„Für uns ist Schiffsbau mehr als nur ein Industriezweig. Es ist unsere Leidenschaft.“ Der pathetische Slogan und die Hochglanzfotos, mit denen sich die MV-Werften im Internet präsentieren, können nicht über die Krise hinwegtäuschen. Ohne neuerliche Staatshilfen stehen die Werften vor dem Aus. Der Bau von luxuriösen Kreuzfahrtschiffen in Meck-Vorp wäre Geschichte. Und die Belegschaft stünde wenige Tage vor Weihnachten vor dem Nichts. Aktuell beschäftigen die MV-Werften 1.800 bis 2.000 Mitarbeiter. Weitere 600 sind in Transfergesellschaften untergebracht. Darüber hinaus sind nach Angaben von Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) etwa 3.000 Menschen in Zulieferbetrieben im engeren Umfeld der Werften tätig.
Der Mutterkonzern der Unternehmensgruppe, Genting Hongkong, leidet unter der Corona-Krise. Eine Ursache für den Liquiditätsengpass ist der fast zum Erliegen gekommene Markt für den Bau neuer Kreuzfahrtschiffe. Eine andere sind nicht realisierte Immobiliendeals in China. Wie es mit dem Schiffsbau an der Ostseeküste langfristig weitergehen wird, ist völlig ungewiss. In Stralsund lief im Juni die Luxusyacht „Crystal Endeavor“ vom Stapel. Seitdem ist der Standort ungenutzt. Genting ließ bereits wissen, in der Hansestadt keine Schiffe mehr bauen zu wollen. Im Gespräch ist der zukünftige Bau von Offshore-Windplattformen.
Markt für Kreuzfahrtschiffe eingebrochen
In Wismar wird derzeit an der „Global 1“ gearbeitet. Gemessen an der Passagierzahl wäre der Megaliner, der im Auftrag der Genting-Tochter Dream Cruises gebaut wird, das größte Kreuzfahrtschiff der Welt. Nach Medienberichten ist das Schiff zu etwa 70 Prozent fertiggestellt. In Rostock wird bereits das baugleiche Schwesterschiff, die „Global 2“, vorproduziert.
Ursprünglich sollte die „Global 1“ 2020 an die Reederei übergeben werden. Infolge der Pandemie kam es zu erheblichen Verzögerungen, weil der Werftbetrieb monatelang pausieren musste. Gleichzeitig brach der Markt für touristische Kreuzfahrten ein. Die Fertigstellung der „Global 1“ hängt maßgeblich von der Finanzierbarkeit ab. Würde der Ozeanriese ausgeliefert, käme frisches Geld in die Werftkasse. Deshalb besteht seitens der Beteiligten grundsätzlich das Interesse, den Betrieb vorerst aufrechtzuerhalten.
Am Donnerstag informierte die IG Metall rund 500 Arbeitnehmer:innen bei einer Betriebsversammlung in Wismar über die heikle Lage. Die Gewerkschaft hofft auf eine Lösung, die den Weiterbau der „Global 1“ sicherstellt. „Aus unserer Sicht ist die richtige Entscheidung, von Landesseite den Fortgang des Baus des Schiffes zu unterstützen“, sagte Henning Groskreutz, Geschäftsführer der IG Metall Lübeck-Wismar, im Anschluss gegenüber KATAPULT MV.
„Der industrielle Kern des Landes“
Am Freitag beschäftigte sich in Schwerin der Landtag mit der Situation der Schiffsbauer. Die Parlamentarier gestatteten der Landesregierung mit den Stimmen von SPD, Linken, CDU und Grünen, die Auszahlung eines Darlehens über 88 Millionen US-Dollar vorzuziehen. Die Zahlung sollte nach einem Landtagsbeschluss vom vergangenen Juni ursprünglich erst 2024 erfolgen. Die finale Entscheidung trifft am Mittwoch der Finanzausschuss.
Die Werftenrettung ist an zwei Bedingungen geknüpft: Der Bund soll 30 Millionen Dollar aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds beisteuern. Genting selbst muss 30 Millionen Dollar als Eigenanteil aufbringen. Zur Diskussion steht ein Verkauf des Firmengeländes in Stralsund. Die Stadt soll an der Immobilie interessiert sein.
„Der Schiffsbau ist der industrielle Kern in Mecklenburg-Vorpommern“, erklärte Wirtschaftsminister Meyer. „Wir kämpfen für diesen Kern.“ In dasselbe Horn blies sein Parteigenosse Tilo Gundlach. „Bisher ist jedes Darlehen von den Werften zurückgezahlt worden.“ Es gelte, die vorhandene Innovationskraft im Land zu erhalten.
Gegenwind kam von der AfD. Die Fraktion hatte im Vorfeld der Sitzung angekündigt, den Dringlichkeitsantrag abzulehnen. „Wer jetzt wieder fast 80 Millionen Euro allein aus Landesmitteln in den schwer angeschlagenen Genting-Konzern pumpen will, betreibt nichts anderes als staatliche Insolvenzverschleppung. Dass Genting nun offenbar auch noch in die chinesische Immobilienkrise verwickelt ist, zeigt die ganze Dramatik. Es ist nicht Aufgabe der deutschen Steuerzahler, diesen Hongkonger Mischkonzern mit immer neuen Darlehen und Bürgschaften am Leben zu erhalten“, sagte der AfD-Fraktionsvorsitzende Nikolaus Kramer am Donnerstag. Sein Fraktionskollege Martin Schmidt legte am Freitag nach. „Die Risiken überwiegen vor den Chancen.“ Den Antragstellern gehe es um Symbolpolitik.
Verhandlungen mit dem Bund sollen fortgesetzt werden
CDU-Wirtschaftsexperte Wolfgang Waldmüller konterte prompt. „Sie sagen, es sei ein Risiko? Wenn Sie kein Risiko eingehen wollen, dann bleiben Sie zu Hause als Politiker.“ Insgesamt war die Debatte aber von sachbezogenen Erwägungen geprägt. Die FDP enthielt sich der Abstimmung. Fraktionschef René Domke betonte, die Liberalen seien an einer Zukunft für die Werften interessiert. Allerdings nehme der Antrag auf Gutachten aus der vergangenen Legislaturperiode Bezug, die seiner Fraktion im Vorfeld der Sitzung nicht zur Verfügung gestanden hätten. Domke, der dem Finanzausschuss angehört, signalisierte aber Kooperationsbereitschaft und möchte sich möglichst bis kommenden Mittwoch in die Materialien einarbeiten.
Die Verhandlungen zwischen den Beteiligten und dem Bund sollen am Wochenende fortgesetzt werden. Sollte die Finanzierung der „Global 1“ scheitern, müsste das Land Verpflichtungen aus Bürgschaften nachkommen. Zusätzlich bliebe das Land auf einem fast fertig gebauten Kreuzfahrtschiff sitzen.
Quellen
- NDR 1 Radio MV (Hg.): MV-Werften fehlen Millionen: Landtag steht hinter Landeshilfen, auf: ndr.de (17.12.2021).↩
- Äußerung in der Plenardebatte am 17. Dezember 2021.↩
- Das Schiff soll später unter dem Namen „Global Dream“ verkehren.↩
- Bis zu 9.500 Passagiere laut Pressemitteilung der MV-Werften vom 9. Dezember 2019.↩
- Landtag MV: Drucksache 8/163.↩
- NDR 1 Radio MV (Hg.): MV-Werften fehlen Millionen: Landtag steht hinter Landeshilfen, auf: ndr.de (17.12.2021).↩
- Pressemitteilung der AfD vom 16. Dezember 2021.↩