Dreieinhalb Jahre ist es mittlerweile her, dass Restauratorin Sarah Gschlecht ihre Diplomarbeit in den Stubnitz-Lichtspielen in Sassnitz verteidigte. Objekt ihres Interesses: Eben jener Gesellschaftsbau, der, wie sie sagt, nicht nur einen guten Bestand aufweise, sondern ebenfalls einzigartig für eine besondere Übergangszeit in der DDR-Architektur stehe. Während des Projektes sei ihr die „nostalgische Stimmung in der Bevölkerung“ dem Gebäude gegenüber aufgefallen, berichtet die Stralsunderin. Ihr Projekt, die konservatorische und restauratorische Auseinandersetzung mit der Fassade und der dort angebrachten Reliefkunst, sei begeistert aufgenommen worden. Dabei hat sie unter anderem ein Maßnahmenkonzept für das Haus entworfen, ausgehend vom Handlungsbedarf. Sie habe das Gefühl gehabt, etwas für die Menschen im Ort zu tun, sagt sie. Die Aufbruchstimmung von damals ist mittlerweile verflogen. Stand vor dreieinhalb Jahren eine Nutzung von Gschlechts Ergebnissen noch zur Diskussion, wurde diese indes verworfen. Sie kenne die Gründe nicht, sagt Gschlecht. Ihres Wissens sei für das Objekt in der Stralsunder Straße 43 auch nichts weiter geplant. Stubnitz als einzigartiger und authentischer DDR-Bau Das Stubnitz wurde 2007 zum Denkmal erklärt. Der Bau zähle zu den „bedeutendsten erhaltenen Kinobauten der 1950er Jahre in MV“, schreibt der Landesdenkmalschutz. Die Zeitspanne von Mitte bis Ende der 50er Jahre, in der das Haus in Sassnitz geplant und errichtet wurde, erklärt die Bedeutung des Baus an sich. Er sei in einer „Übergangszeit“ entstanden, erklärt Gschlecht. So habe man in den frühen 50er-Jahren in der DDR im Stil der sogenannten Nationalen Tradition gebaut. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Karl-Marx-Allee in Berlin. Bei der auch als „Zuckerbäckerstil“ bezeichneten Bauweise sind es etwa die handbemalten Kacheln, die noch heute Zeichen der damals „von Handarbeit dominierten“ Arbeiten sind.  Jedoch, erzählt Gschlecht weiter, stellten die Verantwortlichen damals fest, dass diese Art zu bauen „viel zu aufwendig und teuer“ sei. So sollten ab Mitte der 50er Jahre „schnellere und günstigere Lösungen“ her, womit ein langer Aushandlungsprozess darüber begann, wie weiter verfahren werden sollte. An dessen Ende standen unter anderem die als Platten bekannten Bauten.  Das Stubnitz ist somit in einer Zeit entstanden, in der es einerseits noch nichts Neues gab, andererseits aber schon klar war, dass bis dato alles zu teuer gewesen war. Und so ist das alte Lichtspielhaus zwar ein Kind klassischer Architektur, besitzt jedoch keine Schmuckelemente wie Erker oder handbemalte Details. Noch dazu finden sich, so beschreibt es Gschlecht, Anklänge moderner Materialien. Das geschwungene Vordach erinnere an den Stil der 60er Jahre und die Bauweise Ulrich Müthers. Normalerweise gebe es viele „Überarbeitungsphasen“ während der langen Standzeit eines solchen Baus, sagt die Restauratorin, etwa durch eine andere Nutzung. Viele DDR-Bauten wurden umgebaut und/oder vollständig entkernt, berichtet sie. Doch das Stubnitz stellt eine „absolute Ausnahme“ dar. Allein, dass der Putz am Gebäude noch vorhanden sei, „ist super“, weil gerade dieser in den 90er-Jahren vielerorts abgeschlagen und ersetzt wurde. Darüber hinaus sind neben den Leuchtschriftzügen Stubnitz und Lichtspiele auch die vom Rostocker Bildhauer Jo Jastram gestalteten Reliefs noch fast vollständig vorhanden – ganze elf von ursprünglich zwölf Darstellungen. Dies alles mache den Bestand des Hauses „so toll“ und „authentisch“. An der Südostseite des „Stubnitz“ existiert das Relief des „Geigenspielers“ nicht mehr. (Foto: Morten