An einem Mittwoch Ende Mai treffen sich vor dem Neubrandenburger Landgericht Vertreter:innen des Vereins WerkHaus Waren und der Warener Stadtvertreter Toralf Schnur. Verhandelt werden soll eine Klage Schnurs gegen den Verein. Der FDP-Mann macht aufgrund einer Stellungnahme des Vereins „Unterlassungsansprüche wegen vermeintlich ehrverletzender Äußerungen geltend“ und fordert ein Schmerzensgeld von mindestens 5.000 Euro. Die Stellungnahme war im Juni letzten Jahres an die Stadtfraktionen gegangen und anschließend auch im Internet veröffentlicht worden. Der Termin ist schnell vorbei. Das Ergebnis: ein Vergleich. Sowohl Schnur als auch der Verein sollen ihre jeweiligen Stellungnahmen löschen (lassen). Die Kosten des Rechtsstreits trägt Schnur.
Das Verfahren vor dem Landgericht markiert das vorläufige Ende eines Streits, der mit dem ursprünglichen Projekt – für Kinder und Jugendliche in der Stadt Waren – am Ende gar nichts mehr zu tun hatte.
Idee vom Bauspielplatz erst mal gestorben
Im Rahmen des sogenannten Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes 2035 (ISEK) war unter Beteiligung der Warener Bürger:innen vor zwei Jahren die Idee entstanden, einen Bauspielplatz in der Stadt zu errichten. Dieser wurde von der Stadtvertretung sogar als Maßnahme mit höchster Priorität festgeschrieben.
Die Zeichen für den Bauspielplatz standen bis Mitte letzten Jahres nicht schlecht. So hatte Waren für das Projekt auf Hinwirken der ehemaligen Sachgebietsleiterin für Stadtplanung, Diana Lucas-Drogan, Landesmittel in Höhe von rund 8.000 Euro bewilligt bekommen. Noch vor dem Einstieg des Vereins trieb Lucas-Drogan das Projekt aktiv voran.
Dass das Projekt jetzt trotzdem gestorben ist, teilte die Stadt Waren KATAPULT MV schon Ende 2023 mit. Auch der Verein WerkHaus, der sich der Idee im Nachgang der Bürgerbeteiligung annahm und im Christlichen Jugenddorf Deutschland (CJD) einen Träger gefunden hatte, betrachtet das Projekt mittlerweile als gescheitert. Die Stadt habe keine weiteren Schritte unternommen, keine neuen Pläne eingebracht, sagt Vereinsvorständin Ritva Marx. Und auf die Kooperationspartner, also den Verein und den CJD, sei auch niemand mehr zugekommen. Auch die Pressesprecherin des CJD Nord, Nadja Arp, teilt mit, dass das Projekt vorerst nicht weiterverfolgt wird. Es habe kein entsprechendes Signal von der Stadt gegeben. Dabei halte der CJD das Vorhaben weiterhin für „toll“. Nur die Rahmenbedingungen müssten eben stimmen.
Es wird persönlich
Als WerkHaus Waren sich zur ehrenamtlichen Unterstützung des Bauspielplatzes entschloss, stand die Stadt dem Projekt noch aufgeschlossen gegenüber. Auf Initiative einzelner Stadtvertreter:innen wird das Vorhaben in weiteren Gremien thematisiert: Vom zuerst von der Stadt alleinig vorgesehenen Hauptausschuss geht es in den Kultur- und einen Tag später in den Finanz- und Grundstücksausschuss. Der Kulturausschuss spricht sich mehrheitlich für das Projekt aus, wie die Ausschussvorsitzende Christine Bülow (SPD) bestätigt.
