Geflüchtete aus der Ukraine entsprechend ihrer Qualifikation in Arbeit zu bringen – das ist das Ziel des Projekts Integrationshilfe für ukrainische Geflüchtete, das die Welcome Center in Greifswald und Pasewalk für die Region Vorpommern-Greifswald Anfang Juni gemeinsam initiiert haben. Sogenannte Integrationscoaches betreuen derzeit 38 Geflüchtete – 25 in Pasewalk und 13 in Greifswald. Es seien aber durchaus noch Kapazitäten vorhanden, sagt Projektleiter Christian Ulbricht. „Wir beraten nur die, die auch wirklich Arbeit suchen“, erzählt Integrationscoach Oksana Pilling. Es handelt sich dabei vor allem um eine aufsuchende Beratung, ergänzt Ulbricht. Heißt: „Wir gehen zu den Leuten und sie müssen nicht auf uns zukommen.“ Dabei arbeiten die Welcome Center auch gezielt mit anderen Akteuren in der Region zusammen, etwa mit den Jobcentern. Dort wird meist eine grobe Aufnahme gemacht, erklärt Ulbricht. Im Unterschied dazu schaut das Projekt gezielt auf die Details. An die Jobcenter zurück gehen dann beispielsweise Einschätzungen zu Chancen und Perspektiven der jeweiligen Person. Manchmal schicken die Jobcenter auch gezielt Geflüchtete ans Projekt. Vor allem dann, wenn sie merken, dass die Menschen hier in MV bleiben und arbeiten möchten. Im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den Jobcentern, aber auch mit Unternehmen, Kitas oder dem Arbeitgeberservice, hat Ulbricht ein positives Gefühl. „Wir machen das gut in Vorpommern“, meint er. Die Netzwerke funktionieren. Je besser die Netzwerke, desto eher gelingt Integration, ist er überzeugt. Immerhin handele es sich um die ersten richtigen Erfahrungen des Landkreises Vorpommern-Greifswald, Menschen in einem Umfang wie derzeit in Arbeit zu bringen. Alle bemühten sich, sagt der Projektleiter, bestmöglich zu helfen. Vor allem auch deshalb, weil alle Beteiligten wüssten, dass jetzt gehandelt werden müsse. Andernfalls seien die Kosten später um einiges höher. Vielleicht auch ein Neuanfang Ulbricht und sein Team unterstützen das Vorhaben Integration mit der Beratung Geflüchteter. Da gebe es viel zu tun. Die Geflüchteten sollen vor allem über ihre Möglichkeiten hier in Deutschland aufgeklärt werden, so Ulbricht. Denn der Weg, den sie vorher in ihrer Heimat gegangen sind, ist nicht zwangsläufig der, der hier fortgesetzt werden möchte oder muss. Viele stellten jetzt auch fest, dass ihre Anwesenheit in Deutschland vielleicht einen Neuanfang für sie bedeuten könnte. „Sie haben nun die Möglichkeit, ihren Horizont zu erweitern“, weiß der Projektleiter. Soll es womöglich noch mal eine Ausbildung sein oder auch ein Studium? Zwei Jahre haben sie Zeit, um sich „neu zu finden“. So lange gilt der Schutz durch das Aufenthaltsgesetz. Integrieren sich die Menschen währenddessen in den Arbeitsmarkt, studieren oder beginnen eine Ausbildung, so erwerben sie sich über diesen Zeitraum hinaus eine Bleibeperspektive in Deutschland. Sie sollen das machen können, worauf sie Lust haben, dann bleiben sie auch hier, so Ulbricht. Sprache als Dreh- und Angelpunkt Dass der Weg in den Arbeitsmarkt für Geflüchtete aus der Ukraine praktisch von keinerlei rechtlichen Hürden mehr erschwert wird, findet Ulbricht gut. Das unterscheide die Situation jetzt auch deutlich von jener 2015. Was jedoch nach seiner Auffassung leider auch eine Ungleichbehandlung Geflüchteter bedeutet – verursacht „durch Kapitalismus und die händeringende Suche nach Arbeitskräften“. Die Grundbedingungen für eine funktionierende Integration stimmen jedoch. „Jetzt liegt es an uns, auch die Hürden in der Praxis und strukturelle Schwierigkeiten zu überwinden.