Der Sessel, auf dem Stefan Krüger sitzt, ist unverkäuflich. Alles, was über 40 Jahre alt ist, geht hier nicht raus. Neben ihm steht ein knalloranges Telefon mit Wählscheibe, im Regal an der Wand eine Matroschka. Eine alte Ledercouch schmiegt sich in die Ecke. An der Wand hängen zwei Stoffdecken mit einem eingestickten Schriftzug: „Was Mütterlein mir einst bescheert … Halt’ ich in diesem Schranke wert.“ Der Spruch trifft es ziemlich gut, denn der 40-Jährige verwirklicht in diesen Räumen den Traum seiner Mutter. Krügers Eltern haben das Hofcafé vor fast zehn Jahren gegründet. In ihrem Familienunternehmen Möbel Krüger betreiben die beiden nun gemeinsam ihr Café namens Tortenbengel. Erst Hamburger, dann Tortenbengel Heute, an einem Montag, ist das Hofcafé eigentlich geschlossen. Krügers Nichten fahren auf Dreirädern im Laden herum und spielen mit der Oma. Hinter dem Tresen servieren die Krügers an fünf Tagen die Woche jeweils unterschiedliche Torten wie Stachelbeer-Baiser mit Schokoladensoße, Erdbeersahnetorte oder Black-Forest-Drip-Cake. Sohn und Mutter entwickeln und erweitern die Rezepte selbst und backen gemeinsam. Dazu gibt es Kaffee in Porzellantassen auf Spitzendeckchen. In den Regalen stehen Gin, Kaffeegelee, Wein und Schokolade – aber nicht die Billigversion aus dem Supermarkt, sondern handverlesen und fein säuberlich angeordnet. Es wirkt wie eine Mischung aus Omas Wohnzimmer – und ihrer Speisekammer. Dabei wollte Krüger eigentlich gar nicht hier sein. Er wollte auf Weltreise gehen, dann kam die Corona-Pandemie und er saß fest. 13 Jahre lang hat der gebürtige Anklamer in Hamburg gelebt. Woanders zu sein, habe ihm neue Perspektiven eröffnet, sagt er. Aber auch ein Leben, das er so nicht mehr wollte. Hamburg ist eben auch nur Hamburg. Arbeit, Freunde treffen, Sport, Schlaf, Arbeit, Freunde treffen, Sport, Schlaf. Damals hat er bei Ikea gearbeitet. Ihm habe das Ziel und die Vision gefehlt. Weil er aber in seinem Leben mehr wollte als nur Möbel, fiel ihm das Weggehen nicht besonders schwer. In Anklam hat er jetzt beides: Möbel – und ein Café. Wie das zusammengeht, kann Krüger nicht mehr erklären. Aber seine Mutter wollte ein Café, und die Sitzmöbel waren schon vorhanden. Eine neue Ausstattung wurde nicht angeschafft. Sie verwendeten, was schon da war. Im kommenden Jahr feiert das Hofcafé sein zehnjähriges Bestehen. Und jetzt bekommen sie regelmäßig Anfragen, ob sie diese tollen alten Stühle nicht verkaufen wollen. Wollen sie nicht. Wenn man Krüger die Frage stellt, ob er irgendwas nennen kann, das ihm hier am Laden am meisten am Herzen liegt, schaut er sich um und sagt erst mal gar nichts. Er mache sich nicht so viel aus Materiellem, antwortet er dann – obwohl das Café von Kleinigkeiten nur so strotzt, die irgendwann sehr liebevoll positioniert worden sein müssen. Dann zeigt er auf seine Mutter und sagt, eigentlich sei sie das Wichtigste. Sie nickt und sagt: „Darum geht es. Das Wir.“ Keines der Möbelstücke im Café ist gekauft. (Foto: Juli Katz) Neuer Anfang in alter Heimat Für Krüger ergab sich mit der gescheiterten Weltreise auch eine Gelegenheit: Seine Eltern fragten ihn, ob er beim Hofcafé einsteigen wolle. Er wollte. Und investierte. Als wegen Corona die gastronomischen Betriebe schließen mussten, baute er das Café um, zog Wände hoch. Es brauchte aber nicht nur Räume, sondern auch Ideen. Heute stehen regionale Produkte im Regal, selbstgemachte Marmeladen und quietschende Möbelstücke mit Sammlerwert. Den Tortenbengel findet man auf Facebook sowie Instagram, dort lädt