihre Fahrpläne wären dann hinfällig, mit entsprechenden Folgen für Liegeplätze und Gäste. Abgesehen von finanziellen Verlusten der Reedereien und Veranstalter. Einvernehmliche Lösung gewünscht Grunewald hatte bereits ein Gespräch mit der WSV und dem derzeitigen Amtsnautiker André Schmidt. Dieser warf im Gespräch mit dem Kapitän seinem Vorgänger Klaus-Peter Nietsch Versäumnisse vor. Dieser hätte die bestehenden Vorschriften konsequent anwenden müssen. Die Einwände Grunewalds, so berichtet dieser verärgert, wurden von Schmidt mit „Vorschrift ist Vorschrift“ abgewiesen. Mehrere schriftliche Anfragen von KATAPULT MV blieben von der WSV unbeantwortet. Magner, Grunewald und einige Kollegen, die im Revier des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts Stralsund seit der Wende unfallfrei fahren, erwägen sogar eine Klage gegen die WSV, die – als den Lotsen vorgesetzte Bundesbehörde – verantwortlich ist. Doch eigentlich wünschen sich die Kapitäne, dass sich alle Beteiligten zusammensetzen, um eine einvernehmlich Lösung zu finden. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!