Unter formalen Gesichtspunkten betrachtet, hatte der heute 45-Jährige bis zu seiner Suspendierung im Juni 2019 eine mustergültige Polizeikarriere hingelegt. Einstellung im August 1998. Abschluss der Ausbildung im Juli 2000. Im Jahr 2004 folgte die erste Beförderung, schon 2005 die nächste und 2008 die letzte. Seit 2002 stand der Beamte auf der Gehaltsliste des Landeskriminalamts. Zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Chats war er beim Spezialeinsatzkommando eingesetzt. Also bei jener Spezialeinheit der Landespolizei, bei der auch Marko G. seinen Dienst verrichtete. Der spätere „Nordkreuz“-Chef wurde von seinem Kollegen „Ombre“ genannt. „Nordkreuz“ nannte sich ab Anfang 2016 ein loser Zusammenschluss von etwa 40 Personen aus dem Umfeld von Polizei und Bundeswehr. Die Mitglieder bereiteten sich überwiegend in mecklenburgischen Dörfern und Kleinstädten in ihrer Freizeit auf den Zusammenbruch des Staates am sogenannten „Tag X“ vor. Bei dieser Gelegenheit – so lassen es sichergestellte Chats vermuten – beabsichtigten sie, als Gegner identifizierte Personen aus dem linken politischen Spektrum gezielt zu töten. Bei der Auswertung beschlagnahmter Daten fanden Ermittler nach Angaben der Bundesregierung eine sogenannte „Feindesliste“ mit rund 25.000 Namen. Das Netzwerk war den Behörden spätestens Mitte 2017 durch die Aussage eines Kronzeugen bekannt geworden. Ob der zweifache Familienvater dem Nordkreuz-Netzwerk angehörte, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Im Rahmen von Ermittlungen gegen Marko G. stieß die Staatsanwaltschaft Schwerin auf Chats, die dieser mit seinem Arbeitskollegen – Spitzname „Jenny“ – von Ende 2012 bis Anfang 2017 geführt hatte. Darin fanden sich diverse rassistische, antisemitische und sonstige rechtsextremistische Inhalte. Das Innenministerium zählte im Ergebnis seiner Ermittlungen insgesamt 14 Pflichtverletzungen. Die Disziplinarklage spricht unter anderem von der „Verherrlichung des Nationalsozialismus, insbesondere der Verbrechen im Rahmen des Holocaust“. Daneben versandte „Jenny“ mehrere Memes an „Ombre“, in denen er sich über Nordafrikaner lustig machte. Hier drei Beispiele: Am 5. Januar 2016 lud „Jenny“ Marko G. zu einem Treffen ein: „Ombre, morgen Abend treffen wir uns um halb acht in HRO im Zwanzig12. Tisch is auf den Namen ‚von Kaltenbrunner‘ reserviert.“ G. habe darauf am 6. Januar 2016 geantwortet: „Moin Jenny, schaffe es leider nicht. Leider weiß die Masse den ‚besonderen‘ Namen heute kaum noch einzuordnen… Gruß in die Runde“, woraufhin der Beklagte geschrieben habe: „Okay, das `von´ ist zu viel. Ich buche immer so Schade Ombre. Vllt beim nächsten mal.“ Ernst Kaltenbrunner war ein hochrangiger SS-Funktionär. Von 1943 bis Kriegsende war der Österreicher Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes sowie Leiter des Reichssicherheitshauptamtes. In letzterer Funktion war Kaltenbrunner maßgeblich an der Organisation und Durchführung des Holocausts beteiligt. Am 30. Oktober 2016 schickte „Jenny“ an Marko G. das Foto einer Buchsignatur. Der Buchtitel lautet: Ein sonderlicher Haufen – die Saga vom Sturmbataillon 500, unterschrieben von Frithjof Porsch. Dazu schrieb „Jenny“: „Eins sogar mit Originalsignatur. Kumpel hat ihn in SH mal besucht.“ G. antwortete daraufhin: „Ganz starke Lektüre, habe auch alle Bände. Leider ist ‚Vorwärts‘ auch schon nach Walhalla eingezogen. Gibt ja Für und Wider bzgl der Echtheit des Erlebten. In einem seiner Bände beschreibt er die Flucht und das Durchschlagen nach Hause…. Warum kann es Helden immer nur in Hollywood gebe?! Porsch war in den Jahren 1941 bis 1945 Mitglied der Waffen-SS. Am 13. März 2017 schickte „Jenny“ an „Ombre“ das Foto eines Soldaten mit einem Maschinengewehr. Der Untertitel lautete: „Das schnellste deutsche Asylverfahren, lehnt bis zu 1400 Einträge in der Minute ab!