Gegen das Genehmigungsverfahren für das private Flüssiggasterminal in Lubmin sind bis zum Fristende am 28. November 1.099 Einwendungen beim zuständigen Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt Vorpommern (Stalu) eingegangen. Das teilte das Umweltministerium MV mit. Nach dem Willen des Betreibers Deutsche ReGas sollte das Terminal eigentlich am 1. Dezember seine Arbeit aufnehmen. Doch noch liegt der LNG-Tanker Neptune, auf dem das verflüssigte Erdgas gespeichert, regasifiziert und von dort ins Gasfernleitungsnetz eingespeist werden soll, im Hafen von Mukran auf Rügen. Derweil sind nach Angaben des Unternehmens im Industriehafen Lubmin, dem zukünftigen Liegeplatz der Neptune, alle Vorbereitungen abgeschlossen. Jetzt fehle, neben der Zustimmung durch die Europäische Kommission, nur noch die Genehmigung des Stalu. Bevor diese erteilt werden kann, muss die Behörde die gegen das Vorhaben eingereichten Einwendungen prüfen. Inwieweit diese den weiteren Prozess jedoch tatsächlich beeinflussen werden, ist unsicher. Vom zuständigen Umweltministerium heißt es, dass die Einwendungen geprüft und bewertet würden und die Bewertung dann „Grundlage der Entscheidung“ sei. Stichhaltige Einwendungen würden „weitere Prüfungen nach sich ziehen oder – für den Antragsteller im schlimmsten Fall – einen Versagungsgrund darstellen“. Eine Antwort, die den Kritiker:innen des Vorhabens in Lubmin wohl zumindest zum Teil gefallen dürfte. So fragte sich etwa der Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kurz nach Ende der Einwendungsfrist, ob seine Bemühungen und die eingereichten Einwendungen überhaupt etwas bewirken könnten. Die Liste der Kritiker:innen sowie der Argumente gegen das Terminal ist lang. So reihen sich neben dem BUND MV auch der Landesverband des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu), der WWF Stralsund, die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und die Bürgerinitiativen Lebensraum Vorpommern und Lebenswertes Rügen ein. Sie alle wiesen bereits im Vorfeld auf Verfahrensfehler, die aus ihrer Sicht mangelnde Berücksichtigung der Umweltauswirkungen des Projekts auf die Umwelt und das für sie unangebracht hohe Tempo der Umsetzung hin. Unterlagen nicht vollständig und digital zugänglich Im Hinblick auf das Verfahren entzündet sich die Kritik von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen zum Beispiel an der Auslage der Antragsunterlagen. So informierte der BUND das Stalu nach eigenen Angaben am 7. November darüber, dass zum einen Unterlagen unvollständig seien – der Entwurf der Zulassungsentscheidung einschließlich Begründung und die Darstellungen zu den „wesentlichen Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt“ fehlten – und zum anderen die Unterlagen nicht nur in den Räumen der Behörde, sondern auch digital zur Verfügung gestellt werden müssen. Punkte, die im LNG-Beschleunigungsgesetz eindeutig festgelegt sind. Dem stimmt auch die DUH zu. Es seien nicht nur die Antragsunterlagen nicht vollständig – so fehlen laut Einwendung der DUH etwa sämtliche Unterlagen, Anträge, Betrachtungen und Bewertungen zum zwingend notwendigen LNG-Lieferverkehr. Auch die Entscheidung des Stalu, die Unterlagen nicht digital zu veröffentlichen, kritisierte der Umweltverband. Nach Informationen der DUH habe diese Entscheidung auf dem Entschluss der ReGas gefußt, die keine digitale Veröffentlichung gewollt habe. Das Unternehmen erklärte dieses Vorgehen mit Sicherheitsbedenken aufgrund der Angriffe auf die Nord-Stream-Pipelines. Laut BUND MV und der Bürgerinitiative Lebensraum Vorpommern war der digitale Zugang, den der Anlagenbetreiber nach der Kritik doch zur Verfügung stellte, dann nicht funktional. So heißt es in der Stellungnahme des BUND, der Zugang sei teilweise „technisch verweigert“ worden. Und wenn der Zugriff schließlich möglich war, habe dieser nur für 24 Stunden zur Verfügung