Dienstagvormittag, 10:30 Uhr. Vor dem Audimax der Universität Greifswald stehen Hamburger Gitter bereit. Sie sind so positioniert, dass man nur über Schleusen links und rechts zum Haupteingang gelangen kann. An den Schleusen steht jeweils ein halbes Dutzend Bereitschaftspolizisten. Die Polizei hat die Straße komplett gesperrt. Denn dort, vor den besagten Gittern, formiert sich der studentische Gegenprotest von „Uni ohne Nazis Greifswald“. Ein Lautsprecherwagen spielt Musik ab, die Straße füllt sich langsam.
Genug Zeit also, um noch einmal auf den Innenhof hinter dem Audimax zu schauen. Auch dort sind viel Polizei und private Sicherheitskräfte zu sehen. Das Tor an der Rubenowstraße ist komplett verschlossen, wir werden zum Eingang Domstraße geschickt. Doch dort die Ernüchterung: Unsere Bitte um einen Blick auf den Innenhof und Richtung Audimax wird abgewiesen. Wir zeigen unsere Presseausweise, um klarzumachen, dass es uns um die Berichterstattung vor Ort geht. „Presse is hier heute nich“, teilt uns ein Sicherheitsmann mit. Das war’s, wir kommen nicht rein. Polizei ist keine in der Nähe. Wir bleiben ratlos zurück.
Ein erster Dämpfer. Dass wir aufgrund der Corona-Bestimmungen nicht in den Hörsaal dürfen ist das eine, der Innenhof aber eine ganz andere Geschichte. Im Nachgang der Veranstaltung entschuldigt sich Jan Meßerschmidt, Pressesprecher der Universität Greifswald, auf Nachfrage bei KATAPULT MV und weist darauf hin, dass es keine Anweisung in diese Richtung gegeben habe und man den Fall aufklären werde.Also wieder zurück zur Protestveranstaltung, die mittlerweile auf mindestens 150 Menschen angewachsen ist. Veranstaltungsleiterin Katharina Horn, Direktkandidatin zur Bundestagswahl 2021 für Bündnis 90/Die Grünen, eröffnet kurz nach 11 Uhr die Veranstaltung. Immer wieder kommen kleine Grüppchen und reihen sich in die Demo ein. Aus den Boxen schallt Feine Sahne Fischfilet. Zwischendurch dann aber etwas Unruhe in der Veranstaltung: Zwei Beamte filmen und fotografieren mit ihren Handys von oben aus dem Hörsaal in die Menge. Ein Kommunikationsteam der Polizei ist heute hingegen nicht erkennbar vor Ort. Die Polizei Vorpommern-Greifswald weist im Nachhinein darauf hin, dass besagte Beamten keine Foto- oder Videoaufnahmen angefertigt hätten. Man bitte um Entschuldigung, dass dieser Eindruck entstanden sei. Die Aufnahmen von vor Ort deuten jedoch eher darauf hin, dass sehr wohl Aufnahmen angefertigt wurden. Auf erneute Nachfrage von KATAPULT MV gibt die Polizeiinspektion Anklam an, dass der Beamte eine kurze Videosequenz angefertigt habe. Diese habe er in einer Familiengruppe geteilt. Sowohl auf seinem Handy als auch in besagter Gruppe habe er die Aufnahme mittlerweile gelöscht.11:30 Uhr. „Arndt ist raus, Weber muss folgen“, „RECHT heißt nicht RECHTS“ oder „Keine Toleranz für Intoleranz“ ist auf den Schildern zu lesen, die aus der Menge herausragen. Die Rubenowstraße ist mittlerweile komplett gefüllt. Nach Polizeiangaben haben sich in der Spitze gut 500 Menschen versammelt. Durchzukommen wird immer schwieriger. In einem Redebeitrag wird noch einmal darauf aufmerksam gemacht, dass es alternative Vorlesungen zur Rechtsgeschichte gibt. Studierende müssen also nicht zwangsläufig zu Professor Weber gehen, um ihre Pflichtveranstaltungen zu absolvieren.Einige Studierende tun das aber trotzdem. Am Eingang des Audimax werden sie vom Sicherheitsdienst überprüft, inklusive Taschenkontrolle, und dürfen dann in den Hörsaal. Vereinzelt werden den Studierenden Flyer über die Gitter gereicht. Die Stimmung bleibt aber entspannt und am Lautsprecherwagen wird zu Musik getanzt.Hektisch wird es dann kurz vor zwölf. Professor Ralph Weber, über den gesperrten Innenhof zum Audimax eskortiert, erscheint am Fenster seines Hörsaals. Ihm schallen allerhand Sprechchöre entgegen, er genießt aber offensichtlich die Aufmerksamkeit. Weber wirkt zufrieden und gelassen. Zwischendurch verstummt die Menge immer wieder, von irgendwo ertönt ein deutlich hörbares „Verpiss dich endlich“. So ganz scheinen beide Seiten nicht zu wissen, wie es weitergeht. Man kann sich nicht ausstehen, steht sich aber nun einmal gegenüber.So oder so, im Lautstärkeduell hat der Juraprofessor keine Chance und bedient sich lieber einiger Gesten, um die Menge etwas anzustacheln. Zehn nach zwölf verabschiedet er sich in seinen Hörsaal, winkt zum Abschied und schließt das Fenster. Die Demonstrierenden quittieren seinen Abgang mit weiteren Sprechchören. „O partigiano, portami via, o bella ciao, bella ciao, bella ciao ciao ciao“, die Menge klatscht und tanzt. Während der knapp zweistündigen Veranstaltung bleiben die Fenster geschlossen.Kurz vor 14 Uhr ist Webers Vorlesung von beendet. Die Studierenden verlassen das Audimax über den Nebeneingang zum Innenhof. Draußen warten rund 60 Demonstrierende, die anderen sind in der Rubenowstraße geblieben. Im strömenden Regen halten sie ihre Transparente hoch, wollen einen Blick auf den Juraprofessor erhaschen. Doch Ralph Weber bleibt heute ein Phantom. Sein Auto rauscht so schnell davon, wie es gekommen ist. Der ehemalige Landtagsabgeordnete sieht durch die regennassen Scheiben nicht mehr so aus, als würde er die Aufmerksamkeit genießen. Keine Triumphgesten. Wenn man dem Buschfunk aus der Universität Glauben schenkt, könnte es für ihn ein sehr einsames Semester werden. Im Rektorat genießt Weber wohl keinen Rückhalt, denn auch für die kommenden Semester sollen Alternativveranstaltungen organisiert werden. Und zu seiner eigenen Vorlesung gelangt er nur mit Eskorte. Die Initiative „Uni ohne Nazis“ überlegt derweil, weitere Protestaktionen zu organisieren. Geplant ist Webers Vorlesung immer dienstags.