KATAPULT MV: Frau Terodde, fassen Sie bitte zu Beginn einmal in ein paar Sätzen zusammen, was Ihre Tätigkeit umfasst. Worum kümmern Sie sich an der Uni Greifswald?
Ruth Terodde: Die Aufgaben der Gleichstellungsbeauftragten sind im Gleichstellungsgesetz von MV sehr klar definiert. Ich habe mich um die Gleichstellung von Frauen und Männern zu kümmern. Wichtig: Seit der letzten Novelle des Gesetzes sind Gleichstellungsbeauftragte auch für Männer zuständig. Das wissen viele nicht. Der zweite Bereich umfasst alles, was mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf beziehungsweise Studium zu tun hat. Und im dritten Bereich kümmere ich mich um sexuelle Belästigung, also Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Eine weitere Aufgabenbeschreibung im klassischen Sinne gibt es danach nicht. Dann liegt es an der einzelnen Gleichstellungsbeauftragten, was sie damit macht. Im ersten Bereich gibt es einige Dinge, die ich tun muss – die sogenannten Beteiligungsverfahren. Wenn es zum Beispiel um Einstellungen geht, wenn es um Berufungen von Professor:innen geht. Dazu muss ich auch meine Zustimmung geben. Gibt es Dinge, die aus Gleichstellungssicht nicht in Ordnung sind, habe ich ein Beanstandungsrecht. Das gibt es ansonsten so nicht. Wenn ich also aus Gleichstellungssicht ein bestimmtes Verfahren beanstande, dann wird dieses Verfahren erst einmal gestoppt. Das ist an jedem Punkt des Verfahrens möglich Was wäre denn ein Punkt, an dem Sie ein Verfahren beanstanden würden – zum Beispiel bei einer Einstellung?
Einstellungsverfahren sollen grundsätzlich nach der Bestenauslese funktionieren. Das heißt, dass wir uns wirklich sehr präzise angucken, was in einer Ausschreibung drinsteht, welche Bewerbenden diese Qualifikation haben, diese überhaupt erfüllen oder nicht. Dann wird ausgewählt, wer eingeladen wird und wer nicht. Da könnte zum Beispiel Folgendes vorkommen: Es werden zwei Männer eingeladen, die die Qualifikation nicht komplett erfüllen wie etwa eine Frau, die aber nicht eingeladen wurde. Das wäre ein Verfahrensfehler und aus Gleichstellungssicht zu beanstanden. Ich könnte auch vorher bereits darauf hinweisen, dass sie eingeladen werden muss. Wenn das nicht passiert, dann wäre auch das ein Grund zur Beanstandung. Das ist jetzt aber ein sehr konstruierter Fall. Aber so kann man es sich ein bisschen besser vorstellen.
So kann man sich das vorstellen. Ich will jetzt nicht sagen, dass so etwas an der Universität Greifswald an der Tagesordnung ist. Ist es nicht. Aber es gibt eben auch schon einmal Fälle, wo es Dinge zu beanstanden gibt. Auch wenn Fragen gestellt werden, die einfach nicht mehr rechtens sind. Frauen etwa gefragt werden, wie sie das mit der Familienplanung halten. Oder wenn Schwangere gefragt werden, ob sie das überhaupt können oder sich die Arbeit zutrauen. Dieses Beanstandungsrecht ist, wie ich finde, ein absolut wichtiges Steuerungsinstrument, das den Gleichstellungsbeauftragten per Gesetz an die Hand gegeben wurde. Und von einem kann man ausgehen: Wenn es solche Gesetze gibt, dann gibt es das auch in der Realität. