Der Landesrechnungshof hatte Ende 2020 in einem Bericht über kommunale Vetternwirtschaft auch Bergen gerügt. Der Korruptionsverdacht richtete sich gegen die amtierende Bürgermeisterin Anja Ratzke (parteilos) in gleich mehreren Verbindungen: So ist sie mit dem Chef der städtischen Wohnungsgesellschaft verheiratet. Dessen Vater, der ebenfalls im Unternehmen arbeitet, ist gleichzeitig Vorsitzender des Finanzausschusses. Weitere Stadtvertreter sitzen zudem im Aufsichtsrat der Wohnungsgesellschaft. Der Rechnungshof kritisierte diese Konstellationen als „eine Häufung von möglichen Interessenkonflikten“. Anja Ratzke widersprach mit der Begründung, dass die Verträge zwischen Wohnungsgesellschaft und Stadt vor ihrer Amtszeit geschlossen worden seien. Die CDU-Fraktion in der Bergener Stadtvertretung dagegen empfand „die Vorgehensweisen der Familie Ratzke so als nicht nachvollziehbar und laut Kommunalverfassung nicht zulässig“. Die amtierende Bürgermeisterin will am kommenden Sonntag erneut ins Amt gewählt werden. Zuletzt sorgte ein Streit um Wahlwerbung für diese Wahl für Aufsehen. Denn die Möglichkeit zur Eigenwerbung gab es laut dem parteilosen Kandidaten Nico Gruber kaum. Wahlwerbeveranstaltungen in Räumen der örtlichen Schulen wurden von der amtierenden Bürgermeisterin abgelehnt, ebenso Anzeigen aller Kandidierenden im Lokalblatt Stadtbote. Begründet wurde das mit anderen Möglichkeiten, die es gebe, für sich zu werben. Außerdem sei es „nicht zu verantworten, dass Steuergelder, mit denen der Stadtbote finanziert wird, für parteipolitische Zwecke entfremdet werden“, bestätigte die CDU-Fraktion das Problem. Dabei gebe es unter den Kandidierenden auch parteilose. Die Bürger:innen in Bergen hätten es sicher „gerne gesehen“, wenn sich die neuen Kandidat:innen vorstellen, so Nico Gruber. In anderen Städten, wie Putbus, sei so etwas schließlich auch möglich gewesen. Fünf der insgesamt sechs Kandidat:innen organisierten daraufhin eine Informationsveranstaltung im Bergener Bahnhof, um sich den Wähler:innen näher vorstellen zu können. Die amtierende Bürgermeisterin war nicht dabei. Sie kritisierte auf ihren Social-Media-Kanälen die Vorgehensweise und bezeichnete den Wahlkampf in Bergen als „einen für Mecklenburg-Vorpommern, ja womöglich sogar für Deutschland, beispiellosen“ und dass es ein „Fünf gegen einen“ sei. Dagegen wehrte sich Kevin Zenker (Die Linke): Zu keiner Zeit sei die amtierende Bürgermeisterin ausgeschlossen „und auch nicht – wie von der Ostsee-Zeitung kolportiert – genötigt gewesen, selbst einen Kuchen zu backen. Allein diese Posse zeigt doch eigentlich, auf welchem Niveau dieser Wahlkampf läuft.“ Unfairer Wahlkampf? KATAPULT MV erhielt von allen Kandidierenden auf Nachfrage, wie fair sie den Wahlkampf in ihrer Stadt sehen, vier Antworten zurück. Für Kevin Zenker ist er nicht unfair, da es die Kandidierenden selbst in der Hand hätten, für sich zu werben. „Gleichwohl ist der Wahlkampf in weiten Teilen völlig unsachlich.“ So sei es vielmehr um das Alter von Kandidierenden und Verstrickungen gegangen oder ob jemand mit Flyern und Aufstellern präsenter sei als andere. „Es ist ja nicht unüblich, dass man im Wahlkampf auch gerne mal austeilt. Am Schluss kommt es meines Erachtens aber auf die Sachthemen an“, so Zenker. Ebendieser Vergleich zwischen den Kandidierenden sei aber leider viel zu kurz gekommen. Auch Raik Knüppel (parteilos) sieht die Gleichberechtigung und Meinungsfreiheit nicht gefährdet. Er habe sich seiner Sozialen Netzwerke bedient und drei andere lokale Zeitungen für Wahlwerbung genutzt. Er sei aber auch überrascht gewesen, wie persönlich man als Herausforderer angegangen wurde. Nico Gruber sieht dagegen eine erschwerte gleichberechtigte Vorstellung aller Kandidierenden: „Wenn AfD-Mitglieder die Plakate für die jetzige parteilose Bürgermeisterin aufhängen und im Stadtboten überwiegend AfD vertreten ist, dann gibt das kein gutes Bild für die Stadt ab“, meint er. Die Meinungsfreiheit sieht er bereits als gefährdet: „Ich habe zahlreiche Bürger getroffen, welche sich ängstlich verhielten. Offen die Meinung zu sagen, birgt Gefahren und die Angst vor Repressalien aus dem Ratzke-Clan ist groß.