KATAPULT MV: Anna, du bist die erste Frau in Meck-Vorp, die im Erwachsenenfußball eine Spielberechtigung für eine Herrenmannschaft erhalten hat. Wie kam es zu der Entscheidung, dich einer Männermannschaft anzuschließen?Anna Geßner: Eigentlich aus der Not heraus. Ich wollte Fußball spielen und bei den Frauen beim Greifswalder FC war ich nicht so happy. Dann habe ich den nächsten Verein in meiner Nähe gesucht und mal bei Instagram angefragt. Sie waren sehr freundlich und haben mich direkt zum Training eingeladen. Beim Training waren sie immer noch freundlich und dann bin ich einfach dabeigeblieben.
Und warum die Hengste?In der Nähe der Soldmannstraße, wo ich aktuell wohne, gibt es nicht so viele Vereine und dann bin ich einfach mal zum Hengstepark gegangen, hab mir den Platz angeguckt und habe den HFC gegoogelt. Wichtig war mir, dass sie nicht in der Landesliga spielen, weil ich wusste, dass ich dort nicht mithalten könnte. Ich dachte mir, dass es bei den Hengsten in der Kreisoberliga am ehesten klappen könnte. Ich habe bei meiner Suche weniger darauf geachtet, wie die Saison bisher verlief.
Wie wurdest du im Team aufgenommen?Superfreundlich: Bei meinem ersten Training wurde ich direkt damit begrüßt, dass alle Mitspieler richtig motiviert sind. Nach dem Training stellte sich heraus, dass einige so viel gelaufen sind wie noch nie. Es hatte den Anschein, dass es auch für die anderen ein großer Motivationsschub war und dass sich alle von ihrer besten Seite zeigen wollten, weil nun eine Frau beim Training dabei ist. Alle waren total nett. Ich kann mich überhaupt nicht beschweren.
Frage an Mannschaftskapitän Andy Zumkowski: Auch für die Männer ist es nicht alltäglich, dass eine Frau mit in der Umkleidekabine sitzt. Wie hat sich die Stimmung dadurch verändert?Martin Schmietendorf: Ich finde die Stimmung sehr positiv. Es kommen natürlich ein paar Witze, ein paar Scherze. Aber fürs Klima im Allgemeinen hat Annas Verpflichtung sehr viel getan. Toll, dass das geklappt hat und sie jetzt bei uns ist.
Frage an Co-Trainer Mirko Behrens: Wie hat sich die Trainingsqualität mit Anna verändert? Hat sich etwas verändert? Wenn ja, was?Mirko Behrens: Gerade am Anfang hat man einen neuen Impuls im Team wahrgenommen. Wenn eine Frau im Herrenbereich spielen möchte, ist man zunächst skeptisch. Beim ersten Training konnte man eine Veränderung bei den Männern sehen. Die Motivation war höher als sonst. Am Anfang haben sie sich gegenüber Anna noch körperlich zurückgenommen, haben sich nicht getraut, in die Zweikämpfe zu gehen. Nachdem sie dann die ersten Mitspieler getunnelt und ihnen im Zweikampf den Ball abgenommen hatte, fühlten sich die Herren zunächst in ihrer Ehre gekränkt und hielten sich anschließend nicht mehr zurück. Die Intensität erreichte danach ein anderes Level, nachdem sie gemerkt haben, was Anna draufhat. Davon haben alle im Team profitiert und mittlerweile sind die Mitspieler auch nicht mehr so aufgeregt wie am Anfang.
Anna, worauf freust du dich am meisten bei der zukünftigen gemeinsamen Arbeit und was hat dir das Training bisher gebracht?Generell ist das Training bei den Männern physisch deutlich anstrengender als bei den Frauen. Man wird körperlich viel mehr gefordert und das unterscheidet Männer- und Frauenfußball grundsätzlich voneinander. Das fehlte mir bei den Frauen vom GFC. Dort kam ich nicht an meine persönlichen Grenzen. Das war unter anderem auch ein Grund, warum ich mich bei einer Herrenmannschaft umgeguckt habe. Es gibt in Meck-Vorp nur wenige Frauenmannschaften: In Greifswald sind es die Frauen vom GFC, die in der Verbandsliga aktiv sind, und den Rostocker FC, der in der Regionalliga spielt. Die Entfernung nach Rostock war mir jedoch zu weit und das Training in Greifswald hat mir nicht gefallen. In der Heimat habe ich in der Oberliga gespielt. Daher habe ich auch nicht nach einer richtig tiefen Liga Ausschau gehalten. Der RFC klang schon interessant für mich, doch die Distanz war einfach zu weit. Durch mein Medizinstudium bleibt nur wenig Zeit und diese wollte ich nicht mit Pendeln verbringen. Am Anfang bin ich auch gar nicht mit der Absicht zum HFC gekommen, zu spielen. Ich wollte nur trainieren. Es hat sich dann aber irgendwie ergeben. Die Jungs haben mich gefragt und ich dachte: Warum nicht?