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass damit eine gewisse Gendersensibilität verbunden ist und dass es irgendwann einfach normal ist, so zu denken und vorzugehen. Ich habe auch unsere Zahlen im Blick. Die stehen ja im aktuellen Gleichstellungsbericht. Wir haben an der Uni Greifswald die Parität erreicht, was die Studierenden angeht und auch was die wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen angeht – vor allem auch bei Promotionen. Da liegen wir bundesweit richtig gut. Und dann kommt die Katastrophe: der Anteil der Professor:innen. Ich bin in gewisser Weise stolz darauf, dass wir jetzt bei 27 Prozent sind. Wir haben also den Bundesdurchschnitt geschafft. Ich mache diesen Job seit zehn Jahren und damals waren wir bei 12,4 Prozent. Das war so etwas von unterirdisch, dass wir in Rankings gar nicht vorkamen. Also immerhin haben wir das jetzt geschafft. Aber ist das ein Grund, darauf stolz zu sein? Drei Viertel sind nach wie vor nicht Frauen. Das ist eine Aufgabe, die mich auch immer wieder umtreibt. Deshalb haben wir zum Beispiel Mentoringprogramme für alle möglichen Qualifikationsstufen. Warum wir das nicht für Männer anbieten, werde ich oft gefragt. Doch solange die Zahlen so sind, wie sie sind, deuten sie sehr auf eine strukturelle Benachteiligung von Frauen hin. Wir sind in einem Wissenschaftssystem, das Karrieren von Frauen nicht so fördert, dass es leicht oder ganz normal ist, als Frau diese Karriereleiter aufzusteigen. Von klassischer Gleichstellung habe ich vielleicht früher noch gedacht, dass sie gar nicht mehr so nötig ist. Doch je älter ich werde, desto mehr denke ich, dass sie sehr nötig ist. Und wir haben da noch ganz viel zu tun. Was ich eben auch in den Mentoringprojekten merke: dass Frauen, die nach der Promotion weiter an der Uni bleiben, diese Wissenschaftskarriere einschlagen wollen, genau in dem Alter so zwischen 30 und 40 sind, wo eigentlich auch familiär ganz viel passieren könnte. Sie haben bis dahin ohnehin den Kinderwunsch oft aufgeschoben und irgendwann müssen sie sich entscheiden: Will ich denn jetzt noch Kinder oder nicht? Und das ist genau in der Phase, in der sie ganz viel veröffentlichen, ganz viel Drittmittelprojekte einwerben müssen, wo sie am besten noch ins Ausland müssen. Und das in der Familiengründungsphase. Das ist nach wie vor eine riesige Herausforderung. Wir reden zwar alle davon, dass Männer zunehmend Familienaufgaben wahrnehmen. Das sehe ich auch so. Aber dennoch hängt ein Großteil dieser Erziehungsarbeit an Frauen. Ich habe extremen Respekt, vor allem vor Frauen, die es trotz einer Familie schaffen. Sie sehen die Ursache für die Zahlen also sowohl strukturell als auch auf privater Seite, etwa bezüglich der Familienplanung?
Also, ich glaube schon sagen zu können, dass das Wissenschaftssystem sich im Grunde immer noch nach einer männlichen Vita ausrichtet. Man muss Mittel einwerben, muss wahnsinnig gut forschen, muss flexibel sein, muss von der einen Uni zur anderen hüpfen. Auch befristete Verträge spielen eine Rolle, was nicht einfach ist. Und in einer solchen Vita ist eine Unterbrechung eigentlich gar nicht vorgesehen. Wir haben inzwischen Regelungen, etwa das akademische Alter betreffend: Wenn eine Frau sich etwa auf eine Professur bewirbt und angibt, ein Kind bekommen zu haben, dann werden von ihrem sogenannten akademischen Alter zwei Jahre abgezogen. Ist sie also 36 und hat mit 34 ein Kind bekommen, dann würde ihr akademisches Alter auf 34 sinken und