“ Das Netzwerk sei schon tief verwurzelt. Die amtierende Bürgermeisterin selbst sieht die Meinungsfreiheit nicht eingeschränkt. Ähnlich wie Kevin Zenker findet auch Ratzke, dass jede:r sich habe präsentieren können, „wie er es für richtig hielt“. Fairness und Wahlkampf schließen sich aus ihrer Perspektive jedoch aus. Für sie fordern nicht selten die Personen am lautesten Fairness, „die mangels Sachkenntnis und Argumente unter die Gürtellinie schlagen“. Das zeige sich auch in Bergen beim Bürgermeisterwahlkampf. „Es gibt Kandidaten, die nur mit Mühe halbwegs formulieren können, wie sie sich den Anforderungen an ein Bürgermeisteramt stellen wollen. Im Gegensatz dazu sprudeln ehrabschneidende Diffamierungen nur so aus ihnen heraus.“ Sie setze sich dahingehend dann weniger mit dem Inhalt solcher Aussagen auseinander, sondern mache sich Gedanken, „welch ein Bild da von Bergen nach außen getragen wird“, so Ratzke. Den Vorwurf der Vetternwirtschaft gegen sie und ihre Familie bezeichnet sie als vielfach überprüft und als „alte Kamellen“. Es seien nie „Verstöße festgestellt oder Vergabeentscheidungen beanstandet“ worden. Egal, wie die Wahl am kommenden Sonntag ausgeht, Kevin Zenker ist sich sicher, dass auch danach „wohl kaum Frieden herrschen wird“.   Hier noch einmal ein kurzer Überblick aller Kandidierenden für die Bürgermeisterwahl in Bergen auf Rügen: Anja Ratzke, parteilos
geboren 1975 in Berlin
Amtierende Bürgermeisterin, ausgebildete Rechts­anwalts- und Notariats­fach­angestellte, verheiratet, drei Kinder. 2014, nach vier Jahren Mitgliedschaft, Austritt aus der CDU. Bianca Pahnke, FDP
geboren 1978 in Magdeburg, seit 1989 in Bergen
Gelernte Großhandelskauffrau, gründete 2004 ihr erstes eigenes Unternehmen im Bereich Büromanagement und führt es bis heute. Seit 2018 zudem Inhaberin eines Unterwäschegeschäftes. Kevin Zenker, Die Linke
geboren 1994 auf Rügen
Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Sehlen, der IG Metall Küste und der Industrial Workers of the World, Kreistagsabgeordneter Vorpommern-Rügen. Mirko Plötz, CDU
geboren 1979 in Stralsund
Ausbildung zum Polizisten in MV, seit 2018 im Polizeihauptrevier Bergen auf Rügen tätig, seit Oktober 2019 im Kriminaldauerdienst, Schulelternratsvorsitzender. Nico Gruber, parteilos
geboren 1974 in Freising, seit 2001 in MV (ab 2006 in Bergen)
Gründer und Unternehmer. Kaufte und modernisierte LAM-Halle in Mukran und Kreide-Farbenwerk Rügen. 2019 Erwerb der ehemaligen Molkerei Bergens, um eine regionale Lebensmittelproduktion aufzubauen. Mitglied im Unternehmerverband Vorpommern und Vorstand des Rügener Wirtschaftsvereins. Raik Paul Knüppel, parteilos
geboren 1975 in Bergen
Gelernter KFZ-Meister, seit 2019 Stadtvertreter. Zitiert auf seiner Wahlkampf-Website Henry Ford mit: „Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.“ Ebenfalls hauptamtliche Bürgermeister:innen gewählt werden am Sonntag in Stralsund, Malchin, Wolgast, Hagenow, Neustadt-Glewe und Eggesin. Wahlen zum ehrenamtlichen Bürgermeisteramt finden in Sundhagen, Trassenheide, Usedom (Stadt) und Kritzow statt. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!