Seit Jahren stockt der Ausbau der Windkraft in Mecklenburg-Vorpommern. Und trotz aller anderslautender Bekundungen ging es auch 2022 kaum schneller voran. „Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien“, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Ende Februar letzten Jahres. Doch während 2021 insgesamt zwei Windräder in MV ans Netz gingen, waren es 2022 unterm Strich nur sieben mehr. 990 weitere warten auf Genehmigung. Das sind laut Marcus Heinicke, Geschäftsführer des Windradbetreibers Voss Energy aus Rostock, schätzungsweise 3.000 Megawatt – die Leistung mehrerer Atomkraftwerke, feststeckend im Genehmigungsstau von MV. Die Bundesregierung hatte bereits in ihrem sogenannten Osterpaket vor einem Jahr die Ausbauziele für erneuerbare Energien stark angehoben: Deren Anteil am Stromverbrauch soll auf 80 Prozent im Jahr 2030 verdoppelt, die Geschwindigkeit beim Ausbau verdreifacht werden. Paradigmenwechsel durch Bundesgesetze Im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hat der Bund einen Paradigmenwechsel eingeleitet: Nun steht die Errichtung von Windkraftanlagen im „überragenden öffentlichen Interesse“ und dient der öffentlichen Sicherheit. Vorher stellte der Ausbau erneuerbarer Energien – im Gegensatz zu wirtschaftlichen Interessen von Wohnungseigentümer:innen, Natur- oder Denkmalschutz – kein öffentliches Interesse dar und musste bei einer Interessenabwägung immer den Kürzeren ziehen. So konnten Windanlagen nur dort gebaut werden, wo wirklich niemand etwas dagegen hatte. Das soll sich nun ändern: Nun haben die Erneuerbaren Vorrang, wenn es um die Abwägung zwischen Schutzgütern geht. Um die Ausbauziele zu erreichen, trat im Februar dieses Jahres außerdem das sogenannte Wind-an-Land-Gesetz des Bundes in Kraft, das verbindliche Flächenziele für die Bundesländer vorgibt. Danach muss MV bis 2027 1,4 Prozent, bis 2032 2,1 Prozent seiner Landesfläche als Windeignungsgebiete ausweisen. Aktuell sind es 0,9 Prozent. „Wir brauchen also eine deutliche Verdopplung“, erläutert Klimaschutzminister Till Backhaus (SPD). Schwierig angesichts der Genehmigungszeiten für Windräder im Land, die bundesweit zu den längsten gehören. Verfahren beschleunigen Als Reaktion auf das Wind-an-Land-Gesetz des Bundes beschloss der Landtag in Schwerin Ende Januar das Windkraftbeschleunigungsgesetz. Es sieht vor, dass natur- und artenschutzrechtliche Prüfungen nicht mehr von den unteren Naturschutzbehörden der Landkreise durchgeführt werden, sondern auf die Staatlichen Umweltämter des Landes übertragen und dort gebündelt werden. In den Landkreisen seien bisher acht Personen mit der Prüfung beschäftigt gewesen, in den vier Umweltämtern sollen dafür 30 zusätzliche Personen eingestellt werden. So soll die Genehmigungsdauer von derzeit mehreren Jahren auf sieben Monate verkürzt werden. Schon heute sind die Genehmigungsbehörden eigentlich gesetzlich dazu verpflichtet, innerhalb von sieben Monaten über die Anträge zu entscheiden. Arten- und Denkmalschutz vs. Klimaschutz Dennoch ziehen sich Genehmigungsverfahren in MV über Jahre. Die Nachforderungen der Landkreise unter anderem zu Fragen zum Schutz seltener Vogelarten wie Rotmilan oder Schwarzstorch haben neue Windkraftanlagen immer wieder ausgebremst. War es jahrelang der Artenschutz, der Genehmigungsverfahren massiv verlängerte, entwickelte in den letzten Monaten auch der Denkmalschutz eine Blockadehaltung. In Behrenhoff südlich von Greifswald beispielsweise wartet eine Firma seit sieben Jahren auf die Genehmigung von 14 Windkraftanlagen durch das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt (Stalu) Vorpommern. Zuletzt aufgrund von Bedenken des Landesamtes für Kultur- und Denkmalpflege: Die 15 Kilometer entfernten