Bohdana TrachukWenn mir jemand gesagt hätte, dass es Krieg geben würde, hätte ich es nicht geglaubt. Aber vor über einem Monat wurde die Situation in meiner Heimatstadt immer schlimmer. Also beschlossen meine Familie und ich, zu gehen. Der Kyjiwer Hauptbahnhof war mit Menschen überfüllt. Wir konnten erst nach fünf Stunden in den dritten Zug einsteigen.
Die Reise war hart, die Waggons überfüllt mit Frauen und kleinen Kindern. Viele waren mit ihren Haustieren unterwegs, Katzen, Hunden und sogar Nagetieren. Wir kamen in Lwiw an, wo uns ukrainische Freiwillige mit Sandwiches versorgten. Es war schwierig, an die Grenze zu Polen zu gelangen. Zum Glück haben wir Jan getroffen, einen Freiwilligen, der uns kostenlos mitgenommen hat. Zuerst erreichten wir den Checkpoint Rawa-Ruska mit einer acht Kilometer langen Schlange. Als Jan dies sah, brachte er uns zu einem anderen Punkt in der Nähe des Dorfes Uhryniw, wo wir schnell die Grenze überquerten. In Polen halfen uns Bartek und Michail. Sie gaben uns Essen, brachten uns nach Wrocław und besorgten uns eine Unterkunft. Am Morgen bestiegen wir einen Zug und fuhren nach Berlin. Von dort ging es nach Greifswald. Wir kamen am späten Abend an und wurden herzlich von Benni, dem KATAPULT-Chefredakteur, und seinem Vater Lutz empfangen. Sie gaben uns Leckereien, einfach wow! Und schließlich begann ich bei KATAPULT zu arbeiten! Hier habe ich eine große und freundliche Community gefunden, die immer bereit ist, zu helfen. Vielen Dank an dieses Team und alle, die uns geholfen haben!
Roksana PanashchukIch habe in Odesa mit widersprüchlichen Gefühlen gekämpft. Ich wollte die Stadt und mein kleines gemütliches Leben, das ich gerade aufgebaut hatte, nicht verlassen. Ich stieg in ein Taxi und erreichte zwei Stunden später die ukrainische Grenze, um zu versuchen, nach Moldawien zu gelangen. Je näher ich dem Kontrollpunkt kam, desto größer wurde der Kloß in meinem Hals. Doch ich schaffte es, die Tränen zurückzuhalten. Fünf Stunden lang stand ich mit meinen Landsleuten in einer Schlange. Ihr einziger Wunsch war es, nach Hause zurückzukehren und ihr einfaches Leben, wie vor dem Krieg, zu leben. Wir weigerten uns, in unserem Herzen zu akzeptieren, dass alles, was wir hatten, verschwinden würde, sobald unsere Pässe abgestempelt wurden.
Ich habe eine Woche gebraucht, um von Moldawien nach Greifswald zu kommen. Die Menge an Freiwilligen hat mich sehr beeindruckt. Ich traf sie an allen Grenzen, Bus- und Bahnhöfen. Sie waren wie Schutzengel, die mich zum richtigen Bus- oder Bahnsteig geleitet, mir Essen gegeben und ihr Internet mit mir geteilt haben, damit ich mit meinen Verwandten sprechen konnte. Jetzt bin ich in Greifswald, passe mich den örtlichen Gepflogenheiten an und träume davon, eines sonnigen Tages mit dem Fahrrad ans Meer zu fahren. Ich hoffe, mich hier gut einzuleben und der Ukraine nützlich zu sein, indem ich meine Rolle bei KATAPULT Ukraine ausübe.
Mariia und Phillip ShykolaiPhillip: Ich sah Panzerkolonnen, die sich auf Charkiw zubewegten, wachte von Luftangriffen und lauten Alarmen auf, ohne zu realisieren, dass das alte Leben vorbei ist. In den ersten Kriegstagen wussten wir nicht, was wir tun sollen: das Land verlassen oder zu Hause bleiben. Mama überredete uns, zu ihr nach Deutschland zu gehen, wo sie studiert. Uns wurde klar, dass wir im Falle eines Bombenangriffs nicht schnell genug in einen Luftschutzbunker kommen: Oma hat wunde Beine und geht sehr langsam. So beschlossen wir, unsere Heimat zu verlassen.
Mariia: Wir haben Oma nicht gesagt, dass der Krieg begonnen hat, um sie nicht zu verletzen. Sie hat den Zweiten Weltkrieg überlebt, war Zeugin der Ereignisse von 2014 in der Region Donezk, als Russland in die Ukraine einmarschierte. Und jetzt noch einmal.
Die Reise war schwierig, wir mussten ständig unsere Route ändern und sichere Straßen wählen. Aus dem Autofenster haben wir ständig Panzer, Militärfahrzeuge und bewaffnete Soldaten gesehen. 17 Stunden bis Ternopil, elf Stunden bis zur Grenze, 13 Stunden an der Grenze, einen Tag in Warschau, damit Papa sich ausruhen konnte. Und endlich, nach neun weiteren Stunden Fahrt, kamen wir in Greifswald an. Dort trafen wir unsere Mutter, sie hatte heiße Suppe für uns und Tränen in den Augen. In Greifswald wurden wir von Freunden aufgenommen. Sie haben uns geholfen, hier eine Wohnung zu finden, Dokumente zu erstellen und einen Job zu finden. Sie fragen ständig, ob wir alles Nötige haben. Wir sind allen sehr dankbar für die Unterstützung.
Die Texte stammen von den Redakteur:innen selbst und wurden von Mariia und Bohdana übersetzt.
Der Artikel erschien in Ausgabe 6.
Quellen
- Wir verwenden die ukrainischen Schreibweisen.↩