Sie ist es auch, die sich nach der Hauptausschusssitzung verärgert zeigt. Es sei zu einer „unsachlichen und beschämenden Behandlung der Partner von CJD Nord und des Vereins WerkHaus Waren“ gekommen, so Bülow laut Protokoll. Ein Eindruck, der vom Verein geteilt wird. Und der sich nach der später stattfindenden Sitzung des Finanz- und Grundstücksausschusses weiter manifestiert. Um die Sache sei es weniger gegangen, fasst Marx zusammen. Sondern vor allem um den Verein und dessen Personal. Federführend dabei: der Vorsitzende der Fraktion FDP/Müritzer Unternehmergruppe (MUG), Toralf Schnur. Er fragt nicht nur konkret nach Mitgliedern des Vereins. Er unterstellt, so berichten es Anwesende und so legt es auch ein Wortprotokoll der Sitzung nahe, dem Verein Steuertricks.
Dass sich sein Fokus offenbar viel stärker auf die Personen im Verein als auf das Projekt richtet, wird deutlich, als Schnur ein Schreiben an die Fraktionen der Stadtvertretung schickt, in der er seine Ablehnung des Bauspielplatzes explizit mit dem Verein und dessen Mitgliedern verknüpft. Auch „der örtlichen Presse“ wird die Stellungnahme zugänglich gemacht. Darin unterstellt Schnur den Mitgliedern nicht nur unangebrachtes Verhalten – er sei angeschrien und beschimpft worden –, sondern spricht ihnen die Kompetenz hinsichtlich „frühkindlicher Bildung“ und der Betreuung von Kindern ab. Die Stellungnahme veröffentlicht Schnur auch auf seiner Facebook-Seite. Die Internetplattform wir-sind-müritzer.de verbreitet den Text ebenfalls als Auszug. Was ihn zu dieser öffentlichen Positionierung gegenüber dem Verein und seinen Mitgliedern gebracht hat und auf welche Vorkommnisse er sich konkret bezieht, beantwortet Schnur auf Nachfrage nicht.
Der Verein WerkHaus Waren selbst entschließt sich zu einer Gegendarstellung und veröffentlicht diese unter anderem als Kommentar unter dem Beitrag auf wir-sind-müritzer.de. Darin zeigt sich der Verein „bestürzt“ über Schnurs Äußerungen. Nicht nur würden „ohne Anlass“ die Ausführungen des Vereins und des CJDs „attackiert“, sondern auch „einzelne Vereinsmitglieder namentlich diskreditiert“. Darüber hinaus habe Schnur die Vereinsmitglieder als „Elemente“ bezeichnet. Der Verein habe sich zu diesem Schritt nicht wegen eines persönlichen Streits entschieden, betont Vorständin Marx. Vielmehr habe man das Projekt im Blick gehabt, in das ihr Verein bereits viel Arbeit investiert habe.
Stadt übernimmt Rechtskosten für Schnur
Schnur sah die Sache anscheinend anders. Wie der Verein berichtet, sei vonseiten des Stadtvertreters unter Androhung einer Klage die Rücknahme der Äußerungen in der Gegendarstellung verlangt worden. Er habe die Vereinsmitglieder nicht als „Elemente“ bezeichnet, argumentiert Schnur unter anderem.„Wir sitzen das aus, haben nicht an eine Klage geglaubt“, war der erste Gedanke im Verein, berichtet Vereinsvorstand Christoph Pollmer. Dem stimmt auch Ritva Marx zu: „Wir haben das nicht für möglich gehalten, dass es sowas gibt.“ Immerhin sei es doch eigentlich gut, dass es mit dem Verein Menschen gebe, die etwas für die Stadt bewegen wollten und sich nicht nur für sich selbst interessierten.
Nach Fristende folgte die Klage, erinnert sich Pollmer. Für den Verein habe dies die Notwendigkeit anwaltlicher Hilfe bedeutet. Auf eigene Kosten.Für den Stadtvertreter Schnur hingegen bestand wohl erst einmal keinerlei finanzielles Risiko. So teilte die Stadt Waren Ende Oktober auf eine Einwohnerfrage mit, dass Schnur die Erstattung von Anwaltskosten beantragt und diese auch bereits überwiesen bekommen habe.