sie entsprechend so auch behandelt werden. So ist das in der Theorie. Mit Blick auf die Realität sieht man dann weniger eingeworbene Drittmittel oder Veröffentlichungen in den nicht absolut besten Journals. Woran liegt das? Das ist nur bedingt zu steuern und macht es Frauen ganz schwer, da weiterzukommen. Dieses Geschäft ist ein hartes, finde ich. Ich habe extremen Respekt, vor allem vor Frauen, die es trotz einer Familie schaffen. Und ich sage sehr bewusst, trotz einer Familie schaffen, in der Wissenschaft zu reüssieren. Und die zahlen einen Preis dafür.  Wir haben vor Kurzem eine Umfrage gemacht zur Familienfreundlichkeit an der Uni, und da kamen wirklich erschütternde Aussagen. Sowohl von Studis als auch von Lehrenden, die gesagt haben, „Pflichtveranstaltungen nach 16 Uhr gehen für uns einfach nicht. Ich muss mein Kind spätestens um 16.30 Uhr abholen. Das heißt, daran kann ich überhaupt gar nicht teilnehmen.“ Ganz schwierig. Für die Lehrenden genauso. Für die Betreuung der Kinder ständig auf den Freundeskreis angewiesen zu sein, geht nur begrenzt. Das sind Herausforderungen, mit denen man wirklich zu kämpfen hat.  Das ist für mich nach wie vor ein Thema, bei dem wir in Deutschland wirklich noch ganz weit hinten anstehen. Das hat am Ende auch mit Familienfreundlichkeit zu tun. In den skandinavischen Ländern etwa wird nicht erwartet, dass man abends um 20 Uhr immer noch im Büro sitzt, forscht, verfügbar ist und Gremienarbeit macht. Die kriegen das auch in kürzeren Zeiten hin. Da frage ich mich immer, wie lange das noch dauert, bis wir ebenfalls zu dieser Erkenntnis gelangen. Ist diese Umfrage zur Familienfreundlichkeit schon öffentlich zugänglich?
Nein, leider noch nicht, weil wir noch dabei sind, sie auszuwerten. Die ist tatsächlich von den Antworten her sehr umfangreich, sodass wir das einfach noch nicht geschafft haben. Und ich will, dass das fundiert ist. Wann soll sie voraussichtlich kommen?
Das wird im März sein. Wir sprechen jetzt schon über meinen zweiten Aufgabenbereich, die Vereinbarkeit von Familie und Studium oder Beruf. Die Gleichstellungsbeauftragte soll dahingehend eigene Maßnahmen entwickeln. Und das ist etwas, was mein Team und ich versuchen – zum Beispiel mit Veranstaltungen oder dem Familienservice. Mit diesen Unterstützungsangeboten begleiten und versuchen wir auch die ärgsten Probleme auszugleichen. Wenngleich ich weiß, dass das nicht die Lösung ist. Die Lösung wäre eben eine strukturelle Änderung, und dafür braucht es gute Konzepte, Nerven und noch ein bisschen Zeit. Das wissen wir alle: In jeder Institution gibt es sexuelle Belästigung und natürlich gibt es das auch an der Uni. Die dritte Aufgabe bewegt sich im Bereich Diskriminierung und Belästigung in Bezug auf das Geschlecht. Das ist im Grunde der Bereich, der auch am bedrückendsten ist. Das wissen wir alle: In jeder Institution gibt es sexuelle Belästigung und natürlich gibt es das auch an der Uni. Im Übrigen ist die Uni auch immer noch so hierarchisch strukturiert, dass solche Dinge „einfach vorkommen“. Es sind tatsächlich fast nur Frauen, die zur Beratung kommen. Ich sage ihnen von vornherein, dass das Berichtete den Raum nicht verlässt. Es sei denn, ich bekomme dazu einen Auftrag. Also Sie aufgefordert werden, dahingehend etwas zu unternehmen.
