Schöffin oder Schöffe werden? Das interessierte am vergangenen Donnerstag in Schwerin rund 50 Besucher:innen. Sie kamen zum Infoabend im Goldenen Saal des Neustädtischen Palais. Eingeladen hatten die Ministerin für Justiz, Gleichstellung und Verbraucherschutz, Jaqueline Bernhardt (Die Linke), und der Schweriner Oberbürgermeister Rico Badenschier (SPD). Anlass war die kommende Amtsperiode der 1.475 ehrenamtlichen Richter:innen in Mecklenburg-Vorpommern.
Zwar beginnt der neue fünfjährige Turnus erst am 1. Januar 2024, die Vorbereitungen dazu beginnen aber schon in den nächsten Monaten. Die Kommunen in MV suchen fast 3.000 Bewerber:innen als Schöffin oder Schöffe, denn die gesetzliche Regelung für die Schöffentätigkeit sieht vor, dass es mindestens doppelt so viele Bewerber:innen wie zu besetzende Schöffenämter geben muss.
Ehrenamtlich Teil der Rechtsprechung
Die Ehrenamtsrichter:innen sollen mithelfen, Recht und Urteile an den vier Land- und zehn Amtsgerichten im Land zu sprechen. Gewählt werden zum einen Erwachsenenschöff:innen, zum anderen Jugendschöff:innen für die Jugendschöffengerichte bei den Amtsgerichten und die Jugendkammern bei den Landgerichten. Die Listenaufstellung beginnt in diesen Tagen.
Justizministerin Bernhardt betonte, dass Schöff:innen Teil der Rechtsprechung seien. Durch sie werde Recht nicht nur im Namen des Volkes, sondern auch durch das Volk gesprochen. Oberbürgermeister Badenschier ermutigte die Zuhörer:innen nachdrücklich, sich zu bewerben, denn die Landeshauptstadt suche 152 Bewerber:innen, die am Amtsgericht und am Landgericht Schwerin als Vertreter:innen des Volkes an der Rechtsprechung in Strafsachen teilnehmen.
Der Direktor des Schweriner Amtsgerichts, Jens Brenne, und die Landesverbandsvorsitzende der Deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen, Petra Pinnow, informierten über die Praxis der Schöffentätigkeit. Für Pinnow ist ein Grund, warum sich Menschen für das Amt als Schöff:in interessieren, dass diese den Berufsrichter:innen gleichgestellt sind. Und wenn sie dann erfahren, dass juristische Kenntnisse nicht erforderlich sind, sei das Interesse an der Mitwirkung bei der Rechtsprechung geweckt, so Pinnow.
Vor allem junge Leute ab 25 gesucht
Die regelmäßige Besetzung an Amtsgerichten sieht eine:n Berufsrichter:in und zwei Schöff:innen vor. Diese können ebenso wie die hauptamtlichen Richter:innen Angeklagte, Zeug:innen und Gutachter:innen befragen. Sie haben die gleichen Entscheidungsrechte bei Art und Maß der Strafe und wirken aktiv an der Urteilsfindung mit. Zudem können sie Vorschläge für Auflagen und Rehabilitationsmaßnahmen in das Urteil einfließen lassen. Darüber hinaus können die Schöff:innen mitbestimmen, welchen Organisationen Beträge aus Geldstrafen zukommen sollen.
„Jugendgerichte brauchen Schöff:innen, die sich in der Jugendarbeit auskennen, und deshalb appelliere ich ganz besonders an junge Menschen, sich für das Schöffenamt zu interessieren“, erklärte Petra Pinnow. Für die kommende Amtsperiode will das Bundesjustizministerium mit der Kampagne „Schöffenwahl 2023“ insbesondere junge Menschen zwischen 25 und 45 Jahren zu dieser Art der demokratischen Mitwirkung motivieren.