“ Ein zentrales Thema ist dabei weiterhin der Spracherwerb. Dass Deutschkenntnisse Dreh- und Angelpunkt bei der Integration sind, unterstreicht der Chef der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit, Markus Biercher. Es sei in Deutschland und damit auch in MV „extrem schwierig zu arbeiten, ohne ordentlich Deutsch zu sprechen“. Sei es nun im Dienstleistungsbereich beim Kontakt mit Kund:innen oder im Handwerk mit Kolleg:innen beziehungsweise bei Arbeitsaufträgen oder -anweisungen. Für viele Unternehmen in der Region sprechen fehlende Deutschkenntnisse erst einmal gegen eine Einstellung. Daran möchten die Welcome Center ebenfalls gezielt arbeiten. Unter anderem mit dem Projekt InVo – Integration in Vorpommern. Sprachdefizite sollten nicht immer gleich ein Ausschlusskriterium darstellen, appelliert Projektleiter Ulbricht. Vor allem, weil auch in MV Internationalisierung im Arbeitsmarkt dringend geboten ist. Über den Fachkräftemangel wird „laut geklagt“, weiß Regionaldirektionschef Biercher. Deshalb sei auch grundsätzlich ein hohes Interesse von betrieblicher Seite wahrnehmbar, die Menschen einzustellen. Aus diesem Grund ist Ulbricht dafür, Geflüchteten trotz möglicher Sprachschwierigkeiten eine Chance zu geben. Sprache lerne sich ja nicht nur in einem Kurs, sondern auch am Arbeitsplatz ganz gut, findet er. Dafür bieten beide Projekte jeweils Unterstützungsmöglichkeiten. Die Integrationscoaches begleiten die Geflüchteten zum Beispiel an den ersten Arbeitstagen, übersetzen vor Ort für sie. Und die Unternehmen können sich auf Wunsch durch das InVo-Projekt unterstützen und informieren lassen. Warten auf die Warteliste Dazu, dass „Sprache am Anfang stehen muss“, wie Biercher es ausdrückt, passt allerdings nicht, dass bisher in MV erst gut die Hälfte der Menschen einen Platz in einem der so wichtigen Integrationskurse bekommen hat. Auch Christian Ulbricht berichtet von diesem großen Problem. Es gebe einfach nicht genug Plätze, in der Fläche, aber auch in Städten wie Greifswald. So besuchen von den 38 betreuten Geflüchteten des Projekts bisher nur acht Menschen einen Integrationskurs, drei ein alternatives Angebot. Sieben stehen dagegen auf der Warteliste und 14 sogar auf der Warteliste der Warteliste. Markus Biercher geht für das Bundesland insgesamt davon aus, dass es noch weitere zwei bis drei Monate dauern wird, bis allen Menschen ein Kursangebot gemacht werden kann. Auch deshalb, weil die Lebensumstände für den Besuch eines Kurses durchaus relevant sind. Schließlich handele es sich bei den meisten Integrationskursen um Vollzeitangebote, die fünf Tage die Woche besucht werden müssen. Kinder als Anker in der Region Die meisten Geflüchteten – in Vorpommern-Greifswald 80 Prozent – sind Frauen. Viele haben Kinder. Für diese muss eine Betreuung organisiert werden, damit der Kurs besucht werden kann. Entweder durch eine Kita oder eine Schule. Denn Kinder, so formuliert es Integrationscoach Oksana Pilling, können den Besuch eines Integrationskurses empfindlich stören. Schließlich ist in nur 600 Stunden Deutsch zu lernen. Da ist es problematisch, wenn ein Tag verpasst wird. Dann wieder anzuschließen, ist schwierig, da sind sich alle im Projektteam einig. Allerdings können sie zu Kita- und Schulplätzen für die Geflüchteten in Greifswald bisher Positives vermelden. 