Die neue, rot-rote Landesregierung strebt an, „bis 2035 rechnerisch den gesamten Energiebedarf des Landes aus erneuerbaren Quellen [zu] decken“. Den Strom betreffend sei MV „schon längst so weit“. Bis 2035 soll die gesamte Energie für Strom, Wärme und Verkehr aus erneuerbaren Quellen stammen. Um dieses Ziel zu erreichen, will und muss die Landesregierung Sonnen- und Windenergie fördern. Nicht nur finanziell, indem sie die EEG-Umlage nicht mehr über den Strompreis finanziert. Sondern auch, indem sie Genehmigungsverfahren beschleunigt und vereinfacht, beispielsweise für Solaranlagen auf privaten Dächern. Schließlich sollten „möglichst auf jedem Dach in unserem Land Solaranlagen genutzt werden“, nicht zuletzt, um die Bürger:innen bei den Stromkosten zu entlasten. Solarmodule auf dem Dach Sich Solarpaneele aufs Dach zu setzen, ist für Hausbesitzer:innen eine Möglichkeit, regenerative Energie zu erzeugen. Auf Dächer scheint die Sonne und die Module schränken das Dach nicht in seiner Funktion ein, vor Wind und Wetter zu schützen. Der produzierte Strom wird dann ins Netz eingespeist und die Erzeuger:innen bekommen dafür eine Vergütung. Wenn es so einfach ist, aus Sonnenlicht Strom zu produzieren, wieso gibt es in MV dann mehr Dächer ohne als mit Solarpaneelen? Die Gründe dafür sind vielfältig, allen voran stehen bürokratische Hürden. Beispielsweise müssten sich die Betreiber:innen, wenn sie Strom produzieren und ins Netz einspeisen, beim Finanzamt anmelden. Zusätzliche Steuern wie beispielsweise Umsatz- oder Ertragsteuer fielen an. Hinzu kommen die Kosten für Kauf, Wartung und Pflege der Anlage. Deckt die Einspeisevergütung diese Kosten? Laut Wiebke Wolf vom Wirtschafts- und Infrastrukturministerium MV erhalten Dachanlagen von einer Leistung bis zu 100 Kilowatt feste Vergütungssätze. Im Januar 2021 hätten die Fördersätze zwischen 6,83 Cent und 5,19 Cent pro Kilowattstunde (kWh) eingespeistem Strom betragen, so Wolf gegenüber KATAPULT MV. Zum Vergleich: Laut dem Verbraucherportal Verivox kostet in Greifswald Strom, egal ob aus regenerativen oder fossilen Quellen, aktuell zwischen 41 und 91 Cent je Kilowattstunde. Da Solaranlagen auf Dächern meist klein sind, generieren sie nicht so viel Strom. Die Einspeisevergütung würde die privaten Stromkosten und weitere Kosten demnach nicht decken. Um rentabel zu sein, müssten Photovoltaikanlagen (PVA) auf großen Flächen stehen, beispielsweise als sogenannte Photovoltaik-Freiflächenanlagen (PV-FFA) auf Agrarflächen. Solaranlagen auf Äckern „Der Vorteil der PV-FFA besteht in der wesentlich höheren Leistungsmöglichkeit der Anlagen aufgrund ihrer Größe. Damit einher geht eine Optimierung der Wirtschaftlichkeit der Einzelanlage, die sich auf den Verkaufspreis des erzeugten Stroms auswirkt“, erläutert Wiebke Wolf. Große Anlagen wie die auf Agrarflächen kämen bereits ohne Förderung aus und erhielten im Durchschnitt fünf Cent pro kWh – fast so viel wie die Dachanlagen. Durch die größere Fläche ist es dort aber deutlich lukrativer. Für die Installateur:innen ist es außerdem einfacher, die Module am Boden anzubringen, zu warten und zu reinigen – denn Schmutz schränkt die Leistung der Paneele ein. Seit Juni 2021 ist es deswegen auch rechtlich möglich, mehr solcher PV-FFA aufzustellen. Die Bedingungen für PVA auf Agrarflächen gibt das Landesraumentwicklungsprogramm vor. Es legt fest, dass eine Freiflächenanlage nur „landwirtschaftliche Flächen in Anspruch nehmen darf, die im alten EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) beschrieben sind – im 110-Meter-Streifen neben Verkehrstrassen und auf Konversionsstandorten“. Strenge Regelungen wie diese wirken abschreckend, obwohl Photovoltaik für immer mehr Landwirt:innen und Kommunen attraktiv ist. Sie können damit den steigenden Energiekosten mit selbstproduziertem Strom entgegenwirken. Um die Installation