Wenn Menschen dem Schöffenamt mit Skepsis begegnen, so geschehe dies häufig aus Unkenntnis, meint Petra Pinnow, die selbst als Schöffin am Landgericht Kiel tätig ist. Manchmal wollen sich Kandidat:innen nicht für fünf Jahre an das Amt binden, andere befürchten Schwierigkeiten mit dem Arbeitgeber. Die Verbandsvorsitzende betont, dass Unternehmen bei der Freistellung von Beschäftigten für das Ehrenamt nur im Ausnahmefall nicht kooperierten. Sie stelle fest, dass zahlreiche Arbeitgeber ehrenamtliches Engagement ihrer Mitarbeiter:innen schätzen. Viele wissen nicht, dass es einen gesetzlichen Anspruch darauf gibt, als Schöff:in an der Rechtsprechung mitwirken zu können. Ausgefallener Lohn oder Gehalt wird von der Gerichtskasse erstattet.
Herausforderungen des Schöffenamts
Angst davor, die Verantwortung für ein gesprochenes Urteil zu übernehmen, sei in manchen Fällen der Grund dafür, dass interessierte Bürger:innen davor zurückschreckten, Schöff:in zu werden. „Aber auch Befürchtungen, in seelisch belastenden Verfahren psychischen Stresssituationen ausgesetzt zu sein, lässt immer wieder Bewerber:innen für das Ehrenamt zögern“, so Petra Pinnow. Sie verweist hier auf die psychosozialen Dienste an den Gerichten, die durch Aufklärung und Beratung helfen. Außerdem unterstützt ihr Verband während der ganzen Amtszeit bei allen Fragen rund um die Schöffentätigkeit.
Ein Problem für die Schöff:innen in Mecklenburg-Vorpommern sieht Pinnow in den großen Entfernungen zu den Gerichten. Durch die Gerichtsstrukturreform wurden Amtsgerichte geschlossen oder zu Außenstellen anderer Gerichte gemacht. Somit seien im Flächenland MV die Wege oftmals weit, was eine erhöhte Mobilitätsbereitschaft voraussetze. Ein möglicher Grund, warum gegenüber der vorherigen Amtsperiode die Zahl der Schöff:innen im jetzigen Turnus um etwa 200 zurückging.
Rechte wollen Gerichte unterwandern
In den Monaten vor der jetzigen Amtsperiode (2019-2023) riefen rechtsgerichtete Organisationen wie Pegida, die AfD und NPD ihre Anhänger:innen dazu auf, sich um die „Gerechtigkeit in Strafprozessen“ zu sorgen. Die Gefahr, dass sich Rechtsextreme oder Menschen aus dem Reichsbürgermilieu gezielt als ehrenamtliche Richter:innen in die Rechtsprechung einschleichen, sei bekannt, aber es gebe auch Wege, dies zu verhindern. Die Bewerberlisten sind öffentlich zugänglich und jeder könne sie einsehen, so Pinnow. Gibt es Bedenken, zum Beispiel hinsichtlich der Verfassungstreue, so haben Bürger:innen das Recht, gegen die Kandidierenden Beschwerde einzulegen. Bei einem Amtsmissbrauch gäbe es, auch wenn dies kompliziert sei, die juristische Möglichkeit eines Amtsenthebungsverfahrens.
Die niedersächsische Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) will laut Hannoverscher Allgemeiner Zeitung die Kandidat:innen für das Schöffenamt befragen, ob sie mit einer Überprüfung durch den Verfassungsschutz einverstanden sind, und dadurch sicherstellen, dass „Extremisten möglichst abgeschreckt werden“.
„Ein Dutzend Neonazis, Reichsbürger:innen und Anhänger:innen der Identitären Bewegung sind in der Vergangenheit bereits rechtskräftig aus dem Schöffenamt entfernt worden,“ so der Jurist, Autor und Journalist Joachim Wagner. Diese Amtsenthebungen dürften jedoch außerhalb von MV geschehen sein. Auf Anfrage teilt die Pressestelle des Landesjustizministeriums mit: „Eine Amtsenthebung nach der Wahl ist nach unserer Kenntnis noch nicht erfolgt. Hier sind auch keine Versuche der Einflussnahme auf die Bestellung der Schöffinnen und Schöffen bekannt geworden.“
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