Ganz genau. Ohne diesen Auftrag mache ich gar nichts. Die können mir die schlimmsten Sachen hier erzählen. Da geht mir dann manchmal zwar das Klappmesser auf, aber ich weiß, dass ich nichts tun kann und werde, wenn ich den Auftrag nicht bekomme. Wenn jemand mit einem Anliegen kommt, bei dem ich denke, das ertrage ich kaum, da muss jetzt was passieren, dann bestärke ich die Frauen. Sie sind nicht allein. Aber, und jetzt kommt ein ganz schwieriges Problem: Wenn ich eine Frau ermutige, zum Beispiel Anzeige zu erstatten oder sich im Rahmen der Universität wirklich zu einer offiziellen Beschwerde durchzuringen, dann verliert die Antragstellerin, sobald die Beschwerde beim Justiziariat oder dem Personalreferat eingeht, ihre Anonymität. Das ist auch nachvollziehbar. Der Beschuldigte wird informiert, welche Vorwürfe erhoben wurden, und er hat natürlich die Gelegenheit, Stellung zu beziehen. Das kann er aber nur, wenn er weiß, um wen es sich handelt. Und leider ist es immer wieder das Gleiche: Die Frauen sind dazu nicht bereit und in der Lage, weil etwa noch Prüfungen bei dem Beschuldigten anstehen. Das sind dann für mich oft unerträgliche Situationen, weil ich einfach sehr machtlos bin. Und es trotz des ganzen Unterstützungsangebotes oft auch einfach nicht schaffe, die Frauen so zu bestärken, dass wir das dann gemeinsam machen. Über die Hälfte der Studierenden hat geantwortet, dass sie sexuelle Belästigung schon erlebt haben. Und bei den wissenschaftlichen Mitarbeitenden war es in etwa ein Drittel. Erfasst die Universität solcherlei Beschwerden – auch um eine Vorstellung zu bekommen, ob es ein Problem gibt?
Ich habe mich bisher, auch aufgrund dieser maximalen Vertraulichkeit, dagegen entschieden, das zu melden. Wir haben das anders gemacht: Es wird demnächst noch einmal eine Umfrage geben zu sexueller Belästigung. Die letzte ist nämlich schon drei Jahre her. Ich versuche, auf diese Art und Weise herauszufinden, welche Relevanz das Thema hat. Das scheint mir ehrlich gesagt auch die bessere Variante zu sein, weil dann alle die Gelegenheit haben, Stellung zu nehmen und auch Erfahrungsberichte zu geben. Beim letzten Mal waren es zehn Punkte zu sexueller Belästigung, die wir abgefragt haben. Und das war wirklich beeindruckend, weil über die Hälfte der Studierenden geantwortet hat, dass sie das schon erlebt haben. Und bei den wissenschaftlichen Mitarbeitenden war es in etwa ein Drittel. Das sind nennenswerte Zahlen. Die körperlichen Übergriffe machten einen sehr viel kleineren Anteil aus, aber auch die gab es. Ich meine, wenn die Hälfte der Studierenden sagt, das haben wir erlebt – das ist ein absolutes Alarmsignal. Und welche Konsequenzen ergeben sich dann beispielsweise aus so einer Umfrage? Also wenn Sie sagen, dass vor drei Jahren die Hälfte gesagt hat, dass sie das schon erlebt haben, dann ist doch die naheliegende Frage: Und jetzt?
Wir haben irgendwann die No-go-Kampagne ins Leben gerufen, die ich nach wie vor sehr wichtig finde. Da gibt es demnächst eine Aktualisierung. Auch für Studierende finde ich es wichtig, sie darin zu bestärken, egal was es ist, sich zu beschweren. Sie brauchen Anlaufstellen, wo ganz klar ist: Da kann ich hingehen und da kann ich alles loswerden. Ich kann mich beraten lassen. Was wir hier auch machen: Wir arbeiten mit allen möglichen Beratungsstellen zusammen. Denn ich bin keine Psychotherapeutin. Das ist etwas, was daraus folgt. Außerdem haben wir die Richtlinie zum Schutz vor Diskriminierung veröffentlicht, wo sexuelle Belästigung ebenfalls thematisiert wird. Wir haben Verfahrensgänge entwickelt: Wenn Leute sich beschweren, was passiert denn dann überhaupt? Das war bis dahin gar nicht so klar. Wer wirkt da mit? Welche Konsequenzen kann das haben? Lassen Sie uns noch mal explizit über den Gleichstellungsbericht und über die Zahlen sprechen. Sie haben vorhin schon kurz den geringen Anteil von Professorinnen angesprochen. Im Bericht gibt es eine Aufschlüsselung des Kaskadenmodells für die Uni – der Anteil der Geschlechter bei den Studierenden und dann aufsteigend bis zu den Professor:innen. Je höher die Qualifizierung, desto weniger Frauen gibt es. Was sind denn Schritte der Universität, um dagegen zu arbeiten? Auch vor dem Hintergrund, dass die Hochschulrektorenkonferenz Ende letzten Jahres festgestellt hat, dass der Anteil von Professorinnen trotz aller Bemühungen nicht weiter wächst.