zu vereinfachen, lockerte die Landesregierung aus SPD und CDU im Juni 2021 die bestehenden Regelungen. Im Einzelfall können seitdem die Vorschriften des Raumentwicklungsprogramms umgangen werden. Investor:innen können jetzt PV-Anlagen „im begrenzten Einzelfall“ auf Ackerflächen bis zu einer Obergrenze von 5.000 Hektar aufstellen. Aber ganz so einfach ist es nicht. Das Regelwerk definiert mehrere Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, bevor eine PV-Anlage gebaut werden kann. So gilt, dass Gemeinden und Landwirt:innen mit den PVA einverstanden sein müssen. Außerdem soll die Betreiberfirma der PVA „möglichst“ im Land sitzen. Oft stellen nicht die Besitzer:innen, wie Gemeinden oder Landwirt:innen, die Anlagen auf, sondern Investor:innen pachten die betreffende Agrarfläche. Ein weiteres ausschlaggebendes Kriterium ist außerdem die Qualität des Bodens. Guter Acker, schlechter Acker Eine Bodenzahl von zehn bedeutet, dass ein Boden schlecht und wenig fruchtbar ist. Ein Wert von 100 hingegen bescheinigt eine sehr hohe Bodenqualität und -fruchtbarkeit. Arme Böden mit einem Wert von unter 40 können Agrarwirt:innen kaum bewirtschaften oder landwirtschaftlich gewinnbringend nutzen. Auf ihnen dürfen seit Juni Freiflächenanlagen errichtet werden. „Das sind circa 60 Prozent der 1,25 Millionen Hektar in MV“, rechnet Peter Markgraf von der Flächenagentur Mecklenburg-Vorpommern vor. Diese könnten Besitzer:innen dank der Lockerungen verpachten oder verkaufen und damit Geld verdienen, weit mehr als mit einer landwirtschaftlichen Nutzung. Was sich nach Vorteilen für Investor:innen, Grundbesitzer:innen und regenerative Energien anhört, bedeutet jedoch Nachteile für die Artenvielfalt. Sebastian Schmidt ist Landschaftsökonom, Biologe und Gründer der gemeinnützigen FINC-Foundation, die sich für eine gerechte Landwirtschaft einsetzt. Er steht den Paneelen auf dem Acker skeptisch gegenüber. Arme Äcker, das seien besonders Sand- und feuchte Äcker. Sandäcker jedoch seien biologisch hoch wertvoll. „Das sind die Standorte, wo man die seltensten Arten findet. Das ist ein Lebensraum, der nur noch sehr selten vorkommt.“ Dort gedeihe die sogenannte Segetalflora, wildwachsende Pflanzen, die Agrarwirt:innen als Unkraut entfernen. Viele davon seien deswegen in ihrem Bestand bedroht und stünden auf der Roten Liste. „Das ist der Ackerrittersporn, der Venuskamm oder der Tiefblättrige Storchenschnabel. Und für solche Arten haben wir auch Verantwortung“, sagt Schmidt. Sie und ihr Lebensraum müssten geschützt werden. Zudem beunruhige ihn der umso höhere Bedarf an den reichen Nutzflächen. „Je mehr Flächen man aus der Produktion nimmt, desto höher wird der Druck auf die verbleibenden Flächen.“ Dort werde hoch effizient gearbeitet und der Boden ausgelaugt. Keine Chancen für kleine Betriebe Peter Markgraf von der Flächenagentur MV kritisiert neben den Auswirkungen auf Natur und Umwelt auch das Vorgehen der ehemaligen rot-schwarzen Landesregierung: „Letztlich ist die Situation so, dass die Freiflächen-Photovoltaik völlig verschlafen wurde und sich das Thema bei den Akteuren – Energieerzeugern, großen Landbesitzern, Kommunen als Träger der Bauleitplanung – verselbständigt hat, ohne [von der Landesregierung] geregelt oder gesteuert zu werden“, urteilt Markgraf gegenüber KATAPULT MV. Er kritisiert besonders Agrarminister Till Backhaus (SPD). Dieser habe „der Klientel der Großgrundbesitzer nachgegeben, in der planlosen Hoffnung, dass sich daraus Beiträge zur Energiewende von selbst ergeben“. Seit der Finanzkrise 2008 ist Boden eine renditestarke Anlageoption. Großgrundbesitzer:innen sind vor allem Investor:innen, die in Nordostdeutschland Land zu horrenden Preisen aufkaufen. „Immer mehr Böden, die eigentlich landwirtschaftlich für die Allgemeinheit genutzt werden sollten, fallen Spekulationen und Investor:innen zum Opfer. Das ist ein ganz grundsätzliches Problem“, sagt auch Sebastian Schmidt. Investor:innen böten Pachtpreise von bis zu 5.000 Euro jährlich pro Hektar oder Kaufpreise von bis zu 40.000 Euro pro Hektar. Diese Preise bezeichnet Schmidt als „utopisch“. „Mit Landwirtschaft bekommen Sie solche Beträge niemals erwirtschaftet – nie! Das funktioniert einfach nicht.