Sie gehört zu den häufigsten Erkrankungen von Frauen. Und trotzdem folgt auf den Begriff „Endometriose“ oft ein „Häh? Was ist das?“. Und das, obwohl die Krankheit in den vergangenen Jahren auch medial vermehrt Aufmerksamkeit bekam. Laut Hochrechnung der Krankenkasse Barmer leiden in Mecklenburg-Vorpommern etwa 6.800 Frauen an einer diagnostizierten Endometriose. Das sind 0,83 Prozent der weiblichen Bevölkerung. Bei weiteren 0,16 Prozent besteht ein Verdacht. Mit großer Wahrscheinlichkeit liegt die Zahl der Betroffenen noch deutlich höher. Von Regelschmerzen bis Unfruchtbarkeit Bei Endometriose bildet sich gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutter, sogenannte Endometrioseherde. Diese können sich an vielen Stellen im Körper festsetzen. Am häufigsten siedelt es sich an den Eileitern oder Eierstöcken an. Es können sich jedoch auch Herde innerhalb der Gebärmuttermuskulatur entwickeln. Oder – und das ist am seltensten – am Darm, in der Blase oder sogar in der Lunge. Genau wie die normale Gebärmutterschleimhaut wachsen diese Herde im hormonellen Zyklus. Das Blut kann jedoch, anders als aus der Gebärmutter, hier nicht abfließen, erklärt Sylvia Mechsner, Leiterin des Endometriosezentrums an der Berliner Charité. Endometrioseherde können invasiv wachsen, also auch in andere Gewebe eindringen, und so Entzündungen, Verklebungen und Verwachsungen hervorrufen. Zudem können sie Blutungen in der Bauchhöhle und die Bildung von Zysten zur Folge haben. Und auch Unfruchtbarkeit auslösen. Schmerzen sind „normal“ Als die Rostockerin Nora Beyer das erste Mal in Kontakt mit Endometriose kam, war die Krankheit für sie noch mit keinem Namen verbunden. „Eine Freundin meiner Mutter hatte eine OP, um Verklebungen zu lösen“, erzählt die heute 31-Jährige. Erst später habe sie eine Verbindung zur Erkrankung hergestellt. Diese Diagnose hat auch sie selbst später getroffen. Sechs Jahre ist das mittlerweile her. Der Weg dorthin war jedoch lang und schmerzhaft. Wie für viele Frauen. Seit sie mit zwölf Jahren ihre Periode bekam, habe sie immer starke Regelschmerzen und -blutungen gehabt, erinnert sich die Rostockerin. Dass diese Schmerzen „normal“ seien, habe ihr im Laufe der Jahre mehr als ein:e Ärzt:in versichert. Eine Erfahrung, die viele Endometriosepatientinnen teilen. Und die einerseits dafür verantwortlich ist, dass die Zeit bis zur tatsächlichen Diagnose viele Jahre betragen kann. Meist sind es sechs bis acht Jahre. Andererseits führen diese Verschleppung oder das völlige Ausbleiben der Diagnose auch zu einer offiziell kleineren Betroffenenzahl. Mit Ibuprofen durch den Tag Nora erinnert sich noch gut, dass sie ihre starken Schmerzen regelmäßig und gegenüber verschiedenen Gynäkolog:innen beschrieben hatte. „Das ist halt das Frausein“, habe eine Ärztin gesagt und ihr obendrein empfohlen, deshalb doch einfach schwanger zu werden. „Da habe ich mich kein bisschen ernstgenommen gefühlt.“ Mit der Entscheidung für die Pille habe der Schmerz schließlich nachgelassen, jedenfalls an den blutungsfreien Tagen. Als bei Nora und ihrem Partner 2014 der Kinderwunsch aufkam, setzte sie die Pille wieder ab. „Aber ich wurde nicht schwanger.“ Und zusätzlich kamen die Schmerzen zurück. Erst während der Periode, dann den ganzen Monat. Im Unterleib. Im Rücken. Dazu Verdauungsprobleme. Später noch Schmerzen beim Sex. „Ich bin nie ohne Ibuprofen aus dem Haus.“ Während der Periode habe sie Ibuprofen 800, ansonsten 400 oder 600 genommen, erzählt sie. Anders habe es nicht funktioniert. Die Schmerzen, die Nora im Gespräch mit KATAPULT MV beschreibt, sind trotz ihrer Vielfalt typische Symptome einer Endometrioseerkrankung. Die Krankheit wird nicht ohne Grund auch als „Chamäleon“ der gynäkologischen Erkrankungen bezeichnet. Denn viele Symptome lassen sich nicht sofort und zwingend mit einer Endometriose in Verbindung bringen. Gerade bei Schmerzen im Rücken, der Schulter oder in den Beinen suchen Betroffene manchmal zuerst orthopädische Hilfe. Oder eine:n Gastroenterolog:in bei Darmbeschwerden, bevor an eine Endometriose gedacht wird. Diagnose als Zufallstreffer Dass Nora 2016 endlich die Diagnose bekommt, ist dann eher ein Zufall. Zu einer Bauchspiegelung sei sie im Südstadtklinikum Rostock gewesen. Die Schmerzen hatten sie zuvor unter der Dusche in Ohnmacht fallen lassen. Mit Verdacht auf Blinddarmentzündung sei eine Untersuchung im Krankenhaus angeordnet worden. Bei der dafür nötigen Voruntersuchung habe der Arzt beim Tasten sofort einen großen Endometrioseherd gefunden. Da sei alles klar gewesen. Bis zu dieser Untersuchung übersahen verschiedene Gynäkolog:innen