20 ihrer derzeit betreuten Ukrainer:innen haben Kinder im kita- oder schulpflichtigen Alter. Und alle haben einen Platz gefunden. Das sei bisher also kein Problem, so Pilling und Ulbricht. Für Unternehmen in der Region ist das erst mal eine gute Nachricht. Denn sie möchten vor einer Einstellung meist wissen, ob die Menschen bleiben oder wieder gehen. Für Ulbricht ist klar, dass eine solche Planungssicherheit etwa durch den Kita- oder Schulbesuch der Kinder entstehen kann. Finden die Kinder Anschluss, dann bleiben auch die Eltern, sagt er. Herausforderung: Qualifikationen einschätzen Für die Unternehmen tut sich bei der Einstellung aber noch ein anderes Problem auf. Die größte Herausforderung sei es nämlich, „die Qualifikation der Menschen richtig einzuschätzen“, erzählt Ulbricht. So sei beispielsweise ein Hochschulabschluss aus der Ukraine eher mit einem College in den USA vergleichbar. Auch Markus Biercher weist im Gespräch mit KATAPULT MV auf die Unterschiede hin. Das Bildungssystem in der Ukraine sei zwar „teils sehr elaboriert“, passe „aber nicht zu 100 Prozent zu unserem“. Deshalb arbeite die Arbeitsagentur eng mit den sogenannten IQ-Netzwerken zusammen, die nach eigenen Angaben die Integration von Migrant:innen in den Arbeitsmarkt verbessern wollen und sie dafür etwa bei der Anerkennung von Abschlüssen unterstützen. Christian Ulbricht berichtet darüber hinaus auch von Probemodellen. Die Geflüchteten gehen dabei für zwei Wochen zur Probearbeit in ein Unternehmen. Dort können sie sich so ein besseres Bild von deren jeweiligen Fähigkeiten machen. Und, das sei vielen nicht bewusst, es gibt auch Zuschüsse beziehungsweise Förderungen für Unternehmen, die Mitarbeiter:innen einstellen, die erst mal Minderleistungen bringen, also zum Beispiel mehr Einarbeitung als üblich benötigen, weiß Ulbricht. Diese Förderung bezahlt das Jobcenter, ergänzt Biercher. Auch so soll die Entscheidung für eine Einstellung Geflüchteter für die Unternehmen vereinfacht werden, wenn es etwa noch an Sprachkenntnissen oder beruflichen Fähigkeiten mangelt. 602 Geflüchtete in Arbeit Vor dem Hintergrund, dass es auch jetzt einem großen Teil der ukrainischen Geflüchteten noch nicht möglich ist, einen Integrationskurs zu besuchen und so die nötigen Sprachkenntnisse zu erwerben, ist es nicht verwunderlich, dass bisher erst verhältnismäßig wenige von ihnen in den Arbeitsmarkt integriert wurden. Von Juni bis Oktober dieses Jahres vermerkte die Regionaldirektion Nord für MV 602 Abgänge von Ukrainer:innen in den Arbeitsmarkt. Dagegen stehen etwa im Oktober 4.900 als arbeitslos gemeldete Geflüchtete. Eine sehr „überschaubare Zahl“, relativiert Biercher. Sie sei für die Bundesagentur auch nicht weiter verwunderlich. Aus den bereits genannten Gründen, aber auch weil die Herkunft der Menschen und ihr Weg nach Deutschland und MV nicht außer Acht gelassen werden könne. Es handele sich schließlich um Kriegsgeflüchtete und nicht um eine Erwerbsmigration. Deshalb sei es die Position der Bundesagentur, die Menschen erstmal hier an- und zur Ruhe kommen zu lassen. Gefahr einer Dequalifizierung Bei