“ Schmidt bemängelt, dass sehr wenige, sehr reiche Menschen einen Großteil des Landes aufkauften. Kleinere (Bio)Betriebe oder Genossenschaften hätten gegen die Großinvestor:innen keine Chance. Ihnen fehle das Kapital. Auf dem Land errichteten Investor:innen Biogas- oder Photovoltaikanlagen, profitierten von der Einspeisevergütung und der Flächenprämie, berichtet Schmidt. So verdienten die Investor:innen, ohne wirtschaften zu müssen. „Wenn so wenige Personen entscheiden, wie das Land aussieht, dann hat das eigentlich nichts mehr damit zu tun, dass eine Gemeinde oder die Bevölkerung entscheiden. Wo sind dann die Vorteile für die Gemeinde – vor allem, wenn die Investor:innen in anderen Bundesländern gemeldet sind und dort die Gewerbesteuern entrichten?“, fragt Schmidt. Der Nutzen für die Allgemeinheit Eine weiteres Kriterium für die Errichtung von PV-Anlagen ist das Allgemeinwohl. Kommunen, Landwirt:innen und Bürger:innen vor Ort müssen Vorteile aus dem Projekt ziehen. Beispielsweise müssen die PVA Vorteile hinsichtlich der Energiewende und/oder des Umweltschutzes bringen oder weitere Belange des Gemeinwohls unterstützen, so die Landesregierung. Wie profitieren Anwohner:innen oder die Bevölkerung von den Anlagen auf dem Acker? „Es existiert keine gesetzliche Regelung, die einen kostenfreien Strombezug für einen Teil der Bürger festschreibt, wenn PV-FFA errichtet werden“, sagt Wiebke Wolf vom Wirtschaftsministerium. Allerdings habe der Bund potenzielle Akzeptanzschwierigkeiten erkannt und „Möglichkeiten zur finanziellen Beteiligung von Kommunen geschaffen. Auf diese Weise profitieren Bürger:innen indirekt durch Maßnahmen in ihrem Umfeld. Immer mehr Betreiber von PV-FFA bieten den Bürgern auch direkte finanzielle Beteiligungen an“. Vergünstigungen beim Strombezug oder direkte Beteiligungsmöglichkeiten am Projekt seien Beispiele, so Wolf. Sie rechnet vor, welche Einsparungen für die Gemeinden möglich seien: „Es besteht die Möglichkeit, der Kommune bis zu 0,2 Cent je Kilowattstunde zu zahlen. Dies bedeutet bei 0,1 Cent nach regelmäßigen Schätzungen der Branche eine voraussetzungslose Summe von 1.000 Euro pro Hektar und Jahr für die Kommune.“ Welche Auswirkungen die Lockerungen haben, lässt sich anhand von Zahlen aktuell nicht nachvollziehen. Dem Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur ist nicht eindeutig zu entnehmen, wie viele Betreiber:innen seit Juni 2021 in MV Anlagen auf landwirtschaftlicher Fläche angemeldet haben. Weder der Solarverband MV noch Wiebke Wolf geben darüber Auskunft. Es existiere diesbezüglich kein landesweites Register. Agriphotovoltaik – des Rätsels Lösung? Für Photovoltaik auf Freiflächen sind die Argumente vielschichtig und oft sehr unterschiedlich. Regenerative Energien sind jedoch ein elementarer Baustein, um den Klimawandel zu stoppen. Ist es möglich, die Interessen verschiedener Menschen und vor allem der Natur zu beachten und gleichzeitig den Photovoltaikausbau voranzutreiben? Eine Möglichkeit, Agrarflächen für Landwirtschaft und trotzdem zur Energiegewinnung zu nutzen, sind sogenannte Agri-Photovoltaikanlagen (APVA). Dabei stehen die Solarzellen auf einem Gestell über der Erde. Landwirtschaftliches Gerät wie ein Traktor, aber auch Sonnenlicht und Tiere passen unter den Zellen hindurch. So gelingt es, Land zu bewirtschaften und gleichzeitig grünen Strom zu gewinnen. Im baden-württembergischen Heggelbach testet die dortige Hofgemeinschaft seit 2016 eine APVA auf ihre Praxistauglichkeit. Sie bewirtschaftet