Hübbe) Zustand des Hauses schon 2020 bekannt Umso bedauerlicher ist es, dass zum Erhalt dieses Bestandes in den vergangenen Jahren nichts passiert ist. Wie die untere Denkmalschutzbehörde auf Nachfrage mitteilt, seien bei ihr seit 2020 „keine substanzerhaltenden Maßnahmen“ beantragt worden. Dass Maßnahmen ohne ihr Wissen vom Eigentümer selbst ausgeführt wurden, sei eher unwahrscheinlich. Zuletzt habe die Behörde das Haus am 27. Juni 2023 äußerlich in Augenschein genommen. Von außen sehe es schlimmer aus als von innen, kommentiert der Sassnitzer Stadtarchivar Frank Biederstaedt. Er sei im März 2023 zum Festspielfrühling Rügen das letzte Mal im Gebäude gewesen. Da habe er weder einen Wassereinbruch noch ein leckes Dach oder einen muffigen Geruch im Inneren wahrgenommen. Freilich steht der Zustand der Fassade auf einem ganz anderen Blatt. Jetzt sei „noch nicht alles verloren“, meint der Archivar. Mit der Zeit werde es aber auch nicht besser. Damit beschreibt Biederstaedt, was schon Sarah Gschlecht im Rahmen ihrer Diplomarbeit 2020 feststellte. So sei zwar der „bauzeitliche Bestand“ in „bemerkenswertem Maße erhalten“, was auch den „weitestgehenden Erhalt der historischen Substanz“ des Gebäudes bedeute. Allerdings führen die fehlenden baulichen Maßnahmen auch zu „sukzessivem Zerfall“ der Fassade. Wobei, wie die untere Denkmalschutzbehörde betont, der äußerliche Zustand nicht auf eine „Gefahr für das Gesamtobjekt“ schließen lasse. An der Südostseite des „Stubnitz“ liegen die Backsteine zum Teil schon völlig frei. (Foto: Morten Hübbe) Worst Case: Sprengung der Reliefs von innen Der schlimmste „Endgegner“, wie Sarah Gschlecht sie nennt, ist die Feuchtigkeit. So finden sich hinter dem Putz an der Fassade riesige hohle Stellen. Viel ist bereits abgefallen, was etwa auf der Südostseite des Gebäudes deutlich zu sehen ist. Die Backsteine liegen dort zu großen Teilen frei, sie saugen sich – wie der Putz auch – ungehindert mit Wasser voll. Diese Schädigungen, ebenso wie die der Freitreppe auf der gleichen Gebäudeseite, kamen „vermutlich durch unterlassene Pflegemaßnahmen“ zustande, teilt die Denkmalschutzbehörde mit. Die Reste des heruntergefallenen Putzes liegen um das Gebäude herum. (Foto: Morten Hübbe) Eigentlich müsste es eine „umfassende Notsicherung“ geben, findet Gschlecht. Denn neben Teilen des Putzes können auch Steine herunterfallen. Sichert man die „akut gefährdete Substanz“, stellt man auch die Wegesicherheit wieder her. Diese sei derzeit nicht umfänglich gegeben, meint sie. Es hätten auch mal Bauzäune um das Haus gestanden, „damit niemandem etwas auf den Kopf fällt“, erinnert sich Frank Biederstaedt. Damit sei der Eigentümer seiner Verkehrspflicht nachgekommen. Bei einem Besuch von KATAPULT MV im Sommer 2023 standen ebensolche nur noch an der Gebäudeecke zwischen Nordost- und Nordwestfassade um einige Schutthügel herum, sowie als Zugangssperre zum Grundstück im Südwesten. Am noch vorhandenen Relief „Musikinstrumente“ an der Südostseite fehlt bereits die schützende Abdeckplatte. (Foto: Morten Hübbe) Neben der Fassade selbst sind nach Aussage Gschlechts auch die Reliefs Jastrams in schlechtem Zustand. So wurden diese nicht nur in der Vergangenheit schon einmal überstrichen, vielmehr sorge Feuchtigkeit – dieses Mal auch von innen kommend – für die schleichende Zerstörung der Werke. Schuld daran sei unter anderem die Wasserableitung durch hinter dem Mauerwerk liegende Fallrohre. Dies sei „bereits ein Planungsfehler gewesen“, erklärt die Restauratorin. Vermutlich hatte man wegen der Außenansicht die Rohre innen verlegt, was allerdings auch eine Wartung unmöglich machte. Schon in den 