Mecklenburg-Vorpommern

Das schönste Schlusslicht

Die SPD regiert Mecklenburg-Vorpommern seit 23 Jahren und wird dafür von der Bevölkerung gefeiert. Dabei gibt es kein weniger entwickeltes Bundesland als MV. Ein Kommentar.

In allen Bundesländern, die nicht Mecklenburg-Vorpommern heißen, werden Witze über das nordöstlichste Bundesland gemacht. Oft zu Unrecht, manchmal zu Recht: Abgehängt, internetfreie Zone, null Zugverbindungen, überall Nazis.

Die Menschen hier vor Ort haben diese Wahrnehmung selbst nicht so stark. Die drei größeren Tageszeitungen loben gerne, wie schön das Land ist, wo die besten Strände liegen, wie hübsch die AIDA eigentlich aussieht. Kurz: Das Selbstbild der heimischen Zeitungen und der Leute, die in MV leben, ist deutlich positiver.

Klar ist, MV hat sich in den letzten 20 Jahren positiv entwickelt. Das Bruttoinlandsprodukt ist nominal, aber auch preisbereinigt gestiegen. Die Arbeitslosenquote hat sich etwa halbiert (wobei man hier beachten muss, dass unter Schröder die Zählweise geändert wurde) und die A 20 macht das Reisen zumindest für Autofahrer:innen etwas einfacher.

Was aber auch stimmt: Mecklenburg-Vorpommern findet sich im Vergleich zu allen anderen Bundesländern immer eher auf den hinteren Plätzen wieder. Genau genommen liegt es ziemlich oft auf den ganz hinteren Plätzen und in einigen Bereichen auch auf dem allerletzten Platz. In keinem anderen Bundesland ist der Breitbandausbau so lückenhaft. MV ist hier im Bundesvergleich komplett abgeschlagen. In keinem anderen Bundesland ist die Wirtschaftskraft pro Erwerbstätigem niedriger als hier. Die Armutsgefährdungsquote liegt bei 19,4 Prozent. Sachsen-Anhalt und Berlin haben ähnliche Werte. Nur in Bremen ist es noch prekärer: 24,9 Prozent.

Was insgesamt auffällt, egal welche Parameter man für einen Vergleich unter den Bundesländern heranzieht, MV ist nie auf einem vorderen Platz.

Hinteres Mittelfeld ist bereits ein Erfolg

Beim Bildungsmonitor liegt MV beispielsweise auf Platz neun. Das ist nur dann toll, wenn man sonst noch weiter hinten liegt.

Manuela Schwesig hat in ihrer Dankesrede nach der Landtagswahl betont, nun die stärkste Kraft im „schönsten Land“ Deutschlands zu sein, um direkt danach einfach noch mal zu sagen, dass MV das „schönste Land“ Deutschlands sei. Diese Betonung der Schönheit ist bereits Ausdruck der misslichen Lage. Man kann über MV einfach nichts anderes sagen, als dass es ganz schön ist. Es ist nicht das kreativste, nicht das stärkste, nicht das innovativste, nicht das lustigste, nicht das aufstrebendste Land – es ist eben an einigen Ecken einfach nur schön hier und das ist zudem besonders einfach zu sagen, weil es nicht messbar ist. Einige MV-Politiker haben mich für diese Analyse, dass Mecklenburg-Vorpommern einigermaßen abgehängt ist, hart kritisiert und gesagt, dass sich MV in den letzten zwei Jahrzehnten stark entwickelt habe. Das kann man gerne so analysieren. Menschen funktionieren aber nicht im luftleeren Raum. Sie vergleichen sich, sie wollen Gleichheit oder sogar besser als andere dastehen, das haben Psycholog:innen herausgefunden. Menschen befürworten beispielsweise eine Gehaltserhöhung. Sie lehnen aber eine Gehaltserhöhung ab, wenn alle anderen Mitarbeitenden eine doppelte Gehaltserhöhung bekommen.

Die meisten Menschen wollen nicht abgehängt sein, egal, wie gut sich die Situation absolut betrachtet verbessert. Heißt: MV muss sich mit den anderen Bundesländern vergleichen. Die Flucht in die Selbstbetrachtung und die Fokussierung auf die Schönheit mag dabei helfen, sich hier wohler zu fühlen, aber es bleibt einigermaßen würdelos.

Auch wir bei KATAPULT MV haben in der Vergangenheit eher positive Nachrichten rausgesucht. MV hat am meisten Sonne, MV hat tolle Nandus, MV hat viele Naturschutzgebiete, MV hat gute Luft, MV hat vereinzelt tolle Unternehmen. Warum? Weil es sich besser klickt. Die Leute freuen sich dann, wenn man ihnen sagt, dass ihre Region voll toll ist. Das Problem? Es gleicht einer Selbstaufgabe, wenn man sich nicht mehr mit anderen vergleicht. Wenn man so schwach ist, dass jeder Vergleich wehtut, dann vergleicht man eben gar nicht mehr. Stattdessen wird Mecklenburg-Vorpommern im luftleeren Raum abgefeiert.

