Morddrohung gegen Linken-Politiker

„Ich bin davon ausgegangen, irgendwann ins Visier der Nazis zu geraten“

Anfang April tauchte in der vorpommerschen Stadt Torgelow ein rechtsextremes Graffiti auf. Darin wurde die Stadt als „Nazikiez“ bezeichnet. Der Schriftzug rief außerdem dazu auf, die „Linksjugend“ auszurotten, und nannte in diesem Zusammenhang den linken Kommunalpolitiker Moritz Griffel. Wie der 19-Jährige, der bei der anstehenden Kommunalwahl erstmals antritt, damit umgeht und warum er sich nicht unterkriegen lassen will, erzählt er im Gespräch mit KATAPULT MV.

Nahe dem Wohnort des Linken-Politikers Moritz Griffel taucht Anfang April an einer Wand der alten Aldi-Filiale in Torgelow (Vorpommern-Greifswald) ein Schriftzug auf. In riesigen Buchstaben ist darauf die Bezeichnung „Nazi Kiez“ zu lesen. Rechts daneben heißt es: „Torgelow bleibt Deutsch! Linksjugend ausrotten!“ Namentlich erwähnt wird darin auch Griffel, der dazu noch beleidigt wird. Sowohl er selbst als auch der Landesverband der Linksjugend bezeichnen das Graffiti als direkte Morddrohung gegen den 19-Jährigen.

Griffel stammt aus Torgelow, ist dort geboren und aufgewachsen. Derzeit studiert er zwar an der Universität Greifswald, möchte aber dennoch in seiner Heimatstadt als Vertreter der Linkspartei für die Stadtvertretung kandidieren. Außerdem tritt er zur Kreistagswahl in Vorpommern-Greifswald an. Bisher war Griffel neben seiner Tätigkeit in der Linksjugend auch im Torgelower Kinder- und Jugendbeirat aktiv, den er mitgründete. Wir haben mit ihm über das rechtsextreme Graffiti und seine Ziele in der Lokalpolitik gesprochen.

KATAPULT MV: Was war denn deine Motivation, Politik aktiv mitgestalten zu wollen?Moritz Griffel: Eine absolute Unzufriedenheit mit dem Status quo und die Hoffnung, irgendwas zumindest im Kleinen oder vielleicht auch Größeren verändern zu können. Uns fehlt wahnsinnig viel Jugendarbeit und es ist auch wichtig, dass Menschen den Kampf gegen Rechts führen.

Apropos Rechts: Lass uns auf das Graffiti schauen. Weißt du, wann das entstanden ist?Am 2. April, einem Dienstag, fand ein Bürgerdialog der AfD statt und am Mittwoch haben wir dieses Graffiti bemerkt. Also es kann sein, dass es Dienstagabend oder erst Mittwochmorgen entstanden ist. Aber es war direkt im Nachgang der AfD-Geschichte.

Ist es an einem Ort nahe dieser AfD-Veranstaltung aufgetaucht?Es ist mittelmäßig weit weg vom Ort der AfD-Veranstaltung, aber relativ nah an meiner Haustür gewesen. Ich würde schätzen, so 150 bis 200 Meter entfernt. Daher auch die Brisanz.

Wie hast du davon erfahren?Ich habe davon erfahren, als ich gerade wieder nach Greifswald fuhr. Meine Mutter rief mich ganz aufgeregt an und schickte mir auch gleich ein Bild davon, was sie in Torgelow gesehen hatte. Und sie hat sich selbstverständlich Sorgen gemacht.

Was waren deine Gedanken, als du davon erfahren hast? Wie hast du dich da gefühlt?Ich muss fairerweise zugeben, dass man es heutzutage allein durch die linkspolitische Betätigung in der Kleinstadt fast erwarten kann, irgendwann zum Ziel zu werden. Es ist natürlich unschön, aber es weckt bei mir die „Jetzt erst recht“-Mentalität – das bringt mich nicht davon ab, weiterzumachen.

Du warst nicht überrascht, dass sowas jetzt passiert ist?Natürlich ist man ein Stück weit überrascht. Ich hatte damit gerechnet, dass es vielleicht passiert, während die Kommunalwahl gerade aktiv geschieht. Aber ich bin davon ausgegangen, irgendwann ins Visier von Nazis zu geraten.

Wie hat denn deine Familie das aufgenommen?Natürlich besorgt. Meine Mutter ist auch in der Linkspartei aktiv und kandidiert auch für Kreis- und Stadtvertretung. Meine Eltern machen sich sehr viel Sorgen um mich. Aber ich mache mir auch sehr viel Sorgen um meine Eltern, aber im Endeffekt klappt das.

Die zweite Frage nach „Wie geht es dir?“ war: „Was machen wir jetzt?“ Wir haben Anzeige erstattet. Allein „Linksjugend ausrotten“ ist eine Morddrohung. Dazu kommt persönliche Beleidigung, „Nazi Kiez“ ist Volksverhetzung. Da kam einiges zusammen.

Gab es schon vorher bedrohliche Situationen?Wir hatten in Torgelow mal einen Wahlkampfstand, um eine Veranstaltung in Ueckermünde zu bewerben, und da haben sich zwei zumindest vom Sehen bekannte Nazis in die Nähe gestellt, um einschüchternd zu wirken. Das hat zwar nicht wirklich funktioniert, aber trotzdem war einem bewusst, dass diese Personen wissen, wer ich bin. Das Graffiti war damit die Eskalationsebene zwei.