Krüger regelmäßig Bilder neuer Tortenkreationen hoch. Und auch auf vielen Onlineportalen antwortet er auf anonyme Bewertungen persönlich und bedankt sich für das Lob. Von der Idee über den Betrieb bis hin zum Ausbau der Räumlichkeiten – das sei jeden Tag harte Arbeit, wie Krüger betont. Aber lohnt sich das überhaupt in einer Stadt wie Anklam, in der es Filialen von Kühl, von Junge und von McCafé gibt? Seine Eltern hätten manchmal daran gezweifelt und ihn gefragt, ob er glaube, dass sich hier wirklich alles rentiere. Krügers Antwort: Ja. Über Finanzielles will er dennoch keine Auskunft geben. Aber er wirkt selbstsicher, als er erzählt, dass bestimmt viele nach diesen harten Jahren schließen müssten. Für den Tortenbengel wird es aber weitergehen, da ist Krüger optimistisch. Die Corona-Pandemie und steigende Energiepreise setzen vielen Cafés und Restaurants zu, das steht außer Frage. Doch schon vorher war die Gastronomie mit anderen Problemen konfrontiert. Viele Jahrzehnte habe sich in der Region niemand mehr getraut, zu investieren – weder in die kleinen Cafés noch in Restaurants. So bewertet Krüger es heute. Und seine These: Das liegt auch daran, dass es immer heißt, hier gebe es kein Geld. Deswegen hatte auch niemand den Mut, für mehr Qualität höhere Preise zu verlangen. Seine Mutter und er machen es jetzt anders, sie trauen sich etwas – und wie es scheint, klappt es auch. Zucker aus der örtlichen Fabrik Qualität heißt für die Krügers, auf regionale Produkte zu setzen. Der Zucker kommt aus der nahegelegenen Anklamer Zuckerfabrik, nur ein paar Meter vom Café entfernt. Aus vielen Orten der Umgebung, aber auch aus Berlin und Hamburg beziehen Mutter und Sohn ihre Produkte. Im Umkreis von bis zu 100 Kilometern liefern sie ihre Torten sogar aus. Kooperationen gibt es beispielsweise mit der Röstfrau. Die Inhaberin hat einen eigenen Kaffee für den Tortenbengel entwickelt, manchmal stehen die Krügers gemeinsam mit ihr auf dem Anklamer Wochenmarkt und verkaufen Kaffee und Kuchen. Wenn Leute von der Schweizer Grenze bis nach Anklam geradelt kommen und im Café eine Pause einlegen, staunt Stefan Krüger. Seine Mutter kommt herein und erzählt von der Touristin, die eigentlich auf der Heimreise von Rügen war, jedoch sechs Stunden auf ihren Zug warten musste – und hier im Café eine Verweilpause einlegte. Das Café liegt zwischen Hauptbahnhof und Innenstadt, deswegen wird es auch von vielen Leuten gefunden, die nur auf der Durchreise sind. Doch auch die Einheimischen nutzen es gern. Sie kommen zum Kartenspielen oder feiern gemeinsam den Frauentag, erzählt Krüger. Gegenüber befindet sich ein Hundefrisör, manche verbringen ihre Wartezeit im Café. Es soll ein Ort für alle sein, egal aus welchem Grund sie kommen, so viel steht fest. Familie Krüger will in der Zukunft auch mal Abendveranstaltungen in diesen Räumen anbieten – in welcher Form auch immer. Und dann tschüss In seiner Tätigkeit sieht Stefan Krüger viele Vorteile für sich. Aus dem Hamburger Trott ist er raus. Jetzt kann er selbstbestimmt arbeiten. Was gehört für ihn zu dieser Arbeit? Vor allem, sich für die Menschen Zeit zu nehmen. Er möchte kein Café betreiben, in dem alle nur abgespeist werden, Bestellung her, Geld her, Kaffee her, und dann tschüss. Er will mit den Menschen reden. „Gemeinsam statt einsam“, wirft seine Mutter ein. Es wirkt, als wären sich die beiden einig. Tortenbengel
Pasewalker Straße 41
17389 Anklam Dieser Artikel erschien im März in Ausgabe 18 von KATAPULT MV. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!