Dass das überhaupt möglich ist, geht auf eine Entscheidung der Stadtvertretung von 2014 zurück. Beschlossen wurde damals, die Kosten für gerichtliche Auseinandersetzungen für Mitglieder der Stadtvertretung unter bestimmten Voraussetzungen in voller Höhe zu übernehmen. Eingebracht hatte den Antrag: Toralf Schnur. Die Frage, wie viele Stadtvertreter:innen von dieser Möglichkeit in den letzten Jahren Gebrauch gemacht haben und wie oft, konnte die Stadt nicht beantworten.
Eine Einigung mit unterschiedlicher Bewertung
Ein weiteres Ärgernis für den Verein WerkHaus: In Schnurs Klage sah es so aus, als hätte der Verein seine Stellungnahme nur aufgrund der Ablehnung des Projektes durch Schnur im Grundstücksausschuss veröffentlicht. Und als habe es Schnurs Äußerung, auf die sich der Text des Vereins bezieht, nicht gegeben.Über das Landgericht sei ein Versuch der Einigung im Rahmen einer Mediation unternommen worden. Diese sei jedoch gescheitert. Auch daran, dass Schnur, der dem Mediationsverfahren eigentlich zugestimmt hatte, laut Medienberichten nicht zum Termin erschien. So traf man sich also Ende Mai zum Verfahren in Neubrandenburg.
Der Richter habe versucht, zu mediieren, sagt Marx. Er habe jedoch nach ihrer Erinnerung auch klargemacht, dass er die von Schnur angeführten Punkte als nicht aussichtsreich bewertet. Nach Rücksprache mit seinem Anwalt und obwohl er sich vorher den Gang vor die nächste Instanz offengehalten hatte, ließ sich Schnur am Ende auf eine Einigung ein. Wieso auch der Verein ihr zustimmte? „Unser Anwalt hat uns das empfohlen“, sagt Marx. So habe das Verfahren endgültig abgeschlossen werden können und auch alle Kosten seien für den Verein vom Tisch gewesen.
Dass Schnur das völlig anders interpretiert, wird beim Blick auf seine Facebook-Seite klar. Er sieht den Ausgang nicht nur als „großartiges Ergebnis“ für sich, sondern habe dem Verein so „den langjährigen und finanziell sehr aufwendigen Instanzenzug“ ersparen wollen – gerade auch vor dem Hintergrund seines erwartbaren juristischen Sieges. Inwieweit diese Aussage der Tatsache widerspricht, dass das Verfahren bereits mit der Mediation hätte enden können, lässt Schnur auf Nachfrage ebenfalls offen. Er werde die „beidseitige Einigung mit dem gebotenen Maß an Zurückhaltung begleiten“, schreibt er. Dass er die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs tragen soll, erwähnt er nicht.
Offen ist, wer für diese Kosten aufkommt. Tut es Schnur selbst oder springt erneut die Stadt ein? Eine Antwort von Schnur auf diese Frage gibt es nicht. Und auch die Stadt Waren konnte sich dazu auf Nachfrage bislang nicht äußern.