die auf Endometriose hindeutenden Zeichen, bagatellisierten ihre Schmerzen. Ihre Erkrankung wurde im Laufe der Zeit auch nicht bei Untersuchungen mit Ultraschall diagnostiziert. Das versteht sie bis heute nicht. Anscheinend reicht das Wissen gerade bei niedergelassenen Ärzt:innen oftmals nicht aus, beschreibt etwa die Selbsthilfeorganisation Endometriose-Vereinigung Deutschland die Erfahrungen vieler Patientinnen. Da findet sich auch Nora wieder. Den Patientinnen müsse zugehört, ihre Beschwerden ernstgenommen und dann dementsprechend die passende Vorsorgeuntersuchung durchgeführt werden, erklärt Sylvia Mechsner die ersten Schritte zur Diagnose. Dafür brauche es vor allem ausreichend Zeit. Kinderwunsch erfüllen – jetzt oder nie Bei Nora ging es einige Tage nach der Diagnose bereits in den OP-Saal. Die Tage dazwischen seien mit Abstand die Schlimmsten für sie gewesen. Bevor es losging, sei sie erst mal mit dem Auto weggefahren. Einfach raus und weg von allem. Für die Operation selbst habe es dann ein riesiges OP-Team mit Ärzt:innen aus verschiedenen Bereichen gebraucht, erzählt die heutige Kitaleiterin. Und trotzdem sei dann fast nichts entfernt worden. An vieles hätten sich die Ärzt:innen im Südstadtklinikum nicht herangetraut. Dass der Kinderwunsch aufgrund der Diagnose nur schwer erfüllbar sein würde, darüber hätten die Ärzt:innen sie nie im Unklaren gelassen. Es stand sogar die Frage im Raum, ob es überhaupt funktionieren würde. Noch in Rostock begannen die Ärzt:innen mit einer medikamentösen Therapie. „Ich wurde für ein halbes Jahr künstlich in die Wechseljahre versetzt“, erzählt Nora. Das Ziel war es, die Endometriose auszutrocknen. Danach sei es in einer Kinderwunschklinik in Berlin sofort mit der künstlichen Befruchtung weitergegangen. Und es klappte. Nora wird tatsächlich schwanger, bekommt Zwillinge. Nach der Schwangerschaft habe sie gehofft, dass sich keine neuen Herde bilden. „Schwangerschaft kann da ganz viel bewirken. Bei mir jedoch leider nicht.“ Sie habe erst versucht, den erneut aufkommenden Schmerz ohne Medikamente in den Griff zu bekommen. „Es wurde aber wieder so schlimm, dass ich mich dann doch für die Pille entschieden habe.“ Der Schmerz sei wieder dauerhaft präsent gewesen. „Ich war mir immer meines Unterleibes bewusst. Das ist nicht normal.“ Schließlich muss Nora erneut operiert werden. Im November 2020 in einer Spezialklinik in Berlin. Und das wird wohl nicht die letzte Operation bleiben, vermutet sie heute. Spezialist:innen dünn gesät Für Nora steht nach ihren Erfahrungen fest, dass mit dem begründeten Verdacht auf Endometriose unbedingt eine:n Spezialist:in aufgesucht werden sollte. Das empfiehlt aufgrund der Gestalt und speziellen Behandlung der Erkrankung auch die Endometriose-Vereinigung. Eine:n Expert:in zu finden, gestaltet sich jedoch mitunter schwierig. Es gibt nur wenige in Deutschland. Diese arbeiten in zertifizierten Endometriosepraxen, -kliniken oder -zentren. Suchen Betroffene in MV nach einer solchen spezialisierten medizinischen Einrichtung, werden sie lediglich in Greifswald und Anklam fündig. In beiden Städten existiert nach Angaben der Endometriose-Vereinigung jeweils eine zertifizierte Endometriosepraxis. Beide Praxen werden zudem vom selben Mediziner geführt – Dr. Detlef Arndt. Er kooperiert für die Zertifizierung mit der Frauenklinik der Universitätsmedizin Greifswald. Dort gehört, nach eigenen Angaben, die Behandlung von Endometriosepatientinnen ebenfalls „zum selbstverständlichen und stark genutzten Leistungsspektrum“, selbst als Klinik zertifiziert ist die Unimedizin jedoch nicht. Eine eigene Sprechstunde für Endometrioseerkrankte hat das Klinikum ebenfalls nicht. Anders als beispielsweise das Südstadtklinikum Rostock. Patientinnen aus Mecklenburg-Vorpommern müssen somit einen „langen Weg in Kauf nehmen, um eine spezialisierte Endometrioseeinrichtung aufzusuchen“, resümiert die Endometriose-Vereinigung. Für OPs sei es für Betroffene außerdem notwendig, „in ein anderes Bundesland“ zu reisen. Nora macht es heute wütend, dass so viele Ärzt:innen ihre Beschwerden, aber auch die anderer Betroffener, abtun. „Ich verstehe das einfach nicht!“ Frauen sollten nicht ihre eigene Diagnose stellen müssen, findet sie. Es sei schließlich die Aufgabe der Ärzt:innen, bei entsprechenden Symptomen die richtigen Schlüsse zu ziehen oder zumindest nachzufragen. Letzteres gehört, nach Expert:innenmeinung, explizit „in die Verantwortung des Frauenarztes“. Dieser Artikel erschien in Ausgabe 7. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! 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