Windräder würden den denkmalgeschützten Caspar-David-Friedrich-Blick von Wackerow auf Greifswald beeinträchtigen. Auch 20 Kilometer um das Schweriner Schloss sollte es keine Windräder geben, weitere Schutzzonen fordert die Denkmalschutzbehörde um Gutshäuser oder Kirchen. Auch in Mühlen Eichsen hatte das Landesdenkmalamt den Bau von Windenergieanlagen abgelehnt – ohne plausible Begründung, wie das Oberverwaltungsgericht (OVG) Greifswald Anfang Februar feststellte. Die zuständige Genehmigungsbehörde, das Stalu Westmecklenburg, hatte daraufhin keine Entscheidung getroffen. Rechtswidrig, wie das OVG entschied: Trotz einer ablehnenden Stellungnahme des Denkmalamtes hätte das Stalu über den Antrag entscheiden müssen. Das Gericht mahnte in seiner Entscheidung über die Untätigkeitsklage schnellere Verfahren und die Einhaltung der gesetzlichen Fristen an und bezog sich dabei auch auf das nun geltende überragende öffentliche Interesse des Ausbaus erneuerbarer Energien: Die Anlagen würden das Erscheinungsbild der betroffenen Denkmäler „nicht erheblich beeinträchtigen“. Ihr Bau sei deshalb nach dem Denkmalschutzgesetz nicht genehmigungsbedürftig. Und selbst wenn man eine erhebliche Beeinträchtigung unterstellte, müsse das Vorhaben genehmigt werden, weil „ein überwiegendes öffentliches Interesse“ die Maßnahme verlange. Aktuell sind in MV 13 weitere Untätigkeitsklagen von Windradprojektierern gegen Genehmigungsbehörden anhängig. Das Umweltministerium in Schwerin reagierte mit einem Erlass, der vom Kultusministerium als oberster Denkmalschutzbehörde bestätigt wurde: Die Staatlichen Umweltämter seien „in allen Fällen ohne Weiteres“ dazu angehalten, sich auf diese Rechtsprechung zu berufen. Gibt eine Denkmalschutzbehörde nicht innerhalb von vier Wochen eine Stellungnahme ab, gilt ihre Zustimmung als erteilt. So können fehlende Gutachten nicht mehr zu massiven Verzögerungen führen. Klimaschutzminister Backhaus sieht in dem Gerichtsurteil einen weiteren Schritt in der Beschleunigung der zähen Genehmigungsverfahren. Mehr Flächen ausweisen Doch für einen schnelleren Windkraftausbau braucht es nicht nur zügigere Genehmigungsverfahren, sondern auch ausgewiesene Flächen, auf denen Windräder errichtet werden dürfen. Über diese Windeignungsgebiete entscheiden die vier regionalen Planungsverbände des Landes: Mecklenburgische Seenplatte, Rostock für Stadt und Landkreis, Vorpommern für die Landkreise Vorpommern-Greifswald und Vorpommern-Rügen sowie Westmecklenburg für die Landkreise Nordwestmecklenburg, Ludwigslust-Parchim und die Stadt Schwerin. Energieminister Reinhard Meyer (SPD) will sich diese Kompetenz nicht ins Haus holen und lässt sie in kommunaler Zuständigkeit – die Frage, wo Windräder aufgestellt werden dürfen, gilt als konfliktbeladen und politisches Minenfeld. Doch um die Ausbauziele des Bundes erfüllen zu können, haben Umwelt- und Wirtschaftsministerium Anfang Februar den Planungsverbänden mit dem sogenannten Windkrafterlass erstmals einheitliche und verbindliche Regeln zur Ausweisung von Eignungsgebieten vorgegeben. Beziehungsweise klare Kriterien, wo Windeignungsgebiete nicht ausgewiesen werden dürfen – auf den restlichen Flächen soll es möglich sein. Die Entscheidung treffen dann die Planungsverbände. Berücksichtigt wurden dabei die bereits geltenden Abstände zu Wohngebieten, Wasser und kritischer Infrastruktur sowie der Natur-, Landschafts- und Artenschutz. Weitere Ausschlusskriterien aus dem Denkmalschutz sollen im April festgelegt werden. Laut den festgelegten Kriterien sind 4,43 Prozent der Landesfläche geeignet, mindestens 2,1 Prozent müssen die Planungsverbände laut Bundesgesetz bis 2032 ausweisen. Akzeptanz erhöhen Doch es gibt noch ein weiteres Problem beim