Quellen
- E-Mail des Landgerichts Neubrandenburg vom 22.4.2024.↩
- Kommentar von Ritva Marx vom 20.6.2023 um 11:51 Uhr zum Artikel: Wir-sind-müritzer.de (Hg.): Bauspielplatz: FDP/MUG lehnt Kooperation mit „WerkHaus“ ab, auf: wir-sind-mueritzer.de (16.6.2023).↩
- Wir-sind-müritzer.de (Hg.): Bauspielplatz: FDP/MUG lehnt Kooperation mit „WerkHaus“ ab, auf: wir-sind-mueritzer.de (16.6.2023). Bei Redaktionsschluss waren alle Inhalte noch abrufbar.↩
- Ein Bauspielplatz ist ein Abenteuerspielplatz, der pädagogisch betreut wird und für Kinder und Jugendliche die Möglichkeit bietet, handwerkliche Fähigkeiten zu erlernen.↩
- Stadt Waren (Hg.): Warener Wochenblatt, Jahrgang 31, Nr. 9, S. 6, auf: waren-mueritz.de (30.4.2022).↩
- Stadt Waren (Hg.): ISEK, auf: waren-mueritz.de / Stadt Waren (Hg.): Integriertes Stadtentwicklungskonzept Waren (Müritz) 2035, S. 143, auf: waren-mueritz.de.↩
- Stadt Waren (Hg.): Stadtentwicklungsausschuss. Niederschrift der 22. Sitzung am Dienstag, 16.8.2022, S. 11, auf: ris.waren-mueritz.de / Stadt Waren (Hg.): Kultur-, Bildungs- und Sozialausschuss. Niederschrift der 19. Sitzung am Dienstag, 20.9.2022, S. 3, auf: ris.waren-mueritz.de.↩
- E-Mail der Stadt Waren vom 13.12.2023.↩
- Telefonat mit Ritva Marx am 12.6.2024.↩
- Telefonat mit Nadja Arp am 13.6.2024.↩
- Telefonat mit Christoph Pollmer von Werkhaus Waren am 3.5.2024 / Grote, Michael: Droht das Bauspielplatz-Projekt an der Müritz zu scheitern?, auf: nordkurier.de (22.6.2023).↩
- Stadt Waren (Hg.): Hauptausschuss. Niederschrift der 32. Sitzung am Donnerstag, 4.5.2023, S. 4.↩
- Stadt Waren (Hg.): Kultur-, Bildungs- und Sozialausschuss. Niederschrift der Sitzung am Dienstag, 13.6.2023, S. 4, auf: ris.waren-mueritz.de.↩
- E-Mail von Christine Bülow vom 8.6.2024.↩
- Grote, Michael: Droht das Bauspielplatz-Projekt an der Müritz zu scheitern?, auf: nordkurier.de (22.6.2023).↩
- Stadt Waren (Hg.): Finanz- und Grundstücksausschuss. Niederschrift der 61. Sitzung am Mittwoch, 14.6.2023, S. 5, auf: ris.waren-mueritz.de.↩
- Der entsprechende Ausschnitt liegt der Redaktion vor.↩
- E-Mail liegt der Redaktion vor.↩
- Schnur hat den Post mittlerweile gelöscht, er liegt der Redaktion jedoch vor.↩
- Wir-sind-müritzer.de (Hg.): Bauspielplatz: FDP/MUG lehnt Kooperation mit „WerkHaus“ ab, auf; wir-sind-mueritzer.de (16.6.2023).↩
- E-Mail von Toralf Schnur vom 11.6.2024.↩
- Der Text liegt der Redaktion vor.↩
- Telefonat mit Christoph Pollmer am 4.6.2024.↩
- Stadt Waren (Hg.): Anfrage aus der Stadtvertretung vom 4.10.2023 – Einwohnerfragestunde TOP 6.↩
- Stadt Waren (Hg.): Stadtvertretung. Protokoll der 42. Sitzung am Mittwoch, 19.2.2014, S. 9, auf: ris.waren-mueritz.de.↩
- FDP-Fraktion Waren (Hg.): Beschlussantrag. Sicherung des Rechtsschutzes von Fraktionen bzw. Mitgliedern der Stadtvertretung in der Stadt Waren (Müritz), auf: ris.waren-mueritz.de (4.12.2013).↩
- E-Mail der Stadt Waren vom 13.5.2024.↩
- E-Mail des Landgerichts Neubrandenburg vom 7.5.2024.↩
- Wagner, Winfried: Politiker stört sich an harschen Worten im Internet – der Richter nicht, auf: nordkurier.de (6.6.2024).↩
- @Toralf-Schnur: Beitrag vom 1.6.2024, 2:52 Uhr, auf: facebook.com.↩