Zum einen müssen wir uns ganz massiv um unseren – ich hasse eigentlich das Wort – wissenschaftlichen Nachwuchs kümmern. Wir müssen sie bestärken. Auch in ihrer Selbstwahrnehmung. In der Tat ein Problem, dass viele Frauen haben. Das macht mich immer völlig wahnsinnig, wenn ich in bestimmten Auswahlverfahren erlebe, dass Frauen sich grundsätzlich sehr viel kritischer betrachten. Dass sie nicht so wie Männer bereit und in der Lage sind, ihre eigenen Fähigkeiten und oft überragenden Qualifikationen darzustellen. Viele Frauen scheuen sich tatsächlich auch davor, sich auf hochrangige Ausschreibungen zu bewerben, weil sie ja oft nicht die Erfahrung gemacht haben, wie gut sie wirklich sind. Das ist zum Beispiel etwas, was wir in unseren Mentoringprogrammen sehr deutlich thematisieren. Frauen brauchen oft gar nicht zusätzlichen wissenschaftlichen Input, sondern es geht wirklich darum, dass ihnen klargemacht wird, was sie darüber hinaus noch brauchen auf dem schwierigen Karriereweg in der Wissenschaft und dass wir sie dabei unterstützen. Universitäten müssen diese hochqualifizierten Frauen wirklich stärken auf ihrem Karriereweg. Das machen wir hier schon ganz gut. Zum anderen hat die Hochschulrektorenkonferenz auch gesagt, dass Frauen nicht von allein kommen. Wir müssen uns schon darum bemühen, dass die sich beispielsweise an der Universität Greifswald bewerben und dann auch kommen. Da gibt es noch Handlungsbedarf: Wir müssen uns sehr intensiv um aktive Rekrutierung bemühen. Da hinken wir noch ein bisschen hinterher. Bei uns ist es bisher so, dass es vor allem auch an der Initiative Einzelner liegt, ob rekrutiert wird oder nicht. Und damit meine ich nicht nur, überall Ausschreibungen zu veröffentlichen, sondern dass Berufungskommissionen zum Beispiel Fachgesellschaften kontaktieren und gezielt geeignete Frauen ansprechen. Hier geht es nicht darum, diesen schon eine Professur bei uns zu versprechen. Aber ich glaube, man muss wirklich Frauen gezielt ansprechen und sie ermutigen. Wenn das passiert, dann haben diese Frauen oft eine sehr gute Chance, weiterzukommen. Wir brauchen dazu ein Konzept. Und das zu entwickeln, steht jetzt an. Wir brauchen dazu Fachleute, die in der Lage sind, diese Frauen zu identifizieren und dann eben auch entsprechend anzusprechen. Und wie geht es dann weiter?