denjenigen, die bereits einen Job finden konnten, beobachten die Projektmitarbeiter:innen um Christian Ulbricht auch Nachteile aus dem schnell möglichen Arbeitsmarkteinstieg. Dieser Umstand begünstige nämlich durchaus prekäre Arbeitsbedingungen, so Ulbricht. Davor müssten die Menschen geschützt werden. So führt das Projekt etwa Informationsveranstaltungen und Workshops für Geflüchtete durch, um Informationsungleichheiten abzubauen – zum Beispiel: Was darf alles im Arbeitsvertrag stehen und was nicht? Darüber hinaus steigen viele unterhalb ihrer eigenen Qualifikation in den Arbeitsmarkt ein, in niedriger qualifizierte Berufe. Er sehe da ganz klar die Tendenz zum „Dequalifizierungsszenario“, stellt Ulbricht fest. So weit möchte Markus Biercher von der Regionaldirektion nicht gehen. Ob tatsächlich eine solche Dequalifizierung stattfinde, lasse sich nicht sagen. Tendenziell sei aber „viel Beschäftigung im Helferbereich“ zu beobachten, etwa auf dem Bau oder in der Gastronomie. Das Risiko einer Dequalifizierung sei aber ohne Frage vorhanden, stimmt er zu. Die Menschen sollen sich zumindest branchennah dequalifizieren, also neue Arbeit wenigstens in der Nähe ihres vorherigen Berufs oder ihrer Qualifikation finden. Auf diese Weise versuchen Ulbricht und das Beratungsteam, das Problem erst mal abzumildern. 1.500 Euro für Sprachkurs In der Beratung rät das Team den Geflüchteten nicht zu einem bestimmten Weg, wie etwa zum vollen Einstieg in den Arbeitsmarkt, sagt Ulbricht. „Wir beraten sie ja nur“, betont er. Und meint das auch mit Blick auf den Besuch der Integrationskurse und die dabei entstehenden Kosten. Diese bekommen die Geflüchteten so lange gefördert, wie sie entweder arbeitslos gemeldet sind oder „nur“ einem Minijob nachgehen. Sobald sie jedoch durch eine richtige Stelle in den Arbeitsmarkt Vollzeit integriert sind, müssen sie auch die Kosten für den Kursbesuch selbst übernehmen. Bei einem Satz von 2,50 Euro pro Stunde und über 600 Sprachkursstunden sind das insgesamt mindestens 1.500 Euro. Viel Geld, wenn, wie im Helferbereich üblich, nur der Mindestlohn oder knapp darüber verdient wird, resümiert Ulbricht. Die Menschen „leben ja nicht von Luft und Liebe“, kommentiert Biercher. Bilanz erst im kommenden Jahr möglich Dabei haben die Menschen nach Bierchers Aussage einen „starken Willen, Geld zu verdienen und unabhängig von staatlichen Leistungen zu werden“. Dem kann auch Christian Ulbricht zustimmen. Gerade im Hinblick auf die Sozialleistungen gebe es bei vielen Ukrainer:innen große Unsicherheiten. Deshalb möchten viele „möglichst schnell auf eigenen Beinen stehen“. Ob das auch einer größeren Zahl der Geflüchteten bald gelingen wird, ist bisher offen. Auch, wie erfolgreich die Projekte von Christian Ulbricht und seinem Team sein werden. Das lasse sich jetzt auch noch nicht absehen, meint der Projektleiter. Vielleicht, wenn die ersten Integrationskurse im kommenden Jahr beendet sind. Dann lasse sich wohl eine erste Bilanz ziehen. Wie ein Erfolg aussehen würde, kann er dennoch schon jetzt benennen. Nämlich, „wenn Informationsasymmetrien abgebaut werden konnten“ und „die Geflüchteten eine eigenständige, informierte Entscheidung treffen können“. Dieser Artikel erschien in der Dezember-Ausgabe von KATAPULT MV. MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo! KATAPULT MV abonnieren!