Sommer 2007: Staats- und Regierungschefs der G8-Staaten kommen an der Ostseeküste zusammen. Begleitet wurde die Tagung der Spitzenpolitiker:innen wie der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, des US-Präsidenten George W. Bush und des russischen Präsidenten Wladimir Putin in einem Luxushotel von massiven Protesten von Globalisierungskritiker:innen. Bei ihnen blieben vor allem weitreichende Grundrechtseingriffe durch die Polizei im Gedächtnis – manche dieser Maßnahmen beschäftigen die Gerichte noch heute. Zwei Männer lernten sich bereits 2005 in Schottland im Zusammenhang mit den Protestaktionen gegen den G8-Gipfel in Gleneagles kennen. Der US-amerikanische Journalist, PR-Agent und Medienaktivist Jason Kirkpatrick lebt seit 2003 in Deutschland, von Berlin aus engagiert er sich als Journalist und PR-Agent für die europäische Klimabewegung. Er schreibt viele Pressemitteilungen und macht rege Öffentlichkeitsarbeit. Auch Mark Stone, ein Mann mit auffälligen Ohrringen und tätowierten Armen, scheint sich besonders für Klimaschutz und G8 zu interessieren. Aus der Bekanntschaft zwischen Kirkpatrick und Stone wird schnell eine enge Freundschaft. Zumindest glaubt das die Zielperson. Was Kirkpatrick nicht weiß: Mark Stone heißt eigentlich Mark Kennedy und ist verdeckter Ermittler einer umstrittenen Spezialeinheit der Londoner Polizei. Die „National Public Order Intelligence Unit“ (NPOIU) war 1999 ins Leben gerufen worden, um mit verdeckten Ermittler:innen die Umweltbewegung und Demonstrationen zu überwachen. Ende 2010 erfuhr der heute 53-Jährige Kirkpatrick, zwischen 2005 und 2009 von dem Undercover-Cop bespitzelt worden zu sein. Bis zu seiner Enttarnung 2010 war Kennedy sieben Jahre in der europäischen Protestszene unterwegs. In dieser Zeit soll er 22 Länder bereist und Dutzende Gruppen infiltriert haben. Das Verwaltungsgericht Schwerin verhandelt seit Freitag die Ausforschung des Medienaktivisten durch den verdeckten Ermittler. „Ich habe damals gedacht, er sei einer meiner engsten Freunde“, erzählte Kirkpatrick vor Gericht. „Ich habe ihm persönliche und intime Sachen erzählt.“ Die Männer tauschten sich nicht nur über Politisches und Inhalte von Pressemitteilungen aus, sondern auch über so intime Dinge wie ihre Liebesbeziehungen oder Kirkpatricks Krebserkrankung. All diese Informationen landeten in britischen Polizeiakten. MV beauftragt Spitzel für G8-Gipfel Für Mecklenburg-Vorpommern war Kennedy zwischen dem 17. April und dem 8. Juni 2007 tätig. Das Landeskriminalamt hatte eine Vereinbarung mit dessen Einheit geschlossen. Diese wurde als geheime Verschlusssache eingestuft. Kläger und Gericht ist der genaue Inhalt deswegen unbekannt. Kurz vor dem G8-Gipfel trafen sich Kennedy und Kirkpatrick in Rostock. Im Stadtteil Lichtenhagen hatte die Stadtverwaltung den Aktivist:innen ein Schulgebäude zur Verfügung gestellt. Dort befand sich vor und während der Protesttage das Medienzentrum. Kirkpatrick wohnte in dieser Zeit auch dort. Heute behauptet der Medienaktivist, Kennedy habe auch in dieser Zeit Daten über ihn erhoben und an seine britischen Vorgesetzten weitergegeben. In den mecklenburgischen Polizeiakten befanden sich im Jahr 2011 allerdings keine Einträge zu seiner Person. Aktivist verklagt MV Nachdem sich Kirkpatrick erfolglos um eine Aufarbeitung des Falls vor einer englischen Untersuchungskommission bemüht hatte, verklagte er 2016 das Land MV. Er möchte gerichtlich feststellen lassen, dass der Spitzeleinsatz im Umfeld seiner Pressearbeit zu den G8-Protesten rechtswidrig gewesen ist. Das Land, bei Gericht durch das Innenministerium vertreten, beantragte am Freitag, die Klage abzuweisen. Sie sei unzulässig und unbegründet. Das Land hält die Klage für verwirkt. Über seinen damaligen Rechtsanwalt hätte Kirkpatrick schon 2011 erfahren können, dass er das Land verklagen müsse, um die Rechtswidrigkeit des Einsatzes feststellen zu lassen. Die Klage sei 2016 viel zu spät erhoben worden. Die Prozessvertreterin des Innenministeriums bestritt außerdem die Durchführung polizeilicher Maßnahmen durch Kennedy zulasten Kirkpatricks in der fraglichen Zeit. Sie musste allerdings später einräumen, von dem Sachverhalt keine Kenntnis zu haben. Anwältin beantragt persönliche Vernehmung des Spitzels Klägeranwältin Anna Luczak argumentierte, die Datenerhebung sei in dem Augenblick abgeschlossen, in dem der verdeckte Ermittler von der Information Kenntnis erlange. Ob die Information später in einer staatlichen Datenbank abgespeichert werde, sei unerheblich. Das Land müsse sich das Verhalten Kennedys im fraglichen Zeitraum aufgrund der Vereinbarung mit der NPOIU zurechnen lassen. Jason Kirkpatrick am 28. Januar 2022 im Verwaltungsgericht Schwerin mit einem Bild von Akten einer anderen Betroffenen, in denen er erwähnt wird. (Foto: Martin Schöler) Zur weiteren Sachverhaltsaufklärung legte Luczak dem Gericht Übersetzungen englischsprachiger Einsatzberichte vor, die die Erhebung personenbezogener Daten ihres Mandanten belegen würden. Zusätzlich beantragte sie die persönliche Vernehmung Mark Kennedys. Ob der ehemalige Polizist in Schwerin zur Aussage erscheinen muss, wird jetzt Richter Kai Wedemeyer entscheiden müssen. Zunächst hat das Innenministerium einen Monat Zeit für eine schriftliche Stellungnahme. Aktualisierung vom 11.10.2022
Mittlerweile haben sich Kirkpatrick und das Land MV auf einen Vergleich geeinigt. Das Verfahren wurde daher eingestellt.
Durch die schwierige Beweislage – unter anderem konnte nicht mehr rekonstruiert werden, ob das Land überhaupt Daten über Kirkpatrick gespeichert hatte – wurde der Prozess zusätzlich erschwert.
Den Einsatz des Spitzels beurteilte das Verwaltungsgericht Schwerin jedoch als rechtswidrig. Es habe damals keinen richterlichen Beschluss gegeben, so das Gericht. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!