Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) war mit ihrem Eilantrag ans Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gegen eine Erlaubnis für die Pipelinefirma Gascade Gastransport vorgegangen, weiter an der LNG-Anbindungspipeline von Lubmin nach Mukran bauen zu dürfen. Eigentlich hatte die Firma dafür bis Ende Dezember 2023 Zeit. Doch der Jahrhundertsturm „Victor“ brachte die Arbeiten nach Unternehmensangaben durcheinander. Deshalb beantragte Gascade Ende November, zwei Monate länger arbeiten zu dürfen – bis Ende Februar 2024. Nun wurde der Firma vom Bundesverwaltungsgericht auferlegt, diese Arbeiten vorläufig zu stoppen.
Der vorläufige Baustopp ist ein großer Erfolg für den Schutz des Herings. Dessen Bestände sind, bedingt durch die Erwärmung der Ostsee, in den letzten 20 Jahren eingebrochen. Die nun gestoppten Arbeiten, mit denen Gascade laut der Plattform Marine Traffic am 8. Januar bereits begonnen hatte, hätten möglicherweise die Heringslaiche im Greifswalder Bodden beeinträchtigen können. Der Bodden gilt als wichtigste Kinderstube des Herings in der gesamten westlichen Ostsee – von Usedom bis in den Norden Dänemarks. Geschätzte 70 bis 80 Prozent der Heringe in diesem Meeresgebiet sammeln sich vom Winter bis Frühjahr im flachen Wasser zwischen Rügen und dem Festland, um dort ihre Eier abzulegen. Die Heringe haben nur zwei schmale Zugangsmöglichkeiten in ihr Laichgewässer: den Strelasund im Westen und die Boddenrandschwelle zwischen Südostrügen und dem Festland im Osten.
Arbeiten mitten in der Kinderstube geplant
Den östlichen dieser Wege nutzte seit dem 8. Januar die Firma Gascade für Arbeiten entlang der LNG-Anbindungspipeline. Mit der Pipeline soll Flüssigerdgas, das in Mukran mit Schiffen angelandet werden soll, nach Lubmin transportiert werden. Dort soll es anschließend in das deutsche Erdgasnetz eingespeist werden. Nach Angaben von Gascade ist die Pipeline bis auf ein kurzes Stück vor Mukran fertiggestellt. Sie liegt demnach in einem Graben auf dem Meeresboden. Nun begann Gascade damit, den Graben wieder zu füllen.
Der Ort für diese Arbeiten könnte für den Ostseehering allerdings ungünstiger kaum sein. Er liege „genau in der Einflugschneise der Heringe“ in den Bodden vor Südostrügen, sagt der Leiter des staatlichen Thünen-Instituts für Ostseefischerei, Christopher Zimmermann. Er geht davon aus, dass die Arbeiten wochenlang Lärm und Trübungen mit sich gebracht hätten und – ohne weitere Vorsichtsmaßnahmen – den Bestand des Herings „wahrscheinlich“ gefährdet hätten.
Zimmermanns Institut für Ostseefischerei äußerte sich bereits im Dezember zu dem Gascade-Antrag. In einer Stellungnahme an das für die Prüfung zuständige Bergamt Stralsund schrieb das Institut, dass Bauarbeiten an dieser Stelle zu Jahresanfang dem Hering schaden könnten:
„Wir empfehlen daher dringend, die Arbeiten Anfang Januar einzustellen und erst nach Ende des Laichgeschäftes frühestens Ende Mai wieder aufzunehmen.“ Weiter heißt es, die Pipeline sei ohnehin in diesem Abschnitt fertig und könne „auch ohne vollständige Verfüllung des Grabens in Betrieb genommen werden“.
Unterlageneinsicht zwischen Weihnachten und Silvester
Doch das Bergamt entschied zunächst anders. Die Befürchtung, dass die Heringswanderung gefährdet werden würde, sei falsch, weil der Schiffsverkehr für die Arbeiten „im Hinblick auf den Hering nicht einmal 0,1 Prozent der Fläche des Greifswalder Boddens sowie der Boddenrandschwelle“ berühre. So schrieb es das Bergamt in seinem Entwurf für die Genehmigung der Bauzeitverlängerung für Gascade. Diesen veröffentlichte es – wie im LNG-Beschleunigungsgesetz vorgesehen – vier Tage lang auf seiner Homepage. Dazu suchte sich das Bergamt die vier Werktage im Jahreslauf mit dem vermutlich geringsten öffentlichen Interesse überhaupt aus: die Zeit vom 28. Dezember bis 3. Januar.
„Das war keine Überraschung“, sagt Constantin Zerger von der DUH dazu. Mit „so etwas mitten im Weihnachtsurlaub“ habe er gerechnet. Zerger, der sich mit der Umwelthilfe seit Monaten gegen das gesamte LNG-Vorhaben auf und vor Rügen wehrt, informierte dennoch via X (ehemals Twitter) die Öffentlichkeit und platzierte die Sorge um den Hering auch in der stillen Zeit zwischen den Jahren in den Medien.