Wenn wir das geschafft haben, dass sie sich hier bewerben und meinetwegen sogar auf der Liste stehen, sogar auf Platz eins und den entsprechenden Ruf bekommen, dann haben wir ein neues Problem. Das Land MV ist nicht so mit Finanzen gesegnet wie manch anderes Bundesland, und das gilt insbesondere für die Hochschulen und Universitäten des Landes. Wir leiden an einer Unterfinanzierung, was direkt Auswirkungen auf die Gewinnbarkeit von Professor:innen hat. Wenn wir hochqualifizierte Frauen ausgewählt haben, müssen wir denen auch ein gutes Angebot machen können. Denn auch andere Universitäten sind an solchen Frauen interessiert. Die Universität ist durchaus gewillt und versucht, Frauen zu berufen, die aber dann absagen, weil sie anderswo einfach eine bessere Ausstattung bekommen. Ich möchte das hier nutzen, um noch so ein kleines Bashing loszuwerden. Das Bundesforschungsministerium hat gerade die neuen Richtlinien veröffentlicht zum nächsten Professorinnenprogramm. Ein solches ist aus meiner Sicht ein sehr probates Mittel, an Universitäten einen finanziellen Anreiz zu schaffen, Frauen zu berufen. Ein richtig effektives Programm. Es funktioniert so, dass die Hälfte vom Bund finanziert wird, die andere Hälfte von den Ländern – in der Regel. Viele Länder machen das, zum Beispiel Bayern oder Baden-Württemberg. MV finanziert nicht mit. Das heißt: Wir sind zum einen schlechter ausgestattet. Zum anderen haben wir bei diesem Programm noch den Nachteil, dass wir nicht die Kofinanzierung bekommen, die andere Bundesländer haben. Und wenn jetzt noch irgendein Ministerium in diesem Land fragt: Warum beruft die Universität Greifswald so wenig Frauen?, dann werde ich auch ein bisschen wütend. Wir würden gerne, wenn wir könnten! Wir haben Zielvereinbarungen mit dem Land, in denen festgelegt ist, wie viel Prozent an Neuberufungen Frauen sein müssen. Es ist richtig, wir können besser rekrutieren. Aber oft berufen wir Frauen und haben dann gar nicht die finanziellen Mittel, diese Frauen auch zu gewinnen und damit die Quote zu erreichen. Das ist etwas, was ich als eine extrem kurzsichtige Hochschulpolitik bewerte. Denn das Land sieht ja an unseren Zahlen, was passiert. Und das kann man der Uni tatsächlich nicht vorwerfen, dass sie keine Frauen berufen will. Das will sie. Ich frage mich also, welche Perspektiven haben wir denn, wenn das so weitergeht? Dann wird die Schere einfach noch größer zwischen reichen Universitäten und Universitäten wie unserer – unter anderem zu Lasten der Gleichstellung. Schade. Wir haben jetzt über den Status quo gesprochen, die Zahlen liegen vor. Angenommen, es ändert sich jetzt nichts, wie werden sich diese dann in Zukunft entwickeln? Man sieht ja jetzt schon, dass die Veränderung im Vergleich zu 2021 nur noch marginal positiv ist.
Ja, da haben Sie schon präzise hingeguckt. Und wenn man sich dann noch die einzelnen Fakultäten anschaut, dann schlucke ich ein bisschen. Zum Beispiel die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät. Sie war lange Jahre bundesweit wirklich führend, was den Anteil an Professorinnen anging. Das haben die hier einfach gut gemacht. Das waren strategische Überlegungen, die wirklich dazu geführt haben, dass sie die guten Frauen bekommen haben. Wie die entsprechenden Dekanate immer gesagt haben: Wir machen Bestenauslese und wenn die Frauen die Besten sind, dann wollen wir genau die haben. Das fand ich immer ziemlich lässig. Das war erfolgreich. Aber Sie haben vielleicht gesehen, dass das nicht mehr so ist. Wenn wir eine gute Frau wollen, dann müssen wir ihr etwas bieten. Die kommt hier in eine Gegend, in die man mit anständigen Zugverbindungen nicht kommt. Wir haben im Moment nicht mal ausreichend Kitaplätze. Das geht zurück.