Windkraftausbau: die mangelnde Akzeptanz für Windräder dort, wo sie gebaut werden müssen – auf dem Land. Ein Grund dafür sind nicht nur Bündnisse und Initiativen von Windkraftgegner:innen und Kleinstparteien wie Freier Horizont, die sich dem Kampf gegen Windkraftanlagen und die erneuerbaren Energien verschrieben haben. Sondern auch die sogenannten Netzentgelte, die etwa ein Viertel des Strompreises ausmachen und maßgeblich für regionale Preisunterschiede verantwortlich sind. Laut Bundesnetzagentur betragen die Netzentgelte in den Windländern im Norden zwischen 8 und 11, im Süden zwischen 5 und 8 Cent je Kilowattstunde. Die Nordländer mit viel Windkraft fordern daher schon lange bundesweit einheitliche Netzentgelte. Diese fallen für die Nutzung der Infrastruktur – Ausbau, Wartung und Betrieb des Stromnetzes – an, aber auch für die Entschädigung für den Stillstand von Windrädern zum Schutz vor Netzüberlastung. Aktuell tragen so die Kosten des Ausbaus von erneuerbaren Energien Stromkund:innen in Ländern mit niedriger Bevölkerungsdichte und hohem Anteil an erneuerbaren Energien. Außerdem sollen Menschen in der Nachbarschaft von Windkraftanlagen tatsächlich von diesen profitieren. Laut Bürgerbeteiligungsgesetz ist der Windradbetreiber verpflichtet, zehn Prozent seines Erlöses an die Gemeinde abzugeben. Seit Jahresbeginn sollen außerdem an Windparks grenzende Gemeinden mit 0,2 Cent pro erzeugter Kilowattstunde an den Umsätzen beteiligt werden. Michael Kellner (Grüne), parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeswirtschaftsministerium, spricht von 15.000 bis 20.000 Euro pro Windrad im Jahr, der Vorsitzende des Landesverbandes Erneuerbare Energien MV, Johann-Georg Jaeger, von 40.000 Euro für „eine große, neue Windkraftanlage“. Die Gemeinden könnten dann entscheiden, wofür das Geld genutzt werden soll, und die Umsätze kämen allen zugute. Auch damit soll die Akzeptanz von Windrädern erhöht werden, und zwar dort, wo sie stehen. Standortvorteil für Nordex Die klaren Zielvorgaben der Politik locken offenbar auch die Produzenten der Windbranche zurück ins Land: Nordex hat seine Rotorblattfertigung in Rostock reaktiviert, nachdem der Windradhersteller das Werk erst im vergangenen Jahr geschlossen hatte, um die Fertigung nach beispielsweise Indien und Brasilien zu verlegen. 600 Angestellte verloren dadurch ihren Job. An dem Produktionsstandort Güterverkehrszentrum im Osten der Hansestadt werden Prototypen von Windradflügeln entwickelt und getestet, 75 Mitarbeitende seien dort derzeit beschäftigt. Außerdem hat Nordex Mitte Februar an seinem zweiten Standort in der Hansestadt mit der Serienproduktion eines neuen Anlagentyps begonnen. Die Gondeln seien die leistungsstärksten Turbinen des Unternehmens, bis zu 150 davon will Nordex künftig jährlich in der Rostocker Südstadt bauen. Das entspricht einer Leistung von etwa einem Gigawatt. Beinahe die Hälfte der Nordex-Maschinenhäuser weltweit werden an diesem Standort gefertigt, zwei Millionen Euro hat der Windradhersteller in die neue Produktionsanlage investiert. „Wenn nun auch zeitnah die neuen Windparks genehmigt werden, sehe ich beste Chancen für das Werk Rostock“, sagte der Leiter des Gondelwerks, Alexander Farnkopf. Etwa 9.000 Menschen arbeiten weltweit für Nordex, davon 2.600 in Deutschland. Rund 1.200 sind in MV bei Nordex angestellt, davon 688 in der Gondelproduktion in der Südstadt und 121 am Güterverkehrszentrum. Jetzt müssen die neuen Maßnahmen und Gesetze nur noch tatsächlich dazu führen, die in verschleppten Genehmigungsverfahren und Prozessen schlummernden Tausenden Megawatt Freiheitsenergie freizusetzen. Dieser Artikel erschien in Ausgabe 18 von KATAPULT MV. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!