Heringe sammeln sich bereits
Und das war offenbar wichtig. Denn Gascade ging in seinem Antrag auf Bauarbeiten im Januar und Februar davon aus, dass die Hauptlaichzeit der Heringe erst im März beginnen würde. Doch das stimmt nicht, erklärt der Christopher Zimmermann vom Thünen-Institut. Die Fische würden sich eben schon jetzt vor Rügen sammeln und ab circa 3,5 Grad Wassertemperatur in den Bodden schwimmen.
Im Genehmigungsentwurf des Bergamts war zwar die Rede davon, dass Gascade sicherstellen sollte, nur zu arbeiten, wenn die Heringe noch nicht laichen. Doch weder Fischereiexperte Zimmermann noch die DUH wollten darauf vertrauen, dass sich das Unternehmen wirksam selbst kontrollieren würde.
Am 4. Januar gab es ein erstes Zeichen der Entwarnung. Vertreter von Gascade riefen bei Christopher Zimmermann an, ihm zu Folge im Auftrag des Bergamts. Sie sollten gemeinsam eine Methode entwickeln, mit der Gascade beweisen kann, dass die Heringe noch nicht laichen. „Wir hatten zwei Stunden kontroverse Debatte“, erinnert sich Zimmermann an das Gespräch. Im Ergebnis verschärfte das Bergamt die Bedingungen für Gascade, indem es am 8. Januar beschloss: Das Energieunternehmen hat täglich die Wassertemperatur zu messen. Wenn das Wasser zwei Tage in Folge eine Temperatur von 3,5 Grad oder mehr hat, muss Gascade bei Stahlbrode Stellnetze im Strelasund aufstellen. Gehen zu viele laichbereite Heringe in diese Netze, müssen die Arbeiten eingestellt werden.
Die Natur erhält eine Pause
Gegen diesen – verschärften – Beschluss klagte am 9. Januar die Deutsche Umwelthilfe vor dem Bundesverwaltungsgericht und stellte einen Eilantrag. Das Thünen-Institut für Ostseefischerei unterstützt die Klage nach eigenen Angaben fachlich. Nachdem das Gericht dem Antrag entsprach und die Arbeiten vorläufig einstellen ließ, wird es im nächsten Schritt im Eilverfahren die Klage der DUH prüfen – und möglicherweise bis zum Hauptsacheverfahren einen formalen Baustopp verhängen. Das könnte dauern – was wohl günstig wäre für den laichenden Hering. Die Hoffnungen von DUH-Aktivist Zerger reichen über einen wirksamen Schutz des Ostseeherings allerdings hinaus. Er fordert „eine Denkpause und kritische Neubewertung“ des gesamten LNG-Vorhabens vor Rügen. Denn das ökologisch schädliche Flüssigerdgas werde, wie eine DIW-Studie gezeigt habe, in Deutschland aktuell gar nicht gebraucht.
Quellen
- Bergamt Stralsund (Hg.): Änderungsbeschluss 1. Seeabschnitt (Lubmin bis KP26) der Ostsee-Anbindungs-Leitung (OAL), 1. Planänderung (8.1.2024).↩
- Gascade Gastransport (Hg.): Anzeige einer Abweichung vom Plan vor Fertigstellung des Vorhabens (AZ: 663/ Ostsee LNG_L/04) (28.11.2023).↩
- Deutsche Umwelthilfe (Hg.): Etappensieg für Deutsche Umwelthilfe in Eilverfahren: Bundesverwaltungsgericht trägt Pipeline-Betreiber Gascade auf, Bauarbeiten an LNG-Pipeline vor Rügen zunächst zu stoppen, auf: duh.de (11.1.2024).↩
- Kraft, Nadine u.a.: Thünen erklärt: Der Hering in der Klimafalle, auf: thuenen.pageflow.io.↩
- Position der MAGNI R, auf: marinetraffic.com (Stand 10.1.2024, 13:00 Uhr).↩
- Thünen-Instituts für Ostseefischerei (Hg.): Stellungnahme (15.12.2023). KATAPULT MV liegt der Text der unveröffentlichten Stellungnahme vor.↩
- Bergamt Stralsund (Hg.): Entwurf 1. Planänderungsbeschluss OAL Seeabschnitt Lubmin bis KP 26 (28.12.2023).↩
- Bergamt Stralsund (Hg.): Bekanntmachung, auf: bergamt-mv.de (27.12.2023).↩
- @ConstZerger: Beitrag vom 27.12.2023, 14:12 Uhr, auf: twitter.com.↩
- Vgl. u.a. Hackenbruch, Felix; Schwietering, Caspar: LNG-Terminal auf Rügen: Verzögerter Pipeline-Bau könnte Nachwuchs des Ostsee-Herings gefährden, auf: tagesspiegel.de (28.12.2023).↩
- Vgl. Polte, Patrick u.a.: Reduced Reproductive Success of Western Baltic Herring (Clupea harengus) as a Response to Warming Winters, auf: frontiersin.org (25.1.2021).↩
- Bergamt Stralsund (Hg.): Änderungsbeschluss 1. Seeabschnitt (Lubmin bis KP26) der Ostsee-Anbindungs-Leitung (OAL), 1. Planänderung (8.1.2024).↩
- Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (Hg.): Energiewirtschaftliche und industriepolitische Bewertung des Energie- und Industrieprojekts Mukran mit dem Bau von LNG-Infrastruktur und Pipelineanbindung nach Lubmin. Studie im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe e. V., auf: duh.de (September 2023).↩