Genau. Und das trotz recht intensiver Bemühungen. Und wenn Sie mich jetzt fragen, welche Konsequenzen das hat – das ist beängstigend. Das, was ich am Anfang sagte, wird dann noch mal sehr greifbar: Es ist keine automatische Entwicklung, dass der Frauenanteil einfach steigt. Wenn wir eine gute Frau wollen, dann müssen wir ihr etwas bieten. Die kommt hier in eine Gegend, in die man mit anständigen Zugverbindungen nicht kommt. Wir haben im Moment nicht mal ausreichend Kitaplätze. Das heißt, was bieten wir den Leuten, wenn es dann auch noch weniger Geld und weniger Personal gibt? Greifswald hat eine mittelgroße Universität in einer Randlage, die keine gute Grundfinanzierung hat. Da geraten Sie mit den Strategien irgendwann auch an Grenzen und ich sage das ganz offen: Wenn ich mir diese Zahlen angucke, dann habe ich Angst davor, dass wir diese Parität nicht erreichen. Also jedenfalls unter den momentanen Begleitumständen. Das reicht nicht. Das ist wirklich eine große Sorge, die ich habe. Sie stagnieren im besten Fall und ich bin da, na ich will nicht sagen: hoffnungslos, denn dann würde ich den Job ja nicht machen, aber es wird mühsam. Wirklich mühsam. Dann ist es doch eigentlich so, dass die Anstrengungen auf universitärer Seite nur bis zu einem bestimmten Punkt reichen können, oder?
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich denke schon, dass die Uni noch mehr machen kann. Es gibt Kommissionen, die sich gut um Rekrutierung kümmern und es gibt eben auch andere, die sagen, „ja, na gut, es haben sich offensichtlich wenige Frauen beworben, es gibt dann wohl nicht mehr“. Es ist also nicht so, als ob hier alles rosig wäre. Aber grundsätzlich ist die Linie der Universitätsleitung, dass sich der Professorinnenanteil erhöhen soll. Dazu kommen dann auch solche Vorgaben wie die paritätische Besetzung von Berufungskommissionen. Da sagen zwar viele, „na ja, als ob Frauen Frauen berufen würden“. Die Kriterien ändern sich aber, wenn Berufungskommissionen paritätisch besetzt sind. Auch die Themen ändern sich. Es gibt eine andere Form von Kommunikation. Und das finde ich wichtig. Das ist auch ein Kulturwandel, der stattfindet. Also, wir müssen mehr tun. Aber das Bemühen hat vermutlich irgendwo eine Grenze und ich registriere mit einer gewissen Erschütterung, dass die Steigerung des Frauenanteils bei uns schon jetzt, also bei einem Viertel, nicht mehr ganz so leicht ist. Wir haben jetzt viel über Professorinnen gesprochen. Wie sieht es denn eigentlich in den universitären Gremien aus?
Das ist in der Tat eine erfreuliche Entwicklung. Und eine, die durchaus mit Sensibilisierung zu tun hat. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, wie – im Sinne der Parität – schlecht die universitären Gremien besetzt waren. Also der Senat zum Beispiel.
Genau. Und Fakultätsräte. Das sind ganz wichtige Gremien, in denen die Forschungsstrategien oder Personalentscheidungen maßgeblich mitbestimmt werden. Wir weisen in unseren Mentoringprogrammen die Frauen darauf hin, dass sie sich bitte überlegen müssen, wo sie strategisch gut in Gremien mitarbeiten, beispielsweise in der Forschungskommission. Die entscheidet etwa über Mittel, die Nachwuchsforschende bekommen, um einen Antrag zu schreiben. Also strategisch wichtige Instrumente. Das hat durch Beharrlichkeit zugenommen. Wir haben jetzt über 50 Prozent Frauen im Senat. Das gab es noch nie. Frauen müssen sich noch mehr in der Hochschulpolitik engagieren, aber dazu muss man wissen, wie man hineinkommt und dass das ein strategisch kluges Engagement ist. Sie haben schon Mentoringprogramme angesprochen. Was meinen Sie: Unterstützen Frauen Frauen genauso, wie Männer Männer unterstützen? Kommen Frauen Netzwerke genauso zugute, wie es unter Männern der Fall ist?