im Rahmen eines Forschungsprojekts des Fraunhofer-Instituts Freiburg 2.500 Quadratmeter Ackerfläche und generiert nebenbei Solarenergie. „Agri-PV ist aus meiner Sicht auch nicht die eierlegende Wollmilchsau“, fasst Florian Reyer von der Hofgemeinschaft Heggelbach die Erfahrungen zusammen. Das Konzept funktioniere, sei jedoch mit Schwierigkeiten wie der Beschaffung der zum Bau benötigten Ressourcen, einer aufwendigen und teuren Konstruktion verbunden. Als problematisch gestalte sich außerdem die Wasser- und Lichtverteilung. Überdies sei die Frage nach der Landschaftsgestaltung ein Problem. Wie schon hinsichtlich der Freiflächenphotovoltaik kritisiert Reyer die Auswirkungen auf Lebensräume und Artenvielfalt. „Ich persönlich bin grundsätzlich kritisch bei der Erzeugung von Energie auf dem Acker, in Bezug auf Nahrungsmittelkonkurrenz und Futtermittelimporte.“ Ebenso kritisch äußert sich Sebastian Schmidt von der FINC-Foundation. Die Agriphotovoltaik sei „extrem teuer im Verhältnis Investition zu installierter Leistung“. Peter Markgraf gibt zu bedenken, sie sei „kaum gegen Witterungsextreme zu sichern und damit versicherungstechnisch noch teurer“. Zwar bezeichnet Wiebke Wolf die Agriphotovoltaik als „sinnvolle Ergänzung der klassischen PV-FFA“, die „der Thematik Flächenkonkurrenz in besonderem Maße“ begegne. Sie verweist jedoch darauf, dass nicht alle Getreidearten und Feldfrüchte für den Anbau unter Agriphotovoltaik-Modulen geeignet seien. Jedoch, darin stimmen alle vier überein, vertrage sich die Agriphotovoltaik gut mit dem Anbau von Gemüse und Obst. Die aufgestellten Module könnten vor Hitze und Regen schützen und die Witterungsdächer ersetzen. Jedoch gibt es in MV praktisch keinen Gemüseanbau. Lösungsansätze und bifaziale Module Hoffnung setzen alle Befragten in sogenannte „bifaziale Module“. Dabei stehen die Paneele senkrecht auf Flächen und sind nach der Sonnenseite ausgerichtet. Bifaziale Module ermöglichen es, die betreffende Fläche zu bewirtschaften. Der Boden muss nicht versiegelt oder überbaut werden. Peter Markgraf fordert die Landesregierung auf, bifaziale Solartechnik unter bestehenden Windkraftanlagen zu fördern: „Allein durch ihren Einsatz in Windparks ließen sich alle PV-Ausbauziele in MV verwirklichen – bei Nutzung der vorhandenen Energieinfrastruktur und in Kombination mit tatsächlicher Landwirtschaft.“ Noch sind die Module allerdings nicht ausgereift, sehr teuer und fragil – „eine Kuh sollte nicht dagegenrennen“, sagt Schmidt. Markgraf fordert, „dass für die Umsetzung der Energiewende und des Klimaschutzes der geforderte schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien erfolgen muss und im Zuge dessen alle verfügbaren Potenziale genutzt werden“. Sebastian Schmidt spricht sich für dezentrale Lösungen aus, beispielsweise Solaranlagen auf Dächern und kleine Windräder im Garten, sowie für PVA an Zugtrassen und entlang von Autobahnen, alternativ auch auf alten Mülldeponien – also auf Landschaftsstrukturen, die industriell vorgeprägt sind. Ähnlich wie Schmidt argumentiert auch Florian Reyer für den Ausbau auf versiegelten Flächen: „Ich sehe daher den PV-Ausbau auf landwirtschaftlichen Flächen mit Ausnahmen als nicht wirklich nachhaltig an, ebenso wenig wie eine industrielle Landwirtschaft.“ Das Problem von Photovoltaik auf Freiflächen sei, dass diese sehr günstig seien. „Jedoch müsste meiner Meinung nach volkswirtschaftlich die Priorität beim PV-Ausbau, auch wenn erst mal teurer, auf bereits versiegelten Flächen liegen.“ Wolf weist darauf hin, dass die aktuelle rot-rote Landesregierung sich der Kritik bewusst sei und sie ernst nehme: „Grundsätzlich sollten stets konfliktarme Flächen konfliktreichen Flächen bei einer Umnutzung von erneuerbaren Energien vorgezogen werden.“ Dieser Text erschien in Ausgabe 5. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!