Wo sonst Messen stattfinden oder noch vergangenes Jahr ein Impfzentrum errichtet wurde, leben nun 800 Menschen dicht an dicht: in der Hansemesse in Rostock-Schmarl. Erst letzte Woche wurde sie zum zentralen Auffanglager für Geflüchtete in Mecklenburg-Vorpommern. Platz bietet sie für bis zu 1.200 Personen. Das Problem: Hier werden die täglich ankommenden Flüchtenden nicht nur schnell registriert und dann auf die weiteren Städte und Landkreise verteilt. Es gibt nur ein einziges sogenanntes Pik-Gerät zur biometrischen Datenerfassung, mit welchem die Registrierung eines Menschen zwischen 20 und 30 Minuten dauert – mehr Geräte seien aufgrund technischer Gegebenheiten vor Ort nicht möglich. Bei täglich neu ankommenden Menschen wird so die kurzfristige Anlaufstelle zur langfristigen Massenunterkunft. „Menschen müssen in der Hansemesse über eine Woche warten, bis sie umverteilt werden“, erklärt Christin Voss, Sprecherin der Hilfsorganisation „Rostock hilft“. Magen-Darm-Erkrankungen, Tuberkulose, Krätze Das größte Problem sei der Quarantänebereich der Massenunterkunft. Dieser grenzt Covid-19-Infizierte lediglich durch einen Bauzaun von den anderen Menschen und Tieren ab. „Hygienetechnisch ist das grob fahrlässig, da sich alle mit Krankheiten anstecken können“, kritisiert Voss. Dabei ginge es nicht nur um Covid-19. Auch Magen-Darm-Erkrankungen, Tuberkulose und Krätze könnten sich unter den Bedingungen schnell ausbreiten. Nach Einschätzung des Gesundheitsamtes hingegen seien die Umstände nicht besorgniserregend. Dennoch bemühe sich die Stadt um eine Verbesserung der Zustände. Doch auch die mangelnde Privatsphäre sei ein Problem, der Verein Rostock hilft fürchtet Retraumatisierungen: „Gerade Flüchtende, die direkt aus einem Kriegsgebiet kommen, brauchen Ruhe und Rückzugsmöglichkeiten. In einer Halle mit 500 aneinandergereihten Betten ist es jedoch immer laut, immer hell und psychsch extrem belastend“, so Voss. Stadt reagiert nicht auf Angebote Auch die Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats MV, Ulrike Seemann-Katz, kritisiert im Interview mit KATAPULT MV die Zustände in den Notunterkünften: Die Betten stünden zu dicht aneinander, es gebe keine Geschlechtertrennung und das Essen sei zu spärlich – insbesondere für Kinder und Schwangere. Rostock hilft fordert nun in einer Petition die Schließung der Hansemesse. Alternativen und Ideen gebe es viele, sagt Voss. Der Verein habe in den vergangenen Tagen und Wochen zahlreiche Angebote von Hotels, Monteurwohnungen oder Firmen erhalten, die eine größere Anzahl an Schutzsuchenden aufnehmen wollten, und an die Stadt Rostock weitergeleitet. Diese habe darauf jedoch nicht reagiert. Gefahren für Ehrenamtliche Auch für den Umbau des ehemaligen Best-Western-Hotels in Warnemünde hatte der Verein der Stadt Hilfe angeboten. „Wir haben einen Pool aus 700 Ehrenamtlichen. Innerhalb von einer Stunde hätten wir 15 Leute zusammen, die handwerklich begabt sind und helfen wollen“, sagt Voss. Auch auf dieses Angebot sei die Stadt bisher nicht eingegangen. Darüber hinaus mache sich der Verein Sorgen um die ehrenamtlich Engagierten. „Wenn wir Ehrenamtliche in die Hansemesse schicken, betonen wir immer, dass es gesundheitsgefährdend ist“, sagt Voss. Außerdem gebe es Helfer:innen, die ausbrennen und daher psychische Betreuung brauchen. „Übersetzen ist psychisch der schwerste Job.“ Zentrale Anlaufstelle soll nach Schwerin verlegt werden Währenddessen plant das Landesinnenministerium, die Erstaufnahmeeinrichtung Stern Buchholz nahe Schwerin zur zentralen Aufnahmestelle zur Erfassung und Registrierung von Geflüchteten aus der Ukraine zu machen. Die Anlage verfüge über die entsprechende Technik und größere Kapazitäten, um für einen größeren Zulauf gewappnet zu sein. Außerdem werde die Erstaufnahmeeinrichtung mit sechs zusätzlichen Pik-Geräten ausgestattet, die ursprünglich für die Hansemesse Rostock vorgesehen waren. Drei Geräte seien darüber hinaus an die Landkreise gegangen. Weitere Geräte seien beantragt, heißt es von einer Sprecherin des Innenministeriums. Für die Unterbringung von Geflüchteten werde außerdem derzeit eine Immobilie am Schweriner Stadtrand gesucht. Landkreise sollen je 800 Plätze in Notunterkünften bereitstellen Derzeit stehen etwa 8.500 Unterkünfte zur Verfügung. 4.500 davon seien belegt, 3.000 davon in regulären Unterkünften wie Wohnungen und Hotelzimmern, etwa 1.500 in Notunterkünften wie Turnhallen. 4.000 Plätze seien demnach noch frei, über 700 davon in regulären Unterkünften. Wie viele sich privat bei Freund:innen, Familie und Helfenden aufhalten, ist nicht bekannt. Etwa 10.400 Unterbringungsmöglichkeiten sollen die Landkreise und kreisfreien Städte perspektivisch bereitstellen, davon 6.400 in Notunterkünften. Hinweis: Der Text wurde am 23.3. um 18.45 Uhr aktualisiert. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!