Wie erklärst du dir, dass das Graffiti jetzt aufgetaucht ist?Ich glaube tatsächlich, dass jede politisch aktive junge Person in einer Kleinstadt sowieso auf dem Kieker ist, weil es das nicht so oft gibt. Und auch dadurch, dass man mich viel an Wahlkampfständen oder über den Kinder- und Jugendbeirat mitkriegt und ich die einzige linkspolitische junge Person bin, die halbwegs in der Öffentlichkeit steht. Ich glaube, dass es dadurch passiert ist.

Wie wurde das Graffiti in Torgelow aufgenommen?Ich muss da unsere Bürgermeisterin Kerstin Pukallus loben. Ich hatte danach sehr engen Kontakt zu ihr. Sie hat sich sehr bemüht, das Graffiti zeitnah entfernen zu lassen. Es ist mittlerweile also wieder weg. Ansonsten habe ich in Gesprächen, die ich geführt habe, viel Solidarität in Torgelow erlebt. Gerade meine Eltern haben auch von vielen Leuten berichtet, die auf sie zugekommen sind und gesagt haben, dass es ihnen sehr leidtut. Und ich glaube, das hat unsere Kleinstadt zumindest in Teilen ein bisschen aufgerüttelt.

Haben sich andere Kommunalpolitiker:innen aus der Region oder aus dem Ort positioniert?Wir haben uns als Linke dazu positioniert. Alle anderen haben dazu meines Wissens nach nichts gemacht. Also ich weiß nicht, ob sie es einfach nicht mitbekommen haben oder es tatsächlich für nicht wichtig hielten. Aber zumindest eine Positionierung meiner Ortsgruppe gab es und die war auch sehr solidarisch. Das war gut. Also bis auf die Linkspartei gab es dazu relativ viel Schweigen.

Warum willst du jetzt trotzdem weitermachen und antreten und dich engagieren?Die Reaktionen darauf, dass man kandidieren möchte und in der Linksjugend ist, werden eher schlimmer, wenn man dagegen nichts tut. Außerdem glaube ich, dass gerade in der Kommunalpolitik der Kampf gegen Rechts geführt werden kann und geführt werden muss. Ich bin nicht bereit, meine Heimat an diese Menschen zu verlieren.

Hast du denn in deiner Vergangenheit, in deiner Jugend schon mal etwas von Angriffen von rechts mitbekommen?Ja, aber nie direkt. Ich wurde vorher noch nie angegriffen, was aufgrund der Tatsache, dass ich, seit ich 14 bin, erkennbar linkspolitisch aktiv bin, eigentlich ein Wunder ist. Einer vom III. Weg hat mal versucht, sich in unseren Kinder- und Jugendbeirat zu setzen, um dort Leute einzuschüchtern. Aber in letzter Zeit wurde es eigentlich fast ruhiger.

Die Nazi-Netzwerke wachen jetzt gerade wieder auf. Wir haben wahnsinnig viele rechte Sticker in Torgelow – sehr viele vom III. Weg. Es muss also Organisierte in Torgelow geben, weil die Masse an Stickern nicht einfach irgendwelchen Leuten zugesteckt werden kann.

Gleichzeitig gibt es die Nationalen Sozialisten Torgelow. Das sind Reste dieser Nationalen-Sozialisten-Bundesorganisation, die vor ein paar Jahren zerschlagen wurde. Wir haben immer noch JN-Sticker, wir haben natürlich AfD-Sticker. In einer Wohngegend wurden gerade auch relativ viele Hakenkreuze und weitere Nazisachen gesprüht.

Abschließend: Warum ist es dir so wichtig, dich in Torgelow zu engagieren?Ich mag es nicht Lokalpatriotismus nennen, aber ich bin da groß geworden. Es ist ein einfacher Schluss, zu sagen, „Torgelow ist gerade nicht schön, ich zieh weg“. Aber das reicht mir nicht. Ich möchte, dass es ein lebenswerter Raum für alle wird, und für die, für die es ein lebenswerter Raum ist, ein solcher bleibt. Und gleichzeitig sind wir eine Stadt, die eben auch eine migrantische Perspektive zu bieten hat. Mir wäre das einfach ein Anliegen, dass auch die Menschen, die in Torgelow leben, dort auch weiterhin gut leben oder erstmalig gut leben können. Ich sehe das in meinen Möglichkeiten, etwas zu verändern, und dann, finde ich, muss ich das auch versuchen.

Quellen

  1. Ein Foto des Graffitis liegt der Redaktion vor.
  2. Pressemitteilung der Linksjugend MV vom 6.4.2024.

Autor:innen

  • Bild von Patrick Hinz, Chefredakteuer Katapult MV

    Chefredakteur

    Geboren in Vorpommern, aufgewachsen in Mecklenburg. Einziger KATAPULT-Redakteur mit Traktorführerschein UND Fischereierlaubnis.

  • Redakteurin in Greifswald

    Geboren in Berlin, aufgewachsen in Berlin und Brandenburg. Tauschte zum Studieren freiwillig Metropole gegen Metropölchen.