Das macht besonders die Ostsee-Zeitung, aber in gewisser Weise auch die beiden anderen Tageszeitungen, Schweriner Volkszeitung und Nordkurier. Ich kann das Verhalten gut verstehen, man möchte den Lesenden aus seiner Region ein nettes Bild vermitteln, vielleicht möchte man auch ein paar dazu überreden, hierzubleiben. Die Debatte bekommt aber gerade erst dadurch Würde, wenn man den Vergleich aufnimmt, wenn man die aktuelle Lage versteht und sich Ziele setzt.

Warum hat die Landesregierung nicht das Ziel, in den nächsten fünf Jahren beim BIP pro Erwerbstätigem von Platz 16 auf Platz 14 zu kommen? Weil es messbar ist. Warum hat niemand das Ziel, beim Breitbandausbau von Platz 16 auf Platz 15 zu kommen? Weil es messbar ist. Die Parteien und im Speziellen die Regierungsparteien bieten keine konkreten Ziele an, weil sie messbar sind. Ja, sie wollen Breitband ausbauen, ja, sie wollen wohl eine stärkere Wirtschaft, aber mehr eben auch nicht.

Nicht jeder Mensch muss konkrete Ziele haben, aber eine Landesregierung könnte sich den Stress doch durchaus mal machen und konkrete Ziele formulieren.

Es gibt in MV ein weiteres Problem, das damit zu tun haben könnte: Niemand beobachtet die Landesregierung in einem ausreichenden Maße. Warum wird nicht dauernd von einem der großen Zeitungshäuser berichtet, welche Vorhaben aus den Koalitionsvereinbarungen in Angriff genommen worden, welche erfolgreich bearbeitet und welche komplett liegen geblieben sind?

Warum die Kritik lasch bleibt

Vielleicht sind die drei Medienhäuser zu eng mit der Politik verwoben. Sicher sind alle Journalist:innen frei und ohne Zwänge, aber die große Regierungskritik bleibt weg oder immer nur punktuell.

Vielleicht sind wir Medien in so einem strukturschwachen Bundesland auch nicht unabhängig genug. Das schließt KATAPULT mit ein. Wir sind auf Genehmigungen der Verwaltung angewiesen, wir haben eine Baufördermaßnahme beantragt, die am Ende durch ein Ministerium geht. Sowas macht abhängig und ich sehe das kritisch.

Die drei alten großen Tageszeitungen haben 2020 gemeinsam zwei Millionen Euro von der Landesregierung erhalten, um während des Lockdowns irgendein Schulangebot zu realisieren. Sie können oder wollen aber bis heute nicht sagen, wofür das Geld am Ende wirklich ausgegeben wurde. Heißt: MV ist so klein, dass Regierung und Journalismus miteinander verwoben sind.

Das ist einigermaßen problematisch! Die hinter der OZ stehende Madsack-Gruppe wird zu 23,1 Prozent von der SPD gehalten. Ich habe keine Ahnung, was das genau bedeutet, aber es wirkt nach außen nicht gut.

Auch wir haben ein Angebot von einem Landesministerium bekommen. Wir würden um die 30.000 Euro bekommen, wenn wir einen Wirtschaftsredakteur einstellen. Wir haben das Angebot abgelehnt, denn es hört sich zwar erst mal harmlos an und ist sicher im Konkreten auch nett gemeint, aber seit wann mischen sich Ministerien in die Aufstellung einer Redaktion ein? Vielleicht wollen wir ja viel lieber über Kultur berichten?

KATAPULT muss unabhängig werden. Ob die anderen drei Zeitungen das schaffen, kann ich nicht sagen; sie sind, bis auf den Nordkurier, nicht mal bereit, uns Auskunft über ihre wirtschaftlichen Partner und ihre Kontakte in die Regierung zu geben. Die finanzielle Trennung zwischen Journalismus und Regierung scheint kein großes Ideal zu sein.

Diese ganzen Abhängigkeiten führen eventuell auch dazu, dass die Landesregierung immer nur punktuell, aber selten im Großen und Ganzen kritisiert wird. Wie erfolgreich war denn nun die große Koalition, die wir seit 15 Jahren in MV haben? Wir wollen das wissen. Deshalb wird KATAPULT ab dieser Legislatur die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag in drei Kategorien teilen und ständig aktualisieren:

1. Gesetzesvorhaben unbeachtet

2. Gesetz in Bearbeitung

3. Gesetz in Kraft

Die Kategorien werdet ihr also auf unserer Internetseite finden und wir aktualisieren ständig, welche Gesetze auf welchem Stand sind. Aber nicht nur das, wir werden auch beobachten, ob sich MV in einem Bereich gegenüber anderen Bundesländern verbessert hat. Wir haben hier nur eine Auswahl von sechs Indikatoren in unseren kleinen Deutschlandkarten dargestellt. Wenn du den Eindruck hast, dass da aber noch ein ganz wichtiger Indikator fehlt, sende deine Idee mit Quellenverweis gerne an redaktion@katapult-mv.de.

Denn das ist klar, MV hat sich in einigen Bereichen durchaus verbessert, aber es ist im Vergleich zu anderen eben immer noch zu oft das Schlusslicht.

MV muss besser werden. MV muss aufholen. MV braucht mehr Würde, und das beginnt damit, sich zu anderen ins Verhältnis zu setzen.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe 1 von KATAPULT MV.

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