Die männlichen Netzwerke existieren nur schon. Und das ist bei Frauen noch in weit geringerem Ausmaß der Fall. Da wir bisher einen durchaus geringen Frauenanteil haben, auch an erfahrenen Professorinnen, die dann in die Rolle einer Mentorin schlüpfen könnten, sind diese Netzwerke noch gar nicht so etabliert. Viele Professorinnen, mit denen ich im Laufe der Zeit gesprochen habe, erzählen mir zum Beispiel, dass sie selber gar keine Vorbilder hatten. Es gab keine Frau, die sie jemals hätten fragen können, wie sie das eigentlich geschafft hat. Auch das Thema Vereinbarkeit taucht immer wieder auf in diesem Kontext. Früher war es oft so, dass Frauen, die es auf eine Professur geschafft hatten, keine Familie hatten. Denn sie haben sich dann für das eine und gegen das andere entschieden. Diese Frauennetzwerke müssen jetzt tatsächlich erst wachsen. In ganz vielen Fachbereichen haben Sie die noch nicht. Ich habe letztens mit einer Professorin gesprochen, die erzählte, „auf diesem Kongress war ich die einzige Frau“. Da müssen Sie nicht über ein Netzwerk nachdenken. Ich glaube, dass Mentoring ein wunderbares Instrument ist, diese Netzwerke zu schaffen. Die erfahrenen Frauen, die als Mentorinnen wirken, eröffnen den jungen Frauen viele Wege, die sich ansonsten gar nicht auftun würden. Wir haben das schon oft erlebt, dass eine Mentorin ihre Mentee mitgenommen, etwa zu einem Kongress, und dort einfach mal den Kolleg:innen vorgestellt hat. So hatte die junge Frau die Möglichkeit, mal einen Vortrag zu halten und ein Poster vorzustellen. Das funktioniert in der Regel mit einer Türöffnerin und nicht als junge, völlig unbekannte Wissenschaftlerin. Wir sprechen hier über hochqualifizierte Frauen, die einfach nicht die Chance haben, irgendwo reinzukommen, weil es dieses Netzwerk eben nicht gibt. Nach wie vor funktionieren die Netzwerke von Männern in vielen Wissenschaftsbereichen – Jura ist da ein gutes Beispiel – immer noch ganz hervorragend. Und viele junge Juristen bekommen diese Türen eben geöffnet, ohne Mentoring, weil das Netzwerk da ist. Und da sehe ich übrigens wirklich eine strukturelle Benachteiligung von Frauen, weil sie diese Möglichkeiten nicht haben. Eine letzte Frage: Sie haben jetzt diesen Bericht veröffentlicht. Welches Feedback haben Sie wahrgenommen – besonders im Hinblick auf die Zahlen?
Vor allem aus dem Mittelbau der Universität, von den wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen, gibt es viel Feedback. Die finden das wichtig und gut, dass dort Probleme thematisiert werden, die den Unialltag bestimmen. Sie sind, so nehme ich es wahr, zum Teil auch einigermaßen beeindruckt, was hier passiert. Und ich gebe zu, so ein bisschen stolz bin ich auch darauf. Denn einiges ist ja schon passiert. Als ich vor zehn Jahren als Gleichstellungsbeauftragte begonnen habe, hatte ich eine halbe Hilfskraft. Inzwischen arbeitet hier ein Team von 17 Mitarbeitenden, darunter viele Studierende, die alle unterschiedliche Aufgabenfelder bearbeiten und in der Regel drittmittelfinanziert sind. Das wird in der Tat wahrgenommen. Alle haben jedoch nicht reagiert. Über weiteres Feedback und rege Diskussionen freue ich mich. Punkt?
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