“ Dies bedeute „in der Aussage nichts anderes, als dass durch die Tötung von 1400 Personen […] eine ebensolche Anzahl der Anträge durch das Versterben der Antragsteller abgelehnt werden könnten“, so das Gericht. Dies sei ausländerfeindlich, menschenverachtend und gewaltverherrlichend. Zusätzlich wurde bekannt, dass „Jenny“ von Marko G. allem Anschein nach Einträge in sein Schießbuch vornehmen ließ, ohne an Schießtrainings teilgenommen zu haben. Seine Motivation soll gewesen sein, mittels der fingierten Einträge bei dem ehemaligen Nordkreuz-Mitglied und Waffenhändler Frank T. eine Pistole zu kaufen. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass der fragliche Schießplatz in Plate südlich von Schwerin vom Landeskriminalamt nie für dienstliche Übungen genutzt worden war. Marko G. war im fraglichen Zeitraum allerdings Mitglied des dort ansässigen Schützenvereins. Für das Innenministerium war die Angelegenheit eindeutig: Der Elitepolizist vertrete „eine rechtsextreme, rassistische, antisemitische und somit verfassungsfeindliche Einstellung“. So jemanden wollte die Landespolizei nicht länger auf ihrer Gehaltsliste wissen. Weil die Entlassung von Beamten nur durch Gerichtsurteil möglich ist, musste sich das Verwaltungsgericht mit dem Fall befassen. Dort kämpfte der SEK-Beamte um seinen Job. Aus den fragwürdigen und anstößigen Inhalten der Nachrichten könne eine verfestigte rechtsextremistische Haltung nicht geschlussfolgert werden. Die in Rede stehenden Bildnachrichten müssten satirisch und humoristisch verstanden werden. Sie würden den Eindruck einer Persiflage hervorrufen. Zudem sei weder der NS-Kriegsverbrecher Kaltenbrunner noch der rechtsextremistische Autor Porsch verherrlicht worden. Der Aliasname beziehe sich auf die bekannte Bergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner. Schießtermine habe er auch in der Freizeit wahrgenommen. Die Greifswalder Richter folgten in ihrem Urteil hingegen der Einschätzung des Innenministeriums. Der Beklagte habe „durch sein Verhalten gezeigt, dass er nicht zu jeder Zeit und ohne jeden Vorbehalt für die Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und die Grundwerte eines friedlichen Zusammenlebens einstehen würde“. Bezogen auf den Austausch von Chatnachrichten mit verfassungsfeindlichen Inhalten liege eine Verletzung der beamtenrechtlichen Treuepflicht nicht nur im aktiven Versenden vor. Ein Beamter verletze die Treuepflicht auch, wenn er solche Nachrichten empfange, ohne den Inhalten entgegenzutreten oder sich davon zu distanzieren. Ohne ein solches erwecke der Beamte den Eindruck, das Versenden derartiger Nachrichten sei in Ordnung. Die 19 beanstandeten Nachrichten offenbarten zwar nicht jede für sich genommen, aber in der Zusammenschau ein mit der politischen Treuepflicht nicht vereinbares ausländerfeindliches und menschenverachtendes Weltbild, führte das Gericht weiter aus. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Das Innenministerium teilte am Freitag mit, dass zurzeit zwei weitere Disziplinarverfahren gegen Beamte im Zusammenhang mit „Nordkreuz“ anhängig seien. Ein weiteres Verfahren wurde bereits abgeschlossen. Eines der noch offenen Verfahren dürfte sich gegen Haik J. richten. Der Generalbundesanwalt hatte gegen den Polizisten von 2017 bis Ende 2021 wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ermittelt. Die Ermittlungen wurden im vergangenen Dezember ergebnislos eingestellt (KATAPULT MV berichtete). Das Innenministerium wollte den Fall am Freitag unter Verweis auf den Datenschutz nicht kommentieren. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. 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