gestanden und ein 921-seitiges Dokument ohne Suchfunktion und Downloadmöglichkeit enthalten. Eine „Zumutung“, heißt es weiter. Durch dieses Vorgehen werde die „öffentliche Beteiligung in hohem Maße eingeschränkt“, kommentiert die Bürgerinitiative Lebensraum Vorpommern diesen Umstand in ihrer Einwendung an das Stalu. Lieferverkehr nicht berücksichtigt Die Kritik der Bürgerinitiative umfasst jedoch nicht nur die als problematisch wahrgenommene Bereitstellung der Unterlagen. Darüber hinaus gehe es auch um ein viel zu klein angelegtes Untersuchungsgebiet im Hinblick auf mögliche Umweltschäden. Dieses beschränke sich lediglich auf den Industriehafen von Lubmin und betrachte weder die Auswirkungen des benötigten Speicherschiffs, welches an bisher unbekannter Stelle in der Ostsee liegen soll, noch die LNG-Lieferschiffe, die vom Speicherschiff zum LNG-Terminal im Lubminer Hafen pendeln müssen. Diesen Punkt unterstreichen auch DUH und BUND MV. So sei die Anlieferung des Flüssiggases vom Speicherschiff über die Lieferschiffe bis zur Neptune „aus dem Genehmigungsverfahren vollständig ausgeblendet“, so die DUH. Dieser Lieferverkehr stelle jedoch einen zwingenden und „untrennbaren Bestandteil“ des Terminalbetriebs dar. Diesbezüglich fehle es sowohl an „einer kartographischen Darstellung des Shuttleverkehrs mit genauer Darstellung der Anfahrtswege als auch an einem Abgleich bestehender Verkehrsrouten“, betont der BUND MV. Die Bürgerinitiative Lebenswertes Rügen sieht darin einen Verfahrensfehler. Auswirkungen auf die Umwelt unzureichend untersucht Es fehle eine „Gesamtbetrachtung der Umweltauswirkungen“ entlang der Lieferkette, bemängelt die DUH. Dass „der Shuttleverkehr kaum Auswirkungen auf die Natur des Greifswalder Bodden haben wird, (...) halten wir für eine fachlich falsche Aussage“, kommentiert die Bürgerinitiative Lebenswertes Rügen. Als ungenügend und widersprüchlich stufen BUND und DUH im Hinblick auf die Umweltbeeinträchtigungen des Vorhabens zum Beispiel die Darstellungen zu Rastgebieten von Vögeln im angrenzenden Vogelschutzgebiet ein. Der BUND argumentiert, dass in den Unterlagen einerseits „keine explizite Beeinträchtigung der Rastvögel“ durch den Schifffahrtsverkehr im Bodden festgestellt wurde, es aber andererseits ebenfalls hieß, dass die Hauptschifffahrtsrouten von den Vögeln gemieden beziehungsweise sie sich daran gewöhnen würden. Der BUND verweist in seiner Stellungnahme beispielhaft auf die im Bodden befindlichen Rastgebiete der störempfindlichen Eis- und Bergenten, ebenso wie auf den im anliegenden Naturschutzgebiet Peenemünder Haken, Struck und Ruden befindlichen Mauserplatz Tausender Schwäne. Ähnlich sehen das auch DUH und Lebenswertes Rügen. Das Vogelschutzgebiet, das sich über den ganzen Bodden und darüber hinaus erstreckt, sei von „international herausragender Bedeutung für die Vogelrast“, schreibt die Initiative. „Es ist unzutreffend, dass (...) keine explizite Beeinträchtigung der Rastvögel und damit auch keine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele zugeschrieben werden sollen“, so die DUH. Die Bürgerinitiative erinnert daran, dass der Bodden ein wichtiges Laichgewässer des Ostseeherings und Lebensraum anderer geschützter Lebewesen sei, etwa der Kegelrobbe. Die Bürgerinitiative Lebensraum Vorpommern befürchtet sowohl Belastungen des Naturschutzgebiets, etwa durch Lärm, als auch ein „Absterben der Tier- und Pflanzenwelt“ durch Verwirbelungen der mit großem Tiefgang fahrenden Schiffe und damit einhergehenden „großflächigen Trübungen des Boddengewässers“. Dass solche Wassertrübungen die Unterwasservegetation wie Seegraswiesen reduzieren, darauf weisen auch DUH und BUND hin. Zu viel Tiefgang für Bodden und Hafen Im Tiefgang der verschiedenen für das Projekt nötigen Schiffe sehen die Kritiker:innen – abseits des Umweltaspekts – ein grundsätzliches Problem. So habe die Neptune, die es