60ern kam es zu durch Wasser verursachten Schäden. Die Rohre seien nicht nur zu eng, sondern dazu noch verstopft, weiß Gschlecht. Darüber hinaus fehlt einigen der Reliefs eine Abdeckplatte. Diese waren wie kleine Vordächer über den Reliefs angebracht. Ohne sie kann Niederschlag von oben ungehindert in die Steine dringen. Zudem bildet sich durch die Feuchtigkeit Rost an den in den Betonsteinen vertikal eingebrachten Stahlstäben, der sogenannten Bewehrung. Unter anderem dieser verursache, so erklärt es Gschlecht, eine „Sprengung“ der Steine von innen. Wasserableitung sichern, Putz wiederherstellen Am allerwichtigsten sei nach wie vor die Wasserableitung, betont Gschlecht mit Blick auf die „Baustellen“ des Stubnitz. Vieles müsse wiederhergestellt werden, zum Beispiel die Dächer über den Reliefs. Auch der Putz sollte, nicht zuletzt um die darunter liegenden Backsteine zu schützen, wieder vervollständigt werden. Dem stimmt auch die untere Denkmalschutzbehörde zu. Was macht eigentlich der Eigentümer? All dies zeigt, dass nicht nur die Schäden am denkmalgeschützten Lichtspielhaus lange bekannt sind, sondern auch von Behördenseite durchaus Vorstellungen über nötige Erhaltungsmaßnahmen bestehen. Warum ist also immer noch nichts passiert? Schlussendlich liegt es am Eigentümer. Wo bleibt also dessen Engagement für sein denkmalgeschütztes Gebäude? Die Denkmalschutzbehörde kommentiert, dass ausschließlich dieser verpflichtet sei, „ein Denkmal im Rahmen des Zumutbaren denkmalgerecht instand zu setzen, zu erhalten und pfleglich zu behandeln“. Bei Verstoß drohen Geldbußen bis zu 150.000 Euro. Wie anders war die Stimmung noch 2020. „Alle haben gedacht, dass es mit Sarah und ihrem Engagement mit dem Neustart für das Haus klappt“, sagt der damalige Bürgermeister von Sassnitz, Frank Kracht. Es sei ein „Hoffnungsschimmer“ gewesen. Dass der Zustand jetzt weit entfernt ist „von den Plänen, die mal öffentlich vom Eigentümer propagiert“ wurden, wie Frank Biederstaedt es formuliert, ist offensichtlich. So war zum Beispiel von einer kulturellen Nutzung und einem gastronomischen Angebot die Rede – Sanierungsbeginn 2022. Aber schon damals sei es schwierig gewesen, mit dem Eigentümer, der das Objekt 2017 erwarb, in Kontakt zu treten, berichtet Kracht. Da war er selbst noch Bürgermeister. Wenn es Kontakt mit ihm gab, habe immer dieser sich gemeldet. Am Ende sei gar nichts mehr zu hören gewesen. Die Stadt Sassnitz steht mittlerweile nicht mehr in Kontakt mit dem Eigentümer, teilt das Büro des seit 2022 amtierenden Bürgermeisters Leon Kräusche (parteilos) auf aktuelle Nachfrage mit. Er sei „nicht erreichbar“. Die untere Denkmalschutzbehörde befand sich nach eigenen Angaben „im Prozess der Kontaktaufnahme“ mit dem Eigentümer. Auskunft darüber, ob in Sassnitz ein Verstoß gegen die Erhaltungspflicht vorliegt, will die Behörde nicht geben. Über „laufende Verfahren“ äußere man sich nicht. Bis zum Sommer 2023 seien jedoch keine Bußgelder verhängt worden. Auch KATAPULT MV hat versucht, den Eigentümer zu kontaktieren. Sowohl der Landesdenkmalschutz als auch der Landkreis verwiesen diesbezüglich auf den Datenschutz. „Angaben zum Eigentümer des Denkmals“ seien nicht möglich. Auch ein Kontaktversuch über Sarah Gschlecht blieb bis zum Redaktionsschluss erfolglos. Was bleibt? Diese Frage beantwortet Gschlecht ganz schlicht: „Es bleibt zu hoffen, dass es eine Perspektive für das Stubnitz geben wird.“ Dieser Artikel erschien in Ausgabe 22 von KATAPULT MV. Für die Online-Veröffentlichung wurde er am 7. Februar um die Stellungnahme der Stadt Sassnitz aktualisiert. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!