Wie wird sich der Sport mit der Vermischung der Geschlechter verändern?Im besten Fall gar nicht. Ich glaube, dass man im Training oft gar nicht merkt, ob ich nun am Ball bin oder jemand anderes. Sicherlich wird man einen Unterschied bei den leistungsstarken Spielern sehen, aber beim Durchschnitt sieht man wahrscheinlich keinen Unterschied. Vielleicht bei den letzten km/h bei Tempoläufen, aber wenn man sich clever anstellt, wird man es körperlich auch als Frau gut umsetzen.
Was ist deine Lieblingsposition?Bei den Frauen habe ich fast alles gespielt: Innenverteidiger, Außenverteidiger, Flügel. Dort war ich eher das Mädchen für alles – außer im Sturm. Hier bei den Herren spiele ich im Training manchmal als Außenverteidiger, manchmal auf der Sechs oder der Zehn. Ich sehe mich gerade eher auf der Sechs, will lieber das Spiel eröffnen.
Welche Rückmeldungen gab es bisher von den Fans?Wir haben die Neuigkeit erst kurz vor der Winterpause auf Instagram und Facebook verkündet. Persönliche Rückmeldung gab es eigentlich nur durch meinen Freund. Er kommt aus der Region und einige seiner Freunde haben es mitbekommen. Es hieß nur: Das ist deine Freundin! Dazu muss man sagen, dass wir das vorher nicht miteinander besprochen hatten. Er wusste, dass ich beim HFC trainiere, aber über das Sonderspielrecht hatten wir uns noch nicht unterhalten. Er war deswegen nicht sauer. Er fand es eher witzig, dass seine Jungs es vor ihm wussten. Das war im Großen das einzige Feedback, was bei mir persönlich angekommen ist.(Anmerk. d. Red.: Bei Instagram hat die Bekanntgabe des Neuzugangs mehr als doppelt so viele Likes wie andere Beiträge bekommen.)
Abschließende Frage: Was wünschst du dir für die Zukunft im Hinblick auf die Mannschaft und den Verein und auch im Hinblick auf dich als Frau im Herrenfußball?
Ich wünsche mir, dass ich im Spiel genauso gut aufgenommen werde wie im Training. Meine Mitspieler sollen verstehen, was mein Spielstil ist, und sich diesem anpassen oder eben umgekehrt. Natürlich will ich mit dem Team auch den einen oder anderen Sieg holen. Ein Tor will ich auf jeden Fall schießen. Das wäre für mich das größte Ziel. Ich möchte physisch gut mithalten, mich weiterentwickeln und schneller werden. Gerade im Eins-gegen-eins suche ich mir gerne einen schnelleren Gegner, um diesen am Ende zu erreichen. Ich glaube, das hat mir bei den Frauen einfach gefehlt.
Zusatzfrage: Mit welchen Erwartungen bist du in dieses Interview gegangen?Ich hoffe, dass ich auch andere Frauen dazu ermutigen kann, diesen Weg zu gehen. Ich mache dieses Interview nicht nur für mich, sondern vordergründig, um zu zeigen, dass es möglich ist, einen anderen Weg einzuschlagen, gerade im Hinblick auf die wenigen Angebote im Frauenfußball in Meck-Vorp.
Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit für uns genommen habt, und viel Erfolg für die kommenden Spiele!
Dieser Artikel erschien in Ausgabe 17 von KATAPULT MV.
Quellen
- So heißt das Fußballstadion des HFC Greifswald 92.↩
- hfcgreifswald92: Beitrag vom 25.11.2022, auf: instagram.com.↩