Die schwedische Küstenwache meldet ein viertes Leck an den Gasleitungen Nord Stream 1 und 2. Das Leck sei bereits seit Dienstag bekannt und liegt nach Angaben der schwedischen Seefahrtsbehörde zwischen den beiden Lecks an Nord Stream 1, jedoch an der parallel verlaufenden Pipeline Nord Stream 2. Der davon verursachte Gasaustritt hat an der Wasseroberfläche einen Durchmesser von etwa 150 Metern. Das zweite Leck in der schwedischen Wirtschaftszone betrifft einen Bereich von 900 Metern Durchmesser, teilte die Pressesprecherin der schwedischen Seefahrtsbehörde, Sara Eriksson, gegenüber Danmarks Radio mit. Zuvor war die Rede von drei Lecks, eines 24 Kilometer südöstlich der Insel Bornholm und zwei nordöstlich davon. An den russischen Pipelines waren die Lecks Anfang der Woche innerhalb kurzer Zeit aufgetreten. Sie befinden sich in den dänischen und schwedischen Wirtschaftszonen rund um die Insel Bornholm. Seit Montag tritt Gas aus und sorgt für heftige Blasenbildung. Das vierte Leck zwischen den beiden Leitungen konnte nicht auf dem Radar gesehen werden, weil es kleiner ist. Die schwedische Küstenwache entdeckte es, als sie mit Flugzeug und Boot in der Gegend war. Sperrgebiete für Schiff- und Luftfahrt Die dänische Fregatte „Absalon“ wurde mit mehreren anderen Schiffen derweil zu den Unglücksstellen geschickt, um den zivilen Seeverkehr zu überwachen und zu warnen. Und um das Gebiet rund fünf Seemeilen um die Lecks zu sperren.  Die Absalon verfügt über Radarsysteme, mit denen man sehr weit über Wasser sehen kann, und über Sonarsysteme, um zu erkennen, was unter Wasser passiert. Wegen des vierten Lecks wurde jedoch keine neue Sperrzone errichtet, da es sich innerhalb der bereits gesperrten Gebiete befindet. Die Sperrzonen der dänischen Seeschifffahrtsbehörde dürfen nicht befahren werden. Flugzeuge sollten auch nicht zu nah an die Lecks heranfliegen. Es bestehe Explosionsgefahr. Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit haben die Lecks jedoch nicht, da keine der beiden Pipelines in Betrieb gewesen ist. Wohl aber Auswirkungen auf den Gasmarkt: Die Preise stiegen nach Bekanntwerden der Lecks rasant. Zeitweise soll der Preis für Erdgas am europäischen Markt um rund 14 Prozent nach oben gesprungen sein. Verdacht auf Sabotage – Suche nach Ursachen geht weiter Mehrere Länder und westliche Sicherheitsexperten brachten bereits einen Anschlag auf die europäische Gasinfrastruktur als Ursache für die als beispiellos geltenden Schäden ins Spiel. Die EU und die Nato gehen von Sabotage aus. US-Außenamtssprecher Ned Price sagte, die US-Regierung wolle keine Mutmaßungen über mögliche Hintermänner einer Sabotageaktion anstellen, bis Untersuchungen an den Erdgasleitungen abgeschlossen seien. Der Kreml wies am Mittwoch Spekulationen über eine russische Beteiligung an der Beschädigung der Pipelines als „dumm und absurd“ zurück. Vermutungen, kürzlich abgehaltene russische Militärübungen bei Kaliningrad hätten mit den Lecks zu tun, sind bislang nicht bestätigt. Moskau sieht sich selbst als Geschädigten, die Behörden haben ein Terrorismusverfahren eingeleitet und eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats zu der Frage beantragt. Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen betonte am Mittwoch: „Es ist sehr ungewöhnlich und wir nehmen es sehr ernst.“ Eine Sabotageaktion könne man aktuell nicht ausschließen. „Es ist noch zu früh, um Schlussfolgerungen zu ziehen, aber es ist eine außergewöhnliche Situation mit drei Lecks – daher ist es schwer vorstellbar, dass es Zufall ist“, so Frederiksen am Mittwoch in Polen bei der Eröffnung der Gasleitung „Baltic Pipe“. Die neue Leitung soll Erdgas aus Norwegen über dänisches Gebiet nach Polen transportieren. „Die Ära der russischen Vorherrschaft beim Thema Gas geht zu Ende – eine Ära, die von Erpressung, Drohungen und Zwang geprägt war“, sagte Polens Premier Morawiecki bei der symbolischen Einweihung der Kompressorstation von Baltic Pipe in Goleniow nahe der polnischen Hafenstadt Stettin. Baltic Pipe wurde