bis in den Industriehafen Lubmin schaffen soll, einen Tiefgang von rund elf Metern, berichtet Corinna Cwielag, Landesgeschäftsführerin des BUND. Wie dieses Schiff in den Lubminer Hafen mit seinem ausgebaggerten Becken von sieben Metern passen soll, sei ihr schleierhaft. Wohl aufgrund ähnlicher Überlegungen überschreibt die DUH diesen Punkt ihrer Einwendung mit dem Titel „Tatsächliche Unmöglichkeit der Vorhabenrealisierung“. Sie weist zudem darauf hin, dass den Lubminer Hafen nach Angaben des Betreibers nur Schiffe „mit einem Tiefgang von bis zu 6,10 Metern“ anlaufen können. Wie das mit einem Schiff vereinbar sein soll, das laut den Unterlagen mindestens einen Tiefgang von 9,50 Meter hat, stellt auch die DUH infrage. Der Industriehafen Lubmin gleich hinter dem Gelände des ehemaligen Kernkraftwerks Lubmin (Foto: Patrick Hinz) Umweltverträglichkeitsprüfung doch nötig Der Überlegung folgend, dass der Tiefgang der Neptune sich mit einer Gasbeladung nochmals vergrößert, zweifeln sowohl DUH als auch BUND MV die in den Planungsunterlagen ausgewiesene Gasliefermenge des LNG-Terminals an. Laut der Betreiberfirma Deutsche ReGas soll die Anlage in Lubmin eine Leistung von 5,2 Milliarden Kubikmeter LNG pro Jahr haben. Das soll, aufgrund der begrenzenden Tiefe des Hafens, mit nur einem statt der vier vorhandenen Tanks gelingen. Auch bei den Lieferschiffen werde die geladene Gasmenge durch den Tiefgang begrenzt, ergänzt BUND-Geschäftsführerin Cwielag. Sie vermutet, dass für die angegebene Gasmenge drei Schiffspassagen pro Tag – wie von der ReGas veranschlagt – daher nicht ausreichen werden. Was für die Boddengewässer noch weiteren Schiffsverkehr bedeuten würde. Wie die DUH schreibt, sei die Kapazität des Terminals durch die Deutsche ReGas selbst auch nicht widerspruchsfrei angegeben worden. So ist in einigen Mitteilungen der ReGas etwa von 4,5 Milliarden Kubikmeter im Jahr die Rede. Die Menge des ins Gasnetz einzuspeisenden LNGs ist für die Umweltverbände aufgrund der Umweltverträglichkeitsprüfung relevant. Diese wurde im vorliegenden Verfahren durch die Behörde nicht durchgeführt. Dies ist nach dem LNG-Beschleunigungsgesetz zulässig, wenn durch „eine beschleunigte Zulassung des konkreten Vorhabens“ ein „relevanter Beitrag“ zur Bewältigung oder Abwendung einer Krise der Gasversorgung geleistet werden kann. Durch die in Zweifel stehende Liefermenge des Terminals ist für die Umweltverbände die Voraussetzung für eine beschleunigte Genehmigung nicht gegeben. Aus ihrer Sicht muss also eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden. Ein Verzicht darauf stelle einen Verfahrensfehler dar. Nachnutzung der LNG-Infrastruktur ungewiss Der BUND wirft darüber hinaus die Frage auf, wie wichtig das private Terminal in Lubmin für die Sicherung der Gasversorgung Deutschlands sein kann. Zum einen aufgrund der unklaren Liefermenge, zum anderen, weil die Gasspeicher in Deutschland derzeit fast randvoll sind. Es gebe also keine Gasmangellage. Zudem fehlt es an einem gesamtdeutschen Konzept, bemängelt der BUND. Es sei wichtig, auch mit Blick auf die weiteren Planungsphasen, einen Übergang von LNG zu erneuerbaren Energieträgern nachzuweisen. Ansonsten zementiere das Vorhaben nur die fossile Energiegewinnung, so Corinna Cwielag. Ähnliches schreiben auch die Autor:innen einer Kurzstudie des New Climate Institute. Unter Berücksichtigung der anderen in Deutschland geplanten LNG-Terminals – mit Lubmin insgesamt elf Anlagen – kommen sie zu dem Ergebnis, dass nicht alle zwingend notwendig sind. So werde mit den Terminals 50 Prozent mehr Gas importiert, „als vor dem Krieg aus Russland bezogen wurde“. Zudem sei unklar, ob die für den LNG-Import geschaffene Infrastruktur künftig auch anders genutzt werden könne, etwa für Wasserstoff oder Ammoniak. Das müsse schon bei der Planung berücksichtigt werden. Auch das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung hegt Zweifel an einer Nachnutzbarkeit der LNG-Infrastruktur. Es sei aktuell unsicher, ob die LNG-Terminals zukünftig für erneuerbare Energieträger genutzt werden könnten. Das hänge zum einen damit zusammen, dass die Nachfrage nach bestimmten Energieträgern heute noch nicht beziffert werden könne. Zum anderen fehle es an Erfahrungen mit den nötigen Technologien und am Wissen in Bezug auf die Geeignetheit bestimmter Bestandteile und Materialien der Anlagen für die Nachnutzung mit Wasserstoff oder Ammoniak – besonders im Hinblick auf den verwendeten Stahl. Eine Zukunft für die neu geschaffene Gasinfrastruktur auch nach LNG steht demnach zumindest infrage. Wobei der BUND MV in Richtung Stalu und Landespolitik die Frage formuliert, inwieweit eine damit festgeschriebene Nutzung von Erdgas bis in die 40er-Jahre mit den deutschen Klimaschutzzielen vereinbar ist. Laut DUH hat die ReGas sogar einen unbefristeten Betrieb der Anlage beantragt. Was ist mit dem KKW Lubmin? Neben den Ausführungen zur Nachnutzung sehen Umweltverbände und Bürgerinitiativen auch die potenziellen Gefährdungssituationen und Störfallszenarien durch das Projekt als nicht ausreichend ausgeführt und untersucht an. Einerseits LNG als gefährlichen, explosiven und entzündbaren Stoff, der bei Austritt verdampfen und eine entzündliche Wolke bilden kann – ein Zurückbrennen zur Austrittsquelle nicht ausgeschlossen. Andererseits der besondere Standort des Terminals, keinen Kilometer entfernt vom ehemaligen Kernkraftwerk Lubmin. So schreiben BUND und DUH gemeinschaftlich, dass im Sicherheitsbericht der Antragsunterlagen Gefahrenquellen auf dem KKW-Gelände nicht angegeben wurden, zum Beispiel die Zentrale Aktive Werkstatt, die Zentrale Dekontaminationsanlage oder die derzeit im Bau befindliche neue Zerlegehalle. Außerdem soll in Ergänzung zum Zwischenlager Nord in Lubmin und zur Lagerung der hochradioaktiven Abfälle ein Ersatztransportbehälterlager gebaut werden. Auch dieses lassen die Antragsunterlagen der ReGas außen vor. Hinzu komme, dass das KKW zwar stillgelegt sei, Blöcke aber auch weiterhin dem Atomrecht unterliegen. Wenn also in den Antragsunterlagen das KKW als stillgelegt und „ausgeräumt“ bezeichnet werde, sei das unpassend und stufe die Anlage als „offenbar irrelevant“ ein. Mindestforderung: die Wiederholung des Verfahrens Für die Umweltverbände, aber auch die Bürgerinitiativen steht fest, dass diese Kritikpunkte am Projekt und den Entscheidungen des Stalu zwangsläufig zu einem neuen Verfahren führen müssen. So appelliert Lebenswertes Rügen an die Entscheidungsträger:innen, ein „rechtskonformes Verfahren mit entsprechender Beteiligung“ durchzuführen. Der BUND MV spricht sich für eine „Wiederholung beziehungsweise ein ergänzendes Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung“ aus und die DUH fordert die Ablehnung der durch die ReGas beantragten Genehmigung und Zulassung des Vorhabens oder zumindest eine erneute Auslegung der vollständigen Anträge und Unterlagen, „sowie die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung und eines Erörterungstermins“. Von einer Verfahrenswiederholung versprechen sich die Kritiker:innen des LNG-Vorhabens auch ein angemesseneres Tempo. So bezeichnet Lebenswertes Rügen das aktuelle Verfahren etwa als „Windeilverfahren“, durch das „durchgeprescht“ werde. Auch Corinna Cwielag vom BUND wundert sich über die Beschleunigung. Mit der Wiederholung gebe es dann genug Zeit, auch die aus Sicht der Umweltverbände notwendige Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, hofft sie. Wie es weitergeht, sollte das Stalu das Projekt trotz der zahlreichen Einwendungen und eingebrachten Kritikpunkte doch genehmigen, könne sie allerdings noch nicht sagen. Allerdings werde es dann eine Abstimmung zwischen den Umweltverbänden über weitere Schritte geben. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!