mit 250 Millionen Euro aus EU-Mitteln gefördert. Ab dem 1. Oktober soll Gas durch die Leitung fließen. Hybride Kriegsführung veranlasst EU-Kommission zu Belastungstest Die schwedische EU-Innenkommissarin Ylva Johansson bezeichnete die mutmaßliche Sabotage an den Ostseepipelines als „Warnruf“ und kündigte einen Belastungstest für die kritische Infrastruktur in Europa an. Das Durchtrennen von Internetkabeln oder Versorgungsleitungen und die Sabotage von Infrastruktur auf dem Meeresgrund nennt man in der Marine „Seabed Warfare“. Die EU-Kommission will deshalb nun einen Belastungstest durchführen. Denn die kritische Infrastruktur auf dem Meeresboden und rund um Europa ist, wie die Nord-Stream-Vorfälle zeigen, durchaus angreifbar. Das Schwedische Nationale Seismografische Netzwerk (SNSN) untersucht derzeit auch, ob es im Zusammenhang mit einer der beiden Explosionen, die in der Umgebung der Lecks registriert wurden, zu einer dritten Explosion gekommen ist. Das sagte Björn Lund, außerordentlicher Professor für Seismologie und Direktor des SNSN, gegenüber der schwedischen Zeitung Aftonbladet. Die Nord Stream AG teilte unterdessen in einer Pressemitteilung mit, dass die Ursachen gemeinsam mit den relevanten Behörden untersucht würden. Einen Zeitrahmen für die Wiederherstellung der Infrastruktur abzuschätzen, sei derzeit nicht möglich. Das dänische Ministerium für Klima, Energie und Versorgung hat die Landesenergieagentur Energinet, die für den Gesamtbetrieb des dänischen Strom- und Gassystems verantwortlich ist, gebeten, das Bereitschaftsniveau für den Strom- und Gassektor in Dänemark auf die Stufe „Orange“ zu erhöhen. Es ist die zweithöchste von fünf Stufen und bedeutet, dass Unternehmen der Branche auf die Sicherheit rund um ihre Anlagen achten müssen. Klimaschädliche Gase treten aus – Gesundheitsrisiko besteht nicht Wie die Behörde berechnete, entspricht die Klimabelastung durch den Gasaustritt etwa einem Drittel der gesamten Klimabelastung Dänemarks in einem Jahr. Ein konkretes Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung – besonders auf der Ostseeinsel Bornholm – bestehe aber nicht. Nichtsdestotrotz entspreche die Gesamtmenge von 500 Millionen Kubikmetern Erdgas, die nach Annahmen verschiedener Medien aus den Leitungen entweichen kann, rund 18 Prozent des Jahresausstoßes an Methan in Deutschland im Jahr 2021. Der Einfluss der Lecks in den Nord-Stream-Pipelines auf den Klimawandel ist laut dem Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) vergleichsweise gering. Die Einschätzung des IOW geht einher mit jenen der Deutschen Umwelthilfe und des Naturschutzbundes, wonach die direkten Auswirkungen auf die Meeresumwelt durch den Methanaustritt eher lokal beschränkt sein dürften. Der Leiter des WWF-Ostseebüros, Finn Viehberg, forderte dennoch einen genauen Blick, vor allem auf die langfristigen Folgen für das Klima und die Umwelt: „Die Schäden für die Meeresumwelt müssen umgehend genau analysiert werden. Noch ist unklar, was die Gaslecks für die Organismen in der betreffenden Region bedeuten.“ Gasleitungen bis Sonntag leer? Nach Angaben der dänischen Energiebehörde soll bereits mehr als die Hälfte des Gases aus den betroffenen Leitungen entwichen sein. Voraussichtlich am Sonntag sollen die beiden Pipelines demnach leer sein, wie Behördenchef Kristoffer Böttzauw bei einer Pressekonferenz am Mittwoch sagte: „Das ist kein kleiner Riss. Es ist ein wirklich großes Loch.“

Sollten die beiden Nord-Stream-Pipelines außer Betrieb bleiben, könnte Russland ausschließlich Gas über die Ukraine und Polen nach Deutschland und Mitteleuropa liefern. Wie der Tagesspiegel aus Regierungskreisen erfahren haben will, sollen die Röhren nach den mutmaßlichen Sabotageakten für immer unbrauchbar sein. Würden sie nicht schnell repariert, könnte Salzwasser einlaufen und die Röhren korrodieren. Mittlerweile beschäftigen die Vorfälle auch den Krisenstab des Auswärtigen Amtes, mehrere Bundesministerien und das Kanzleramt. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!